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Titel

SCM ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7174-8 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5515-1 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2010 und 2013
SCM in der SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-verlag.de · E-Mail: info@scm-verlag.de

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.
Die englischen Bibelverse wurden entnommen aus: King James Version, Bibelübersetzung

Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen
Titelbild: istockphoto.com; shutterstock.com
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Inhalt

Vorwort zur 3. Auflage

Vorwort

Prolog

»Nigeria? Wo ist denn das?«

Flamme des Waldes

Kinderparadies aus Staub und Sand

Mister Cheap-Cheap

Ein Pferd tanzt den Tango

Abschied: Spuren der Erinnerung

Briefmarken und Schildkröten

Deutsch- und Hundeschule auf Afrikanisch

Mrs Prescott's Academy

Gewitterwolken über Bukuru

Anarchie

Unter seinen Flügeln

Alltag unter Wolken

Abschied: Hochzeit unter Wolken

Ins Land der Bibel

Spuren des Kreuzes

Abschied: Kofferpacken für die Ewigkeit

Regen auf dürres Land

Die Welt der Lehrer und Missionare

Tränen auf dem Erntefeld

Nägel mit Köpfen

Zwischen Liebe und Hass

Abschied: Ein Albtraum, der nicht enden will

»Wo gesungen wird, lass dich nieder«

Zuwachs im Familienzoo

George, der Festtagsbraten

Weihnachten im Busch

Zerbrechlichkeit des Lebens

Krisenmanagement auf Afrikanisch

Veränderungen

Abschied: ein Gänseblümchen für so viel Liebe

Birtfield lässt grüßen

Ernst des Lebens

Alltag in einem Herrenhaus

Trennungsschmerz

Abschied: Versöhnung mit Birtfield

Warten

Omolara rächt sich

Licht am Ende des Tunnels

Zurück in die Dunkelheit

Zwei Welten und das dazwischen

Abschied: Eine Stimme aus der Vergangenheit

Teenager und Tanzflächen

Königshausfieber

Königlicher Besuch

Gott taucht wieder auf

Beten in Birtfield

Abschied: Und das Wunder geschieht nicht

Eine Zukunft wird geschmiedet

Krokodile und Staudämme

Es wird ernst

Umbruch

Abschied von Vom Road

Abschied: Zeugen einer vergangenen Welt

Nachklapp

Abschied: Jenseits von Schmerz und Zeit

Nachwort Januar 2019

Quellenverzeichnis der Lieder

Bildteil

Anmerkungen

Vorwort zur 3. Auflage

»Unter dem Flammenbaum« ist das Protokoll eines langsamen und schmerzvollen Krebstods. Leider ist so etwas Alltag und fast jeder Familienkreis muss sich irgendwann mit einer solchen Tragödie auseinandersetzen. Aus diesem Grund hat mich die große Resonanz auf die Geschichte meiner Mutter überrascht. Seit Erscheinen der ersten Auflage 2010 habe ich viele Gespräche mit Betroffenen geführt, die hilflos zuschauen müssen, während ein geliebter Mensch dem Wüten einer grausamen Krankheit ausgesetzt wird.

Ich habe auch mit vielen Afrika-Liebhabern gesprochen, die die Düfte und Geräusche Afrikas in den Seiten des Buches wiedererkennen, oder mit sogenannten »Third-Culture-Kids« die, wie ich, im Spannungsfeld dreier verschiedener Kulturen aufgewachsen sind. Seit der ersten Auflage meiner Biografie ist der Teil von Nordnigeria, in dem mein Flammenbaum stand, oft in die Nachrichten gekommen. Nicht aufgrund der Herzlichkeit der Menschen oder der Einzigartigkeit der Landschaft, sondern wegen des barbarischen Terrors der Boko-Haram-Miliz. Die Hillcrest School ist heute von Stacheldraht und Wachposten umzingelt. Der Markt in Jos, wo Mr. Cheap-Cheap seine Waren angepriesen hat, ist immer wieder Schauplatz für Terrorangriffe, bei denen schon viele Menschen ums Leben kamen. Christliche Gottesdienste finden unter Polizeischutz statt. Die gewaltsamen Tumulte, die wir in den Jahren 1966 bis 1968 erlebten, sind Dauerzustand geworden und die Schreckensnachrichten nehmen kein Ende.

Gerade deshalb bleibt Nigeria lebendiger denn je in unseren Gesprächen, Gedanken und Gebeten, wenn wir drei Schwestern uns hin und wieder in England sehen. Einmal habe ich mit meinem inzwischen 90-jährigen Vater zusammen das Anwesen an der »Vom Road« auf Googlemaps gesucht. Wir fanden es. Wir konnten gerade noch die Umrisse der Pferdekoppel, die meine Mutter an den Garten anbaute, ausmachen. Und sogar die runde Stelle, an der der Flammenbaum früher stand. Das Haus ist nicht mehr bewohnt, der Baum wurde abgesägt.

Der Blick auf das graue, undeutliche Satellitenbild erinnerte mich an die wiederholte Ermunterung meiner Mutter vor ihrem Tod, dass wir hier auf Erden »keine bleibende Stadt« haben. Aber die Erinnerungen bleiben. Fragmente davon sind in diesem Buch zusammengefasst. Es ist mein Gebet, dass es so viel Spaß macht, sie zu lesen, wie es mir Spaß machte, sie zu sammeln und aufzuschreiben.

Nicola Vollkommer
Reutlingen
25. Januar 2016

Vorwort

Es sind die Widrigkeiten – nicht die Höhenflüge – des Lebens, die aus Menschen Helden machen. Meine Mutter hatte nicht wenige Widrigkeiten in ihrem Leben. Kurz vor ihrem Begräbnis Anfang September 1988 saß ich an ihrem Schreibtisch, umgeben von diversen Überbleibseln eines bis zum Schluss bewegten Lebens – ihren abgestumpften Bleistiften, Erinnerungszetteln in verschiedenen Größen und Formaten, Zeichnungen und Aufschrieben. Ich überflog die zahlreichen Karten und Beileidsbezeugungen, die seit der Nachricht ihres Todes täglich durch die Tür meines Elternhauses geschoben worden waren. Erst in diesen Augenblicken wurde es mir klar, zu welch außerordentlicher Frau ich 29 Jahre lang »Mummy« sagen durfte.

Diese Geschichte ist eigentlich ihre Geschichte, und auch die meines Vaters, an dessen Seite meine Mutter mitten im moralisch trüben Zwielicht des postkolonialen Westafrikas mit einer Tapferkeit und Integrität lebte, die für sie persönlich nicht immer vorteilhaft war. Nach dem eigenen Vorteil zu suchen war aber nie ihr Ziel. Die gleiche Standhaftigkeit kennzeichnete sie im Laufe des fünfjährigen Krebsleidens, das ihrem Leben nach der Rückkehr von Afrika ein viel zu frühes Ende setzte. In den 19 Afrikajahren, wie in den acht kurzen Jahren danach, war es meinen Eltern nicht bewusst, wie genau drei junge Augenpaare jede ihrer Bewegungen verfolgten und im Gedächtnis speicherten, und wie sehr sie unser Leben auch über lange Trennungen hinweg prägten. Manches, was diese Augen gesehen haben, ist in diesem Buch in einer Reihe von Momentaufnahmen dokumentiert. Einige Namen von noch lebenden Personen und den Namen des englischen Internats habe ich geändert.

