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Sei du selbst.

Lerne, durch dein Handeln Gefühle, Empfindungen und Farben zu

erschaffen wie der Maler, wie der Schöpfer des Universums.

In dir selbst liegt der Platz der größten Liebe.

Es gibt keinen anderen Ort um zu lieben.

Indianische Weisheit

Dieses Sachbuch beschreibt ein reales Fallbeispiel aus meiner Praxis. Die Namen aller beteiligten Personen und Handlungsorte sind jedoch frei erfunden.

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Evelyne Augustin ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Hypnosetherapeutin und Ernährungsberaterin aus Leidenschaft. Es ist ihr ein Herzensanliegen zu zeigen, dass man ohne Diäten, Zwänge, Verbote und Hungern zum Normalgewicht und damit auch zu mehr Lebensqualität und Lebensfreude findet. Evelyne Augustin lebt mit ihrem Mann in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz), wo sie auch ihre Praxis hat.

Evelyne Augustin

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Vom Übergewicht befreit

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Inhalt

Vorwort

1.   Wie alles begann

Psychische und physische Verletzungen

Ernährung im Kindesalter – Beginn der Beziehung zum Essen

2.   Meine Freundinnen lebten ihre Jugend – ohne mich

Programmierung vs. Selbstachtung

Wie wir mehr Selbstvertrauen gewinnen können

Warum Kalorienreduktion keine Lösung ist

3.   Lieber schlank und krank

Wie wir in Essstörungen getrieben werden

4.   Kein Single mehr

Wie wir mit Enttäuschungen umgehen sollten

Warum Diäten nicht nur sinnlos, sondern sogar gefährlich sind

Was ist gesundes und ungesundes Essen?

Warum wir den richtigen Umgang mit uns selbst wieder lernen müssen

5.   Endlich schwanger

Warum es so wichtig ist, sich selbst zu lieben und geliebt zu werden

Die Wahrheit über Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate

Ernährung für Schwangere

Die Mikrowelle

6.   Das Gewicht steigt – die alten Muster bleiben

Semi-Happiness-Ehen / Tipps für Paare

Diät-Pillen

Mythen: Dicke und Diäten

Light-Produkte

Eiweiß

7.   Der Tag der Erkenntnis

Die Wahrheit – und eine Chance

Wie unser Körper auf Belastung und Überforderung reagiert

8.   Diesmal kann ich es schaffen

Verlustängste – Ursachen und Therapiewege

Siebzehn Diätlügen

9.   Die etwas andere Ernährungsberatung

Ernährungsform Metabolic Typing / Der individuelle Stoffwechseltyp

Das autonome Nervensystem (ANS)

Das Verbrennungssystem

Das Drüsensystem

10. Ich lerne mein Unterbewusstsein kennen

Psychodynamik und Übergewicht

Was ist überhaupt Hypnose?

11. Jetzt wird aufgeräumt

Vom Gepäck befreit. Ein Schlusswort

Wie ernähren wir uns richtig oder:
Wie viele Lebensmittelskandale brauchen wir noch?

Metabolic Typing im Überblick

Die Drüsentypen

Kleiner Leitfaden für eine gesunde Ernährung im Überblick

Infos / zum Weiterlesen (Auswahl)

Danksagung

Vorwort

Dieses Buch widme ich allen Leserinnen und Lesern, die mit ihrem Übergewicht kämpfen, daran verzweifeln, den Kampf gerade begonnen oder aufgegeben haben. Denen die Wörter Diät, Hungern und JoJo-Effekt vertraut sind – auf sicher unangenehme Art und Weise.

Warum liegt mir das Thema Diäten besonders am Herzen? Ich bin nicht nur Heilpraktikerin für Psychotherapie und Ernährungsberaterin, sondern auch eine Frau, die selbst alle möglichen Erfahrungen mit Diäten gemacht hat. Ich gehe also meinem Beruf nicht nur mit Leidenschaft nach, sondern bringe jede Menge eigene Erfahrungen ein. Kurzum: Ich weiß, wovon ich schreibe.

Bereits als junge Frau beobachtete ich mit Entsetzen an mir, dass „allgemeingültige“ Ernährungsempfehlungen nicht funktionierten. Und wie es schien, nicht nur bei mir, sondern bei vielen anderen Frauen auch. Ich begann, den gesellschaftlichen Umgang mit den Themen Ernährung, Gesundheit und Gewicht zu beobachten, vor allem was die Beeinflussung durch Medien und Werbung betraf. Nicht selten war ich fassungslos. Das ist bis heute so geblieben.

