Copyright: © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2013

Copyright: © der Originalausgabe: Paul Gilbert, 2010

Originalausgabe Die Originalausgabe ist 2010 unter dem Titel „Compassion Focused Therapy. Distinctive Features“ bei Routledge erschienen.

Übersetzung: Guido Plata, Bremen

Coverfoto: © nicholashan – Fotolia.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2013

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe 978-3-87387-835-8
ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-935-5

Vorwort und Danksagung zur englischen Ausgabe

Ich möchte Windy Dryden, Herausgeber der englischen Reihe, in der dieses Buch erschienen ist, dafür danken, dass er diese exzellente Reihe zusammengestellt, mich zu einem Beitrag eingeladen und meine zahlreichen Textentwürfe stets geduldig begleitet hat. Ich empfand den Gedanken an dieses Buch zunächst als abschreckend, da bislang kein etabliertes Standardwerk zur Compassion Focused Therapy (CFT) existiert, sodass es notwendig war, einige Hintergrundinformationen und Belege für den Wert eines mitgefühlsfokussierten Ansatzes einzubeziehen. Aus diesem Grund ist dieses Buch ein bisschen länger geworden und beinhaltet auch mehr Literaturangaben als andere Bände in dieser Reihe – deshalb nochmals vielen Dank an Windy, Joanne Forshaw und Jane Harris von Routledge für all ihre Unterstützung.

Ich habe versucht, die distinktiven Merkmale hervorzuheben und gleichzeitig das große Ausmaß an Vorarbeiten im Rahmen anderer Ansätze ebenso wie die Anlehnungen der CFT an diese Ansätze zu würdigen. Vielen Dank an alle, die die CFT unterstützt haben, insbesondere an mein gegenwärtiges Forschungsteam: Corinne Gale, Kirsten McEwan und Jean Gilbert; an die Vorstandsmitglieder der Compassionate Mind Foundation: Chris Gillespie, Chris Irons, Ken Goss, Mary Welfrod, Ian Lowens, Deborah Lee, Thomas Schroder und Jean Gilbert sowie an die klinisch tätigen Kollegen Michelle Cree, Sharon Pallant und Andrew Rayner, die ebenfalls an diesem Ansatz gearbeitet und all ihr Wissen, ihre Einsichten und ihre Erkenntnisse mit uns geteilt und unser Verständnis der CFT dadurch sehr bereichert haben. Weiterhin danke ich Giovanni Lotti, der mir die Bedeutsamkeit der Mentalisierung bewusst machte und mir zeigte, wie diese sich in Beziehung zu sozialen Mentalitäten setzen lässt; ich danke Andrew Gumley für seine Unterstützung, sein Interesse und seine Anleitung auf dem Gebiet der Psychosen sowie Sophie Mayhew und Christine Brähler für ihre inspirierenden Arbeiten zur CFT bei psychotischen Personen. Die Compassion Focused Therapy wird von der Compassionate Mind Foundation unterstützt, die Links zu anderen Webseiten über mitgefühlsfokussierte Ansätze und zu aktuellen Informationen, Downloads und Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der CFT bereitstellt (s. http://www.compassionatemind.co.uk). Mein Dank gilt Diane Woollands für ihre wundervolle Unterstützung der Compassionate Mind Foundation und Kelly Sims für ihre enthusiastische Sekretariatsarbeit und ihre Überprüfung der Quellenangaben – was keine Kleinigkeit war.

Dieses Buch ist mit Dank all jenen Klienten gewidmet, die im Laufe der Jahre all ihre Tief- und Höhepunkte mit uns geteilt haben und durch ihr ehrliches Feedback dazu, was hilft und was nicht hilft, die Entwicklung der CFT gelenkt haben. Ich stehe tief in ihrer Schuld.

14. Bedrohung und die Kompensation durch Erfolg

Typischerweise führt Scham zu Sicherheitsstrategien wie Selbstkritik, Vermeidung, Abschottung, Verstecken und anderen nicht hilfreichen Verhaltensweisen in dem Bestreben, seine Emotionen zu regulieren. Scham kann jedoch auch lebhaftes Antriebsverhalten in Form von Erfolgsstreben nach sich ziehen – im Zusammenhang mit „müssen“ und „sollen“ – wie in der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie (REVT; Dryden, 2009). Alfred Adler (1870-1937) argumentierte, dass Menschen, die sich minderwertig fühlen (einen Minderwertigkeitskomplex haben), danach streben, diesen zu kompensieren und sich selbst gegenüber anderen zu beweisen – eine Sichtweise, die heute in den meisten Psychotherapien akzeptiert wird. Die CFT bezieht sich aus diesem Grund auf die Forschungen zu Kompensation und Erfolg. Vor vielen Jahren trafen McClelland, Atkinson, Clark und Lowell (1953) in der Motivationstheorie eine Unterscheidung zwischen den Gruppen der „Value Achievers“ und der „Need Achievers“.[4] Die „Value Achievers“ streben nach Erfolgen, die ihnen Vergnügen bereiten und das Gefühl persönlichen Wachstums vermitteln, während die „Need Achievers“ ihr Erfolgsstreben darauf ausrichten, andere zu beeindrucken. Diese Thematik wurde auch von anderen Forschern aufgegriffen. So schlug beispielsweise Dykman (1998) vor, dass dem Erfolg zwei wesentliche Motivationen zugrunde liegen, die er als Wachstumsstreben versus Wertschätzungsstreben bezeichnete. Leute mit einem Wachstumsstreben haben Freude an Herausforderungen und ihrer Fähigkeit, aus Schwierigkeiten / Fehlern zu lernen und daran zu wachsen. Demgegenüber verspüren Leute mit einem Wertschätzungsstreben den konstanten Druck, sich selbst als für andere Menschen liebenswert und anerkennenswert zu beweisen. Dykman schlug weiterhin vor, dass Wertschätzungsstreben eine defensive Bewältigungsstrategie ist, die sich im Kontext kritischer und perfektionistischer Elternschaft entwickelt. In einer Reihe von Studien untersuchten Dunkley et al. (z. B. Dunkley, Zuroff & Blankstein, 2006) diverse Maße für Perfektionismus und schlugen zwei unterliegende Faktoren vor: Der erste ist das Setzen und Anstreben persönlicher Standards, der zweite ist das Streben nach der Vermeidung von Kritik / Zurückweisung durch andere Menschen – bezeichnet als „Evaluationsbesorgnis“ (evaluative concerns). Dunkley et al. (2006) fanden heraus, dass die Dimension der Evaluationsbesorgnis mit diversen Indikatoren für Psychopathologie in Verbindung steht. Darüber hinaus haben unsere eigenen Forschungen gezeigt, dass sich unsicheres Erfolgsstreben zur Vermeidung von Unterlegenheit oder Minderwertigkeit (das sich vom Streben nach Überlegenheit unterscheidet) von sicherem Nicht-Streben abgrenzen lässt. Unsicheres Streben ist auf die Vermeidung von sozialen Konsequenzen in Form von Zurückweisung, sozialem Ausschluss und Scham ausgerichtet (Gilbert et al., 2007). Menschen mit einem sicheren Nichtstreben sind überzeugt, dass man sie in jedem Fall akzeptiert, ob sie nun Erfolg haben oder scheitern.