Fehlerfrei war meine Mutter natürlich nicht, auch nicht ohne Widersprüche. Aber authentisch war sie immer, eine Frau, die ihr Leben an klaren christlichen Werten und nicht an Lustprinzipien entlangführte.

Dieses Buch ist meiner Mutter in großer Liebe und Wertschätzung gewidmet und auch meinem Vater, dessen Gedächtnis und Memoiren ich für vieles, vor allem in den Anfangskapiteln der Geschichte, ausgiebig plündern durfte. Momentaufnahmen von der Zeit des Abschieds von meiner Mutter bilden einen roten Faden durch die Geschichte hindurch. Mein Dank gilt auch Tanya und Andrea, die mich mit einer Fülle lustiger Anekdoten aus unserer ungewöhnlichen Kindheit versorgten und die nicht nur geliebte Schwestern sind, sondern auch meine besten Freundinnen.

Reutlingen
8.3.2010

Prolog

Vier spindeldürre Beine, von der Sonne dunkel gebräunt, hingen nebeneinander von einem hohen Stein herunter. Der Stein lag unter einem Palasabaum, von den Engländern dank seiner spektakulären roten Blütenpracht »Flame of the Forest« genannt, und er bot in der sengenden Hitze eines afrikanischen Nachmittags den einzigen Schatten weit und breit. Vier Füße, die, verstaubt und dreckig wie sie waren, noch wenig Bekanntschaft mit Schuhen gemacht hatten, baumelten hin und her gegen den Stein. Eine einsame Fliege zog ihre Kreise und bewegte sich schläfrig von Blatt zu Blatt zwischen den roten Blüten des Baumes. Eine Eidechse, perfekt getarnt auf dem grauen Hintergrund eines Felsbrockens und nur aus der Nähe sichtbar, blickte schlaftrunken durch einen Augenschlitz, während sie sich sonnte. Sie lag absolut still. Nur ein leichtes Pulsieren unter der hauchdünnen, befleckten Haut auf ihrem Rücken verriet, dass sie lebte.

»Wie wär's mit ›Fliegen nach England‹?«

»Nein, das haben wir schon so oft gespielt. Ich will nicht nach Engelant fliegen.«

»England heißt es, Nicky. Baby schläft und ich soll schauen, dass du nicht zu viel Lärm machst.«

Das kleinere der beiden Mädchen sprang vom Stein herunter.

»Ich weiß! Spielen wir ›afrikanische Mamas‹. Das ist ruhig. Ich bin Mama Lossofa und du machst mich schwarz und meinen Kopf kringelig!«

Das zweite Mädchen sprang auch herunter.

»Ja, aber dieses Mal dürfen wir dein Gesicht nicht mit Blumenerde afrikanisch machen. Das letzte Mal gab es Ärger mit Mummy!«

»Aber nicht, weil mein Gesicht dreckig war. Nur weil wir ihre Blumenerde geklaut hatten. Wir waschen sie nachher ab und kippen sie zurück in die Blumen!«

Die zwei kicherten und rasten in die Seitentür des nahegelegenen Bungalows. Nach kurzer Zeit erschienen sie wieder an der Haupttür auf der anderen Seite des Hauses, mit großen Handtüchern und Puppen unter dem Arm. Bald darauf blickten sich zwei mit Blumenerde verschmierte Gesichter – die allerdings nur wenig afrikanisch aussahen – vergnügt an. Zwei Puppen wurden auf zwei Rücken gehievt und mit einer Decke um den Bauch der jeweiligen »Mama« festgebunden.

»Reib doch Blumenerde in meine Haare hinein, Tanya! Sie müssen noch schwarz werden!«

»Willst du wirklich? Dann gibt es aber eine Sauerei. Komm, ich binde dir lieber ein Tuch um den Kopf. Das sieht auch wie Mama Lossofa aus.«

»Egal. Hauptsache, ich muss nicht nach Engelant fliegen.«

»Es heißt England, Nicky!«

»Nigeria? Wo ist denn das?«

Es sind oft die zufälligen Augenblicke des Alltags, die die Düfte und Klänge Afrikas zurückholen und zu neuem Leben erwecken. Dann öffnen sich unaufhaltsam ganze Panoramen, eine afrikanische Sinfonie, die auch nach all den Jahren nie aus meinem Bewusstsein gewichen ist. Das Zirpen von Grillen an einem lauen Sommerabend, der schwüle Duft von Regen auf ausgedörrtem Boden, der Klang einer geliebten Melodie, das laute Hupen eines Autos, das sich den Weg durch Menschenmassen bahnt: Dies alles ist fest eingebrannt in meinen Erinnerungen, abrufbar wann immer das Leben Gelegenheit dazu bietet. Und dann, unvermeidlich, das plötzliche, instinktive Bedürfnis, mit meiner Mutter zu reden. Doch sie ist nicht mehr da, seit 21 Jahren schon nicht mehr.

»Willst du denn nicht wieder zurück?«, fragte mich neulich eine Freundin.

»Ich glaube, ich würde es nicht ertragen«, sagte ich nachdenklich.

»Und warum nicht? Du schwärmst doch so sehr von Afrika!«

Für das »Warum nicht« war es schwer, eine Antwort zu finden. Es ging hier um viel mehr als nur um einen Ort. Afrika bleibt in meinem Gedächtnis mit ihr, meiner Mutter, untrennbar verbunden. Nigeria war ihre Welt. Ein einziger Blick auf die elegante Oleanderallee neben der Pferdekoppel, auf die blühenden Frangipani- und Hibiskus-Büsche, umgeben von Lantanenhecken, deren winzige Blüten wir ineinandersteckten, um Blumengirlanden für unsere Puppen zu machen – und ich würde unwillkürlich ihr schallendes, fröhliches Lachen wieder vernehmen, das zu dieser Umgebung einfach dazugehörte. Oder ich würde darauf warten, dass sie jeden Augenblick mit einem Pferd am Halfter um die Ecke kommt, oder mit einer riesigen Gießkanne in der Hand auf einen der farbenfrohen Dahlientöpfe zugeht.

»Und schließlich hat sich auch Bukuru verändert«, seufzte ich, »und gehört jetzt einer neuen Generation. Ich will es aber als das in Erinnerung behalten, was es für uns Kinder damals war: So etwas wie ein Paradies.«

Und dies, obwohl sich die Kleinstadt Bukuru in Nordnigeria auf den ersten Blick kaum als romantische Kulisse für ein tropisches Abenteuer eignen würde. Elefanten und Löwen gab es nur in einem entfernten Safaripark. Das Interessanteste, was die trockene, spärlich bewachsene Savannen-Landschaft zu bieten hatte, war eine gelegentliche Kobra, eine Menge abgemagerter Kühe, ein Rudel verwahrloster Hunde, massenweise Eidechsen, Autowracks, die an den Straßenrändern vor sich hin rosteten und nie entsorgt wurden, und vor allem Müll. Müll und Gestank ohne Ende. Sonst nur lehmiger, steiniger Boden. Mit Recht behielt meine Mutter ihre kostbare Blumenerde scharf im Blick mit dem Eifer eines Schatzmeisters, der ein unbezahlbares Wertobjekt bewacht. Guter Boden war Kapital, auf das sie nicht verzichten wollte.

