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Michael Meisheit

Irgendwas ist immer - Mein Tag-e-Buch





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

 

Vier Jahre aus meinem Leben. Das Jahrtausend war jung, ich nicht mehr ganz so. Mit Anfang dreißig entdeckte ich die Internetcommunity jetzt.de – ein Ableger des Jugendmagazins der Süddeutschen Zeitung. Die Website war Facebook und eigener Blog in einem, bevor es Facebook und Blogs für alle überhaupt gab. Man schrieb Tagebuch. Öffentlich. Ich tat es mit Lust und Leidenschaft. Zig Texte sind dabei entstanden. In diesem eBook sind nun meine Lieblingstexte versammelt. Was darin steht, ist alles genau so passiert. Und wenn nicht, dann merkt man das schon ...

 

 

Lieber Michael aus dem Jahr 1983

 21.1.2003

 

 Wer, wenn nicht ich, weiß, wie sehr Du es hasst, wenn man Dir das Ende eines Films vorab erzählt? Deswegen will ich Dir auch gar nicht zu viel über Deine Zukunft verraten. Aber ein paar kleine Hinweise – so unter Freunden – können doch nicht schaden, oder?

 Du bist vielleicht noch ein wenig zu klein, um das jetzt so richtig zu verstehen. Aber falls Du eines Tages auf die wirklich sehr süße Idee kommen solltest, dass Du mit dem ersten Sex besser warten solltest, bis die Eine, die Wahre, die Einzige kommt, dann ... also ich will Dir ja nicht den unglaublichen Spaß am Warten nehmen ... aber die Eine, die Wahre, die Einzige freut sich ganz sicher ein Loch in den Bauch, wenn Du in den wichtigen Momenten weißt, was wohin gehört, und bereits einen gewissen Erfahrungsschatz in Eure Beziehung einbringen kannst. Nur mal so als Gedanke.

 Und falls Du in ein paar Jahren mal zufällig in Griechenland Urlaub machen solltest und in einer Dorfdisco ein hübsches Mädchen aus Österreich kennenlernst, dann ist es sicher schnuffig, bei ihr auf schüchtern und zurückhaltend zu machen, obwohl sie offensichtlich Nähe sucht. Aber es könnte ja passieren, dass sie – und das ist jetzt nur reine Theorie – später heimlich mit Deinem besten Freund knutscht. Und so sehr Du den auch magst, er ist ja Dein bester Freund und hätte Dir diese schöne Erfahrung sicher auch gegönnt.

 Gut, es spricht nicht wirklich etwas dagegen, fortwährend in schwarzen Stoffhosen und mit kuscheligen Pullis oder Polohemden herumzulaufen. Und auch die immer gleichbleibende Kurzhaarfrisur hat ganz sicher ihre Vorteile – wenig Pflegeaufwand und man wird sofort erkannt. Aber falls Du irgendwann Langeweile hast, guck doch mal beim Kaufhof in Wiesdorf bei der jungen Mode. Diese blauen Hosen – Jeans genannt – sind nicht so schlecht. Und der Opa-Friseur von deinem Stiefvater ist auch nicht der einzige in der Stadt. Sogar die Problematik um die Eine-Wahre-Einzige könnte man dann vielleicht noch einmal in einem anderen Licht betrachten ...

 Zur Schule nur drei Worte: Das geht vorbei!

 Es könnte sein, dass Du eines Nachts mit Freunden durch die Gegend fährst und vor lauter Langeweile dieses schwerwiegende Bedürfnis bekommst, einen Stapel Zeitungen vom Pförtner der Bayerwerke zu klauen. Kennen wir alle, ist nicht weiter schlimm. Auf die Frage, was Du mit 40 Ausgaben des Leverkusener Stadt-Anzeigers willst, möchte ich gar nicht eingehen. Aber denk doch bitte kurz darüber nach, ob der Hauptpförtner eines der größten Chemiekonzerne der Welt nicht vielleicht eine Videoüberwachung hat. Und das Kennzeichen von Peters Auto ist eigentlich recht gut beleuchtet. Oder?