Mit diesem Buch möchte ich zeigen, warum Diäten auf Dauer nicht funktionieren. Warum sie uns oftmals die Lebensqualität nehmen und dadurch auch die Lebensfreude. Warum sie uns nicht aus der Krise herausholen, sondern eher tiefer in die Krise bringen. Auf körperlicher und emotionaler Ebene. Und warum wir aufhören sollten, einem Ideal entsprechen zu wollen, anstatt unsere eigenen Werte und Potenziale zu finden und zu nutzen – egal ob mit oder ohne Übergewicht.

In meiner Praxis erlebe ich tagtäglich Patientinnen, die sich mit Diäten geplagt und sich damit nur noch neue Probleme geschaffen haben. Die sich in diesem Teufelskreis bewegen und den Blick für die Realität verloren haben: für ihre eigene Realität.

Eines Tages kam Marianne (Name geändert) in meine Praxis. Ihre Geschichte, die sie mir erzählte, war so unglaublich und gleichzeitig beispielhaft für viele meiner Patientinnen mit Übergewicht, dass ich Marianne fragte, ob ich ihre Geschichte aufnehmen und niederschreiben darf.

Marianne, 47 Jahre, war bis vor zwei Jahren mit 160 Kilogramm Körpergewicht und einer Größe von 165 Zentimetern extrem übergewichtig. Sie erzählte mir in der ersten Therapiestunde, wie ihre Essstörung im Kindesalter begann, sich im Jugendalter zu einer ernsthaften Gefahr entwickelte und letztlich ihr Leben prägte. Nach vielen Jahren und vielen gescheiterten Kuren und Diäten war sie in meiner Praxis gelandet. In zwei Jahren intensiver Begleitung und Therapie gelang es mir, Marianne zum Normalgewicht zurückzuführen.

Ich werde Mariannes Erzählung mit Kommentaren, Hinweisen und Tipps begleiten – und zwar bewusst nicht im Fachjargon, sondern einfach und sachlich. So werde ich die Hintergründe erläutern und erklären, was bei bestimmten „Diätfehlern“ passiert, was Marianne zum Übergewicht geführt, was sie richtig und was sie falsch gemacht hat. Teilweise gehen meine Anmerkungen (das große „E“ steht für die emotionale Ebene, das große „K“ für die körperliche Ebene) über die Themen Diät und Ernährung hinaus, doch sie gehören einfach dazu. Denn letztlich geht es nicht nur um die angeblichen Dickmacher, Fett und Eiweiß, sondern es gibt noch weit mehr Parameter, die zu Übergewicht führen können. Mein Buch ist kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Ratgeber, den das Leben schrieb und der auf meinen Erfahrungen beruht.

So können und sollen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, aus diesem Buch vor allem Mut schöpfen. Es ist möglich, Übergewicht zu reduzieren, es endlich „richtig zu machen“ und sich wohl zu fühlen. Sie sollen erkennen, dass Sie Ihr Äußeres verändern können, dass Sie nicht auf ewig gefangen sein müssen in Ihrem Körper. Aber Sie können auf diesem Weg lernen, Ihr Inneres wertzuschätzen und sich selbst zu lieben. Ihr Äußeres und Ihr Inneres gehören untrennbar zusammen und bilden eine Einheit.

Noch eine Anmerkung. Natürlich gibt es viele Ernährungsformen, die gerade im Hinblick auf Gewichtsabnahme und ein gesundes Leben diskutiert werden. Jeder Vertreter dieser Ernährungsformen hat naturgemäß seine eigene Meinung dazu. Meine Anmerkungen basieren in vielen Fällen aus den Erkenntnissen des Metabolic Typing (Weitere Informationen dazu finden Sie in diesem Buch ab Seite 159). Als ich eines Tages diese Ernährungsform kennenlernte und sie ausprobierte, begriff ich schnell, dass dies die Lösung für viele Frauen (und Männer) sein könnte. Vor allem aber basieren meine Erkenntnisse auf langjährigen Erfahrungen in meiner Praxis.

Die Tipps in diesem Buch können zur Prävention genutzt werden, ersetzen bei Beschwerden aber nicht den Besuch beim Arzt oder Heilpraktiker.

