Mathias Fischedick

Du bist Magie

Die unglaublichen Fähigkeiten unseres Körpers

Mit einem Vorwort von Thorsten Havener

Inhaltsverzeichnis

Zitat

Vorwort

Vor der Show oder: Einleitung

Herzlich Willkommen!

Die Show oder: Du bist Magie

Verwandlung in ein Monster

Geheimnisvolle Karte

Verhexter Kreis

Gedankenübertragung

Röntgenblick

Unsichtbare Münze

Verwandlung eines Kleiderbügels in eine Kirchenglocke

Unbewegliche Finger

Kuchenwunder

Magische Fingerlupe

Mehrfachvorhersage

Magnetische Würfel

Dritte Dimension

Geschmackszauber

Verstärkte Schwerkraft

Magisches Erdbeben

Geisterzitrone

Geraubte Kraft

Phantomwort

Erscheinende Münze

Blick in die Zukunft

Rätselhafte Berührung

Verschwindender Elefant

Gedankenlesen

Ausgeblendetes Gefühl

Metamorphose eines Apfels in eine Birne

Gelöschte Erinnerung

Schrift im Spiegel

Allwissendes Pendel

Laufende Streichhölzer

Geisterschrift

Blitzgedächtnis

Verdoppelte Nase

Temperaturmysterium

Geisterhand

Willenlose Finger

Stillstehende Zeit

Nach der Show oder: Nachwort

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

 

«Umgeben sind wir rings von Zaubereien,

doch sind wir selbst die Zauberer.

Und in der Welt der offenbaren Wunder

sind wir das größte aller Wunder selbst.»

 

FRANZ GRILLPARZER

Vorwort

Mathias Fischedick ist wirklich ein ganz besonderer Mensch. Er betrachtet die Dinge gern aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Und er ist kreativ. Wie das in seinem Fall konkret aussehen kann, zeigt folgende Geschichte:

Auf unserer Hochzeit wurde natürlich die Braut entführt. Mathias hatte mich dazu kurz in ein Gespräch verwickelt und abgelenkt – und schon war sie weg, die frisch Angetraute. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was jetzt alles auf mich zukommen würde. Plötzlich wurden mir die Augen verbunden – als ob das bei mir etwas bringen würde? (Diesen Gag verstehen natürlich nur die Zuschauer meiner ersten Tournee, aber für genau die mache ich diesen Scherz hier.) Ich wurde liebevoll, aber sehr bestimmt in ein Auto gesetzt und dann, wie die Braut auch, an einen unbekannten Ort gebracht. Als man mir dort die Augenbinde abnahm, saß ich neben meiner Frau, und zwar in einem Helikopter. Die Rotorblätter begannen sich zu drehen, und noch bevor ich eine Frage stellen konnte, hoben wir ab: Ehepaar Havener, Pilotin und Mathias. Er war der Drahtzieher dieser Entführung. Und der Flug war sein Hochzeitsgeschenk an uns. Er hatte an alles gedacht, sogar an die richtige Musik. Über die Kopfhörer im Hubschrauber lief der Song «Learning to fly» von Tom Petty. Sensationell.

Diese kleine Geschichte zeigt, wie er es schafft, seine Ideen bis ins kleinste Detail zu durchdenken und dann erfolgreich in die Tat umzusetzen. Das ist sicher auch einer der Gründe, warum er von vielen der besten Zauberer Deutschlands immer wieder als Berater herangezogen wird.

Mathias weiß, dass der Gedanke der Anfang einer jeden Tat ist. Und er weiß auch, dass alle Macht von innen kommt. Er geht somit bedächtig und konsequent jeden wichtigen Schritt und realisiert seine Überlegungen mutig. Immerhin ist ihm die gute Umsetzung genauso wichtig wie die gute Idee, die den Anstoß dazu gab.

