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1.

Die Dunkelheit hatte das Zwielicht der Abenddämmerung verdrängt und sich über Panama gesenkt. Ein bleicher Mond goß sein kaltes Licht über dem Hafen und der Stadt aus. Den Wellen, die leise gurgelnd gegen die Bordwände der dahingleitenden Segelpinasse schlugen, setzte er feine Silberkronen auf. Acht Männer hatten sich auf die Duchten gehockt. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann an Bord von Philip Hasard Killigrews „Isabella III.“, kauerte im Bug. Der ehemalige Profos bei Francis Drake, Edwin Carberry, saß am Heck und hielt die Ruderpinne. Das Segel war aufgegeit worden. Smoky, Matt Davies, Stenmark, Darl von Hutten, Jeff Bowie und Piet Straaten legten sich in die Riemen und pullten so gekonnt, daß die Blätter beim Eintauchen ins Wasser kaum ein Geräusch verursachten. Fast lautlos bewegte sich die Pinasse fort.

Matt Davies nahm den Platz auf der Ducht neben dem Holländer Piet Straaten ein. Er grinste wie ein Teufel. Achteraus lag die stolze, schlanke „Isabella III.“, die sie soeben verlassen hatten. Ein prächtiges Schiff! Es hatte ihnen eine Menge Glück gebracht. Trotz des unermeßlichen Schatzes, der inzwischen im Bauch der Zweimastgaleone ruhte, würde sie damit immer noch flinker und wendiger sein als sämtliche normalgebauten Dreimaster dieser Welt.

Ja, Matt Davies hielt riesengroße Stücke auf die „Isabella“ – und auf ihren Kapitän, den verwegenen Seewolf! Während dieser mit Jean Ribault den Hafenkommandanten Alfonso de Roja begleitete und sich sozusagen mitten in die Höhle des Löwen begab, pullten sie weisungsgemäß über die Reede von Panama und vollendeten den tollkühnen Plan, den Hasard gefaßt hatte.

Matt drehte sich halb um und blickte voraus. Da lagen sie wie dikke, träge Tiere im dunklen Wasser: neun Galeonen der Spanier. Vorgestern waren es noch zwölf gewesen. Doch der Seewolf hatte das Dutzend verkleinert, indem er drei mit seiner Mannschaft auf den Grund der See geschickt und die Bordwachen auf den Panama, vorgelagerten Inseln ausgesetzt hatte. Das waren die „Victoria“ und die „Saint Gabriel“ gewesen. Wie die dritte geheißen hatte, war Matt entfallen. Wichtig war für ihn auch bloß, daß sie die Schiffe vor dem Anbohren um ihre Frachten erleichtert hatten: Gold, Silber und Perlen, alles fein säuberlich zum Mitnehmen in Truhen verpackt – und Tabak! Er lachte leise, als er daran zurückdachte, wie schlecht dem Bürschchen Dan O’Flynn nach seinem ersten Raucherlebnis geworden war, so speiübel, daß er beinahe seine ganze Seele in die See gespuckt hätte.

„Was ist los?“ fragte Piet Straaten nicht gerade freundlich.

„Ich freue mich auf die blöden Gesichter der Dons, wenn sie sehen, was wir mit ihren verdammten alten Waschzubern anstellen.“ Matt zeigte bedeutungsvoll seine Hakenprothese hoch. „Hoffentlich hat keiner der Philipps ein solches Ding wie ich, denn damit kann man nicht bloß Holz hacken, sich in der Nase bohren, Schädel spalten, Lasten heben und jemandem den Arsch aufreißen – man kann damit auch Spundlöcher und alle möglichen anderen Löcher verdübeln.“

„Deubel ok“, erwiderte Piet in seiner Muttersprache. „Zum Teufel, mach doch keine blöden Witze.“

Stenmark raunte: „Haltet den Rand, ihr beiden!“

„Was ist denn los?“ zischte Jeff Bowie.