Für meinen englischen Vater war diese Afrikareise ursprünglich nicht wesentlich mehr als eine vielversprechende Station auf der Karriereleiter als Finanzberater. In England herrschte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Aufbruchstimmung. Meine Großeltern, die sich durch Fleiß, Geschick und mit einer Portion Glück aus den Armenvierteln Leicesters im industriellen Mittelengland emporgearbeitet und es zu einem wohlhabenden Leben im bürgerlichen Vorort gebracht hatten, gehörten zu den glücklichen Eltern, die zwei erwachsene Söhne unversehrt von den Schlachtfeldern Europas und Asiens in der Heimat zurückempfangen durften. Ihr ältester Sohn, John, von uns »Uncle Jack« genannt, hatte während des Krieges als Marinesoldat auf verschiedenen Schiffen der »Royal Navy« gedient. Nach seiner Rückkehr bereitete er sich auf eine neue Auslandsreise vor, die die Erfüllung seines Jugendtraums bedeutete: In den Schneewüsten Nordkanadas wollte er als Missionar unter den Eskimos leben.

Mein Vater Roy war als junger Infanterist nach Japan gesandt worden – spät genug allerdings, um nicht in die Kampfhandlungen hineingezogen zu werden, in denen Tausende britische Soldaten ihr Leben verloren hatten. Heimatverbunden wie er war und ohne irgendeinen Hang zu Abenteuern richtete sich »Roy-Boy«, wie er von seiner Mutter – die ihn über alles verehrte – genannt wurde, sein Leben in Leicester ein. Zunächst deutete nichts darauf hin, dass er sein Glück jemals in der Fremde suchen könnte. Nicht ohne einen gewissen Argwohn nahm es sein Umfeld auf, als er sich Hals über Kopf in eine junge Krankenschwester aus Deutschland verliebte, die nach Leicester gekommen war, um in der dortigen renommierten Klinik eine Zusatzausbildung zu absolvieren. Alles, was irgendwie Deutsch anmutete – wie auch die eindeutigen deutschen Untertöne in Hella Tauchers englischer Sprache – löste in der britischen Seele der 50er-Jahre eine sofortige Reaktion von Abscheu aus.

Hella hatte die Strapazen des Krieges auf der deutschen Seite als junges Mädchen heil überstanden. Sie war lebhaft, hübsch, und für eine Fluchtmöglichkeit aus dem tristen Nachkriegs-Deutschland mehr als offen. Nachdem sie in der Kirchengemeinde, zu der beide gehörten, den jungen, attraktiven Roy getroffen hatte, war Deutschland bald Vergangenheit – außer für die Hochzeit, die im April 1957 im malerischen Sankt-Goarshausen am Rhein im Kreis der deutschen Verwandtschaft stattfand. Als sich das Paar schließlich in ein Häuschen in einer von hohen Linden überschatteten Allee im kleinen Dorf Bushby am Rande Leicesters niederließ und eine kleine Familie gründete, atmete die Verwandtschaft auf: Das britische Durchschnitts-Bürgertum schien auch im Leben des jungen Paares Fuß zu fassen.

Allerdings nicht für lange Zeit.

Meine Mutter hatte die Kriegsjahre ganz anders als ihr Ehemann erlebt. Sie war in der abgelegenen Küstenidylle Ostpommerns aufgewachsen, im Gutshaus »Palzwitz«, das ihre Familie seit Generationen als Domäne von den preußischen Königen gepachtet hatte und in deren Auftrag bewirtschaftete. Dort züchtete man seit Generationen Pferde und Rinder, schlachtete Schweine und bestellte Felder, ohne viel von den politischen Ereignissen des deutschen Reiches mitzubekommen. Aber auch Palzwitz wurde im Frühling 1944 von den Rachezügen plündernder russischer Truppen heimgesucht. Für Millionen folgten in dieser Zeit Flucht oder Tod oder beides. Für meine Mutter, die mit ihren 14 Jahren zusammen mit ihren Geschwistern auf eines der letzten Schiffe gesetzt wurde, das vor dem Zusammenbruch Ostpommerns gen Westen ablegte, bedeutete dies den Verlust der geliebten Heimat, den grausamen Abbruch einer glücklichen Kindheit, und – am allerschlimmsten – den Abschied von einem vielgeliebten Vater, der das Arbeitslager der Russen nicht überleben sollte. Sie stand für eine ganze Generation, die nach dieser kollektiven Tragödie nicht in den Genuss von Trauma-Behandlungen, psychologischer Begleitung oder großen Entschädigungssummen kam, sondern auch nach Ende des Krieges mit großer Mühe um eine gesicherte Existenz ringen musste.

Meine Mutter gab später zu, dass sich die Sehnsucht zurück nach ihrer verlorenen Heimat wie ein roter Faden durch den Rest ihres Lebens zog. Palzwitz stand für den nie endenden blauen Himmel, Sand so fein wie Puder an langen, breiten Ostseestränden, endlose Weite, Naturverbundenheit, Pferdekoppel und Wildnis. Die graue, einengende Mittelmäßigkeit eines Lebens in einem städtischen Vorort Großbritanniens konnte deshalb höchstens eine Zwischenstation in ihrem Leben sein. Ihre Seele drängte sie in die große Weite zurück.

Schon kurz nach der Geburt seines zweiten Kindes hatte mein Vater begonnen, Stellenanzeigen für Tätigkeiten im Ausland aus der Zeitung auszuschneiden. Was ihn dazu trieb – ob es der Einfluss meiner Mutter war oder doch ein Rest von Fernweh, durch die Kriegsjahre ausgelöst – wusste er selber nicht so recht. Als er schließlich ein lukratives Angebot eines Finanzmaklers in Leicester ausschlug, um sich für zwei Jahre nach Afrika zu verpflichten, waren meine Großeltern zutiefst entsetzt.

»Nigeria? Nie davon gehört! Wo in aller Welt ist das?«

An diesen Satz mussten sich meine Eltern schnell gewöhnen. Die meisten Briten kannten Kenia und Südafrika, aber das war es dann.

»Stell dir eine Karte von Afrika vor, ok?« So fing die Standardantwort an. »Oben hast du die bekannte Küstenreihe zum Mittelmeer – Marokko, Tunesien, Libyen, und ganz rechts Ägypten.«

Bis dahin war meistens alles klar.

