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Ich danke Lars und Lennard Wittenburg für ihre Geduld und ihre Unterstützung bei der Erstellung dieses Manuskripts während des Familienurlaubs.

Impressum:
Copyright © 2011 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek
Gestaltung und Satz: Ravenstein, Verden
Lektorat der Originalausgabe: Maren Müller

Coverfoto: Edition Boiselle/Susanne Retsch-Amschler
Fotos im Innenteil: Dr. Christina Fritz, Kai Kreling,
Dr. Richard Maurer, Christiane Slawik
Zeichnungen im Innenteil: Juliane Denman, Maria Mähler, Susanne Retsch-Amschler

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

eISBN: 978-3-8404-6243-6

Inhalt

Vorwort

Anatomische Grundlagen

Reiter- und Tierärztelatein

Der Bewegungsapparat

Die Knochen

Aufbau verschiedener Knochen

Die Gelenke

Das Skelett

Die Wirbelsäule

Der Schädel

Die Zähne

Die Gliedmaßen

Aufbau von Zehe und Huf

Die Muskulatur

Muskeltypen, Muskelarten, Muskelfunktion

Die oberflächliche, mittlere und tiefe Rumpfmuskulatur

Die Muskulatur der Vorhand

Die Muskulatur der Hinterhand

Das Herz-Kreislauf-System

Die Blutzellen

Das Blutgefäßsystem

Aufbau des Herzens

Das Lymphsystem

Das Atemwegssystem

Das Verdauungssystem

Der Magen

Der Dünndarm

Der Dickdarm

Die Leber

Die Bauchspeicheldrüse

Das Urogenitalsystem

Niere und Blase

Geschlechtsorgane und Fortpflanzung

Haut und Hautanhangsorgane

Das Nervensystem

Das zentrale Nervensystem

Das vegetative Nervensystem

Das periphere Nervensystem

Die Sinne des Pferdes

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

willkommen zu einer Entdeckungsreise durch den Körper des Pferdes. Ich beschreibe Ihnen in diesem Buch Struktur und Funktion aller Teile des Pferdekörpers. Umfassendes Bildmaterial veranschaulicht die theoretischen Erklärungen. Wer die Anatomie versteht, kann sein Pferd besser reiten und für optimale Haltungsbedingungen sorgen.

Betrachten Sie Ihr Pferd einmal mit anderen Augen. Sehen Sie in ihm einmal nicht den Freund und Sportpartner, sondern das Steppentier, das Herdentier, das Fluchttier, das über die Jahrtausende währende Evolution immer mehr auf seinen natürlichen Lebensraum hin optimiert worden ist. Das Pferd ist in allererster Linie ein Bewegungstier, das sich in freier Natur bis zu 16 Stunden am Tag auf seiner Nahrungssuche vorwärtsbewegt. Das geht nur mit einem speziell angepassten Bewegungsapparat, dem daher ein besonders ausführliches Kapitel gewidmet ist. Das Herz-Kreislauf-System ist ebenso auf dieses Leben in Bewegung angepasst wie das Atemwegssystem. Das Verdauungssystem ist auf die Ernährung eines Steppentiers optimiert und unterscheidet sich daher grundlegend vom Fleischfresser Hund oder vom „Allesesser“ Mensch. Auch auf diese Besonderheiten gehe ich in diesem Buch genauer ein.

Lassen Sie sich auf die Reise durch den Körper des Pferdes ein und Sie werden Ihr Pferd in Zukunft mit anderen Augen sehen!