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1. Wie alles begann

Marianne

Mein Vater war ein angesehener Beamter, ein „Diener des Staates“, wie er sich immer stolz bezeichnete. Meine Eltern, meine Schwester Sybille und ich lebten in einem kleinen Reihenhaus nahe Hamburg. Vater legte stets viel Wert darauf, dass die Fenster blank geputzt waren und im Vorgarten kein Unkraut wuchs. Alle Hausarbeiten erledigte meine Mutter, so gehörte es sich in den sechziger Jahren. Der Mann ging arbeiten, und die Frau kümmerte sich um die Kinder, Haus und Garten. Meine Schwester Sybille konnte ich nicht leiden. Sie schien alle beliebten Wesenszüge zu haben, die ich nicht hatte. Außerdem war sie sehr hübsch und dünn, was meinen Vater besonders mit Stolz erfüllte. Vielleicht, so denke ich heute aus der Sicht einer erwachsenen Frau, wäre das Verhältnis zu ihr heute ein besseres, wenn sie mir nicht früher immer als glänzendes Vorbild vorgehalten worden wäre.

Meine ersten negativen Erfahrungen sind mit Essen, genauer: mit dem gemeinsamen Essen am Familientisch verbunden. Ich erinnere mich gut, dass mein Vater außer sich vor Zorn war, wenn ich meinen Teller nicht leer aß. Wenn ich wagte zu sagen, dass ich keinen Hunger mehr hatte oder bald „platzte“, wurde ich in mein Zimmer geschickt. Ich beeilte mich dann immer, vom Esstisch aufzustehen und in mein Zimmer zu gehen. Dort fühlte ich mich vor Vaters ständigen Nörgeleien und Maßregelungen sicher. Meine Mutter schritt nicht ein. Natürlich weiß ich heute, dass sie einfach nicht den Mut hatte, sich über meinen Vater hinwegzusetzen. Sie gab mir immer nur zu verstehen, dass es mein Vater früher nicht leicht hatte. Ich war damals vielleicht acht, neun Jahre alt und hatte natürlich keine Ahnung, was sie damit meinte. Wir lebten ja nicht schlecht. Aber all ihre Erklärungen für das Verhalten meines Vaters blieben unklar. „Weißt du, Marianne, dein Vater ist eine wichtige Person auf dem Amt. Aber er kann nicht einfach tun, was er will. Darum ist es ihm wichtig, dass alle Menschen immer nur das Beste über ihn denken.“ Ich wurde aus Mutters Worten nicht schlau. „Aber Mutter, die Menschen sehen doch nicht, ob ich meinen Teller leer gegessen habe oder nicht.“ Daraufhin hörte ich immer nur den Satz: „Ach, Marianne, das verstehst du nicht.“ Richtig, ich verstand es nicht. Jetzt, als erwachsene Frau, beginne ich erst langsam zu begreifen, was sie damals mit diesem Satz meinte. Dass sie Vater gegenüber hilflos war und sich nicht gegen ihn wehren konnte. Dass sie mich mit diesem Verhalten alleine ließ – schutzlos – das könnte ich ihr natürlich heute vorwerfen. Daran denke ich oft, wenn ich meinen Sohn betrachte. War es meiner Mutter nicht bewusst, was sie tat? Sie verriet ihr eigenes Kind.

Wenn wir ins Kino gingen oder irgendwo eingeladen waren, musste ich immer aussehen wie eine Prinzessin. Niemals duldete mein Vater einen Riss oder Flecken auf meiner Kleidung. Wenn andere Kinder miteinander auf dem Spielplatz tobten, stand ich abseits, aus Angst, mich schmutzig zu machen. Das Allerschlimmste war für mich, dass ich bei jeder Gelegenheit essen musste. „Essen ist ein Zeichen des Wohlstands“, pflegte mein Vater zu sagen. Ich musste essen, bis ich fast platzte. Wir frühstückten zum Beispiel jeden Morgen um viertel vor Sieben – auch samstags und sonntags. Vater interessierte es nicht, ob ich müde war und ausschlafen wollte. Nein, ich musste früh aufstehen und frühstücken. Wieder musste ich Unmengen essen. Jeden Mittag, nach der Schule oder am Wochenende, gab es ein reichliches Mahl – ob ich hungrig war oder nicht. Jeden Nachmittag, Punkt halb Fünf, wenn Vater aus dem Büro kam, gab es eine Tasse Kakao und Kuchen. Es war Vater egal, ob ich gerade Hausaufgaben machte, mit Freunden spielte oder im Schwimmbad war. Ich musste nach Hause kommen und essen. Das verstehe ich bis heute nicht. Normalerweise wacht die Mutter über die Hausaufgaben und sollte ihr Kind liebevoll unterstützen. Aber nein, das Essen war wichtiger. Jeden Abend, genau sieben Uhr, gab es Abendbrot. Ich glaube, ich brauche nicht erwähnen, dass mein Vater nicht fragte, ob ich hungrig sei. Nein, ich musste zu Abend essen, und zwar reichlich.