„Matt erzählt mal wieder von seinem Haken“, sagte Smoky spöttisch. „Als ob wir noch nicht wüßten, was für Wunderdinge er damit vollbringt.“

Matt wollte einen gesalzenen Fluch vom Stapel lassen, aber Carberry gab einen drohenden, grollenden Laut von sich und brummte: „Ruhe an Bord, ihr Rübenschweine. Wer jetzt noch ein Wort sagt, dem zieh ich die Haut in Streifen vom Hintern, verstanden, was, wie?“

Ferris Tucker gab ihnen durch Winke zu verstehen, welchen Kurs sie zu steuern hatten. Vor ihnen nahmen sich düster die Konturen der spanischen Galeonen aus, sie schienen langsam zu wachsen. Ferris hielt angestrengt Ausschau und wählte die erste Galeone aus, der ihr Unternehmen gelten sollte. Sie schwoite ziemlich weit vor ihnen in nördlicher Richtung an der Ankerkette. Der Wind stand von Norden, war also ablandig. Die Galeone lag nach Ferris’ Ansicht insofern günstig, als sich genau hinter ihr ein zweites Schiff befand. Die Distanz zwischen beiden betrug höchstens eine halbe Kabellänge.

Bevor er an Land gegangen war, hatte der Seewolf ihnen nämlich empfohlen, sich zunächst das am weitesten in Luv liegende Schiff vorzuknöpfen. Denn wenn Ferris die Bordwand unterhalb der Wasserlinie anbohrte und die Ankertrosse kappte, dann mußte die erste Galeone unweigerlich auf die weiter leewärts befindlichen Schiffe zutreiben und zumindest den ihr am nächsten liegenden Dreimaster rammen.

Die Männer hinter Ferris Tucker begriffen, was er vorhatte – und jetzt grinste nicht nur Matt Davies. Sie konnten sich ausmalen, was für eine Verwirrung es auf der Reede geben würde! Besonders Carberry konnte da in seinem Geist auf ein noch nicht sehr lange zurückliegendes Erlebnis zurückgreifen, hatte er doch – noch unter Francis Drake – in der Nacht des 15. Februar 1579 im Hafen von Callao selbst die Ankertrossen mehrerer leerer spanischer Kauffahrer gekappt. Es hatte ein wüstes Durcheinander gegeben. Die Dons an Bord der Schiffe und am Hafen hatten sich vor Verwirrung fast gegenseitig über den Haufen gerannt. Unterdessen hatten sich Drake und seine Mannschaft mit der vorsichtshalber gefechtsklar gehaltenen „Golden Hind“ heimlich verzupft.

Die Pinasse mutete beinahe wie ein gespenstisches Gebilde an, als sie jetzt auf die „auserkorene“ Galeone der Spanier zuhielt. Ferris Tucker legte seine – Werkzeuge zurecht. Ed Carberry lenkte die Bootsbewegung konzentriert mit der Ruderpinne. Die sechs Männer nahmen die Riemen ein und Carberry steuerte die Pinasse an die Steuerbordseite der Galeone. Behutsam verholten sie das Boot zum Vordersteven.

Von oben waren verhaltene Stimmen zu vernehmen. Der Profos und der Zimmermann legten die Köpfe in den Nacken, vermochten jedoch keinen Spanier zu erkennen. Die Burschen da oben mußten sich irgendwo auf der vorderen Kuhl aufhalten, wo genau, ließ sich nicht orten. Hasards Männern war das auch ziemlich egal. Hauptsache, die Dons lugten nicht vor der Zeit über das Schanzkleid und entdeckten sie!

Die Bordwand der Galeone wuchs finster und drohend neben ihnen hoch, als wolle sie sich über ihnen ausstülpen und sie erdrücken. Ferris Tucker hatte sich im Bug aufgerichtet. Er tastete vorsichtig mit den Fingern an dem Schiff entlang. Der Profos hatte das Manöver so berechnet, daß die Pinasse direkt unter der Galion auslief. Ferris half noch ein bißchen nach und bremste mit den Händen ab. Sie stoppten und konnten über sich den behäbig aufragenden Bugspriet und das Vorgeschirr des Spaniers erkennen.

Die Ankerklüse nahm sich schräg über ihnen, wie ein glotzendes Gigantenauge, aus. Carberry beäugte grinsend die Trosse. Sie stach nicht weit von ihm entfernt in die Fluten. Er tippte sich an die Brust, und damit lag der Fall klar: Er würde sie kappen.