Goss und Gilbert (2002) schlugen vor, dass dies in besonderem Maße auf Menschen mit Essstörungen zutrifft. Anorektische Personen fokussieren auf Gefühle von Stolz, die sich aus der Kontrolle ihres Körpergewichts und ihres Essverlangens ergeben. Wenn sie diese Kontrolle verlieren, werden bei ihnen in hohem Maße Bedrohungsgefühle und Alarmreaktionen aktiviert. Die Betroffenen nutzen ihr Antriebssystem für den Versuch, ihr Bedrohungssystem zu regulieren. In Abbildung 13.1, die ich zusammen mit Ken Goss zur Darstellung von Problemen mit Essstörungen entwickelt habe, findet sich eine vereinfachte Darstellung dieses Ablaufes.

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Abbildung 13.1: Arten von Affektregulationssystemen (entwickelt mit Ken Goss, 2009)

Wir können die Pfeile in Bezug auf das Besänftigungs-, Zufriedenheits- und Sicherheitssystem hier weglassen, da wir nicht wissen, wie es in diesen Fällen arbeitet. Das vorliegende Modell passt auf ein breites Spektrum von Individuen, die eine kompetetive und strebende Haltung entwickelt haben, um Bedrohungsgefühle abzuwehren oder sich mit anderen Menschen verbunden zu fühlen. Dies ist ein zunehmendes Problem in unserer westlichen Gesellschaft (Gilbert, 2009a; Pani, 2000) und könnte einer der Gründe dafür sein, dass wir bei Jugendlichen immer häufiger Depressionen, Angststörungen, Drogenmissbrauch und selbstverletzendes Verhalten beobachten (Twenge et al., 2010). Wenn man mit den betreffenden Jugendlichen spricht, macht es einen traurig, welches Ausmaß an Gefühlen des Losgelöstseins (insbesondere von der Erwachsenenwelt), der Minderwertigkeit und der Einsamkeit sie empfinden und wie verzweifelt sie sich bemühen, von anderen wirklich geschätzt zu werden. Schulen, Unternehmen und westliche Regierungen haben unsere Gesellschaft in den vergangenen 20 Jahren wissentlich mit der Überzeugung geimpft, dass es nur den kompetitiven und Fähigen gelingt, irgendetwas im Leben zu erreichen – und dass wir alle uns daher einen „Wettbewerbsvorteil“ verschaffen und uns im Markt beweisen müssten. Diese Überzeugung ist problematisch, da sie sich auf unser Gehirn auswirkt (Pani, 2000) und ein hohes Maß an Ungleichheit in der Gesellschaft hervorruft, das bekanntermaßen pathogen und unserem Wohlbefinden abträglich ist (Wilkinson & Pickett, 2009).

Wenn Sie die drei Kreise für Ihre Klienten zeichnen und ihnen diesen Umstand erklären, so erkennen sie schnell, was geschieht und warum es geschieht. Ob sie daraufhin eine therapeutische Vereinbarung mit Ihnen treffen, im Rahmen derer sie sich um eine Ausbalancierung ihrer Systeme mittels einer mitfühlenderen und besänftigenderen Haltung bemühen werden, ist eine andere Frage. Oft sind Klienten davon überzeugt, dass andere Menschen sie nur dann mögen, wenn sie erfolgreich sind – eine Klientin erzählte mir, dass man ihr Sätze wie „Die Zweiten sind die ersten Verlierer“ und „Niemand erinnert sich an die Zweiten“ beigebracht habe. Aus diesem Grund ist es hilfreich, zwischen wertbasiertem Erfolgsstreben und bedrohungsbasiertem Bindungsstreben zu unterscheiden – wobei das Letztgenannte stark mit einer Neigung zu Scham und Furcht vor sozialem Ausschluss und Zurückweisung in Verbindung steht. Es kann auch eine Furcht vor den mit Zufriedenheit und Affiliation assoziierten positiven Emotionen bestehen (s. Kap. 29), oder das Streben kann zu einem Bestandteil der Selbstidentität geworden sein. Sie können Verhaltensexperimente, das Planen von nicht erfolgsbezogenen vergnüglichen Dingen, Verspieltheit und Desensibilisierung gegenüber positivem Affekt in Ihrer Arbeit verwenden, und den Klienten so dabei helfen, ihr Streben auf andere Weise zu betrachten.

Aus diesen Forschungen zur Erfolgsmotivation geht hervor, dass Probleme mit der Fähigkeit, Verbundenheit mit anderen Menschen zu empfinden, sich auf diese zu verlassen und sich in ihrer Gegenwart sicher zu fühlen, den Wunsch nach sich ziehen, sich „seinen Platz zu verdienen“. In der Folge greifen sie übermäßig auf ihr anreizsuchendes dopaminerges System zurück, um sich positive Gefühle und Selbstschutz zu verschaffen. Tatsächlich empfinden perfektionistische Menschen, Menschen, die in hohem Maße nach Erfolg streben oder das Gefühl haben, sich beweisen zu müssen, oft vorübergehend Erleichterung, wenn sie tatsächlich Erfolg haben. Auch bemerkt man in der Arbeit mit manchen erfolgsorientierten Perfektionisten oder mit Menschen, die verzweifelt versuchen, sich zu beweisen, dass sie oft davon sprechen, sich „allein zu fühlen“ – nicht wirklich mit anderen Menschen verbunden und ohne das Gefühl von Zugehörigkeit. Gelegentlich mühen diese Leute sich auch ab, um Glück oder zufriedenstellende Intimität und Nähe zu anderen Menschen zu empfinden. Diese Gefühle haben wir weiter oben im Zusammenhang mit Scham erörtert, und es ist wichtig, sie genauer zu erkunden, da sie verbunden sind mit Problemen der Aktivierung des Besänftigungs-, Zufriedenheits- und Sicherheitssystems und somit zu einem Fokus für die Therapie werden können.