Mathias Fischedick ist ein Mann, der Momente, ja Ereignisse schafft, an die man sich gern erinnert. Er lässt die Menschen staunen, kreiert das Besondere für sie. Ich betone das an dieser Stelle, weil ich der Überzeugung bin, dass er das mit diesem Buch wieder getan hat.

Es ist nicht einfach, ein Vorwort für jemanden zu schreiben, der einem so nahesteht. Mathias ist nämlich nicht nur ein langjähriger und enger Freund meiner Familie und von mir, sondern auch Patenonkel unseres dritten Kindes. Als ich ihn fragte, ob er die Patenschaft übernehmen wolle, zögerte er kurz. Ich habe ihm daraufhin angedroht: Sollte er sich jetzt nicht entscheiden können, würden meine Frau und ich einfach so lange Kinder in die Welt setzen, bis er für eines die Patenschaft übernehme. Daraufhin hat er sofort zugestimmt.

Uns beide verbindet sehr viel. Unter anderem haben wir denselben Humor und Sinn für skurrile Situationen. Auch diese Eigenschaft von ihm fließt in dieses Buch mit ein, denn es ist an einigen Stellen wirklich bemerkenswert, auf was für verrückte Ideen er kommt. Welche ich genau meine, verrate ich an dieser Stelle nicht, das müssen Sie selbst nachlesen. Aber versprochen: Es sind einige Perlen dabei.

 

Thorsten Havener

München, 2010

 

Übrigens: Wenn ich ein gutes Gespräch brauche, rufe ich Mathias an. Seine Meinung ist mir sehr wichtig. Sobald Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie verstehen können, warum.

Vor der Show oder: Einleitung

Herzlich Willkommen!

Schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben, das Vorwort zu lesen, bevor die eigentliche Show beginnt.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich Ihnen kurz vorstellen, denn ich gehe davon aus, dass Sie mich noch nicht kennen. Ich bin von Beruf TV-Producer und Magic Consultant, das heißt, ich berate Zauberkünstler im Hinblick auf ihre Tricktechniken, die Art der Inszenierung und alles, was damit zusammenhängt. Meine Beschäftigung mit der Zauberei hat mich auch auf die Idee zu diesem Buch gebracht, denn seit fast 30 Jahren befasse ich mich auf der Suche nach neuen Tricktechniken mit verschiedenen Zweigen der Wissenschaft wie Psychologie, Physik und Chemie. Dabei stoße ich auch immer wieder auf Eigenschaften unseres Körpers und Geistes, die von Natur aus an Magie grenzen. Und gerade die Tricks unseres Körpers sind es, die mich am meisten begeistern.

Für mich sehen wir das größte Wunder jeden Morgen im Spiegel: unseren Körper. Von Geburt an begleitet er uns überallhin und vollbringt, von uns unbemerkt, jede Sekunde Leistungen, die an Magie grenzen – genau darum geht es in diesem Buch.

Auf den nächsten Seiten finden Sie spannende und unterhaltsame Experimente, mit denen Sie sich selbst und andere verblüffen können und gleichzeitig mehr über die Tricks Ihres Körpers erfahren:

Wieso haben wir von Natur aus eine Art Röntgenblick, ohne dass wir uns dessen bewusst sind?

Weshalb sind manche unserer Gedanken vorhersehbar?

Warum kann man uns so leicht die Kraft rauben, dass wir noch nicht einmal mehr ein Streichholz zerbrechen können?

Um das und noch viel mehr geht es in diesem Buch.

 

Das Wichtigste, was Sie dazu brauchen:

 

  • 44,1 kg Sauerstoff

  • 14 kg Kohlenstoff

  • 7 kg Wasserstoff

  • 2,1 kg Stickstoff

  • 1 kg Kalzium

  • 0,7 kg Phosphor

  • 170 g Kalium

  • 140 g Schwefel

  • 70 g Chlor

  • 70 g Natrium

  • 30 g Magnesium

  • 3 g Eisen

  • 300 mg Kupfer

  • 100 mg Mangan

  • 30 mg Jod

 

Das haben Sie nicht zur Hand? O doch. Es sind nämlich die Hauptbestandteile Ihres Körpers. Reiner Materialwert: ca. vier Euro. Der Wert dessen, was in mehreren Millionen Jahren Evolution daraus entstanden ist: unbezahlbar.