Ferris begann mit seinem Werkzeug zu hantieren. Natürlich hätte er den Bohrer auch irgendwo mittschiffs ansetzen können, doch wegen der Stimmen, die sie gehört hatten, hielt er den Bug in diesem Fall für den günstigsten Platz, um ungestört zu arbeiten. Er brachte der Galeone das erste Loch unterhalb der Wasserlinie bei. Und das war durchaus kein leichtes Stück, er geriet richtig ins Schwitzen dabei. Die Dons bauten ihre Segler aus jahrelang abgelagertem Pinien- oder Edelkastanienholz, denn beide quollen im Wasser nicht auf und erwiesen sich auch sonst als außerordentlich widerstandsfähig.

Diese Galeone hatte einen Rumpf aus Kastanie, echte, gute, harte spanische Edelkastanie! Was die Härte betraf, so stand sie Eichenholz in nichts nach. Ferris fluchte im stillen. Nicht, weil er die Mühe scheute sondern weil es ihm nicht schnell genug ging. Wenn nur die Philipps nicht auf die abwegige Idee verfielen, ausgerechnet jetzt auf die Back ihres Schiffes zu klettern und einen prüfenden Blick übers Schanzkleid nach außenbords zu werfen!

Ferris Tucker hatte der Galeone das erste Loch beigebracht. Er zog den Bohrer heraus, und es gab ein schmatzendes Geräusch. Die Männer stießen sich an. Matt Davies grinste wie ein Haifisch. Ferris bohrte noch drei Löcher, dann bedeutete er Carberry durch eine Gebärde, daß er dran war. Gern hätte der Schiffszimmermann ein regelrechtes Sieb aus der Galeone gemacht; aber dafür reichte nicht die Zeit. Schließlich lagen da noch acht andere Schiffe auf der Reede, die ebenfalls sehnsüchtig auf sie warteten.

Der Profos ließ auf der Backbordseite streichen und auf der Steuerbordseite anrudern, so daß die Pinasse auf der Stelle drehte. Das Heck schwenkte im Wasser herum wie der Hintern einer Ente. Carberry erhob sich und packte mit der einen Faust die Ankertrosse. Mit der anderen Hand führte er den kurzklingigen Schiffshauer, den er sich schon bereitgelegt hatte. Die Schneide trennte das Tauwerk mühelos durch. Es gab einen Ruck. Das eine Ende der Trosse versank im Wasser, das andere baumelte traurig an der Bordwand der Galeone herunter. Der mächtige Schiffsleib begann nach Lee zu treiben.

Zeit für die acht Männer, sich zu verholen! Sie pullten davon und hielten auf eine der nächsten Galeonen zu. Um das Schiff, das eine halbe Kabellänge achteraus der ersten, angebohrten Galeone vor Anker lag, brauchten sie sich nicht mehr zu kümmern.

„Die beiden machen das unter sich selbst ab“, sagte Smoky höhnisch. Er wollte noch etwas hinzufügen, bemerkte aber gerade noch rechtzeitig den drohenden Blick Carberrys. Der besagte, daß jeder Schwätzer an Bord der Pinasse nach wie vor um sein Achterleder zu bangen hatte.

Seit die drei spanischen Galeonen wie ein Spuk aus dem Hafen von Panama verschwunden waren und Gerüchte umliefen, verbrecherische Besatzungsmitglieder hätten sich mit den Reichtümern aus den Frachträumen aus dem Staub gemacht oder es existiere gar ein „Geisterschiff“, das diese Gewässer heimsuche – seitdem waren die Wachen auf den restlichen neun Galeonen verdoppelt und verdreifacht worden. Das bedeutete jedoch noch lange nicht, daß die Mannschaften diesen Dienst nun bereitwilliger versahen.

Zwei Bordwachen standen auf der vorderen Kuhl der in Luv liegenden Galeone. Sehnsüchtig blickten sie zu den beleuchteten Häusern an der Hafenmole hinüber.

„Vayase al diablo“, sagte der eine, ein schlanker Mann mit dunklem Teint und schwarzen Haaren, ein gutaussehender Typ. „Zum Teufel aber auch! Seit wir hier in dem gottverfluchten Hafen von Panama liegen, bin ich kein einziges Mal von Bord gekommen und habe fast ununterbrochen Wachdienst geschoben, Diego.“

„Wem sagst du das? Der Fluch soll die Schweine treffen, die die drei Galeone versenkt haben. Wäre das nicht passiert, hätten wir längst unseren sauer verdienten Landurlaub genossen, was, Urbano?“ Diego sagte das mit sauertöpfischer Miene. Er war ein untersetzter Mann um die Vierzig und hatte einen etwas kümmerlichen Schnauzbart.