14.1 Selbstfokussierte versus mitfühlende Ziele

Crocker und Canevello (2008) erforschten zwei Arten von Zielen, die sich auf das Selbstbild beziehen. Die erste Art ist mitfühlend und von dem Wunsch, anderen Menschen zu helfen, geprägt. Die Beschäftigung mit altruistischen Zielen und dem Wunsch, anderen Menschen zu helfen, wurde bereits bei sehr kleinen Kindern beobachtet (Warneken & Tomasello, 2009). Die zweite Art von Ziel ist selbstfokussiert und geprägt von Erfolgswillen und dem Wunsch, auf andere Menschen einen guten Eindruck zu machen. Wir sehen hier Ähnlichkeiten zu den „Value Achievers“ versus „Need Achievers“, Wachstumsstreben versus Wertschätzungsstreben und den Motiven des Zurechtkommens versus An-die-Spitze-Kommens. Wichtig ist jedoch, dass mitfühlende Ziele mit Gefühlen der Nähe, Verbundenheit und sozialer Unterstützung assoziiert waren, während sie gleichzeitig eine umgekehrte Beziehung zu Konflikten, Einsamkeit und Furcht vor Gefühlen sowie Verwirrung durch Gefühle aufwiesen (das bedeutet, je stärker die mitfühlenden Ziele ausgeprägt waren, desto geringer war das Ausmaß an Konflikten, Einsamkeit, Furcht vor Gefühlen und Verwirrung durch Gefühle). Bei den selbstfokussierten Zielen hingegen waren die Beziehungen genau umgekehrt. Reed und Aquino (2003) schlugen vor, dass Zuwendung, Güte und Ehrlichkeit wichtig für jene Selbstidentität werden können, die sie als moralische Identität bezeichnen. Der Wunsch, eine gütige und mitfühlende Person zu sein (das bedeutet, die Zuwendung gebende Mentalität für die Mitgestaltung des Selbst und sozialer Rollen nutzbar zu machen), trägt zu wohlwollenderen Verhaltensweisen und Werten bei – insbesondere gegenüber Fremdgruppen. Mit anderen Worten, die mentalen Bilder der angestrebten Selbstidentität, also die Art von Person, die man sein möchte, zu sein versucht und zu sein übt, haben bedeutsame Auswirkungen auf das soziale Verhalten und das Wohlbefinden. Diese Forschungsergebnisse sollten Sie im Hinterkopf haben, wenn wir uns mit der Entwicklung des mitfühlenden Selbst befassen (Kap. 21–29).

14.2 Handeln und Erfolg haben

Die CFT konzentriert sich nicht nur auf ein Affektsystem (das Besänftigungssystem). Der Hauptfokus der CFT besteht darin, die drei Affektsysteme auszubalancieren, nicht lediglich das Besänftigungssystem zu stimulieren. Manchmal ist es wichtig, auch am Antriebserregungssystem zu arbeiten, indem man bedrohungsbasierten Erfolg in wertbezogenen Erfolg verändert. „Handeln“ ist eine wichtige Komponente beim Ansatz der Verhaltensaktivierung zur Therapie von Depressionen (Gilbert, 2009b; Martell, Addis & Jacobson, 2001). Weiterhin ist der Abschluss einer CFT keinesfalls das Ende allen Strebens nach Mitgefühl. Der Dalai Lama bereist die ganze Welt, um Mitgefühl zu propagieren; in der ACT liegt der Schlüssel zu persönlichem Wachstum und Weiterentwicklung darin, das eigene Leben den persönlichen Werten und Zielen zu verschreiben.

Mitfühlendes Verhalten kann auch darin bestehen, Menschen Dinge zur Verfügung zu stellen, die für ihr Lebensglück bedeutsam sind. Beispielsweise könnte es ein Akt des Mitgefühls sein, einem Kind zu Weihnachten das seit Langem gewünschte Fahrrad zu schenken, damit es mit seinen Freunden mithalten kann. Wenn wir uns selbst zu viele Grenzen auferlegen, sollten wir lernen, wieder Freude zu empfinden und uns etwas Gutes zu tun. Zudem ist es für unser emotionales Gleichgewicht von Bedeutung, dass wir lernen, Freude an unseren eigenen Erfolgen und denen anderer Leute zu haben. Ebenso wie in anderen Therapien besteht jedoch auch in der CFT ein Unterschied zwischen der Freude am Haben und darin, „ein Bedürfnis nach etwas zu verspüren und die betreffende Sache dann auch haben zu müssen“ (Dryden, 2009).

30. Abschließende Überlegungen

In diesem Buch wurde das Grundmodell der CFT beschrieben. Es ist ein wissenschaftlicher und multifokussierter Ansatz anstelle eines Modells, das auf einer bestimmten „therapeutischen Schule“ basiert. Die CFT ist kein buddhistisches Modell, obwohl es buddhistische Einsichten und Lehren eindeutig schätzt und verwendet. Germer (2009) liefert eine exzellente Übersicht über einen eher buddhistischen Ansatz, in dem Achtsamkeit mit einer Reihe von mitgefühlsfokussierten Übungen gemischt wird. Der Text ist als Selbsthilfebuch geschrieben und kann Klienten daher zur Lektüre empfohlen werden. Die Wurzeln der CFT liegen in der Evolutionstheorie, der neurowissenschaftlichen Betrachtung der Affektregulation, der Untersuchung der Interaktion zwischen neuen und älteren Gehirnsystemen (wie im Falle der Fähigkeiten zu Mentalisierung und Theory of Mind) und der Betrachtung der Qualitäten von (sozialen) Beziehungen. Die Therapie nutzt Befunde aus Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie und anderen Teildisziplinen der Psychologie und ist eng mit vielen verhaltenswissenschaftlichen Konzepten wie der emotionalen Konditionierung verbunden. Somit strebt die CFT danach, Wissen aus vielen Bereichen der Psychologie zu entlehnen und zu integrieren, anstatt sich auf den Ansatz einer „bestimmten therapeutischen Schule“ zu beschränken.

Im Hinblick auf die Interventionen ist die CFT eine multimodale Therapie, die auf den wegweisenden und bedeutsamen Fortschritten in ACT, KVT, DVT, EFT, REVT und zahlreichen anderen Ansätzen basiert. CFT-Therapeuten prüfen bei jeder Intervention, ob der Klient diese im Geiste von Validierung, Unterstützung und Güte ausführen kann, anstatt mit einem inneren Affekt von Distanziertheit, Invalidierung, Kälte, Drangsalieren oder Kritik – unabhängig davon, ob es nun um die Nutzung der therapeutischen Beziehung, Unterstützung bei der Neubewertung von Gedanken oder zentralen Überzeugungen, Verringerung von Sicherheitsverhalten, Anerkennen und Verarbeiten von Wut oder traumatischen Erinnerungen, Exposition an gefürchtete Dinge, Verhaltensexperimente oder graduierte Aufgaben, die Arbeit mit körperlichen Empfindungen oder die Entwicklung von Achtsamkeit geht. Der motivationale und emotionale Tonfall sowie die grundlegende Orientierung und Absicht sowie der Geist der Intervention sind entscheidend. Dasselbe gilt für die Entwicklung von Selbstmitgefühl: Dies ist nicht nur ein Weg zum Einsatz von kognitiven, verhaltensbezogenen und emotionsbasierten Interventionen, sondern auch zum Aufbau einer Selbstidentität, die üben kann, „das mitfühlende Selbst zu werden“. Wie zuvor erwähnt, gibt es zahlreiche anekdotenhafte Berichte darüber, dass Menschen „verändert werden“, wenn sie sich geliebt, erwünscht und akzeptiert fühlen (etwa, indem sie zu einer Religion finden). Es ist verwunderlich, dass außerhalb der bindungsfokussierten Psychotherapie so wenig Forschungsbemühungen auf die Implikationen (Interventionen) dieser Tatsache für die CFT gerichtet wurden – insbesondere wenn man bedenkt, dass wir uns dazu entwickelt haben, nach Zuwendung von anderen Menschen zu streben (Gilbert, 1989, 2007a; Hrdy, 2009) und ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Wertschätzung zu verspüren (Baumeister & Leary, 1995).