Immerhin steuert unser Gehirn «ganz nebenbei» über 600 Muskeln, um unser Skelett zu bewegen. Das sind 206 Knochen und über 100 Gelenke, die koordiniert werden müssen, damit wir mit unserem Körper laufen, springen, tanzen, klettern, schwimmen, Rad fahren, Buchseiten umblättern und vieles mehr können. Dazu sehen, hören, schmecken, riechen und ertasten wir auch noch unsere Umwelt.

Unser Immunsystem arbeitet Tag und Nacht, um uns vor Krankheiten zu schützen. Im Lauf unseres Lebens verwandelt unser Stoffwechsel im Schnitt 30 Tonnen höchst unterschiedlicher Nahrung in Lebensenergie, und unser Herz ruht in der Regel nie und schlägt bis zum Ende unablässig, im Schnitt über zwei Milliarden Mal. Dreimal im Jahr erneuert sich unsere Haut, unsere Augen wiegen jeweils nur 7,5 Gramm und sind trotzdem leistungsfähiger als hochmoderne Kameras, und unser Gehirn ist so flexibel, dass wir uns bis ins hohe Alter an neue Gegebenheiten anpassen und lernen können. Schätzungen zufolge können unsere grauen Zellen bis zu 100Terabyte an Daten behalten, was bei einem Computer dem Platz entspricht, den man benötigt, um 200 Millionen Buchseiten zu speichern.

Sie merken, ich bin begeistert von dem, was die Natur sich hat einfallen lassen. Nicht zuletzt deshalb wäre es mir eine Freude, wenn ich es schaffen könnte, mit diesem Buch meine Begeisterung auf Sie überspringen zu lassen, auch wenn Sie womöglich mit Grauen an den Biologieunterricht zurückdenken oder Sie allein bei den Wörtern «Medizin» und «Anatomie» bleierne Müdigkeit überfällt.

Du bist Magie ist so geschrieben, dass Sie verschiedene Möglichkeiten haben, es zu lesen: entweder chronologisch von vorn bis hinten, oder Sie picken sich immer wieder einzelne Experimente heraus, deren Titel Sie neugierig gemacht haben. Vielleicht probieren Sie aber auch nur die Experimente und lassen die Erklärungen und Hintergründe weg. Oder Sie interessieren sich in erster Linie für die wissenschaftlichen Erläuterungen und verzichten auf das Ausprobieren der Experimente. In dem Fall würde Ihnen allerdings einiges entgehen.

Wichtig ist mir, dass Sie möglichst viel Spaß mit diesem Buch haben, weshalb ich großen Wert darauf gelegt habe, die Dinge möglichst einfach, klar und nachvollziehbar zu beschreiben. Trotzdem ist alles, was Sie hier lesen, wissenschaftlich fundiert, denn ich habe bei meinen Recherchen nicht nur auf Fachliteratur zurückgegriffen, sondern mich auch von Experten beraten lassen. Und jetzt Vorhang auf für Ihre ganz persönliche Zaubershow!

Die Show oder: Du bist Magie

Verwandlung in ein Monster

Schauen Sie sich bitte das Titelbild dieses Buches genau an. Fällt Ihnen daran auf den ersten Blick etwas auf? Wahrscheinlich nicht. Sie sehen zweimal dasselbe Bild von mir, einmal aufrecht und einmal auf den Kopf gestellt.

Jetzt drehen Sie bitte das Buch auf den Kopf, während Sie sich das Cover weiterhin anschauen.

Und, schockiert?

Die Kopfstand-Version meines Gesichts hat sich in die Fratze eines Monsters verwandelt.