Anatomische Grundlagen

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Die Anatomie hat den Menschen schon von alters her interessiert. Der Begriff Anatomie leitet sich aus dem lateinischen „anatemnein“ ab, was so viel wie „zerschneiden“ oder „zergliedern“ bedeutet. Den größten Teil unserer anatomischen Kenntnisse verdanken wir entsprechend auch denen, die tote Tiere zerschneiden und damit die funktionellen Einheiten sichtbar machen. Aus dem Zerlegen in seine kleinsten Einheiten kommt das Verstehen der Funktionen, der Zusammenhänge und damit das Verständnis für den ganzen Körper. Die Anatomie bildet daher nicht nur die Grundlage für die tierärztliche Therapie – zu verstehen, welcher Körperteil nicht mehr funktioniert, um ihn wieder zu „reparieren“ –, sondern ist auch die Basis für eine korrekte Reitlehre.

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Die Körperteile des Pferdes. (Zeichnung: Retsch-Amschler)

Reiter- und Tierärztelatein

In diesem Buch werden Ihnen viele lateinische Begriffe begegnen, da Latein seit je die Sprache der Mediziner ist. Aber keine Angst, so schwer ist das alles nicht! Einige dieser lateinischen Namen haben bereits Eingang in unseren Sprachgebrauch gefunden. So kennen viele Reiter den „Longissimus“, den langen Rückenmuskel, der wie ein Gummiband die Kraft der Hinterhand auf die Vorhand überträgt. Viele dieser Bezeichnungen sind recht blumig, zum Beispiel das Os sacrale, das Kreuzbein, dessen Name sich von seiner Kreuzform ableitet. Andere wiederum sind aus der vergleichenden Anatomie zwischen den Tierarten entstanden. So kann ein Musculus extensor (wörtlich übersetzt: Streckmuskel) auch eine Beugefunktion haben, je nachdem, wie bei dem jeweiligen Tier die Lage der Gelenke zueinander ist. Nicht alle Tiere sind Zehenspitzengänger wie das Pferd, das ähnlich wie eine Ballerina läuft. Viele sind Zehengänger, beispielsweise die Katze oder der Hund. Oder sogar Sohlengänger, wie der Mensch oder der Dachs. Dennoch hat derselbe Muskel immer denselben Namen.

Durch die lateinischen Bezeichnungen in diesem Buch werden Sie auch in der Lage sein, Ihren Tierarzt oder Ihren Pferdeosteopathen besser zu verstehen, wenn er mit Ihnen über die gesundheitlichen Probleme Ihres Pferdes spricht. An einigen Stellen haben sich nicht lateinische Begriffe im Sprachgebrauch durchgesetzt, die wir hier im Buch auch verwenden werden, beispielsweise Karpalgelenk oder Fesselgelenk. In der Reitersprache haben sich auch Begriffe eingebürgert, die anatomisch nicht korrekt sind, wie zum Beispiel „Vorderknie“ für das Karpalgelenk. Hier kann es schnell zu Missverständnissen kommen, wenn der Pferdebesitzer das Karpalgelenk meint, der Tierarzt aber das Knie am Hinterbein untersucht.

Um die Anatomie zu beschreiben, werden Begriffe verwendet, die zum Teil aus der Reitlehre, zum Teil aus der Medizinersprache kommen. Für die Richtungen werden hier nicht die naheliegenden deutschen Begriffe wie „oben“ oder „unten“ verwendet, weil diese Bezeichnungen sich schon ändern, wenn das Pferd beispielsweise für eine Operation auf den Rücken gedreht werden muss. Daher benutzen wir lateinische Bezeichnungen wie „dorsal“ oder „ventral“. In der Reitlehre verwendet man zusätzlich Begriffe für die Bewegungsrichtung. Adduktion bezeichnet dabei das Heranziehen des Beins zur Mittellinie hin, Abduktion das seitliche Wegstrecken des Beins. Besonders deutlich wird die Adduktions-Abduktions-Bewegung bei der Traversale.