 Ja, unsere Mutter ist anstrengend. Das wird auch noch schlimmer. In dem Zusammenhang muss ich Dir mal eins sagen und dabei leider doch schon etwas aus der Zukunft verraten: Niemand – auch Du nicht – wird diese Frau je verändern. Das ist heute – im Jahr 2003 – wissenschaftlich bewiesen. Es wäre jetzt zu kompliziert, das genauer zu erklären. Vertrau mir da einfach. Also nicht ändern wollen! Gib’s auf. Beziehungsweise fang gar nicht erst an, es zu versuchen. Grundsatzdiskussionen darüber, ob man den Müll nicht besser nach einem Film runterbringt und nicht dann, wenn sie es will, sind sowieso uncool. Und, meine Güte, dann räumste halt mal Dein Zimmer auf. Später machste das eh freiwillig, spätestens wenn die Eine, die Wahre, die Einzige (oder eine ihrer Stellvertreterinnen) öfter mal vorbeischaut.

 Zum Schluss noch ein paar wissenswerte Fakten: Dein Körper reagiert bei Batida de Coco und Blue Curaçao besonders empfindlich. In Opladen auf dem Marktplatz steht ein Kondomautomat. Matheleistungskurs ist keine so tolle Idee, wie es sich im ersten Moment vielleicht darstellen mag. Auch in Jugendherbergen gibt es Diebe. Im Finale zu sein heißt nicht automatisch, Welt- oder Europameister zu werden. 18. Januar 2003: 6,17,35,39,41,49 – Superzahl 8.

 So, das reicht jetzt aber. Bleibt mir, Dir alles Gute für Deinen weiteren Lebensweg zu wünschen.

 Liebe Grüße

 Dein Michael

 P.S.: Anbei noch eine Handynummer (Handys sind kleine, tragbaren Telefone). Ich weiß leider nicht genau, ab wann sie funktioniert. Probier’s einfach immer wieder mal. Und lass nicht locker, bis sie sich mit Dir treffen will!

Hallo Mister Michael, hier spricht Gott

11.6.2003

 

Das Telefon klingelt.

Ich: Ja!?

Gott: Ja, Tach, Gott hier. Sach mal, haste morgen schon was vor?

Ich (überrumpelt): Äh, Gott? Der Gott?

Gott: Welcher denn sonst? (bohrend) Hast du noch andere neben mir?

Ich: Öh, nee, also nur …

Gott: Gut! Jetzt sag doch mal: Hast du morgen Zeit?

Ich: Ich wollt Basketball spielen gehen und abends macht ein Freund ein neues Restaurant auf, da …

Gott: Aber das ist alles nicht so wichtig, oder?

Ich: Worum geht’s denn?

Gott: Also, ich arbeite gerade an so ’nem neuen Universum. Ein saugutes, das würde dir gefallen. Auf jeden Fall bin ich da im Moment an ’ner kniffligen Stelle. Beim Verständnis der verschiedenen Geschlechter füreinander. Und weißte, das will ich nicht wieder verbocken, deswegen muss ich mir da einfach mal ’nen Tag Zeit nehmen … und da brauch ich jemanden, der für mich einspringt.

Ich: Einspringt?

Gott: Ja, so als Gott. Du siehst ja selbst, der Laden brummt ganz schön. Da muss einer ein Auge drauf haben. Nur für einen Tag! Wie sieht’s aus?

Ich: Oh Gott. Wieso denn gerade ich?

Gott: Mh, och, du, also ... du hast keine Arbeit gerade, mit Beziehungen und so läuft auch nix, und bevor du dich weiter jeden Abend besäufst und immer dicker wirst, kannste ja auch mal was Sinnvolles machen.

Ich: Mein Gott, aber … Aber das ist doch schon ’ne Menge Verantwortung … Ich weiß nicht …

Gott: Pass auf, du musst echt nix groß machen. Von den ganzen Kriegen, Aids und Hungersnöten und so ’n Zeug lässte einfach die Finger. Mach ich auch. Das ist echt zu kompliziert. Hörst einfach mal, wer sich so beim Beten ins Zeug legt und guckst mal, ob da irgendwas mit Spontanheilungen, wettermäßig oder bei den Lottozahlen geht. Dann musste das ein bisschen regeln mit den Toten, das ist manchmal unangenehm, aber ich fahr einfach die Epidemien und so ein bisschen runter, dann kommste damit auch klar.