Doch auch wenn Sie das Monstergesicht einmal gesehen haben, wird es immer wieder verschwinden, sobald Sie das Buch in die Ursprungslage zurückdrehen.

Hinter den Kulissen

Man spricht bei diesem Phänomen auch vom «Thatcher Effect», da Professor Peter Thompson von der University of York es in den 1980er Jahren anhand eines Fotos der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher demonstriert hat, bei dem Mund und Augen, um 180 Grad verdreht, einmontiert waren.

Woran liegt es nun, dass uns bei einem auf dem Kopf stehenden Gesicht die merkwürdigen Veränderungen nicht auffallen? Ganz einig ist sich die Wissenschaft hier bisher nicht.

Eine Theorie besagt, dass unser Gehirn nicht in der Lage ist, einen Gesichtsausdruck in einem Gesicht zu erkennen, das auf dem Kopf steht. Da dies im Alltag nicht wirklich notwendig ist, fehlen uns die entsprechenden geistigen Fertigkeiten. Unterbewusst erkennen wir einen lachenden Mund und zwei freundlich schauende Augen. Dass sie um 180 Grad gedreht wurden, ist uns dabei nicht bewusst.

Eine zweite Hypothese besagt, dass wir beim Betrachten der beiden Bilder unterbewusst eine Referenz suchen, also vergleichen. Wäre nur der Mund auf den Kopf gestellt, würde uns das wahrscheinlich auffallen, da er anders ausgerichtet wäre als die Augen. Da aber Mund und Augen verändert sind, gibt es eine Referenz, und wir nehmen das ganze Bild als stimmig wahr.

Die beiden ersten Modelle konnten jeweils anhand einiger Forschungen belegt werden, allerdings sprechen nicht alle Ergebnisse für diese Theorien. Also wurde eine weitere Hypothese aufgestellt, die besagt, dass wir eine auf dem Kopf stehende Mimik nicht deuten können und uns in diesem Fall nur an der Position der typischen Gesichtsmerkmale orientieren. Da beim Titelbild dieses Buches Augen und Mund für ein auf dem Kopf stehendes Gesicht an der richtigen Stelle sind, empfinden wir das Bild als unauffällig. Bestätigung für diese Theorie erhielten die Wissenschaftler in Experimenten, bei denen sie den Teilnehmern aufrecht stehende Porträts gezeigt und danach dieselben Bilder mit unterschiedlichen Veränderungen auf den Kopf gedreht hatten. Manipulationen, die nichts mit der Mimik zu tun hatten, wie zum Beispiel eine nachträglich aufgemalte Zahnlücke, fielen den Probanden auf. Ein umgedrehter Mund oder falsch herum abgebildete Augen wie auf dem Titelbild dieses Buches blieben dagegen unentdeckt.

Interessanterweise ergaben Hirnstrommessungen, dass das menschliche Gehirn auf die bearbeiteten Bilder reagiert, auch wenn diese auf dem Kopf stehen. Nur werden wir uns dessen nicht bewusst, da diese Wahrnehmungen unmittelbar von anderen, übergeordneten Hirnprozessen überschrieben zu werden scheinen. Was da genau in unseren grauen Zellen vonstattengeht, ist bisher nicht ausreichend erforscht und wird die Wissenschaftler wohl noch eine Weile beschäftigen. Die Ergebnisse werden uns bestimmt spannende Erkenntnisse im Hinblick darauf bringen, wie wir Gesichter wahrnehmen.

Fakt ist, dass wir unterbewusst vor allem auf Mund und Augen achten, wenn wir ein Gesicht betrachten.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich das folgende Bild von mir ansehen?

Ich wette, Sie sind irritiert und haben ein merkwürdiges Gefühl, denn Ihre Augen kommen einfach nicht zur Ruhe.