Ich erinnere mich an einen Morgen in der Schule. Wir schrieben das Jahr 1976, ich war zehn Jahre alt. Uns wurde Dr. Werner vorgestellt, der gekommen war, um alle Schüler zu untersuchen. Wir wurden abgehört, vermessen und gewogen. Der Doktor war zu mir besonders streng, er stellte fest, dass ich für mein Alter fünf Kilogramm zu viel wog. Ich war 131 Zentimeter groß und die Waage zeigte 38 Kilogramm. Er gab mir ein Schreiben für meine Eltern mit. Natürlich wusste ich nicht, was drin stand, aber ich ahnte, dass es nichts Gutes bedeutete. Mit einem mulmigen Gefühl ging ich an diesem Tag nach Hause. Mutter wartete mit dem Essen auf mich. Sie merkte wohl, dass ich etwas auf dem Herzen hatte, und fragte mich: „Hast du schlechte Noten mit nach Hause gebracht, oder warum schaust du so?“ Ich übergab ihr wortlos den Brief vom Doktor und schaute sie ängstlich an. Meine Mutter las den Brief und sagte dann: „Hier steht, dass du übergewichtig bist.“ Daraufhin schaute sie mich streng an und fragte mich allen Ernstes: „Wieso bist du übergewichtig?“

Es war so ungerecht, dass es mich bis heute wurmt. Als Kind hatte ich natürlich keine Antwort darauf. Dann sagte sie mir, dass ich warten solle, bis mein Vater nach Hause käme. Das klang nicht nur wie eine Drohung, es war eine. Ich hatte immer mehr das Gefühl, etwas Schlimmes verbrochen zu haben. Als Vater (wie immer pünktlich halb fünf) nach Hause kam, zog meine Mutter ihn gleich ins Wohnzimmer, wo sie hinter verschlossener Tür miteinander sprachen. Ihre Stimmen wurden lauter, und ich glaube, sie stritten sich. Nach einer Weile kamen sie mit hochrotem Kopf aus dem Wohnzimmer und schoben mich in die Küche. Mein Vater setzte sich mir gegenüber und sagte: „Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, übergewichtig zu werden. Deine Schwester Sybille ist es nicht, natürlich hat sie sich besser im Griff. Aber ich sehe nicht ein, mich schon wieder über dich aufzuregen. Wir werden gleich morgen zu Dr. Werner fahren und er wird dir sicher eine Diät verordnen. Es kann nicht sein, dass meine Tochter aus der Norm fällt und übergewichtig ist! Eine solche Schande kann und will ich nicht akzeptieren, verstehst du das?“

„Nein“, antwortete ich. Diese ehrliche Antwort wurde mir als Frechheit ausgelegt, und mein Vater verlangte, mich zu fügen. Ich war verzweifelt. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was ich verbrochen hatte. Ich ahnte nur, dass es schlimm war, warum sonst reagierte Vater so? Ich begriff nicht, was meine Schwester damit zu tun hatte. Was bedeutete es, dass sie sich „im Griff“ hatte und ich mich nicht? Sybille war zwei Jahre älter als ich und im Grunde das genaue Gegenteil von mir. Sie war lang und dünn und immer fröhlich. Ich höre heute noch ihr Lachen, das schier den ganzen Tag durch das Haus hallte. Ich dagegen war immer irgendwie traurig. Vielleicht lag es daran, dass ich nicht so hübsch und lustig war wie Sybille. Nun wurde sie mir vorgehalten. Das tat weh. Ich beschloss, abzuwarten, was Dr. Werner morgen sagte. Vielleicht konnte er mir erklären, was los ist.

Dr. Werner war ein netter Arzt. Er gab uns Kindern nach jeder Behandlung ein paar Bonbons in die Hand. Er wog mich ebenfalls und stellte allerlei Untersuchungen mit mir an. Er kratzte sich am Kinn und sagte zu meinen Eltern:

„Ja, ich kann es nur bestätigen. Die Kleine ist zu dick.“

Aha – zu dick. Jetzt wusste ich wenigstens, was los ist.