Die CFT betont auch einen entwicklungsbezogenen Ansatz für Veränderung. Menschen durchlaufen Phasen von Veränderung hinsichtlich ihrer Motivation, aber auch ihrer psychologischen Kompetenzen (wie ihrer Mentalisierungskompetenzen und diversen kognitiven Fähigkeiten zu abstraktem Denken). Somit können Leute eine Therapie mit der Einsicht beginnen, dass sie Probleme mit ihren Emotionen haben, sich diesen jedoch hilflos ausgeliefert fühlen. Auf der nächsten Stufe beginnen sie zu erkennen, dass diese Emotionen Dinge sind, die in „ihrem Geist“ geschehen, und fangen an, eine Distanz dazu herzustellen, um eine mehr beobachtende Rolle einzunehmen. Allerdings haben sie noch immer das Gefühl, dass ihre Emotionen sie beherrschen. Später sehen sie langsam ein, dass sie ihre Gefühle nicht ausleben müssen, und dass Gedanken und Gefühle nicht notwendigerweise zutreffende Repräsentationen der Realität sind – sie werden achtsamer und entwickeln bessere Mentalisierungsfähigkeiten. Damit einher geht die Fähigkeit zum Verständnis komplexer und gelegentlich sich widersprechender Emotionen; sie erkennen, dass unser Selbst aus unterschiedlichen Teilen mit unterschiedlichen Prioritäten und Motiven besteht. Die Bewusstheit dieses Entwicklungsprozesses ist wichtig, da sich die Therapiegestaltung am Stand der intellektuellen Leistungsfähigkeit sowie den Fähigkeiten zur achtsamen Selbstbeobachtung, Reflexion / Mentalisierung und Affektdifferenzierung der Klienten orientiert. In der CFT ist das Durchlaufen all dieser Veränderungsprozesse jedoch auch ein Vorgang, bei dem Selbstmitgefühl entwickelt und bestimmte Arten von Affektregulationssystemen im Gehirn stimuliert werden. Tatsächlich erschafft das Pflegen inneren Mitgefühls die Bedingungen, die ein Sicherheitsgefühl und das Empfinden von Besänftigung fördern (dies unterhöhlt Selbstkritik) und auch exploratives Verhalten ermöglichen, was wiederum kognitive und affektive Reifung und Mentalisieren gestattet.

Die CFT konzentriert sich auf die Vielfalt des Geistes; in dem Sinne, dass wir viele unterschiedliche „Teile des Selbst“ in uns tragen und viele unterschiedliche, zeitweilig auch widerstreitende Motive und Emotionen hinsichtlich bestimmter Ereignisse verspüren können. Die Identifikation bestimmter Gedanken kann daher schwierig oder sogar irreführend sein. Außerdem werden manche Emotionen von anderen verschleiert und unterdrückt. Daher hilft der Therapeut dem Klienten bei der Entschleunigung und fördert (mittels sokratischer Dialoge, geleitetem Entdecken und Empathie) eine Vielzahl der potenziellen Gefühle und Motive zutage, die durch eine bestimmte Erfahrung hervorgerufen werden könnten, einschließlich solcher, die der Klient vermeiden könnte, oder bei denen er Angst davor haben könnte, sie zu empfinden oder sich auch nur einzugestehen. Anschließend stellen wir natürlich Distanz her, betrachten diese schwierigen Konflikte in normalisierender und mitfühlender Weise und reflektieren darüber, welche Aspekte Schritt für Schritt verarbeitet werden sollen.

Obwohl die CFT nun für eine ganze Reihe psychischer Probleme eingesetzt wird, wurde sie ursprünglich für Menschen mit hohen Ausprägungen von Scham und Selbstkritik entwickelt, die mitfühlende Selbstbesänftigung als sehr schwierig empfanden. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches sind diverse randomisierte kontrollierte Studien (RKS) in Planung.

Die meisten Therapien bauen heute zunehmend auf einer wissenschaftlichen Betrachtung des Geistes auf. Dies bedeutet, dass alle Therapien sich im Lauf der Zeit inhaltlich einander annähern und (hoffentlich) untereinander weniger verfeindet sein werden. Für mich ist der wissenschaftliche Aspekt geklärt – wir sind eine von der Evolution geformte Spezies, die unter den Bedingungen von Sicherheitsgefühl, Unterstützung, Verbundenheit und Güte am besten funktioniert.

Möge Ihre Mitgefühlspraxis Ihnen auf Ihrem Weg gute Dienste leisten.

Weiterführende Websites

http://www.compassionatemind.co.uk

Dieser Verband wurde von Paul Gilbert gegründet. Hier werden Materialien für Therapeuten und Wissenschaftler (auf Englisch) zur Verfügung gestellt.

http://www.selbstmitgefühl.de

Auf dieser Seite wird über mitgefühlsbasierte Ansätze, insbesondere CFT, informiert. Ebenso sind hier Seminare in CFT in Deutschland zu finden.

Anmerkungen

[1] In diesem Buch wird durchgängig die Originalbezeichnung „Compassion Focused Therapy“ (CFT) verwendet, um eine Abgrenzung von anderen mitgefühlsbasierten Ansätzen (wie der „Compassionate Therapy“) mit teilweise ähnlichen deutschen Bezeichnungen vorzunehmen (Anm. d. Übersetzers).

[2] Theoretische Überlegungen hinsichtlich des menschlichen Verstandes; im Speziellen die Fähigkeit, sich selbst und anderen Menschen Bewusstseinsvorgänge wie etwa Überzeugungen oder Wünsche zuzuschreiben und dabei zu verstehen, dass die Bewusstseinsvorgänge anderer Menschen sich von den eigenen unterscheiden können. Für den Begriff existiert keine einheitliche deutsche Übersetzung; gelegentlich wird er als „Mentalisierung“ bezeichnet, die jedoch – so auch in diesem Buch – ein anderes Konzept beschreibt, nämlich die auf der Theory of Mind aufbauende Erklärung von bei sich selbst oder anderen beobachtetem Verhalten durch die Zuschreibung mentaler Vorgänge (Anm. d. Übers.).