»Darunter gibt es nur Wüste, die Sahara, im Atlas meist gelb. Und unter dieser Wüste gibt es noch eine Reihe mit einer südlichen Küste, von links nach rechts. Und eine Einbuchtung. Fangen wir links an. Liberia, Ghana, Togo, Benin (das damals allerdings noch Dahomy hieß und später umbenannt wurde – Anm. der Autorin) und dann Nigeria. Dann kommt so etwas wie ein Knick auf der Landkarte, die Küste wendet sich nach Süden, bis nach unten – und da haben wir Südafrika. Links an diesem Knick findest du Nigeria.«

Bukuru liegt auf einer großflächigen Hochebene (»Jos Plateau« genannt) in der Nähe der Landeshauptstadt Jos in Nordnigeria, in jüngsten Jahren mehr für blutige Ausschreitungen zwischen Muslimen und Christen als für ihre angenehme Landschaft bekannt. In den 60er-Jahren behielten die Briten trotz Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1960 – zumindest in der Handels- und Geschäftswelt – das Kommando. Eine ihrer Errungenschaften war es, die schöne Landschaft des »Plateau«-Staats mit ihren Zinnbergwerken zu zerschneiden. Die schweren Maschinen der weißen Einwanderer rissen mit einem ohrenbetäubenden Dauerlärm klaffende Gräben durch die Wüstenlandschaft und ließen sie dadurch noch unwirtlicher und skurriler erscheinen, als sie es ohnehin war. Für die Einwohner des Plateaus bedeuteten diese unansehnlichen Wunden in der Landschaft allerdings Brot. Dort, wo sich Europäer mit ihrem Wissen und ihrer modernen Technik niederließen, gab es auch für die örtliche Bevölkerung Arbeit. Menschen, die um ihr blankes Überleben kämpfen müssen, haben wenig für saubere Luft, Öko-Wälder, Bio-Wiesen und friedliche Naturpfade übrig.

Für das kleine Unternehmen, das den Strom für die Bergwerke erzeugte, sollte mein Vater nun zwei Jahre lang die Finanzen bestellen. Nicht nur das Zinngeschäft profitierte von der zuverlässigen Stromerzeugung der »Nigeria Electricity Supply Corporation GmbH« – abgekürzt »Nesco«. Das ganze Jos-Plateau wurde nach und nach, dank dieser Firma, zum einzigen Teil Nigerias, vielleicht sogar ganz Afrikas, in dem man auch mitten in der Nacht den Lichtschalter betätigen oder den Kühlschrank aufmachen und mit einem positiven Ergebnis rechnen konnte.

Im Frühjahr 1960 reiste mein Vater voraus, um zu prüfen, ob wir so etwas wie ein normales Familienleben in dieser nicht gerade einladenden Ecke Afrikas würden führen können.

Flamme des Waldes

»Ich hoffe, Liebling, du bist nicht schockiert, wenn du hier ankommst. Denn wir haben es hier ganz bestimmt nicht mit der Afrikaromantik aus den Bilderbüchern zu tun. Die Landschaft ist wenig spektakulär, eher spröde und wüst, die Luft ist aber trocken und angenehm – deswegen machen viele Leute hier auf dem Plateau Urlaub. Eine Klimaanlage brauchen wir nicht.

Das Haus ist geräumig und bequem, mit einem großen eingezäunten Gelände draußen. Ideal für Kinder. Es wird dir gefallen, und der Garten ist ausbaufähig. Auf die Blütezeit des Palasabaumes (der direkt vor dem Haus steht) von Januar bis März können wir uns freuen. Der Baum soll ein richtiger Blickfang sein, ein Meer aus feurig-roten Blüten. Er wird ›Flamme des Waldes‹ genannt. Man kann frisches Gemüse auf dem Markt kaufen, und du kannst jederzeit einen Dienstwagen samt Fahrer von der Firma haben, wenn du nach Jos in das europäische Einkaufsviertel fahren willst. Ich schaue nach guten Hausangestellten. Musa, der sich jetzt um mich kümmert, ist von der Firma provisorisch ›ausgeliehen‹. Jede weiße Familie hat einen ›Houseboy‹ und einen ›Cook‹, auch die Missionare – gerade die Haushaltsstellen sind bei den Afrikanern sehr begehrt.«

Der erste Brief meines Vaters hörte sich vielversprechend an. Er erzählte auch von dem Missionarsehepaar, das er in der kleinen afrikanischen Gemeinde in Bukuru kennengelernt hatte, und das ihn sofort zu sich nach Hause eingeladen hatte. Und natürlich von der Arbeit in der Firma, in der er am Anfang nur mit Büroarbeit und Gehälteraufsicht beschäftigt war, aber bald immer mehr Verantwortung übernehmen durfte.

»Eigentlich sind wir hier fast in der Wüste, da Bukuru in den südlichen Ausläufern der Sahara liegt. Selbst aus dieser harten Erde holen die Menschen genug Nahrung für Maisplantagen, und davon leben die meisten Dorfleute – gerade noch. Eine Maissorte mit dem Namen ›Acha‹ ist das Grundnahrungsmittel.

Gefährlich wird es hier nicht sein. Der Übergang läuft friedlich und politisch scheint alles in bester Ordnung zu sein. Ich bin, ehrlich gesagt, erleichtert. Hier werden wir ein ruhiges und geordnetes Familienleben aufbauen können, ähnlich wie in England – nur viel mehr Freiheit, viel mehr Platz.«

Es sollte nur noch sechs Monate dauern, bis Nigeria 1960 seine Unabhängigkeit von der britischen Krone und damit von der Kolonialherrschaft endgültig vollziehen würde. Und dieser Prozess war, anders als in anderen afrikanischen Ländern, bisher ohne Blutvergießen verlaufen. Die ausscheidenden Kolonialpolitiker Nigerias klopften sich mit pompöser Genugtuung gegenseitig auf die Schulter und ernteten auch in der Heimat eine Menge Beifall.

Mein Vater erzählte von den verschiedenen Volksgruppen Nigerias. Etwa 300 gab es insgesamt. Die Haussas und Birom waren die Hauptstämme des muslimisch geprägten Nordens Nigerias. Dazu kamen die Fulanis, ein Nomadenstamm, der mit seinem Vieh von Ort zu Ort wanderte. Diese abgehärteten Tiere meisterten mit Bravour die mühsame Kunst, sich an den stacheligen, ausgetrockneten Weideplätzen zu ernähren und sogar Milch zu produzieren, die von den Fulanis auf den örtlichen Märkten verkauft wurde. Auf diese Weise bestritten die zähen, witterungsresistenten Nomaden ihre magere Existenz. Afrika war eben der Kontinent, auf dem man lernte, aus dem Nichts etwas zu machen.

Aus der Sahara zogen immer wieder Gruppen von Tuareg-Migranten nach Süden. Diese dunkelhäutigen Araber mit ihrer imposanten Gestalt eigneten sich perfekt als Wächter für die Produktionsgelände, Siedlungen und Häuser der Europäer. Das Knirschen der schweren, langsamen Schritte dieser furchterregenden Männer auf den Kieselsteinen gehörte, zusammen mit den Schreien der verwaisten Straßenhunde, zu den unvergesslichen Geräuschen einer stockfinsteren afrikanischen Nacht. Wir haben diese Männer nie reden oder lachen gehört.