„Und was macht man, wenn man zu dick ist?“, fragte ich Dr. Werner.

„Nun, dann muss man abnehmen.“

„Was ist abnehmen?“, fragte ich ahnungslos.

Er erklärte mir, dass ich jetzt nicht mehr viel essen dürfte und nur Sachen, die nicht dick machen.

„Warum?“

„Weil du sonst nicht gesund sein kannst“, antwortete er.

„Bist du auch nicht gesund, Doktor Werner?“, fragte ich ihn arglos.

Klatsch – schon hatte ich mir eine Ohrfeige von meinem Vater eingefangen. „Aber Dr. Werner ist doch dick“, rief ich aufgebracht und rieb mir die brennende Wange. Klatsch – die zweite Ohrfeige. Auf die andere Wange. Ich fing an zu heulen, während sich mein Vater bei Dr. Werner für mein Benehmen entschuldigte. Diese Ungerechtigkeit konnte ich nicht begreifen. Dr. Werner zog ein dickes Bündel Papier aus seiner Schublade und überreichte es meinen Eltern. Es war der Diätplan – wobei ich natürlich damals mit diesem Wort überhaupt nichts anfangen konnte. Er wies meine Eltern an, den Diätplan so lange einzuhalten, bis ich die fünf Kilogramm Übergewicht wieder los war. Ich sehe noch, wie mein Vater ehrfürchtig das dicke Bündel Papier in Empfang nahm und dann einen kleinen Diener machte. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Leise fragte er den Doktor: „Wir können doch mit Ihrer Diskretion rechnen? Ich meine – es erfährt doch niemand von Mariannes Übergewicht?“

Daraufhin sagte Dr. Werner: „Natürlich nicht. Zumindest nicht von mir. Aber sehen können es alle.“

Entsetzt starrte ich den dicken Dr. Werner an. Was? Man sah mir mein Übergewicht an?! War das schlimm? Und Vater musste sich für mich schämen? Ich ahnte, dass Übergewicht etwas Furchtbares sein musste und weinte vor Angst.

Kaum waren wir zuhause angekommen, räumte meine Mutter die „Paradies-Schublade“, wie ich sie liebevoll nannte, aus. Die Schublade war gefüllt mit den herrlichsten Süßigkeiten. Schokolade, Gummibärchen, Lakritze. All das verschwand in Sekundenschnelle in einer großen Plastiktüte. Mein Vater beschloss, die Tüte mit ins Amt zu nehmen, den Kollegen eine Runde Süßigkeiten auszugeben und dem Oberstaatsanwalt gleich die größte Tafel Schokolade zu schenken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nicht mehr um mich ging. Eigentlich war ich erleichtert. Auf Schokolade konnte ich am ehesten verzichten. Jeden Morgen musste ich eine Tafel mit in die Schule nehmen – ob ich wollte oder nicht. Mein Vater bestand darauf, dass ich die Schokolade anderen Kindern anbiete, denn „die meisten können sich doch keine leisten“. Die Kinder „sollen ruhig wissen, dass wir jeden Tag Schokolade essen und sie sogar verschenken können“. Mir war das peinlich. Die Kinder lachten schon über mich, weil ich jeden Morgen ein Opfer suchte, dem ich meine Schokolade geben konnte. Aus dem Grund hatte ich mir mittlerweile angewöhnt, sie im Schulhof in den Müll zu werfen. Doch nun musste ich Diät machen. Ich fragte meinen Vater, ob ich die Schokolade weiterhin mit in die Schule nehmen musste. Stellen Sie sich vor: Ich musste! Ich sollte sie weiterhin den anderen Kindern anbieten.

„Aber wenn ich erfahre, dass du davon gegessen hast, kannst du dich auf ein Donnerwetter gefasst machen, klar?“

Ich nahm die Schokolade brav wie immer mit in die Schule – und warf sie dort in den Müll.