Ich: Mh. Aber merkt das denn keiner, dass nur ich da rumsitze? Und nicht du?

Gott: Wer soll das denn merken? Die Meisten glauben doch eh nicht an mich.

Ich: Ja, und was ist mit deinem Stellvertreter auf Erden? Checkt der das nicht?

Gott: Wer?

Ich: Johannes Paul der Zweite.

Gott: Wie? Der lebt noch? Aber ich hab doch … (tippt auf seiner Tastatur) … Scheiße, wenn man nicht alles selbst macht. ... Nee, vergiss den. Der kriegt eh nix mit.

Ich: Und … mh … ich kann dann alles machen?

Gott (skeptisch): Was heißt „alles“?

Ich (rumdrucksend): Nee, jetzt nix Konkretes. Aber was ich will, passiert ja dann, oder?

Gott: Pass auf, hier werden nicht im Nachhinein irgendwelche Fußballergebnisse korrigiert. George W. lässt weiter die Finger von Brezeln. Berlin wird übermorgen nicht plötzlich am Meer liegen. Und Elodie Bouchez und Ludivine Sagnier bleiben in Frankreich. Verstanden?

Ich (maulig): Aber was kann ich denn dann machen?

Gott: Also wenn du unbedingt was machen willst. Kannst ja mal etwas Verstand verteilen und das Fernsehprogramm verbessern. Oder ein bisschen Amor spielen und …

Ich: Echt?

Gott (nachdrücklich): Für andere!

Ich (enttäuscht): Ach so. … Aber was hab ich denn davon?

Gott: Du bist Gott. Alle beten dich an. Du bist allmächtig, der Chef vom ganzen Laden, einfach die absolute Nummer Eins.

Ich: Mh.

Gott: Machstes? Soll ich dir mal den Quellcode für die Welt mailen?

Ich: Also, weißte … diese Restauranteröffnung. Das wird bestimmt lustig.

Gott: Michael!

Ich: Nee, wirklich. Und ich muss auch endlich mal wieder Sport machen. Ich hab das viel zu lang …

Gott: Michael! Willst du kneifen, oder was?

Ich: Ach, Gott. Tut mir echt leid, aber ich seh mich da nicht. Das ist einfach nicht mein Ding. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel. Also wenn du mal anderweitig Hilfe brauchst, Kindergärten bauen oder Brot an die Armen verteilen, kannste immer auf mich zählen, aber in der Sache mit dem Tag, frag vielleicht mal Jim Carrey oder so jemanden. Ja? … Nicht böse sein, okay?

Gott: Nee. Macht nichts. Tschüss. … (knallt den Hörer drauf)

Ich: Scheiße, jetzt ist er sauer.

Auf dem Todesstern

21.1.2002

 

Früher – heute seltener – fragte man sich ja manchmal, was Scientologen eigentlich für Menschen sind. Nun, wir haben sie besucht.

Als wir eines Morgens zum Tauchen fahren, sehen wir plötzlich dieses riesige Kreuzfahrtschiff im Hafen von Kralendijk, der Hauptstadt von Bonaire. Das Schiff übernimmt sofort die Funktion des höchsten Gebäudes der Insel, und der Pier, an dem es steht, wirkt lächerlich klein. Unbekannte Zeichen zieren den Koloss, und als wir abends einen Kellner in einem Hafenrestaurant fragen, wird uns erläutert, dass die "Freewinds" ein Schiff der Scientologen ist, das im ewigen Kreislauf zwischen Aruba, Curaçao und Bonaire herumkurvt. Immer bereit Menschen für ein paar tausend Dollar mitzunehmen, damit sie an Bord relaxen und das reiche „Bildungsangebot“ studieren können. Ach ja, und montags wird immer ein Spielfilm im Bordkino gezeigt, den sich jeder kostenlos anschauen kann.

Später sehen wir auf einem Rondell am Hafen die „Freewinds“, eine Combo aus Männern und Frauen jeden Alters und im Look von gut gelaunten Sozialpädagogen, die karibische Evergreens zum Besten geben. Kostenlos. Für die Einwohner der Insel. Dazwischen schreitet der Kapitän umher, grüßt die Bevölkerung mit vertrautem Handschlag und alle haben gute Laune. Also Gehirnwäsche hin, Gehirnwäsche her, was sollen die uns schon tun?