[3] Die Fähigkeit zum Mentalisieren als solche ist also durchaus vorhanden, nur das Ausmaß der empfundenen Bedrohung übersteigt die Kompetenz des Individuums.

[4] Die Begriffe „Value Achiever“ und „Need Achiever“ werden in der deutschsprachigen Literatur sehr uneinheitlich übersetzt; beispielsweise auf die Personen bezogen als „Streben nach Werterfolg“ und „Streben nach Bedürfniserfolg“. Hier wird aus Gründen der Einfachheit die englische Bezeichnung beibehalten. (Anm. d. Übers.)

Paul Gilbert
Compassion Focused Therapy

Reihe
Therapeutische Skills kompakt
Band 3

Vorwort

Neue Entwicklungen in der Psychotherapie – insbesondere innerhalb der Kognitiven Verhaltenstherapie – betonen, wie zentral die Validierung unseres Erlebens und das Erlernen von Achtsamkeit, Selbstfürsorge, Mitgefühl und Akzeptanz für unsere Gesundheit ist. Wie kommt das? Studienergebnisse zeigen uns immer deutlicher, welche transdiagnostischen und universellen Mechanismen uns psychisch krank machen, welche unserer psychischen Gesundheit zuträglich sind und welche Mechanismen in der Psychotherapie eine schulübergreifende Wirkung zeigen (Schanche et al., 2011).

Ein wegweisendes Forschungsergebnis ist, dass unser ganzer Organismus sich am optimalsten entwickeln kann, wenn wir uns geborgen und geliebt fühlen (Gerhardt, 2006). Mit der Evolution der Säugetiere und der benötigten Brutpflege bedurfte es eines neuen psychophysiologischen Systems, welches das Geben und Empfangen von Fürsorge und Zuwendung ermöglichte. Diese Fürsorgementalität ist maßgeblich an der Fähigkeit, unsere Gefühle zu regulieren, beteiligt. Wir bedürfen eines Gefühls von sozialer Geborgenheit, Zugehörigkeit und Verbundenheit, damit unser Organismus zur Ruhe kommen und sich regenerieren kann. Wir sind also darauf angelegt, Kontakt mit anderen zu suchen, uns auszutauschen, anzuvertrauen und uns ineinander einzufühlen, Freude und Leid zu teilen und damit soziale und emotionale Unterstützung zu erleben. Nur wenn wir uns sicher genug fühlen, um uns fallen zu lassen und somit den Kampf-, Flucht- oder Erstarrungszustand zu verlassen, können wir zum Beispiel unsere Trauer zeigen und weinen, was erleichternd und regulierend auf uns wirkt. Wenn wir weiterhin Bedrohungen erleben oder wahrnehmen und es keine Zuflucht in eine sichere und gütige Beziehung – zu anderen oder zu uns selbst – gibt, dann verharren wir in einem Bedrohungszustand, und es kann keine heilsame Regulierung stattfinden.

Psychotherapeutische Methoden – insbesondere in der Kognitiven Verhaltenstherapie – haben sich bisher vorwiegend auf unser Antriebssystem (zum Beispiel durch Aktivierung) und unser Bedrohungssystem (zum Beispiel durch Exposition) fokussiert. Dabei wurde der grundlegenden Funktion des sogenannten Besänftigungs- und Affiliationssystems in der Entwicklung von psychologischen Kompetenzen wie Emotionsregulation, Mentalisierungs- und Empathiefähigkeit und Bindungs- und Beziehungsfähigkeit nur wenig Beachtung geschenkt.

Paul Gilbert und Kollegen entwickelten den Ansatz der Compassion Focused Therapy in der Arbeit mit Patienten, die an schweren psychischen Störungen litten und oft traumatische Erfahrung in der Kindheit durchlebt haben. Bei Menschen, die nur wenig Zuwendung, Einfühlung und Geborgenheit erfahren haben, treten vermehrt psychische Erkrankungen auf. Paul Gilbert beobachtete in seiner psychotherapeutischen Arbeit, dass das Erleben dieser Menschen oft von starker Scham und Selbsthass geprägt war. Diese Patienten versuchten ihre negativen Gefühle von Nichtgewollt- und Ausgegrenztsein durch Selbstverurteilung zu regulieren, was die Beschwerden üblicherweise verschlimmerte. Das Besänftigungs- und Affiliationssystem war in diesen Fällen meist unterentwickelt. Ziel der Compassion Focused Therapy ist es, dieses Hauptemotionsregulationssystem wieder durch die Kultivierung von Mitgefühl mit uns und anderen zu aktivieren. Die Aktivierung dieses Systems kann jedoch starke Ängste und Widerstände gegenüber positiven affiliativen Gefühlen wie Freude, Liebe und Güte hervorrufen. Aufgrund von früher Konditionierung können zum Beispiel das Erleben von Freude mit Bestrafung oder Verlust oder das Wohlwollen von anderen mit Missbrauch assoziiert sein. CFT setzt an diesen Ängsten an und hilft, diese Widerstände stufenweise zu überwinden, um Patienten einen sicheren Zugang zu dieser inneren Ressource des festverdrahteten Besänftigungs-und Affiliationssystems zu ermöglichen.

Paul Gilbert führt in diesem Buch die Erkenntnisse aus der Evolutions-, Sozial- und Entwicklungspsychologie sowie der Neurowissenschaft und aus mehr als 30 Jahren klinischer Forschung und Psychotherapiepraxis, worauf das theoretische Modell der CFT basiert, zusammen. Er schafft es, komplexe Prozesse in ein leicht verständliches Erklärungsmodell und leicht umsetzbare Interventionen zu übersetzen, die Patienten in Studien durchweg als hilfreich und entlastend erlebt haben.