„So ist das.“ Urbano seufzte. „Wenn ich an die vielen schönen Weiber denke, die da auf uns warten, Hombre, wird mir ganz anders. O Dios, endlich wieder ein ordentliches Stück Weiberfleisch in den Händen halten, einen runden Hintern streicheln, einen prallen Busen anfassen ...“

„Du vergißt das Wichtigste“, entgegnete Diego grinsend.

„Erinnere mich bloß nicht daran.“

„Wo wir schon dabei sind ...“

„Wie lange ist es her, daß wir in keinem vernünftigen Hurenhaus mehr waren und wie die Maden im Speck gelebt haben, Diego?“

„Mehr als sechs Monate.“

„Viel zuviel für einen vollblütigen Sohn des Vaterlandes unter seiner Majestät, Philipp II. von Spanien.“ Urbano sandte noch einen entsagungsvollen Blick zu den Hafengebäuden hinüber, dann senkte er plötzlich die Stimme und sagte: „Hör zu, Compadre. Ich habe noch eine volle Flasche echten chilenischen Rotwein unter meiner Koje versteckt liegen. Wenn wir schon enthaltsam wie die Mönche leben müssen, wollen wir die wenigstens auf den Kopf hauen.“

Diego meldete Bedenken an. „Auf einen guten Tropfen hätte ich zwar auch Lust – aber wenn der Erste oder der Capitano was davon erfahren, gibt es dicke Luft.“

„Ach Quatsch.“ Urbano schaute sich um und tastete die Gestalten der übrigen, weiter entfernt auf der Kuhl und dem Achterdeck postierten Wachen mit einem prüfenden Blick ab. „Ich hole jetzt den Vino, dann gehen wir aufs Vorkastell, da sind wir unter uns. Die Hauptsache ist, daß es keiner von den anderen rauskriegt und an einen Offizier weitergibt. Zeigt sich jemand, lassen wir die Pulle rasch hinterm Ankerspill oder sonstwo verschwinden.“

Gesagt, getan. Urbano verschwand kurz unter Deck. Diego blieb auf der Kuhl der Galeone zurück und stand sozusagen Schmiere. Als der Freund wieder den Kopf aus der Luke des Niederganges streckte, gab Diego ihm ein Zeichen, daß alles in Ordnung sei. Urbano schob das Holzquerschott ganz auf, kletterte hoch, und sie begaben sich auf das Vorkastell. Unweit des Ankerspills ließen sie sich am Steuerbordschanzkleid nieder.

Urbano entkorkte die Flasche. Er hatte an der Öffnung des Halses geschnuppert, den Inhalt für gut befunden und setzte nun an, um einen kräftigen Schluck zu nehmen, da lief ein Ruck durch den Schiffskörper. Er fiel nicht sehr stark aus, jedoch heftig genug, um den schlanken Spanier aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Der gute Wein ergoß sich über Urbanos Gesicht. Urbano rollte zur Seite, verlor die Flasche und fluchte zum Gotterbarmen. Diego wußte nicht, ob er lachen oder ebenfalls wettern sollte. Ein paar Augenblicke später registrierte er jedoch, daß die Ankertrosse schlaff geworden war. Er kriegte Augen, so groß wie Suppenteller.

Urbano stieß gegen eine Nagelbank und konnte sich abfangen. Er fand auch die Flasche wieder, doch die war bereits leer. Der letzte Rest des kostbaren Nasses hatte sich auf die Decksplanken ergossen und verbreitete süßlichen, süffigen Weingeruch.

„Al diablo!“ Er packte die Flasche am Hals, erhob sich und schleuderte sie über Bord. Auf der Kuhl und auf dem Achterkastell entstand Unruhe, die übrigen Wachen schienen etwas bemerkt zu haben.

