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Michael Ellenbogen

Gigantische Visionen

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Michael Ellenbogen

Gigantische Visionen

Architektur und Hochtechnologie
im Nationalsozialismus

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Umschlaggestaltung: Werbeagentur | Digitalstudio Rypka GmbH./Thomas Hofer, Graz Umschlagfotos Vorderseite (Großbild): Verlagsarchiv; Kleinbilder von links nach rechts: Dirk Dühlmann, Deutsches Studienbüro für Luftfahrt, Heinz Rode, Deutsches Studienbüro für Luftfahrt
Umschlagfoto Rückseite: Hans-Joachim U. Israel

 

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 3-902475-25-0
ISBN 978-3-902475-25-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by Ares Verlag, Graz 2006

Gestaltung, Layout und Repro: Werbeagentur | Digitalstudio Rypka GmbH.

Inhalt

Vorwort

Kapitel I
Hitlers Stil: Klassizismus und Gigantismus?

Kapitel II
Geplante Großbauten in Berlin, München, Hamburg und Linz

Großbauten in Berlin: Ich habe nie daran gezweifelt, daß ich sie eines Tages bauen werde!

Berlin-Tempelhof: Der erste Großflughafen Europas

München: Die Hauptstadt der Bewegung

Hamburg: Das Tor zur Welt

Linz: „Patenstadt” des „Führers“

Kapitel III
Errichtete Großbauten in Nürnberg, Berlin, Rügen

Nürnberg: Das Reichsparteitagsgelände

Berlin: Die Neue Reichskanzlei

Rügen: „Prora“, das größte Hotel der Welt

Kapitel IV
Die großen Verkehrsprojekte des Dritten Reiches: Breitspurbahn und Reichsautobahn

Die Breitspurbahn: Über Planungsarbeiten nicht hinausgekommen

Die Reichsautobahnen: Die „Pyramiden des Dritten Reichs“

Kapitel V
Großprojekte für die Wehrmacht: Deutschland im „Krieg der Ingenieure“

Kapitel VI
Entwicklungen von Großwaffen für das Heer

„Vernichtungswaffen“

Die „Midgard-Schlange“: Verstiegenheiten eines Ingenieurs

Schwere und überschwere Panzer

Panzerkampfwagen VI/„Tiger I“: Ein Gigant mit Schwachstellen

Panzerkampfwagen VII/„Tiger II“: Das untermotorisierte Stahlungetüm

38-cm-Sturmmörser Tiger: Markerschütternde Explosionen

Das Projekt P-1000 („Ratte“): Schlachtschiff auf dem Land

Panzer VIII („Maus“): Der 188-Tonnen-Koloß

Riesenkanonen

80-cm-Kanone „Dora“: Der Aufbau konnte Wochen dauern

Raketenprojekte

Das Projekt A 9/A 10: Die Amerikarakete blieb Illusion

Kapitel VII
Entwicklungen von Großflugzeugen für die Luftwaffe

Das „Amerikabomber“-Projekt

Messerschmitt Me 264: Projekt sang- und klanglos eingestellt

Horten Ho XVIII: Das letzte Strahlbomberprojekt

Eugen Sängers „Silbervogel“: Am Unverständnis gescheitert

Schnellbomber

Junkers Ju 287: Der Durchbruch des Pfeilflügels

Arado Ar 555: Zehn Einzelentwürfe, die ungenutzt blieben

Lastensegler und Gleiter – Giganten am Himmel

Messerschmitt Me 321/323 („Gigant“): Eines der größten Motorflugzeuge der Welt

Junkers Ju 322 („Mammut“): Der größte Gleiter aller Zeiten

Großflugboote

Blohm & Voss BV 238 V1: Das größte Flugzeug des Krieges

Kapitel VIII
Entwicklungen von Großkampf- und Trägerschiffen sowie U-Booten für die Kriegsmarine

Schlachtschiffe

Schlachtschiff „Bismarck“: Der schwimmende Stahlkoloß

Flugzeugträger

„Graf Zeppelin“: Der Traum von einem deutschen Flugzeugträger

U-Boote

U-Boot-Typ XXI: Eine wirkliche „Wunderwaffe“

Kapitel IX
Militärische Großbauwerke

Festungswerke

Atlantikwall: Der unvollendete Festungsgürtel

Westwall: Vom Bewegungskrieg überholt

Festungsfront Oder-Warthe-Bogen („Ostwall“): Die militärische Feuerprobe nicht bestanden

U-Boot-Bunker

U-Boot-Bunker: Monumente der Schlacht im Atlantik

Unterirdische Anlagen

Dora Mittelbau: Die größte unterirdische Rüstungsfabrik des Zweiten Weltkrieges

Jonastal und „Riese“: Führerhauptquartiere oder nicht?

Jonastal: Akten bis heute „classified“

„Riese“: Eine der größten militärischen Anlagen des Dritten Reiches

Anhang

Vorwort

Gigantismus ist kein lobendes Wort. Weder in der Architektur noch in der Technik. Es bezeichnet sinnfremdes Streben nach Größe um der Größe willen. Dem Nationalsozialismus ist der Vorwurf der Megalomanie und der Gigantomanie oft gemacht worden – und oft zu Recht. Dieses Buch zeigt einige der wichtigsten Großprojekte des Dritten Reiches im Bereich der Architektur und der Technik: vollendete ebenso wie geplante und gescheiterte.