Seit der 1. Auflage dieses Buches (auf dem englischsprachigen Markt) im Jahr 2010 ist die Anzahl der veröffentlichten Studien über Mitgefühl und mitgefühlsbasierte Ansätze rasant angestiegen. Die Forschung zeigt deutlich, dass erhöhtes Mitgefühl mit uns selbst mit geringerem Stress, einer Abnahme von Angst und Depression (MacBeth & Gumley, 2012) sowie besserem Gesundheitsverhalten, Resilienz und zufriedeneren Beziehungen einhergeht (Neff, 2012). Die Wirksamkeit von Mitgefühlstraining mit nichtklinischen Gruppen zeigt sich durch positive Auswirkungen auf unser „empathisches“ Gehirn, Immunsystem, psychisches Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und Sozialverhalten. CFT konzentriert sich als bisher einziger Ansatz auf die Anwendung von Mitgefühl bei komplexen, schambasierten psychischen Störungen. Die Evidenz für das theoretische Modell der CFT nimmt zu (Hutton et al., 2012; Kelly & Carter, 2012; Matos, Pinto-Gouveia & Gilbert, 2012). Eine wachsende Anzahl experimenteller, unkontrollierter und kontrollierter Studien zeigt, dass CFT ein hilfreicher Ansatz ist, der zu signifikanten Verbesserungen führt und die bisherigen KVT-Verfahren zu ergänzen scheint. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen berichteten nach 16 Sitzungen CFT-Gruppentherapie, dass Scham, Selbsthass und Depression abgenommen und sich ihr Wohlbefinden, Selbstberuhigung und Arbeitsfähigkeit verbessert haben (Lucre & Corten, 2012). Das Training des mitfühlenden Denkens bewirkte eine Verbesserung des Selbstmitgefühls im Rahmen des KVT-Ansatzes bei Traumata (Beaumont, Galpin & Jenkins, 2012) und zeigte auch Wirksamkeit bei der Behandlung nach Hirnläsionen (Ashworth, Gracey & Gilbert, 2011). Die Integration von CFT in ein KVT-Behandlungsprogramm bei Essstörungen führte zum Rückgang der Symptome, insbesondere bei Bulimie (Gale, Gilbert, Read & Goss, 2012). Die erste randomisierte kontrollierte Studie zur Gruppen-CFT zeigte stärkere klinischen Verbesserungen (65 %) im Vergleich zur Standardbehandlung (5 %) bei Psychose. Nur in der CFT-Bedingung erlebten Teilnehmer eine Zunahme von Mitgefühl, die mit einem verminderten Gefühl des Ausgegrenztseins und der Depression einherging (Braehler et al., 2012).

CFT ist ein schulübergreifender und integrativer Ansatz. Sie kann sowohl als eigenständige Therapieform angewendet werden als auch in Form eines „affiliativen Blickwinkels“ in die therapeutische Arbeit mit integriert werden. Paul Gilbert zeigt auf, dass Psychotherapie meist nur „greift“, wenn wir direkt mit dem affiliativen System des Patienten arbeiten. Dieses Buch ist somit eine Einladung an Psychotherapeuten verschiedenster Ausrichtungen, das Besänftigungs- und Affiliationssystem sowohl in der therapeutischen Beziehung, im Krankheitsverständnis als auch in direkten Interventionen mit zu berücksichtigen und zu stärken.

München, im Frühjahr 2013
Christine Brähler
Psychologische Psychotherapeutin,
hat ihre Ausbildung in der CFT
bei Paul Gilbert absolviert.

Verwendete Literatur

Ashworth, F., Gracey, F. & Gilbert, P. (2011). Compassion focused therapy after traumatic brain injury: Theoretical foundations and a case illustration. Brain Impairment, 12(2), 128-139.

Beaumont, E., Galpin, A. & Jenkins, P. (2012). Being kinder to myself: A prospective comparative study, exploring post-trauma therapy outcome measures for two groups of clients, receiving either Cognitive Behaviour Therapy or Cognitive Behaviour Therapy and Compassionate Mind Training. Counselling Psychology Review, 27(1), 31-43.

Braehler, C., Gumley, A., Harper, J., Wallace, S., Norrie, J. & Gilbert, P. (2012). Exploring change processes in compassion focused therapy in psychosis: Results of a feasibility randomized controlled trial. British Journal of Clinical Psychology, n/a-n/a. 10.1111/bjc.12009.

Gale, C., Gilbert, P., Read, N. & Goss, K. (2012). An Evaluation of the Impact of Introducing Compassion Focused Therapy to a Standard Treatment Programme for People with Eating Disorders. Clinical Psychology & Psychotherapy, n/a-n/a. 10.1002/cpp.1806.

Gerhardt, S. (2006). Why love matters: How affection shapes a baby’s brain. Infant Observation, 9(3), 305-309.

Hutton, P., Kelly, J., Lowens, I., Taylor, P. J. & Tai, S. (2012). Self-attacking and self-reassurance in persecutory delusions: A comparison of healthy, depressed and paranoid individuals. Psychiatry Research(0). 10.1016/j.psychres.2012.08.010.

Kelly, A. C. & Carter, J. C. (2012). Why self-critical patients present with more severe eating disorder pathology: The mediating role of shame. British Journal of Clinical Psychology, n/a-n/a. 10.1111/bjc.12006.

Lucre, K. M. & Corten, N. (2012). An exploration of group compassion-focused therapy for personality disorder. Psychology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice, no-no. 10.1111/j.2044-8341.2012.02068.x.

MacBeth, A. & Gumley, A. (2012). Exploring compassion: A meta-analysis of the association between self-compassion and psychopathology. Clinical Psychology Review, 32(6), 545-552. 10.1016/j.cpr.2012.06.003.

Matos, M., Pinto-Gouveia, J. & Gilbert, P. (2012). The Effect of Shame and Shame Memories on Paranoid Ideation and Social Anxiety. Clinical Psychology & Psychotherapy, n/a-n/a. 10.1002/cpp.1766.

Neff, K. D. (2012). The science of self-compassion. In C. Germer & R. Siegel (Eds.), Compassion and Wisdom in Psychotherapy (pp. 79-92). New York: Guildford Press.

Schanche, E., Stiles T. C., McCullough, L., Svartberg, M., Nielsen, G. H. (2011). The relationship between activating affects, inhibitory affects, and self-compassion in patients with Cluster C personality disorders. Psychotherapy 48(3), 293-303. 10.1037/a0022012.

TEIL I: DIE THEORETISCHEN GRUNDLAGEN DER CFT

1. Grundlagen

Alle Psychotherapien haben die Annahme gemeinsam, dass eine Therapie in einer mitfühlenden Art und Weise durchgeführt werden sollte, in der respektvoll, unterstützend und insgesamt gütig mit den Menschen umgegangen wird (Gilbert, 2007a; Glasser, 2005). Rogers (1957) formulierte zentrale Aspekte der therapeutischen Beziehung einschließlich positiver Wertschätzung, Echtheit (Kongruenz) und Empathie – was man auch als eine Ausprägung der „mitfühlenden Art und Weise“ ansehen kann. In jüngerer Zeit wurde erforscht, wie man Menschen dabei helfen kann, Selbstmitgefühl zu entwickeln (Gilbert & Procter, 2006; Leary, Tate, Adams, Allen & Hancock, 2007; Neff, 2003a, 2003b), und wie sich dieses als Fokus zur Selbsthilfe nutzen lässt (Germer, 2009; Gilbert, 2009a, 2009b; Rubin, 1975 / 1998; Salzberg, 1995). Die Entwicklung von Mitgefühl für das eigene Selbst und für andere Menschen als Weg zur Steigerung des Wohlbefindens ist darüber hinaus seit Tausenden von Jahren ein zentraler Aspekt der buddhistischen Praxis (Dalai Lama, 1995; Leighton, 2003; Vessantara, 1993).