Südnigeria war hauptsächlich vom uralten Stamm der Yorubas bewohnt, berühmt für seine Kampfkünste und durch Einflüsse aus Europa und Amerika christlich geprägt. Aus Ostnigeria wanderten immer mehr Gruppen von ebenso westlich orientierten Ibos in die nördlichen Gebiete ein, auf der Suche nach Arbeit und Wohlstand. Wie viele andere afrikanische Länder war auch Nigeria ein künstliches Gebilde, dessen Konturen von britischen Kolonialfunktionären um den »Tea Table« herum oder – noch wahrscheinlicher – bei einer lockeren Gin-and-Tonic- oder Sherryrunde anhand einer Landkarte willkürlich umrissen wurden – ohne Rücksicht auf religiöse, sprachliche oder kulturelle Unterschiede der verschiedenen Volksgruppen. Weil es dazu noch das am dichtesten bevölkerte Land Afrikas war, war Nigeria schon zur Kolonialzeit ein potenzieller Unruheherd von brodelnden ethnischen Spannungen.

Nach all diesen vielversprechenden Beschreibungen meines Vaters musste meine Mutter nicht lange überredet werden, nach der ausgemachten dreimonatigen Probezeit ihres Mannes die Koffer zu packen, das Haus im englischen Bushby zur Miete freizugeben, mit zwei kleinen Kindern an der Hand ins Flugzeug zu steigen und in die unbekannte Ferne zu fliegen.

»Flamme des Waldes«, flüsterte sie, als sie von ihrem Fensterplatz im Flugzeug auf die schwindenden Lichter Londons herniederblickte, während zwei kleine Mädchen in den Sitzen neben ihr schon fest schliefen, »wenn das nicht verlockend klingt …«

Ende Juli 1960 begann unser Afrikaabenteuer.

Kinderparadies aus Staub und Sand

Von den landeskundlichen Hintergründen und Erfahrungsberichten, die unser Vater sammelte, bekamen wir Kinder erst einmal nichts mit. Auch nichts von den folgenschweren Hinterlassenschaften eines hemdsärmeligen britischen Kolonialismus, in den wir als Familie mit blauäugiger Naivität hineinspazierten. Wir Kinder, das waren meine zweijährige Schwester Tanya und ich, gerade mal 15 Monate alt. Eigentlich hätten wir Zwillinge sein können, so eng war die Verbundenheit, mit der wir uns aufmachten, unsere neue Umgebung im untrennbaren Doppelpack auszukundschaften. An ein Leben vor Nigeria erinnerten wir uns bald nicht mehr. Es hatte ja lediglich aus den wenigen Monaten bestanden, die wir in Bushby verbracht hatten und die auf ein paar unscharfen schwarz-weißen Babybildern dokumentiert waren. Es war eine Art graue Vorzeit, in der man unter regenbedeckten Himmeln Wollmützen, dicke kratzige Strümpfe und Schuhe getragen hatte.

Das neue Revier, das zur Kulisse unserer prägendsten Lebensjahre werden sollte, trug den fantasielosen Namen »Vom Road«. Die Siedlung, in der wir wohnten, lag eben an der Straße, die zur nächsten Kleinstadt »Vom« führte. Die Häuser der britischen Einwanderer lagen verstreut auf beiden Seiten der Straße, jedes Haus mit einem großzügigen Gelände umgeben, durch Eukalyptus-, Jakaranda- und Palasabäume und Hecken aus Lantanebüschen voneinander abgeschirmt. Die kleinen, mit Wellblech versehenen Bleiben der Dienstangestellten waren am Rande des jeweiligen Geländes aufgereiht. Das unfruchtbare, karge Land war nicht teuer, und es gab viel davon.

Sobald wir richtig laufen konnten und ohne viel Aufsicht im eingezäunten Gelände spielen durften, machten wir uns energisch auf, jeden Winkel, jeden Stein und jede Pflanze dieser trostlosen afrikanischen Landschaft, die für unsere Kinderaugen einen überwältigenden Zauber entfaltete, zu erforschen. Für uns hatte sie bald eine Seele, und wir bauten aus ihr unsere ganz persönliche Idylle. Wir wussten nichts von der Sesamstraße, hatten keine Ahnung, wer das Sandmännchen war, und selbst Donald Duck und Micky Maus waren für uns Fremde. Fernsehen blieb ein seltenes Erlebnis, in dessen Genuss wir erst viel später auf Heimaturlaub in England kamen. Wir vermissten das alles nicht. Wir hatten nie ein Spielwarengeschäft von innen gesehen.

So schleppten wir tagsüber Puppen und Stofftiere in den Garten und bauten für sie Lager und Höhlen unter den Büschen. Wir verwandelten die Kieselstein-Einfahrt zum Haus in eine Rennbahn und machten mit Spielzeugautos halsbrecherische Wettrennen. Niemand klärte uns auf, dass nur Jungs mit Rennbahnen und Autos spielen. Von den Kindern unserer afrikanischen Angestellten lernten wir, aus einfachem Draht Fahrzeuge selber zu basteln, und bestaunten die einheimische Kreativität, die aus dem Nichts wunderbare Kunstwerke hervorzaubern konnte. Raupen und Eidechsen bekamen Namen und wurden zu Persönlichkeiten. Fiktive Landschaften entstanden in dem großen Sandkasten, bewohnt von mächtigen Stammesoberhäuptern und tapferen Kriegern, die aus Knet geformt und mit Stoffresten bekleidet wurden.

Wenn wir zu müde zum Spielen waren, zerrieben wir Eukalyptusblätter und atmeten den heilsamen Duft ein, lauschten dem Wind in den hohen Eukalyptusbäumen und beobachteten die zwitschernden gelben Webervögel, deren Nester wie kleine Höhlen oder Birnen in den höchsten Ästen der Bäume hingen. Oder wir legten uns auf den Boden und blickten nach oben in das feurige Blütenmeer des »Flammenbaumes«, wie wir den »Flame of the Forest« nannten. Abends erzählten wir uns Geschichten – ganze Serien davon, jeden Abend eine neue Episode. Oder wir sangen uns gegenseitig in den Schlaf. Wenn wir morgens aus dem Bett stiegen, machten wir einen gewaltigen Sprung, fast bis zur Mitte unseres Zimmers. Denn in unserer Fantasie wohnte eine Familie von hungrigen Krokodilen unter jedem Bett, deren Lieblingsfutter die zarten Füße von kleinen Mädchen waren.

Für uns war es normal, die Erdbeerpflanzen mit einem langen Stock nach Schlangen abzutasten, bevor wir mit der Hand nach einer saftigen Frucht griffen. Ebenso das Gebüsch, in dem wir unsere Puppenlager bauten. Oder sorgfältig in den Sandalen nach Skorpionen zu schauen, bevor wir sie anzogen. Auch Steine im Garten konnten Skorpione beherbergen, und diese waren gefährlich. Wir dachten, alle Kinder der Welt würden es so machen.

Tanya war schon als kleines Kind über ihre Jahre hinaus reif und vernünftig. Mit Führungsqualitäten ausgestattet, die manch einen Geschäftsführer neidisch machen würden, bestimmte sie mit liebevoller Entschiedenheit das Tagesgeschehen. Ich hatte das große Glück, einziges Objekt ihrer fürsorglichen Aufsicht zu sein. Eine ängstliche, schüchterne kleine Schwester war für sie das perfekte Gegenüber, zumal meine Mutter wenig Geduld mit wehleidigen Kindern – wie ich eins war – hatte, und mich gerne der Regie meiner großen Schwester überließ.