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In der Traversale kann man die Adduktions-Abduktions-Bewegung besonders gut erkennen. (Foto: Slawik)

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Beim Buckeln wölben Pferde ihren Rücken besonders deutlich in die Flexion. (Foto: Slawik)

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Der Rücken dieses Pferdes befindet sich deutlich in Extension. (Foto: Slawik)

Die Flexion des Rückens ist das Ziel jeder Reiterei, das heißt, die Aufwölbung des Rückens nach oben. Dafür muss das Kreuzbein, also das Ende der Wirbelsäule, ebenso wie das Becken in eine „sitzende“ Bewegungsrichtung abkippen. Diese Bewegung wird ebenfalls als Flexion bezeichnet. Das Gegenteil, also der weggedrückte Rücken, wird Extension genannt, ebenso wie die Bewegung von Becken und Kreuzbein beim Ausstellen der Hinterhand.

Anatomische Bezeichnungen im Überblick

Regionen:

Vorhand: Alles am Pferd von der Nase bis zur Schulter, auch die beiden Vorderbeine.

Mittelhand: Der Bereich zwischen Vorder- und Hinterhand, also Rücken, Brust- und Bauchhöhle mit den jeweiligen Organen.

Hinterhand: Alles, was hinter der Flanke kommt, also Kruppe und Hinterbeine.

Körperteile:

Sehr ähnlich wie beim Menschen sind die Körperteile beim Pferd benannt: Kopf, Hals, Schulter, Oberarm, Unterarm, Handwurzel, Zehe, Rücken, Bauch, Brust, Hüfte, Oberschenkel, Unterschenkel, Fußwurzel. Der einzige Unterschied ist, dass das Pferd auf vier Füßen läuft, also eigentlich auf Händen und Füßen und noch dazu auf der Zehenspitze. Daher heißt alles, was unterhalb des Karpal- beziehungsweise Sprunggelenks liegt, „Zehe“.

Richtungen:

Kranial: vorn oder kopfwärts. Am Kopf spricht man auch von rostral, wenn es Richtung Nase geht, oder von kaudal, wenn es Richtung Ohren geht.

Kaudal: hinten oder schweifwärts.

Dorsal: oben oder rückenwärts.

Ventral: unten oder bauchwärts.

Medial: zur Körpermittellinie hin. Beim Bein ist das die Adduktionsbewegung.

Lateral: seitlich von der Körpermittellinie weg. Beim Bein ist das die Abduktionsbewegung.

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Die anatomischen Lagebezeichnungen. (Foto: Slawik)

Am Bein gibt es zusätzlich noch folgende Begriffe:

Proximal: in Richtung Körper.

Distal: in Richtung Fuß.

Palmar: am Vorderbein die Rückseite, also eigentlich die „Handflächenseite“.

Plantar: am Hinterbein die Rückseite, also eigentlich die „Fußsohlenseite“.

Die Vorderseiten der Beine, also die Handrücken- oder Fußrückenseite, werden wieder mit „dorsal“ bezeichnet.

Der Bewegungsapparat

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Pferde sind Bewegungstiere. (Foto: Slawik)

Der Bewegungsapparat des Pferdes besteht aus einem passiven Anteil, darunter versteht man Knochen und Gelenke, und einem aktiven Anteil, der die gesamten Muskeln umfasst. Das Zusammenspiel beider Anteile ist notwendig, damit sich das Pferd bewegen kann. Muskeln ohne Knochen können sich zwar zusammenziehen, kommen aber nicht vom Fleck. Ein Skelett ohne Muskeln kann noch nicht mal allein stehen, weil schon für das Stehen die Spannung der Muskulatur notwendig ist. Das Skelett gibt also die notwendige Stabilität und die Ansatzpunkte für die Muskeln, die den Körper dann bewegen.

Die Knochen

Die Knochen haben im Bewegungsapparat die Aufgabe, Stütze und Ansatzpunkt für die Muskeln, Sehnen und Bänder zu sein und das Gewicht des Körpers zu tragen.