Als wir Montagabend unseren deutschen Nachbarn erzählen, wir gehen jetzt zu den Scientologen, ernten wir besorgte Blicke. Und als wir dann winzig klein vor dem monumentalen Schiff stehen, wird uns auch etwas mulmig. Aber siehe da: Es kommen immer mehr Leute. Amerikanische Touristen, Einheimische, Holländer. Um halb acht sind es schließlich zwanzig Leute und es kommt Bewegung in die Gruppe.

Wir schwanken die Treppe zum Schiff hoch und werden von Captain Scientoglo mit firmem Handschlag begrüßt. Jeder bekommt einen Zettel mit Nummer, den er am Ende wieder abgeben soll, damit auch keiner verloren geht. Dann werden wir in einen Raum geführt, um noch etwas zu warten. Oder um uns mit der noblen, durchweg cremefarbenen Einrichtung des Raums rund um einen weißen Konzertflügel zu beeindrucken.

Und was macht Tom? Er muss mal! Plötzlich. Bevor ich protestieren kann, ist er weg. Wir warten auf den Film. Ich warte auf Tom. Aber er kommt nicht. Zehn Minuten, kein Tom. Ich denk mir, das kann doch nicht wahr sein, sehe mich schon zu Hause seiner tränenüberströmten Freundin erläutern, wie ich ihn an die Scientologen verlor. Da kommt der Kapitän und kündigt an, dass wir nun zum Kino gehen. Wo ist Tom? Ich komm mir irgendwie albern vor und will gerade todesmutig den Kapitän zur Rede stellen, als Tom auftaucht. Endlich. Er hatte auf eine Begleitperson für die zwanzig Meter zum Klo warten müssen, deswegen die Verzögerung.

Schließlich werden wir im Gänsemarsch durch die endlosen Weiten des Schiffs geleitet. Überall freundlich lächelnde Besatzungsmitglieder in weißer Uniform. Dazu Fahnen, Bilder, Fitnessraum, Wellnessbereich, Bibliothek und zahllose Kabinen mit kleinen roten Leuchten: In Session. Aber es bleibt keine Zeit, sich etwas genauer umzuschauen.

Wir gelangen schließlich ins gut klimatisierte High-Tech-Kino. Jeder bekommt Popcorn und Cola und sucht sich einen Platz. Der Kapitän geht nach vorne, hockt sich leger neben die überlebensgroße Büste von Ron Hubbard (!) und sagt, er müsste noch etwas Wichtiges loswerden. Aha, denke ich. Jetzt will er waschen. Ich bin gewappnet, werde mich nicht beeindrucken lassen von charismatischen Reden. Doch was macht er? Darum bitten, dass wir hinterher unseren Müll wieder mit rausnehmen und ein bisschen vorsichtig mit den Getränken sind, weil der Teppich empfindlich ist. Das war es.

Dann kündigt er den Film an: „Captain Corellis Mandoline“, ein tragischer Liebesfilm in den Wirren des zweiten Weltkriegs. Das Licht geht aus und, na ja, wir gucken den Film.

Nach dem Film geht es genauso unspektakulär wieder raus. Ein kurzes Händeschütteln am Ausgang, Nummernzettel abgeben und das war es. Wir haben die Höhle des Löwen überstanden. Wir waren im Feindesland und sind nun wieder auf unserer geliebten Insel. Und wir sind so wenig beeindruckt, gehirngewaschen oder erschreckt, dass wir den Rest des Abends nur noch über die unglaubliche, verschwenderische, nicht in Worte fassbare Schönheit von Penelope Cruz reden, die den eher mittelmäßigen Film zu einer zweistündigen Offenbarung gemacht hatte. Die Scientologen sind vergessen.

Doch auf dem Weg zum Auto hab ich plötzlich einen Geistesblitz. Raffinierte Säcke. So machen die das. Alles klar. Penelope Cruz ist die Liebe von ... Na? Tom Cruise, dem bekanntesten Scientologen überhaupt. Die Botschaft ist klar: Wenn man Scientologe ist, dann bekommt man solche Frauen. ... Wo sind die Beitrittsformulare?