Meine Mutter nahm derweil ihre Rolle als meine persönliche Diät-Köchin sehr ernst. Peinlich genau wog sie mein Essen ab und portionierte es übersichtlich auf meinem Teller. Dem ersten Diät-Tag sah ich noch voller Spannung entgegen und wartete darauf, dass ich endlich etwas Vernünftiges essen durfte. Doch ich wartete umsonst. Mein Frühstück sah beispielsweise so aus: eine geraspelte Karotte auf einer Scheibe Knäckebrot und ein halbes Glas Buttermilch. Als Zwischenmahlzeit in der Schule gab es einen kleinen Apfel. Wenn ich nach Hause kam, wurde mir ein kleiner Gurkensalat gereicht, natürlich nur mit Gemüsebrühe. Kein Öl, keine Sahne – nichts. Nachmittags fand ich ein halbes Stück Obst auf meinem Teller, während meine Eltern, ihrem Ritual folgend, ein Stück Kuchen und eine Tasse Kakao hatten. Zum Abendbrot durfte ich dann – damit ich nicht „zu schwer“ aß – den Rest Gurkensalat vom Mittag essen. Danach musste ich ins Bad, um mich zu duschen. Ich weiß noch, wie schwer es mir fiel, in die Duschwanne zu steigen, weil ich so schwach war. Ich fühlte mich bestraft, ohne zu wissen, wofür. Meine Eltern änderten ihre Gewohnheiten nicht. Ihre Devise lautete nach wie vor: Essen ist ein Zeichen des Wohlstands.

Es war eine schreckliche Zeit. Ich war ständig schlapp und müde, konnte mich kaum auf den Beinen halten und mich in der Schule nicht konzentrieren. Aber ich litt nicht nur körperlich. Viel schlimmer empfand ich es, dass es meinen Eltern egal war, sie sogar zuschauten, wie ich mich durch den Tag quälte. Sie nahmen das alles in Kauf. Beziehungsweise: Es interessierte sie nicht. Es schien ihnen bedeutend wichtiger zu sein, dass ihr Kind wieder „normal“, also normalgewichtig wird. Nach einigen Wochen hatte ich vermutlich die fünf Kilogramm Übergewicht verloren, denn nun durfte ich endlich wieder essen. Ich musste wieder teilnehmen am „Beweis des Wohlstands“, wie ich es heute nenne, musste wieder vier Mahlzeiten zu mir nehmen, und das reichlich. Doch was soll ich sagen: Es dauerte nicht lange, bis ich wieder zu viel Gewicht hatte. Das Ganze begann von vorn. Dr. Werner wog mich, stellte sieben Kilogramm Übergewicht fest, mein Vater wurde wütend auf mich, weil ich schon wieder „undiszipliniert“ war. Meine zweite Diät begann, diesmal gepaart mit einem vierwöchigen Hausarrest – „Strafe muss sein“, argumentierte mein Vater.

Evelyne

Psychische und physische Verletzungen

Hier nimmt eine fatale Entwicklung ihren Anfang. Aus Mariannes Erzählungen ist zu schließen, dass der Vater kein sehr selbstsicherer Mensch war und ihm es daher extrem wichtig war, was andere Menschen von ihm dachten. Er lebte in einer selbst erschaffenen Scheinwelt, in der seine Frau und seine beiden Töchter die Rolle der glücklichen, anständigen Familienmitglieder übernehmen mussten. Er definierte sein Können und seine Leistung über das Essen. Als Nachkriegskind hatte er gelernt, dass üppiges Essen ein Beweis für Wohlstand und Fleiß sei. Dieses Denkmuster hat ihn nachhaltig und stark geprägt. Mariannes Mutter schien abhängig von ihm gewesen zu sein, was zu dieser Zeit in manchen Familien nicht ungewöhnlich war. Eine Frau war zuständig für die Familie, hatte „dankbar“ zu sein für die Rolle, die ihr aufgetragen wurde, und sich zu fügen. Daher konnte Marianne von ihr keine Unterstützung erwarten. Ihre Schwester Sybille schien ein „Vorzeige-Kind“ gewesen zu sein. Fröhlich, hübsch anzusehen und schlank. Wer erinnert sich nicht an das Jahr 1966, als Twiggy im zarten Alter von sechzehn Jahren weltberühmt wurde? Welche Frau wollte nicht schön und dünn sein wie Twiggy? Vielleicht war das der Grund, warum der Vater seine Tochter Sybille vorzog. Sie entsprach dem Ideal seiner Jugendzeit. Marianne hatte nicht das Glück, dass ihr Stoffwechsel das viele Essen so verarbeitete, wie es der von Sybille tat. Marianne nahm dadurch bereits im Kindesalter zu, aber der Vater zeigte nur, dass ihm die Äußerlichkeit seiner Tochter Marianne wichtiger war als deren Gesundheit. Physisch und psychisch. Es ist nicht zu verstehen, dass das Kind mit zehn Jahren seine erste extreme Diät beginnen musste. Nicht nur das: Marianne erfuhr von dem Arzt (eigentlich eine Vertrauensperson!), dass jeder Mensch sehen konnte, welche „Schande“ sie ihren Eltern bereitete.