Warum ist das nun so? Ganz einfach: Wir sind es gewohnt, einem anderen Menschen in die Augen zu schauen, und da ich auf dem Bild zwei Augenpaare habe und dazu noch zwei Münder, finden Sie nicht das übliche Muster von Augen und Mund vor, das Sie unterbewusst gespeichert haben. Ihr Blick springt suchend zwischen den Mündern und Augen hin und her.

Wie entscheidend diese «Bauteile» für uns sind, um ein Gesicht zu erkennen, zeigt sich auch bei Comic-Figuren. Egal wie abstrakt oder ungewöhnlich sie sind, solange mit wenigen Strichen Augen und Mund eingezeichnet wurden, erkennen wir darin ein Gesicht.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Smiley, den der amerikanische Werbegrafiker Harvey Ball 1964 erfand. Der Smiley besteht nur aus einem simplen Kreis, zwei ovalen Punkten und einem Halbkreis, und trotzdem erkennen wir in der einfachen Zeichnung ein Gesicht mit Augen und Mund.

Es geht sogar noch reduzierter, denn in Zeiten des Internets reichen die folgenden drei Satzzeichen, um ein lachendes Gesicht darzustellen: :-)

 

Mit diesen sogenannten «Emoticons» drücken wir heutzutage wie selbstverständlich in Chats und Mails Gefühle und Stimmungen aus.

:-( ist das Emoticon für Ärger oder Enttäuschung.

;-) ist ein Zwinkern.

:-D ist ein lautes Lachen.

:-0 drückt Erstaunen aus.

 

Sie kennen sicher noch viele weitere dieser Zeichenfolgen.

 

Die Idee zu dieser Ausdrucksform hatte übrigens der Informatikstudent und spätere Professor Scott E. Fahlman schon im Jahr 1982. Nachdem einige seiner ironischen Bemerkungen und Witze, die er in einem Internetforum veröffentlicht hatte, missverstanden wurden, stellte er eine Nachricht ins Netz, deren deutsche Übersetzung lautet:

Diese Idee verbreitete sich erstaunlich schnell, und mit der Zeit entstanden immer mehr Emoticons.

Für mich ist dabei überraschend, dass sich in Japan eine andere Form von Emoticons durchgesetzt hat. Dort werden zwar ebenfalls Gesichter durch einfache Folgen von Satzzeichen dargestellt, allerdings werden sie horizontal gelesen.

 

(^_^) ist ein lachendes männliches Gesicht.

 

(^.^) steht für ein lachendes weibliches Gesicht. Der Mund wird anders dargestellt als beim männlichen Lachen, da es Japanerinnen traditionell nicht erlaubt ist, in der Öffentlichkeit laut zu lachen und dabei ihre Zähne zu zeigen.

 

Meine Highlights der japanischen Emoticons sind:

 

\(^_^)/ als Symbol für Jubeln, mit hochgerissenen Armen.

 

(*_*) um von etwas zu schwärmen, mit funkelnden Augen.

 

(+_°) für high oder betrunken sein.

 

(^_\\\) glücklicher Emo.

 

Das Wissen um die Tatsache, dass wir Menschen auch in den abstraktesten Formen Gesichter erkennen können, macht sich auch die Werbebranche zunutze. Wenn Sie mögen, nehmen Sie eine Zeitschrift zur Hand und sehen Sie nach, ob Sie darin eine Anzeige für eine Armbanduhr finden. Meine Vorhersage lautet: Die Zeiger der Uhr stehen auf zehn Uhr zehn. Stimmt’s?

Ich bin kein Hellseher, sondern weiß von einem Bekannten, seines Zeichens Uhrmacher, dass für Anzeigenfotos die Uhren meistens auf diese Zeit gestellt werden. Die Zeiger sehen in dieser Position wie ein lachender Mund aus, und das runde Zifferblatt symbolisiert das Gesicht. Durch dieses «happy face» soll die Uhr etwas Positives ausstrahlen und zum Kauf anregen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie Uhrenwerbung von nun an mehr Aufmerksamkeit schenken werden als zuvor. ;-)

Geheimnisvolle Karte

Bitte entscheiden Sie sich im Stillen für eine der sechs Spielkarten und prägen Sie sich diese ein.