Mitten in diese Kleinkind-Idylle der ersten zwei Afrikajahre platzte eines Tages die Nachricht, dass aus unserem Zweierpack bald ein Dreierpack werden sollte. Mein Vater hatte mit der für ihn typischen Gründlichkeit bereits im Vorfeld im Auftrag seiner Frau die medizinische Versorgung vor Ort ausgelotet. Gerade in der Kleinstadt Vom, nach der unsere Straße benannt war, befand sich ein Missionskrankenhaus.

Ein Geschwisterkind von jetzt auf nachher in unserer Spielwelt unterzubringen war für Tanya und mich unvorstellbar. Wir begrüßten die Aussicht mit einem Naserümpfen und gemischten Gefühlen, beschlossen aber, dass wir einen kleinen Bruder durchaus verkraften könnten – einen mit einem hellblonden Lockenkopf und strahlenden, blauen Augen, wie unsere Mutter. Wir beide, zu unserem ewigen Bedauern, hatten glatte, braune Haare und waren dunkeläugig wie unser Papa.

Es war der 17. April, 1962, und es wurde ein Mädchen, Andrea Denise – mit dunklen Haaren und braunen Rehaugen – ganz der Papa.

Als Rache dafür, dass Andrea nicht der gewünschte Junge war, nannten wir sie am Anfang »Peter«.

Das dritte Mitglied am Rande eines eingeschworenen Zweiergespanns zu sein, war für die kleine Andrea kein einfaches Los. Dies störte sie nicht, solange sie die meiste Zeit in ihrem Kinderwagen verbrachte. Sobald sie aber laufen konnte, spielte sie die Rolle des legendären fünften Rads am Wagen. Sie war nützlich, wenn wir eine lebendige Puppe brauchten, aber die meiste Zeit nervig und unerwünscht. Wir versteckten ihre Spielsachen, uns selber und unsere Geheimnisse, neckten und hänselten sie oft und voller Schadenfreude. Andrea dagegen entwickelte flinke und effektive Abwehrmechanismen. Mit diesen war der Familienfriede der ersten zwei Nigeriajahre mit einem Schlag vorbei. Sie knallte Türen mit einer Gewalt, die die Hausangestellten in die Flucht trieb. Sie inszenierte ihre Wutausbrüche mit einem beeindruckenden Register von Nebeneffekten: stampfen, schreien und sich auf den Boden werfen. Wenn sie irgendein Objekt durch die Luft schleuderte, waren ihre Geschosse zu hundert Prozent treffsicher. Beißen und kneifen konnte sie so schnell und unauffällig, dass sie selten dabei erwischt wurde. Selbst nach den übelsten Missetaten schaute sie erwachsenen Menschen mit umwerfendem Charme in die Augen. Mehr brauchte es meistens nicht, um andere von ihrer Unschuld zu überzeugen. Ihre Fähigkeit, im Dasein von Erwachsenen das misshandelte Opfer zu spielen, brachte uns schier auf die Palme.

Manch ein Gast schmunzelte über die einsame kleine Figur, die fest an ihrem Daumen lutschte und eine alte Decke hinter sich herzog, während sie geduldig hinter zwei großen Schwestern hertrottete, an deren Entdeckungsreisen teilzunehmen versuchte und anfing, laut zu heulen, wenn sie es nicht durfte. Der unermüdliche Einsatz irgendeiner lieben Tante oder Oma aus den Reihen unserer Vorfahren, die stundenlang kunterbunte Vierecke zusammengehäkelt hatte, wurde durch Andrea's Liebe für dieses Stück Wolle in jeder Hinsicht belohnt. Die Decke wurde überall mitgeschleppt – auf Bäume, durch Pfützen, Gras und Schlamm, über Sand und Erde, und abends mit ins Bett. Wenn die Decke doch gelegentlich in die Wäsche musste, trauerte Andrea und lief rastlos in der Gegend herum, bis sie sie von der Leine hinunter und zurück ins Leben holen konnte. In die Decke wurde nach und nach Andrea's ganze Kindheitsgeschichte hineingestrickt.

Andrea trug die Außenseiterrolle ihrer ersten drei Lebensjahre mit der Würde einer Märtyrerin. Sie wurde dafür belohnt. Nach und nach durfte sie zuhören, wenn Tanya und ich die nächste Kletteraktion in den Flammenbaum planten. Wir teilten ihr ihren eigenen Ast zu, wenn wir Decken und Stofftiere den dicken Stamm hochschleppten und Baumhäuser zwischen den hellgrünen Blättern und feurigen Blüten einrichteten. Dann beobachteten wir von unseren Hochsitzen aus, wie der Gärtner Blumenstauden abschnitt, der Koch Tomaten für die nächste Mahlzeit erntete, oder Gäste, die gerade ankamen oder wieder gingen. Im Flammenbaum konnte man es mit der Hilfe einer Wasserflasche und eines Bananenvorrats stundenlang aushalten. Er diente außerdem als ideales Versteck, wenn unerwünschter Besuch kam und wir keine Lust hatten, uns fein zu machen und von unserer bravsten Seite zu zeigen. Von unten konnte man uns in dem dichten Laub nämlich nicht sehen. Als stolze Inhaberin ihres eigenen Astes war Andrea nun endlich ein vollwertiges Mitglied der Clique. Sie erfuhr, wo Schätze vergraben waren und wo Geheimgänge durchs Gebüsch zu einem Lager führten. Weil sie zierlich und wendig war, konnte sie durch die kleinsten Löcher kriechen. Außerdem kletterte sie wie ein Affe, immer einhändig, da sie stets den Daumen im Mund hatte und mit den restlichen Fingern dieser Hand ihre Decke festhielt. Nur für dringliche Kommentare wie »Igitt!« wurde der Daumen entfernt, ansonsten waren ihre langen Erzählungen von Dauer-Lutschgeräuschen untermalt.

Mit ihren kurz geschnittenen Haaren und ihrer flinken Sportlichkeit erwies die kleine Andrea ihrem Spitznamen »Peter«, ob bewusst oder unbewusst, alle Ehre. Kleider hasste sie aufs Extremste.

Wenn unsere Mutter hübsche Outfits für festliche Anlässe nähte – immer in dreierlei Ausfertigung – verfolgte ich mit Ergriffenheit jede Bewegung an der Nähmaschine und konnte die erste Anprobe kaum erwarten. Nicht so Andrea. Wenn sie für Kindergeburtstage in ein Kleid wie in eine Zwangsjacke gesteckt und ihre dünnen, glatten Haare in Zöpfen gebunden wurden, wirkte sie so steif wie eine Marionette – und zutiefst unglücklich. Liebevoll angefertigte Rüschen und Schleifchen riss sie sofort wieder ab. Ihr Lieblingsoutfit war eine hellrote Schlabberhose, die ihr zu den Knien reichte und die sie fast die ganze Zeit anhatte. Solche Allzweck-Hosen wurden von meiner Mutter in ständiger Massenfertigung für alle drei Töchter hergestellt und waren zum Spielen gedacht. Es waren multifunktionale Kleidungsstücke par excellence, sie durften dreckig und löchrig werden, dienten auch als Pyjamas und konnten zu jeder Zeit geflickt oder ersetzt werden. Andrea's Hosen unterschieden sich von meinen und Tanyas durch den fadenscheinigen und abgenützten hinteren Teil – denn die von ihr bevorzugte und schnellste Fortbewegungsmethode war auf dem Hintern.