Was die psychische Seite anbelangt, wurde das Kind meiner Meinung nach „seelisch vergewaltigt“. In diesem Alter benötigt es dringend die Liebe und Anerkennung der Eltern, damit es seine Potenziale und Fähigkeiten entdecken und entwickeln kann. Damit es lernen kann, mit positiven und negativen Gefühlen umzugehen. Dies wurde Marianne brutal verwehrt, indem sie in dem Glauben erzogen wurde, dass das Essen mehr Wert habe als die Liebe der Eltern. Darüber hinaus gab der Vater ihr das Gefühl, sie sei schuld an ihrem Übergewicht. Schuld an der Schande, die sie über die Familie brachte, und an dem mit ihr verbundenen zerrütteten Ansehen. Und die Bevorzugung seiner ältesten Tochter Sybille tat ihr Übriges. Knallhart wurde Marianne stets deutlich gemacht, wie liebenswert Sybille durch ihre äußere Schönheit war. Wie wertvoll. Wie gesellschaftsfähig. Marianne lernte, dass sie voller schlechter Eigenschaften war. Ich glaube nicht, dass Mariannes Vater ihr die Liebe in böser Absicht verwehrte; er war vermutlich selbst ein Gefangener seiner Kindheitsmuster, hatte Verletzungen erfahren. Aber Marianne hat so nie gelernt, mit ihren Gefühlen umzugehen, und entwickelte sich zu einem Menschen voller Selbstzweifel und mangelndem Selbstwertgefühl. Marianne verarmte emotional.

Ernährung im Kindesalter –
Beginn der Beziehung zum Essen

Eine vernünftige Ernährungsweise ist gerade im Kindesalter wichtig. Ein Kind sollte lernen, naturbelassene, vitaminreiche Lebensmittel zu essen und maßvoll mit Süßigkeiten umzugehen. Heute wissen wir, dass es nicht nur wichtig ist, wie viel wir essen, sondern vielmehr, was wir essen.

Süßigkeiten werden heute oft als „Druckmittel“ in der Kindererziehung eingesetzt. „Wenn du nicht brav bist, bekommst du keinen Nachtisch.“ Oder als Belohnung. Die Kinder lernen so, dass Süßigkeiten etwas Besonderes und Wertvolles sind. Wollen wir das? Dabei sollen sie eher lernen, bewusst und mit Freude zu essen: auch weil sie auf diese Weise ihre Gesundheit selbst in der Hand haben. Viele Krankheitsbilder haben ernährungsbedingte Ursachen. Haben wir das erst einmal verstanden, kann sich unsere Einstellung zu einer Ernährungsumstellung ändern. Plötzlich geht es um mehr als um Kalorien und Gewicht. Im Erwachsenenalter öffnen sich so neue Wege und es wird einem klar, dass gesundes Essen zur Krankheitsvermeidung und sogar zur Besserung beitragen kann. Unsere Gesundheit ist auf Dauer nicht mit körperfremden Hilfsmitteln zu erhalten. Im Falle der Ernährung ihrer Kinder sind die Eltern gefragt, ein gutes Vorbild zu sein. Was Kinder in jungen Jahren über den Umgang mit Essen lernen, werden sie ins Erwachsenenalter mitnehmen.

Darüber hinaus ist es die Aufgabe der Eltern und der Schule, Kindern beizubringen, dass Essen auch sozial wichtig ist, d.h. in der Gemeinschaft Spaß macht. Gemeinsames Essen in Familie oder im Hort an einem Tisch – viele Kinder dürfen das nicht erleben.

Einige Tipps zu Nahrungsmitteln:

Industriell gefertigte Produkte sind oft überzuckert, der Geschmackssinn des Kindes wird in eine bestimmte Richtung gelenkt. Es beginnt schon im Babyalter, wenn Babys den angeblich „gesunden“ Tee trinken. Die Zeitschrift Öko-Test hat im August 2011 einen Test mit haarsträubenden Ergebnissen veröffentlicht: So wurden unter anderem Mineralöl-Rückstände (vermutlich aus den Druckfarben auf der Verpackung) in Beuteltees gefunden. Mineralöle können in Herzklappen, Lymphen und Leber Schäden anrichten.