 

Blättern Sie jetzt bitte um.

Projizieren Sie in Gedanken die ausgewählte Karte auf eine leere Fläche.

Vielleicht erscheint zuerst nur der Wert, danach das Bild und dann erst die Farbe. Gehen Sie dabei in Ihrem Tempo vor, bis Sie Ihre Karte in Ihrer Phantasie deutlich vor sich sehen.

 

Hier sehen Sie nur noch fünf Spielkarten, und genau Ihre ist nicht mehr dabei. Stimmt’s?

Hinter den Kulissen

Vielleicht haben Sie diesen Trick zuvor schon einmal im Internet gesehen und sind trotzdem bisher nicht dahintergekommen, wie er funktioniert. Ganz einfach: Vergleichen Sie mal die Karten, aus denen Sie sich zu Beginn eine ausgesucht haben, mit den Karten bei der Auflösung. Bemerken Sie irgendwelche Unterschiede?

Genau, es sind komplett andere Spielkarten. Dass Ihnen das vorhin nicht aufgefallen ist, liegt unter anderem an der Aufmerksamkeitsfokussierung. Ich hatte Sie gebeten, sich eine Karte einzuprägen – nicht alle. Also haben Sie sich die anderen Karten auch nicht im Detail gemerkt. Sie werden wahrgenommen haben, dass es ausschließlich Bildkarten waren – mehr nicht. Da die letzte Grafik auch nur aus Bildkarten besteht, ist Ihnen nichts «verdächtig» vorgekommen.

Das Kernprinzip dieser Täuschung ist die sogenannte Veränderungsblindheit. Das bedeutet, wir nehmen teilweise große Änderungen in dem, was wir sehen, nicht wahr, wenn unsere Aufmerksamkeit vorübergehend abgelenkt wird.

Ein klassisches Experiment zum Nachweis der Veränderungsblindheit wurde auch schon einige Male bei Unterhaltungssendungen mit versteckter Kamera gezeigt. Dabei fragt ein Eingeweihter einen Passanten nach dem Weg. Mitten im Gespräch tragen dann zwei weitere Personen, die zum Team gehören, als Bauarbeiter verkleidet eine Tür oder ein großes Holzbrett zwischen dem Passanten und dem Eingeweihten hindurch, sodass dieser kurz verdeckt ist. Hinter der kurzzeitigen Deckung wird der Eingeweihte schnell durch eine andere Person ersetzt. Nur die Hälfte der Passanten bemerkte den Austausch, der Rest setzte das Gespräch fort, als wäre nichts geschehen. Dabei unterschied sich die ausgetauschte Person in der Regel durch Kleidung, Größe, Frisur und Stimme deutlich von der ersten. Als TV-Zuschauer lacht man über solche Szenen, aber ganz gefeit sind wir alle nicht dagegen.

Das liegt daran, dass wir unsere Umwelt längst nicht so detailliert wahrnehmen, wie wir glauben. Wir verschaffen uns zwar sehr schnell einen Überblick, aber meist nur so genau wie nötig. Wir erfassen lediglich das Wesentliche und keine Details, denn das ist in den meisten Fällen ausreichend. In dem geschilderten Beispiel erkennen wir also bloß: «Da fragt mich jemand nach dem Weg» oder «Da sind Spielkarten abgebildet».

Unser Gehirn spart durch diese Vorgehensweise wertvollen Speicherplatz, denn es ist überflüssig, alle Details unserer Umwelt im Kopf zu behalten. Schließlich haben wir die Welt vor Augen und können jederzeit hinsehen. Genau das hindert uns daran, kleine Veränderungen in unserer Umgebung zu bemerken, wenn wir nicht genau in dem Moment hinschauen, in dem sie geschehen.