Mister Cheap-Cheap

»Das ist – ich meine, das war mal – eine Eidechse.« Tanyas kindliche Miene stand im direkten Kontrast zu ihrem belehrenden Ton. Ich rümpfte die Nase, Andrea holte ihren Daumen aus dem Mund, um ein überzeugtes »Igitt« loszulassen, und steckte ihn danach wieder hinein. Wir waren dennoch beeindruckt.

»… Und dieser Knochen … lass mich mal schauen … wird wohl Teil eines Beines gewesen sein. Wahrscheinlich von einem Hund.« Wir glaubten es ihr gerne.

»Nicht von einem Menschen?«, fragte ich mit großen Augen.

»Daddy sagt, in der Nähe von Vom liegen echte, alte Menschenleichen unter den Felsbrocken. Da hole ich mir mal eine Fibula und einen Femur für meine Sammlung.«

»Eine was und einen was?«, fragten Andrea und ich voller Bewunderung. Das war genau die Reaktion, auf die unsere ältere Schwester gewartet hatte, und das Stichwort für altkluge Belehrungen über die Irrungen und Wirrungen der menschlichen Anatomie.

Von den afrikanischen Kindern hatten wir gelernt, dass aus vielen Nöten auch viele Tugenden gemacht werden können und dass Entbehrungen eine Vorstellungskraft in der kindlichen Seele freisetzen, die aus den banalsten Dingen des Alltags eine spannende Entdeckungstour macht. Und so wurden wir zu chronischen Sammlerinnen von allen möglichen Sachen. Alte Keksdosen dienten als Schatzkisten. An Regentagen wurden sie feierlich geöffnet. Die Schätze wurden ausgebreitet, gezählt, miteinander verglichen und liebevoll wieder eingepackt.

Tanya wusste schon mit fünf Jahren, dass sie Ärztin werden wollte. Von der Anatomie aller Lebewesen, ob tot oder lebendig, war sie fasziniert. Sie ging nie ohne eine Plastiktüte spazieren, in der sie Kadaverreste von Eidechsen, ausgetrocknete Käferhüllen, alte Knochen und Schlangenhäute sammelte. Diese kostbaren Stücke wurden analysiert, beschriftet, manchmal sogar auf einem Malblock nachgezeichnet, dann sorgfältig in Watte eingepackt und in die Schatzkiste gelegt. Für Tanyas Plünderzüge war die öde Landschaft um unser Haus herum perfekt. Hohe, runde, schwarze Felsen waren über die Ebene gesät – manchmal einzeln, manchmal in Gruppen aufeinandergetürmt. Tanyas scharfe Augen entdeckten hinter und unter ihren schweigsamen Fassaden Welten, die vor Tierchen und Pflanzen geradezu wimmelten.

Meine eigene Schatzsuche führte mich an der Hand meiner Mutter in die Großstadt Jos. Jos war damals zwar noch nicht die Millionenstadt, die sie seitdem geworden ist, hatte jedoch schon das Flair einer europäischen Großstadt. Gelegentliche Ausflüge in das klimatisierte »Kingsway«-Kaufhaus im europäischen Viertel, wo meine Mutter Haushaltsutensilien kaufte, gehörten zu den Höhepunkten unserer Kindheit. Die europäischen Kleider, elektrischen Geräte, Schallplatten, Schmuck, Schreibwaren und gelegentlichen Spielsachen, die in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit dort zum Verkauf angeboten wurden, kosteten astronomische Preise. Wir wurden mit großer Geschwindigkeit durch das Kaufhaus geschleust und unsere Mutter legte es energisch darauf an, so schnell wie möglich wieder draußen zu sein.

»Sobald man Dinge besitzt, hat man bald keine Freude mehr an ihnen«, belehrte sie uns, sooft sich drei gierige Augenpaare auf die Objekte westlichen Glamours richteten.

»Kommt, gehen wir lieber zu Mister Cheap-Cheap!«

Die Gehwege neben »Kingsway« bestanden aus einem einzigen Gewirr von farbenfrohen einheimischen Marktständen mit ihren unvergesslichen Düften von Obst, Gewürzen und frisch gedruckten afrikanischen Stoffen, gemischt mit dem unangenehmen Fäulnis-Gestank der Müllberge, die jede Straßenecke schmückten. Frauen aus dem Stamm der Fulanis verkauften in der Stadt ihre Milch und liefen mit geschnitzten Holzbehältern (Kalebassen) voll frischer Milch auf dem Kopf durch die Straßen. Es war ein Phänomen, wie diese Frauen schwere Gewichte auf dem Kopf balancieren konnten, ohne eine Hand zur Hilfe zu nehmen. Oft hing auch ein Baby hinten auf ihrem Rücken in einem Tragetuch. Sobald ein Kind laufen konnte, musste es manchmal ein noch kleineres Kind auf dem Rücken tragen.

Erst hier auf dem Gehweg kam unsere Mutter richtig in Schwung. Herz und Seele dieses bunten Einkaufsparadieses war Mister Cheap-Cheap, dessen unüberhörbares Markenzeichen der penetrante Schrei »Cheap-Cheap!« war, den man in allen Winkeln des europäischen Einkaufsviertels hören konnte.

Unsere Mutter lernte bald nach ihrer Ankunft in Afrika genug Fetzen von Haussa, der Hauptlandessprache von Nordnigeria, um mit den Markthändlern feilschen zu können. Wenn ihr Haussa ausging, genügte das Pidgin-Englisch, das sie sich ebenso angeeignet hatte.

Man hatte den Eindruck, dass das Feilschen ihr weit mehr Spaß machte als das Einkaufen.

Das Feilschen war ein kleines Schauspiel, das genauen Regeln folgte, immer mit der gleichen Routine ablief und mit dem gleichen Ergebnis endete.

Mister Cheap-Cheaps Augen leuchteten auf, als er uns sah.

»Baturia, Sanu Sanu! (Weiße Frau, guten Tag!)«

»Madam, Madam! Paw-paw, pineapple, oranges – cheap cheap today! This pile of oranges, only two shilling!«

Damals hatten wir noch die britische Währung, Pounds, Shillings und Pence.

»Two shilling!«, rief meine Mutter mit gespielter Empörung, »for small small oranges? No, no, one shilling, Mister Cheap-Cheap, one shilling. Your oranges too small.«

»One shilling for fine oranges! Madam, you be crazy! They are biggest oranges in market, Madam!«, rief der hartnäckige Händler.