Oft finden sich nur Angaben wie „Maltodextrin“ oder „Glucosesirup“ auf der Verpackung. Kaum ein Verbraucher weiß, dass es sich um Zucker handelt, der nicht als solcher angegeben werden muss. Bei Babytees fanden sich in einem Liter umgerechnet 16 Würfelzucker. Wenn dann noch damit geworben wird, wie „gesund“ ein solcher Tee ist, kann dies nur noch als Frechheit (oder vorsätzlicher Betrug?) angesehen werden. Kinder sind in den ersten Lebensjahren neugierig und wollen alles wissen. Eine Riesenchance, ihnen in dieser Zeit den Geschmack naturbelassener (d.h.: in ihrer natürlichen Substanz unverändert, ohne fremde Zusätze) Lebensmittel zu vermitteln, sie an Produkte heranzuführen, die uns die Natur unverfälscht liefert. Kinder können, wie wir Erwachsenen, süß, sauer, salzig und bitter unterscheiden. Allerdings ist die Vorliebe für Süßes angeboren. Schon die Muttermilch hat einen süßlichen Geschmack.

Gesundes Essen im Kindesalter ist aber auch wichtig, weil die damit aufgenommenen Nährstoffe „Treibstoffe“ sind: Fehlen diese, sind wir schlapp, unkonzentriert und gereizt.

In meiner Ernährungsberatung mit Kindern habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie sehr viel ausgeglichener werden, wenn sie natürliche Lebensmittel zu sich nehmen, wie Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch. Und wenn sie Süßigkeiten mit Aspartam, gesüßte Getränke und fertige Produkte meiden. Jetzt werden Sie vielleicht sagen: „Aber wie soll das gehen? Ich kann meinem Kind doch so etwas nicht verbieten?“ Nein, das sollten Sie auch nicht. Aber ich möchte wieder an Ihre Vorbildfunktion erinnern: Sollten die Kinder nicht von uns lernen? Wenn wir ihnen eine gesunde Lebensweise vormachen, haben die Kinder sicherlich weniger Probleme, diese auch zu übernehmen. Damit vermeiden Sie bei Ihrem Kind Übergewicht.

Unser Körper hat etwa sechs Millionen Fettzellen. Wenn Babys oder kleine Kinder bis zum Alter von fünf Jahren „überernährt“ werden, vermehrt deren Körper die Anzahl der Fettzellen auf das Doppelte. Bleibt das Kind dick, wird es im Erwachsenenalter oft fettleibig – und es sehr schwer haben, abzunehmen. Übrigens gibt es die gefürchtete Krankheit „Altersdiabetes“ bereits im Kindesalter. Im Jahre 2004 wurde ein fünfjähriger Junge aus Leipzig weltberühmt, weil er an Diabetes II erkrankt war.

Ein weiteres wichtiges Thema, was die Ernährung eines Kindes (gilt ebenfalls für Erwachsene) angeht, sind Zusatzstoffe. Ich möchte nur auf die zwei am weitesten verbreiteten Stoffe eingehen: Glutamat und Aspartam.

ZUSATZSTOFFE

Glutamat (E 621):

Der Heidelberger Alzheimerforscher Konrad Beyreuther sagte: „Glutamat wirkt in höherer Konzentration als Nervenzellgift. Zu viel Glutamat bringt uns um den Verstand.“ Im Normalfall schützt die Blut-Hirn-Schranke unser Hirn vor dem Eindringen giftiger Stoffe. Glutamat aber kann diesen natürlichen Schutz durchbrechen. Das heißt, giftige Substanzen, wie etwa Aluminium, könnten direkt ins Hirn gelangen. Aluminium spielt bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit eine wesentliche Rolle. Aluminium gibt es beispielsweise in belasteten Nahrungsmitteln, in Verpackungen (Dosen-Getränke, Dosen-Suppen, Dosen-Fisch) und in Kosmetik. Da aber dieser natürliche Schutz, die Blut-Hirn-Schranke, bei kleinen Kindern durchlässiger ist, könnten diese Gifte leichter ins Hirn eindringen. Liebe Eltern: Wollt ihr das? (Das „Flexikon“ definiert die Blut-Hirn-Schranke wie folgt: „Die Blut-Hirn-Schranke ist eine selektiv durchlässige Schranke zwischen Hirnsubstanz und Blutstrom, die den Stoffaustausch im Zentralen Nervensystem (ZNS) kontrolliert. Stoffe, die nicht ins ZNS gelangen sollen, werden am Durchtritt durch die Kapillarwand gehindert.“)

Aspartam (E 951):