Urbano sah, daß Diego am Schanzkleid stand und wie gebannt außenbords starrte. Er trat neben ihn und wollte ihn fragen, was los sei, da sagte der schnauzbärtige Mann bereits fassungslos: „Wir – wir haben den Anker verloren!“

„Wir haben was?“ Urbano sichtete die herunterbaumelnde Trosse erst jetzt. Er schaute etwas auf, und in diesem Moment schien es ihm, als sähe er die undeutlichen Konturen eines größeren Bootes oder einer Pinasse im Dunkeln verschwinden. „Verloren“, wiederholte er entsetzt. „Du spinnst ja. Jemand hat die Trosse gekappt – und wir treiben nach achtern ab.“

Auf der Kuhl wurde inzwischen gebrüllt, sinnlose Kommandos ertönten. Niemand wußte recht, wer zu befehlen und wer zu gehorchen hatte. Das Steuerbordschott im Achterkastell flog auf, daß es nur so knallte. Der wachhabende Offizier stürzte an Deck.

„Was ist los?“ rief er immer wieder.

Urbano bemerkte eine sprudelnde Bewegung am Bug der Dreimastgaleone – und er begriff. Er riß Diego gewaltsam vom Schanzkleid los und zerrte ihn mit sich fort. Sie flankten über den Querabschluß der Back, landeten auf der Kuhl und stießen einen Kameraden um. Sie rasten förmlich unter Deck.

Sie hatten die Vorpiek noch nicht erreicht, da schossen ihnen bereits die Wassermassen entgegen. Diego schrie auf. Urbano stand plötzlich knietief in den schwärzlichen Fluten und fluchte, daß selbst eine in Ehren ergraute Hafenhure noch rot geworden wäre. Die Unterdecksräume füllten sich gurgelnd mit Wasser. Die beiden Männer begriffen, daß sie allein nicht damit fertig wurden. Sie liefen zurück an Deck und prallten wieder mit einer Wache zusammen.

Diego riß den Arm hoch und wies auf das, was da aus der Finsternis auf sie zuzuwanken schien. „Madre de Dios!“ Die Umrisse der achteraus liegenden zweiten Galeone wurden immer größer und wuchtiger.

Der Offizier schrie mit überkippender Stimme Befehle. Tatsächlich kletterten nun auch ein paar Männer die Wanten hoch, andere griffen nach Schoten und Brassen. Man versuchte mit allen Mitteln, das Schiff in letzter Sekunde zu manövrieren.

Urbano sah als einer der ersten, daß ihre Galeone bereits nach Steuerbord überkrängte. Er lief aufs Achterkastell, griff mit beiden Händen in den Kolderstock und lehnte sich mit dem Körpergewicht dagegen. Die Galeone legte sich schräg, als wolle sie mit der Rahnock des Großsegels die Wasserfläche berühren. Immerhin schwang sie etwas mit dem Heck herum, doch es blieb ein verzweifeltes, letztlich nutzloses Manöver.

Urbano wandte den Kopf und sah die Bugpartie der anderen Galeone buchstäblich auf sich zurasen. Drohend ragte der Bugspriet auf, so, als wolle er ihn aufspießen. Urbano ließ den Kolderstock los und lief, was seine Beine hergaben. Er erreichte noch die Balustrade auf dem Quarterdeck, dann geschah es. Achterschiff und Bug der beiden Galeonen bohrten sich krachend ineinander. Holz splitterte – solides spanisches Edelkastanienholz! Die Männer schrien wie besessen durcheinander, jemand erhielt einen Splitter ins Bein und ging wimmernd in die Knie. Urbano wurde durch die Wucht des Aufpralls über die Handleiste der Balustrade weggehoben. Hart landete er auf der Kuhl.

Der Offizier brüllte außer sich vor Wut. Doch als der Bug des anderen Schiffes sich noch ein Stück tiefer in den Leib ihrer Galeone schob und sie – anhob, verlor er die Balance und schlidderte quer über Deck auf das Steuerbordschanzkleid zu. Er ging über Bord und nahm dabei den schreienden und gestikulierenden Diego mit.

Genau in diesem Moment löste sich die Galionsfigur der anderen Galeone aus den Resten des zertrümmerten Bugs und krachte aufs Achterdeck des anderen Schiffes. Sie hieb glatt durch und landete ein Deck tiefer in der Kapitänskammer.