Nachdem im ersten Teil des Buches zunächst die Hintergrundprinzipien der Entwicklung der Compassion Focused Therapy (CFT)[1] erläutert werden, folgt in Kapitel 16 eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Aspekte von Mitgefühl im Rahmen des CFT-Ansatzes. Wir können jedoch bereits an dieser Stelle anmerken, dass derzeit mehrere unterschiedliche Modelle von Mitgefühl aufkommen, die jeweils auf unterschiedlichen Theorien, Traditionen und Forschungen basieren (Fehr, Sprecher & Underwood, 2009). Das englische Wort für „Mitgefühl“ lautet „compassion“ und leitet sich vom lateinischen Begriff „compati“ ab, welcher „leiden mit“ bedeutet. Die bekannteste Definition für Mitgefühl stammt vermutlich vom Dalai Lama, der Mitgefühl als „die Empfindsamkeit gegenüber dem eigenen Leid und dem anderer Menschen, mit einer tiefen Hingabe, dieses zu lindern“, bezeichnete; also als empfindsame Aufmerksamkeit / Bewusstheit plus Motivation. Im buddhistischen Modell entstammt wahres Mitgefühl der Einsicht, dass ein abgetrenntes Selbst ebenso illusorischer Natur ist wie das Streben nach der Aufrechterhaltung seiner Grenzen – also dem, was man als einen erleuchteten oder erwachten Geist bezeichnet. Kristin Neff (2003a; 2003b; siehe www.self-compassion.org), eine Pionierin auf dem Gebiet des Selbstmitgefühls, leitete ihr Modell und ihre Eigenberichtsinstrumente aus dem Theravada-Buddhismus ab. Ihr Ansatz in Bezug auf das Selbstmitgefühl umfasst drei Hauptkomponenten:

  1. eine achtsame und offene Haltung gegenüber dem eigenen Leid zu pflegen;
  2. gütig und nicht selbstverurteilend zu sein und
  3. sich bewusst zu sein, dass man Erfahrungen und Leid mit anderen Menschen teilt, anstatt sich beschämt und allein zu fühlen – also Offenheit gegenüber unserer gemeinsamen Menschlichkeit an den Tag zu legen.

Demgegenüber wurde die CFT mit und für Menschen entwickelt, die chronische und komplexe psychische Probleme im Zusammenhang mit Scham und Selbstkritik haben und oft aus schwierigen (etwa vernachlässigenden oder von Misshandlungen geprägten) Verhältnissen stammen. Der CFT-Ansatz zum Mitgefühl entlehnt Elemente aus zahlreichen buddhistischen Lehren (insbesondere die Rolle der Empfindsamkeit für das Leid anderer und die Motivation, dieses zu lindern), aber seine Wurzeln liegen in einem evolutionären, neurowissenschaftlichen und sozialpsychologischen Ansatz, verbunden mit der Neurophysiologie der Zuwendung – sowohl im Hinblick auf das Geben als auch auf das Empfangen von Zuwendung (Gilbert, 1989, 200a, 2005a, 2009a). Zuwendung zu erfahren und sich akzeptiert, anderen Menschen zugehörig und mit diesen verbunden zu fühlen ist grundlegend für unsere physiologische Reifung und unser Wohlbefinden (Cozolino, 2007; Siegel, 2001, 2007). Der Grund hierfür ist eine Verbindung dieser Gefühle mit bestimmten Arten von positivem Affekt, die ihrerseits wiederum mit Wohlbefinden (Depue & Morrone-Strupinsky, 2005; Mikulincer & Shaver, 2007; Panksepp, 1998) und weiterhin mit einem neuro-hormonalen Profil von erhöhten Endorphin- und Oxytocinspiegeln (Carter, 1998; Panksepp, 1998) assoziiert sind. Auch lassen sich diese ruhigen und friedvollen Arten von positiven Gefühlen von den psychomotorisch aktivierenden Emotionen unterscheiden, die mit Erfolg, Begeisterung und Ressourcensuche in Zusammenhang stehen (Depue & Morrone-Strupinsky, 2005); so kann man etwa in Eigenberichtsdaten ein positives Erleben von Wohlbefinden, Zufriedenheit und Sicherheit klar von Gefühlen von Erregung und Erfolgsorientierung abgrenzen (Gilbert et al., 2008). In der zitierten Studie beispielsweise fanden wir heraus, dass Gefühle von Zufriedenheit und Sicherheit stärker mit einem geringeren Niveau von Depression, Angst und Stress assoziiert waren, als dies bei positiven Emotionen wie Begeisterung oder Energiegeladensein der Fall war.

Wenn es also unterschiedliche Arten von positiven Emotionen gibt – und diesen jeweils unterschiedliche Gehirnsysteme zugrunde liegen –, dann könnten Psychotherapeuten sich sinnvollerweise auch auf die Frage konzentrieren, wie sich die Fähigkeit zum Erleben der mit Beruhigung und Wohlbefinden assoziierten positiven Emotionen verbessern lässt. Wie wir später noch sehen werden, beinhaltet dieses Unterfangen, die Klienten bei der Entwicklung von Selbstmitgefühl, Mitgefühl für andere Menschen und der Fähigkeit zum Erleben des Mitgefühls von anderen Menschen (beziehungsweise der entsprechenden Motivation) zu unterstützen. Es gibt mitfühlende und nichtmitfühlende Wege, sich mit schmerzlichen Erfahrungen, beängstigenden Gefühlen oder traumatischen Erinnerungen auseinanderzusetzen. In der CFT geht es nicht darum, schmerzliche Dinge zu vermeiden oder sie „durch Trösten verschwinden zu lassen“, vielmehr ist die CFT ein Weg, sich mit diesen schmerzlichen Dingen auseinanderzusetzen. In Kapitel 29 werden wir uns damit befassen, dass viele Klienten Angst vor dem Mitgefühl von anderen Menschen und Mitgefühl für das eigene Selbst haben, und dass die Arbeit mit dieser Angst den Hauptfokus der therapeutischen Tätigkeit ausmachen kann.

Ein zweiter Aspekt des durch evolutionstheoretische Überlegungen geprägten CFT-Ansatzes ist die Annahme, dass selbstbewertende Systeme für ihre Selbstbewertung auf dieselben Verarbeitungssysteme zurückgreifen, die wir auch für die Bewertung sozialer und interpersoneller Prozesse einsetzen (Gilbert, 1989, 2000a). Somit gilt, was Behavioristen seit langer Zeit vertreten: Ob wir nun sexuelle Dinge sehen oder über sexuelle Dinge fantasieren, das System für sexuelle Erregung ist in beiden Fällen dasselbe – es existieren keine unterschiedlichen Systeme für die Verarbeitung interner und externer Reize. Ebenso können auch Selbstkritik oder Selbstmitgefühl auf Gehirnprozesse zurückgreifen, die hervorgerufen werden, wenn andere Menschen uns gegenüber kritisch oder mitfühlend sind. Eine zunehmende Zahl von Befunden zugunsten dieser Sichtweise entstammt den Forschungen zur Empathie und zu Spiegelneuronen (Decety & Jackson, 2004) sowie unserer eigenen neueren fMRT-Studie zu Selbstkritik und Selbstmitgefühl (Longe et al., 2010).