Bei unserem Experiment habe ich Sie dadurch abgelenkt, dass ich Sie gebeten habe, die ausgewählte Karte gedanklich auf die leere Fläche zu projizieren und dann erst auf die Grafik mit den fünf Karten zu schauen. Durch diese Unterbrechung hatten Sie keinen direkten Vergleich zwischen der ersten und der zweiten Kartengruppe. Wären die Abbildungen direkt nebeneinander angeordnet gewesen, wären Ihnen die Unterschiede bestimmt sofort aufgefallen.

Wir haben also kein exaktes Bild der Situation vor der Veränderung im Kopf, auch wenn wir das oft glauben. Aus diesem Grund hatten Sie auch nicht die Details der Karten präsent, die am Anfang unseres Experiments abgedruckt waren.

Die bittere Wahrheit lautet also: Wir nehmen weniger wahr, als wir glauben.

Um uns so sehr abzulenken, dass wir eine Veränderung nicht wahrnehmen, genügt sogar schon der Bruchteil einer Sekunde. Es reicht ein Blinzeln oder eine Augenbewegung, während wir unseren Blick auf eine andere Stelle fixieren.

In Studien hat man Probanden Fotos auf einem Bildschirm gezeigt, mit dem Auftrag, auf jede Veränderung zu achten. Dabei haben die Forscher per Computer den Lidschlag der Testpersonen überwacht, sodass sie die Bilder genau in dem Moment gegen veränderte Varianten austauschen konnten, in dem der Proband die Augen beim Blinzeln geschlossen hatte. So war auf einem Bild ein Paar zu sehen, das auf einem Balkon bei einem Glas Wein zusammensaß. Hinter ihnen war die Brüstung des Balkons auf Schulterhöhe zu erkennen. In der veränderten Version war das Bild so manipuliert, dass sich das Geländer nicht mehr auf Schulter-, sondern auf Nasenhöhe befand, also ein deutlicher Unterschied. Ein Großteil der Probanden bemerkte die Veränderungen jedoch gar nicht, da das Umspringen des Bildes für sie durch den gleichzeitigen Lidschlag nicht sichtbar war. Damit war ihnen auch die vorgenommene Veränderung nicht bewusst.

In dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum wir nichts davon mitbekommen, wenn wir blinzeln, was wir ungefähr alle vier Sekunden tun. Eigentlich müsste es uns jedes Mal für den Bruchteil einer Sekunde schwarz vor Augen werden. Das geschieht aber nicht, da das Gehirn immer kurz vor dem Schließen der Lider das Signal, das die Augen ihm liefern, sozusagen auf «Pause» stellt und erst nach dem Öffnen der Augen neue Informationen abfragt. Dieses System gibt es übrigens nur bei uns Menschen und bei den Säugetieren. Vögel dagegen blinzeln erst mit einem und danach mit dem anderen Auge, damit sie nichts verpassen.

Beim Schneiden von Filmen macht man sich die Phänomene der Veränderungsblindheit ebenfalls zunutze. Jeder Bildschnitt imitiert einen Perspektivwechsel, den wir im echten Leben dadurch erreichen, dass wir die Blickrichtung wechseln. Während der Augenbewegung nehmen wir unsere Umgebung kurzzeitig nicht wahr, wodurch es zu einer Unterbrechung kommt. (Siehe auch Stillstehende Zeit, Seite 240.)

 

Genauso registrieren wir einen Bildwechsel im Film unterbewusst als eine Unterbrechung, die ebenfalls zu Veränderungsblindheit führt. Aus diesem Grund bemerken wir nur selten kleine, unbeabsichtigte Veränderungen, die während des Schnitts stattfinden. In der Fachsprache nennt man das Anschlussfehler, das heißt, man hat bei den Dreharbeiten nicht darauf geachtet, dass nach dem Wechsel der Kameraperspektive wirklich alles genauso aussieht wie zuvor.