Knochen ist kein totes Gewebe, wie man anhand anatomischer Präparate oft denken möchte. Das, was nach der Präparation übrig bleibt, ist nur noch der mineralische Kalkanteil des Knochens, ähnlich wie eine Koralle an Land nur noch das tote Kalkskelett des Lebewesens ist. Der Mineralanteil im Knochen gibt ihm seine Festigkeit, die dafür sorgt, dass Knochen nach Zahnschmelz die härteste Substanz im Körper ist. Der Mineralanteil, vor allem Kalzium, Phosphor und Magnesium, macht aber nur etwa die Hälfte des Knochens aus. Beim ausgewachsenen Pferd sind etwa 9 bis 10 Kilogramm Kalzium im Skelett gebunden, von denen 20 Prozent bei Bedarf mobilisiert werden können. Damit stellen die Knochen eines der wichtigsten Mineral-reservoirs des Körpers dar. Ein Viertel des Knochengewichts ist Wasser und ein weiteres Viertel sind lebende Knochenzellen. Diese Knochenzellen (Osteozyten) sorgen dafür, dass ein Knochen ständig auf-, ab- und umgebaut und damit seiner Belastung angepasst wird. Besonders eindrücklich sehen wir die Aktivität dieser Knochenzellen nach Knochenbrüchen, wenn der Spalt zwischen den beiden Bruchstücken innerhalb weniger Wochen mit neuem Knochenmaterial geschlossen wird. Die Osteozyten sind aber auch für die Bildung von Überbeinen verantwortlich, da sie hier bei Entzündungen der Knochenhaut oder bei kleinsten Fissuren im Knochen zusätzliches Material aufbauen, um den Knochen zu stabilisieren.

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Überbein am Griffelbein, Ansicht von palmar. (Foto: Fritz)

Wussten Sie schon …?

Auf den Röhrbeinen der Vorderbeine ruht besonders viel Gewicht, das sich noch erhöht, wenn das Pferd geritten wird. Beim ungerittenen Pferd haben die Röhrbeine der Vorderbeine einen runden Querschnitt. Wird das Pferd geritten, wird dieser Querschnitt quer-oval. Der Körper bildet hier mehr Knochenmasse aus, um mehr Gewicht tragen zu können.

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Querschnitt durch ein Pferdebein. (Foto: Fritz)

Aufbau verschiedener Knochen

Nach dem Aufbau kann man kurze Knochen, platte Knochen und Röhrenknochen unterscheiden. Kurze und platte Knochen sind nur aus schwammförmigem Knochenmaterial (Spongiosa) und der sie bedeckenden dünnen harten Knochenrinde (Corticalis) aufgebaut. Zu den platten Knochen gehören beispielsweise die Schädelknochen oder die Beckenknochen, aber auch die Rippen werden aufgrund ihres Aufbaus dazugezählt. Zu den kurzen Knochen gehört zum Beispiel das Kronbein, also der Zehenknochen, der auf Höhe des Kronrands liegt. Zu den Röhrenknochen gehören alle langen Knochen, zum Beispiel die großen langen Knochen der Extremitäten. In ihnen bildet sich im Bereich der Röhre eine Markhöhle aus, die von einer dicken, besonders stabilen Knochenschicht (Kompakta) umgeben ist. Die Enden der Röhrenknochen bestehen auch aus Spongiosa.

Um die notwendige Festigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht zu erreichen, sind Knochen trajektoriell aufgebaut. Das heißt, sie bestehen nicht nur aus einer kompakten Kalkmasse, wie man bei ihrem Anblick zunächst denkt, sondern aus fein verästelten Knochenbälkchen, die besonders im Bereich der Spongiosa deutlich sichtbar werden. Diese Knochenbälkchen richten sich entlang der Zug- und Druckkräfte aus, die auf den Knochen wirken. Der Knochen ist damit gleichzeitig fest und flexibel.

An allen Knochen liegt außen die Knochenhaut an, das Periost. Sie besteht aus straffem Bindegewebe (Fibrosa)