1.1 Interventionen

Die CFT ist eine multimodale Therapie, die auf einer Reihe von kognitiv-verhaltenstherapeutischen (KVT) Konzepten und anderen Therapien und Interventionen basiert. Aus diesem Grund konzentriert sie sich auf Aufmerksamkeit, Schlussfolgern und Grübeln, Verhalten, Emotionen, Motive und innere Bilder. Sie nutzt:

– um nur einige ihrer therapeutischen Verfahren zu nennen!

1.2 Die Veränderung fühlen

Die CFT fügt den traditionellen KVT-Ansätzen durch ihre Konzentration auf Mitgefühl und die Verwendung mitfühlender Imaginationen distinktive Merkmale hinzu. Wie bei vielen neueren Entwicklungen im Bereich der Psychotherapien wird auch hier der Achtsamkeit sowohl aufseiten des Klienten als auch des Therapeuten besondere Aufmerksamkeit gewidmet (Siegel, 2010). In der klinischen Formulierung konzentriert sich die CFT auf das Affektregulationsmodell, das in Kapitel 6 eingehender beschrieben wird (s. Abb. 6.1), und es werden Interventionen dazu verwendet, spezifische Muster von Affektregulation, Gehirnzuständen und Selbsterfahrungen zu entwickeln, die Veränderungsprozessen zugrunde liegen. Dies ist besonders wichtig, wenn an der Selbstkritik oder Scham von Klienten aus problematischen Verhältnissen gearbeitet wird. Solche Menschen haben oft nicht viel Zuwendung oder Nähe von anderen Personen erlebt und daher weniger Zugang zu ihrem (tröstenden) Emotionsregulationssystem. Daher sagen diese Individuen auch gelegentlich Dinge wie „Ich verstehe die Logik hinter [beispielsweise] der KVT, aber ich fühle mich trotzdem nicht anders“. Sich anders zu fühlen, setzt die Fähigkeit zum Zugriff auf die eigenen Affektsysteme (bestimmte neurophysiologische Strukturen) voraus, die uns die Gefühle von Bestärkung und Sicherheit ermöglichen. Dieses Problem ist in der KVT seit Langem bekannt (Leahy, 2001; Stott, 2007; Wills, 2009, S. 57).

Vor mehr als 20 Jahren befasste ich mich mit der Frage, weshalb „alternative Gedanken“ nicht als hilfreich „erlebt“ wurden. Es stellte sich heraus, dass der emotionale Tonfall und die Art, wie die betreffenden Klienten die alternativen Gedanken in ihrem Kopf „hörten“, in vielen Fällen kalt, distanziert oder sogar aggressiv waren. Alternative Gedanken zum Gefühl, ein Versager zu sein, wie etwa „Jetzt komm schon, es gibt keine Belege dafür, dass eine so negative Sicht zutreffend wäre; denk’ doch mal daran, wie viel du letzte Woche erreicht hast!“ haben völlig andere Auswirkungen, wenn man sie aggressiv und gereizt zu sich selbst sagt (sie erlebt), anstatt sie langsam und mit Güte und Wärme vorzubringen. Dasselbe galt für Expositionen und Hausaufgaben – die Art, wie sie ausgeführt werden (bedrängend und zwingend versus ermutigend und gütig gegenüber sich selbst aufzutreten), kann genauso wichtig sein wie das, was getan wird. Es schien klar, dass wir uns viel stärker auf die mit alternativen Gedanken verbundenen Gefühle anstatt lediglich auf ihren Inhalt konzentrieren mussten – tatsächlich erwies sich eine zu starke Betonung des Inhalts oft als nicht hilfreich. Und so bestanden meine ersten Schritte in Bezug auf die CFT einfach darin, die Klienten zu der Vorstellung zu ermutigen, dass eine warme, gütige Stimme ihnen die Alternativen vorschlägt oder sie bei ihren Aufgaben unterstützt. Zum Zeitpunkt der zweiten Auflage meines Buches Counselling for Depression (Gilbert, 2000b) lag bereits ein Hauptschwerpunkt meiner Arbeit auf der „Entwicklung innerer Wärme“ (s. a. Gilbert, 2000a). Somit bestand die CFT zunächst in der Durchführung einer KVT mit einem Fokus auf Mitgefühl (Güte) und entwickelte sich dann, während weitere Belege zugunsten des Modells aufkamen und sich spezifischere Übungen als hilfreich erwiesen, weiter zur eigentlichen CFT.

1.3 Die therapeutische Beziehung

Die therapeutische Beziehung spielt eine Schlüsselrolle in der CFT (Gilbert, 2007c; Gilbert & Leahy, 2007), mit besonderer Betonung auf:

Wenn wir Personen mit einem anderen therapeutischen Ausbildungshintergrund (insbesondere KVT) in der CFT trainieren, bemerken wir stets, dass wir sie bremsen und ihnen in der Therapie Raum und Ruhe für Reflexion und Erleben gestatten müssen, anstatt uns mit einer Reihe sokratischer Fragen oder „Zielsetzungen“ zu befassen. Wir lehren, wie man die Geschwindigkeit und den Tonfall der eigenen Stimme, nonverbale Kommunikation, das Pacing der Therapie, Achtsamkeit (Katzow & Safran, 2007; Siegel, 2010) und den reflektiven Prozess nutzt, um „Sicherheit“ für das Erkunden, Entdecken, Experimentieren und Entwickeln herzustellen. Entscheidend ist, emotionale Kontexte zu bieten, in denen der Klient den Therapeuten als „mitfühlenden Begleiter“ erleben (und internalisieren) kann. Dies ist keine leichte Aufgabe, denn wie wir in Kapitel 10 noch erörtern werden, bewirkt Scham aufseiten der Klienten oft das emotionale Erleben (Übertragung), missverstanden zu werden oder Dinge falsch zu interpretieren; weiterhin Bemühungen, herauszufinden, welches Verhalten ihrerseits die andere Person sich wünscht, und intensive Einsamkeit. Der emotionale Tonfall in der Therapie wird teilweise auch durch das allgemeine Auftreten und das Pacing des Therapeuten bestimmt, und er ist wichtig in diesem Prozess des Erlebens von „Miteinander“. CFT-Therapeuten sind sensibel für den Umstand, dass es für Klienten tatsächlich sehr schwer sein kann, „Miteinander“ oder „Umsorgtwerden“ zu erleben, weshalb sich diese mit der Sicherheitsstrategie panzern, das Selbst von „den Gefühlen von Miteinander und Verbundenheit abzuschotten“ (s. Kap. 29; Gilbert, 1997, 2007a, insb. Kap. 5 und 6, 2007c).

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