Im Rahmen eines Versuchs wurde mit dem Umschnitt der Hauptdarsteller ausgetauscht. Was schätzen Sie, wie vielen Teilnehmern dieser grobe Unterschied aufgefallen ist? Es waren nur 33 Prozent aller Probanden. Die anderen scheinen die Szene eher als Ganzes gesehen und zwar wahrgenommen zu haben, dass ein Mann mitspielt, die Details zu seinem Aussehen waren ihnen offensichtlich aber nicht bewusst. Dadurch fiel ihnen nicht auf, dass vor dem Perspektivwechsel ein anderer Darsteller die Rolle spielte als danach.

Das Wissen um diese menschliche Schwäche führt dazu, dass selbst bei aufwendigen Hollywood-Produktionen aus Kostengründen oft darauf verzichtet wird, Szenen neu zu drehen, wenn sich ein Anschlussfehler eingeschlichen hat. Die Chance, dass der Fehler bemerkt wird, ist nun mal denkbar gering. In Titanic gibt es zum Beispiel eine Szene, in der sich ein Nebendarsteller während des Schiffsuntergangs an einen Fahnenmast klammert. In einer Einstellung hat er keine Schwimmweste an, nach dem Umschnitt trägt er plötzlich eine. Ich vermute, das ist bisher nur den wenigsten aufgefallen.

Wenn Sie Lust auf weitere Anschlussfehler haben, empfehle ich Ihnen die Seite www.moviemistakes.com. Dort finden Sie zu allen großen Filmen Listen mit den bisher von Zuschauern gefundenen Fehlern. Bei Titanic sind es insgesamt 204, allerdings steht der Film damit bloß auf Platz 16 der Fehler-Charts. Platz 1 hat Apocalypse Now mit 390 Patzern inne.

Ob wir bei einem Film einen Anschlussfehler entdecken oder nicht, hat für unser Leben in der Regel keine großen Auswirkungen. Im Straßenverkehr dagegen kann die Veränderungsblindheit gravierende Folgen haben. Bei mehr als 50 Prozent aller Kollisionen im Straßenverkehr spielt die fehlende oder verspätete Wahrnehmung der Gefahrenquelle eine Rolle. Wechselt beispielsweise eine Ampel genau in dem Moment von Gelb auf Rot, in dem der Fahrer kurz in eine andere Richtung blickt, birgt das die Gefahr, dass er die Veränderung nicht oder zu spät erkennt und gegebenenfalls die rote Ampel sogar überfährt. Auch kurze Blendungen von entgegenkommenden Fahrzeugen oder Schlamm, der auf die Windschutzscheibe spritzt, können im ungünstigen Fall von Veränderungen ablenken. So kann es passieren, dass der Fahrer einen Fußgänger, der auf die Straße läuft, oder ein Auto, das aus einer Seitenstraße kommt, zu spät bemerkt.

Studien besagen, dass der Fahrer, da er sich auf das Steuern des Fahrzeugs konzentriert, anfälliger für Veränderungsblindheit ist als der Beifahrer. Letzterem fallen Veränderungen wie das Umspringen der Ampel eher auf. Seitdem ich das weiß, gehe ich entspannter damit um, wenn ich einen Beifahrer habe, der «mitbremst». Denn sollte ich durch kurzzeitige Blindheit das Umspringen einer Ampel oder eine andere wichtige Veränderung verpassen, könnte die Reaktion meines Beifahrers mir helfen, einen Unfall zu vermeiden.

Zum Abschluss noch eine Bitte an Sie, liebe Leserinnen: Wenn Ihr Freund oder Mann das nächste Mal Ihre veränderte Frisur oder Ihr neues Kleid wieder nicht bemerkt, dann seien Sie bitte nachsichtig. Er kann nichts dafür – es handelt sich um einen klassischen Fall von Veränderungsblindheit.