Inzwischen hatten sich einige Schaulustige gesammelt, die sich über die wild gestikulierende »Baturia« amüsierten, die forsch genug war, um es mit Mister Cheap-Cheap aufzunehmen.

Die afrikanischen Händler brachten immer etwas mit, was ihre europäischen Besucher nicht hatten: Zeit, viel Zeit.

Einkaufen, feilschen inklusive, war ein Ereignis, nicht etwas, was man zwischendurch als einen Tagespunkt unter vielen erledigte.

»One shilling six pence, Sir, that's enough! No more. I no buy expensive oranges. Come children, we go home.«

»No no, stay, Madam, One shilling nine pence, one shilling nine pence – no cheaper oranges in whole market. Come, Madam. You are kind and generous. One shilling nine pence for Mister Cheap-Cheap.«

Irgendwann einigte man sich – meistens, wenn unsere Mutter drauf und dran war, ihren Geldbeutel wieder wegzupacken – und, wie immer, auf einen Preis, der leicht über der Mitte der beiden anfänglichen Angebote lag. Die Stimmung wurde nie bösartig. Man wusste, dass Mister Cheap-Cheap sich mit seinen Einnahmen eine gute Existenz sichern konnte. Strahlend wie ein Honigkuchenpferd packte er die Orangen in eine braune Tüte ein, bedankte sich üppig mit vielen Verbeugungen und freute sich auf den nächsten Besuch.

Keine so gute Existenz führten dagegen die Bettler, die wie die Händler gierig auf irgendwelche Überreste aus europäischen Geldbeuteln und Einkaufstaschen warteten. Viele von ihnen waren Leprakranke, die sich auf eitrigen Stümpfen auf dem dreckigen Boden dahinschleppten. Das, was an Haut und Gliedern nicht von der heimtückischen Krankheit gefressen worden war, war oft durch Verbrennungen oder sonstige Verletzungen zerstört. Von Lepra befallene Körperteile haben nämlich keine Nerven mehr und somit kein Gefühl, fielen dadurch anderen Fressern zusätzlich zum Opfer.

»So Kinder, jetzt zu den Stoffen. Wir fangen morgen mit den neuen Röcken an.«

»Darf ich meinen Stoff selber aussuchen?«

»Ausnahmsweise. Dieses Mal nähen wir die Röcke aus drei verschiedenen Stoffen. Jede darf ihren selber aussuchen.«

Meine Mutter wusste, dass ich alles mochte, was merkwürdig duftete. Nicht nur kosmetische Produkte fanden mein Wohlgefallen. Reste der bunten afrikanischen Stoffe, aus denen unsere Kleider genäht wurden, wanderten gleich in meine Schatzkiste. Sie hatten einen leicht orientalischen Duft, der mich an den Markt erinnerte. Ich schmuggelte kleine Seifen und Gewürzbeutel in jeden Einkaufskorb und Mummy tat, als ob sie es nicht gemerkt hätte. Oft machten wir einen kurzen Abstecher in die Buchhandlung, weil ich den Duft von Papier und neuen Büchern so sehr mochte. Wenn sie gut gelaunt war, durfte ein Notizblock oder ein Stift mitwandern, auch für die Schatzkiste.

Benutzt wurden diese nie. Nur bewundert und aufbewahrt.

Ein Pferd tanzt den Tango

Sammlungen von alten Knochen, Seifen- und Stoffrestekollektionen, eine Rennbahn für Kakerlaken, ein Krankenhaus für Fliegen, ein Lernschwimmbecken für Kaulquappen, eine Eidechsenschule, ein Erholungsheim für zerdrückte Käfer – unsere Fantasiewelt uferte ins Grenzenlose aus.

Vielleicht hatte dies unter anderem damit zu tun, dass unsere Mutter Kleinkinderspiele mit Leidenschaft hasste und uns gerne in Ruhe ließ. Überhaupt war ihr Charakter ein Potpourri von unkonventionellen Widersprüchen. Sie behauptete lautstark, mit Babys nicht viel anfangen zu können, wurde aber von allem, was eine Windel anhatte, abgöttisch verehrt. Sie gab offen zu, eine Mutter aus Pflicht mehr als aus Leidenschaft zu sein. Sie bewachte uns aber – oft aus der Ferne – mit einem Engagement, das sie wiederum nur ungern offen zeigte. Sie pochte vehement auf die Wichtigkeit von Frauenbildung und Chancengleichheit, schwärmte aber gleichzeitig von den Vorzügen eines Hausfrauendaseins, das sie stolz und unverblümt als ihre Karriere bezeichnete. Ein einheimisches Kindermädchen zu engagieren, wie es bei den meisten europäischen Familien Sitte war, kam für sie überhaupt nicht infrage. Und all dies ohne eine Spur von Rechthaberei oder Frau-geh-zurück-an-den-Herd-Mentalität. Ganz im Gegenteil: Gerade bei ihr suchten Frauen Trost, die sich aus welchen Gründen auch immer ein unbeschwertes Hausfrauendasein nicht leisten konnten.

Pferde waren ihre ganze Welt. Wir lernten zu reiten, bevor wir richtig laufen konnten. Den Verlust der geliebten Zuchtpferde auf der Domäne in Ostpommern, auf der sie aufgewachsen war, machte sie dadurch wieder wett, dass sie bald nach unserer Ankunft in Afrika ein abgemagertes, junges arabisches Rennpferd auf dem Markt kaufte. Der Sattel kostete mehr als das Pferd selber und war in einem weit besseren Zustand. Meine Mutter fräste die ungepflegten Hufe des jungen Hengstes, die ihn fast zum Krüppel gemacht hatten, schabte Schichten von Zecken aus seinen Ohren, entlauste ihn mit hochgiftigen Chemikalien, die heute sicher verboten wären, und brachte ihn mit Milch und weichem Brot wieder auf die Beine. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie aus ihm ein elegantes, wendiges Reitpferd gemacht. Weil er die Gewohnheit hatte, immer wieder zierliche, kleine Tanzschritte zu machen, wann immer meine Mutter sich ihm näherte, nannte sie ihn Tango.

Tangos Pferdeäpfel wurden von Anfang an sorgsam aufgesammelt und dienten als wertvoller Kompost für das atemberaubende Blütenmeer, das meine Mutter nach und nach rund um unser Haus anlegte. Alles, was sie anfasste, schien zu blühen, und nach wenigen Monaten war unser Anwesen unter anderem dank des Pferdemists, den Tango lieferte, ein auffälliger Farbtupfer inmitten der braunen, staubigen Kulisse der künstlichen Sandberge, die die Zinngräben umsäumten. Zusätzliche Pferdeäpfel vom Straßenrand aufzusammeln (sie hatte bei Spaziergängen und Fahrten immer eine Tüte dabei) war eine von Mutters Gewohnheiten, die uns später nicht selten in Verlegenheit brachte. Manch ein Ausflug wurde unterbrochen mit »Halt, Roy – das ist genau das Richtige für die Bougainvillea-Pflanze!« oder »die Zitronenbäume brauchen heute etwas Dünger!« Unser Vater ermahnte uns, dankbar zu sein, dass es Pferdemist und nicht Kuhmist oder gar Hundemist war.