Die Berauschung und Selbstberauschung an der Größe, aber auch die kühle Überlegung ihrer Wirkung spielten eine Rolle, wie etwa die Schriften und Reden Hitlers und einer seiner wichtigsten architektonischen Planer, Albert Speer, zeigen. Der Stil, den der Nationalsozialismus in seinen offiziellen Großbauten pflegte, war der Neoklassizismus. Dieser war keine Erfindung des Nationalsozialismus, und er war in seiner Herkunft keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern ging aus einer allgemeinen europäischen Entwicklung seit etwa 1900 hervor. Seine Steigerung ins Gigantische zwischen 1933 und dem Ende des Dritten Reiches aber ist eng mit den Vorstellungen von Macht und nicht zuletzt auch mit dem Geschichtsbild Hitlers verbunden, der Freund und Feind, aber auch die Nachwelt gleichermaßen beeindrucken wollte. Nicht nur einschüchtern sollte diese Architektur, sondern auch mitreißen und verführen. Das Gelände des Reichsparteitags in Nürnberg mit seinen Gebäuden und dem Lichtdom sowie die Architektur und Inszenierung der Olympischen Spiele sind dafür nur ein Beispiel.

So wird man insgesamt bei dieser Form des Bauens nicht vergessen dürfen, daß sie stets als Teil einer Inszenierung gedacht war: zur Inszenierung der Macht aber auch zu der von den Nationalsozialisten propagierten „Volksgemeinschaft“. Tatsächlich haftet manchen der geplanten Gebäude für die neue Reichshauptstadt Germania und an anderen Orten auch etwas Theatralisches und Kulissenhaftes an. So sollten etwa die Gebäude der Ministerien an der Großen Achse in Germania nach Hitlers Vorstellungen keineswegs der Unterbringung des Personals der Ministerien dienen, sondern einzig der „Repräsentation“.

Für Hitler hatte die architektonische Umgestaltung der Städte eine so große Priorität, daß er damit bereits während des Krieges begann. Neben Berlin als Reichshauptstadt, Nürnberg als Stadt der Reichsparteitage, München als „Hauptstadt der Bewegung“ und Linz, in dem er einen Teil seiner Jugend verbracht hatte und in der er begraben werden wollte, waren dies weitere 27 Städte, denen er den Stempel nationalsozialistischer Architektur aufprägen wollte.

Doch nicht nur die Repräsentationsarchitektur zeigte den Willen der Nationalsozialisten zur Monumentalität, sondern auch in den Bereichen Straßen- und Bahnbau sowie Waffentechnik zeigte sich eine Hinwendung zu gigantischen Projekten:

Die Breitspur-Fernbahn (Reichsspurbahn) knüpft direkt an die gigantischen Projekte des NS-Regimes im Architekturbereich an und wurde vor allem auf Betreiben Adolf Hitlers vorangetrieben. Bei dieser Fernbahn handelte es sich, salopp gesagt, um eine mehrfach vergrößerte neue Eisenbahn, welche mit einer Spurweite von 3 Metern Europa verbinden und erschließen sollte. Die anfänglichen Planungen sahen sogar Spurweiten von 3,7 m und 4 m vor. Aussicht auf eine Realisierung hatte dieses Projekt allerdings zu keinem Zeitpunkt, da dem Deutschen Reich im Zweiten Weltkrieg für ein derartiges Projekt schlicht die Ressourcen fehlten.

Im Mai 1933 machte Hitler sein Programm zum Bau von Autobahnen öffentlich, gemäß dem sich ein dichtes Netz von vierspurigen Autostraßen über Deutschland spannen sollte.

Der gesamtverantwortliche Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, Dr. Ing. Fritz Todt, übernahm, wie unsere Ausführungen zeigen, eine technische Herausforderung, für die es in der Geschichte bis dahin kein Vorbild gab. Nicht ohne Grund sind die Reichsautobahnen deshalb auch als „Pyramiden des Dritten Reiches“ bezeichnet worden.

Viele in diesem Buch im Bereich Waffentechnik angesprochenen Projekte werden unter das Etikett „Geheim- oder Wunderwaffen“ subsumiert. Sie waren eine Reaktion auf die Einsicht, daß Deutschland den Krieg mit konventionellen Waffen nicht mehr gewinnen konnte. Die Wende erhoffte man sich von eben jenen „Geheim- oder Wunderwaffen“, an denen vor allem in den letzten drei Kriegsjahren mit Hochdruck gearbeitet wurde. Diese Waffen reduzierten sich nicht auf den Marschflugkörper „V 1“, die Rakete „V 2“ oder auf Flugzeuge, wie die Messerschmitt Me 262 (erster einsatzfähiger Düsenjäger), Me 163 (raketengetriebenes Jagdflugzeug) oder die Arado Ar 234 (düsengetriebener Bomber und Aufklärer), sondern umfaßten fast alle Waffengattungen, in denen zum Teil erhebliche Fortschritte gemacht werden konnten.

Mit dem Begriff „Geheimwaffen“ sind in diesem Buch Entwicklungen gemeint, die eine völlig neuartige Technologie hervorbrachten. Daß es immer wieder zu Fehlgriffen kam, war unter anderem auf Hitler zurückzuführen, dessen Vorliebe für Gigantismen aller Art auch hier zum Tragen kam. Auf Hitlers Intervention ist es zum Beispiel zurückzuführen, daß trotz der sich schnell offenbarenden Probleme bei den Kampfpanzern „Tiger I“ und „Tiger II“ festgehalten wurde, obwohl sich der Kampfpanzer V („Panther“), der nach Einschätzung vieler Experten der beste Panzer des Zweiten Weltkrieges war, als fronttauglicher erwies. Dennoch hielt Hitler nicht nur am „Tiger I“ und dessen Derivaten fest, sondern war auch – zusammen mit Ferdinand Porsche, dem Panzerkonstrukteur und Leiter der Panzer-Kommission – die maßgebliche Kraft hinter der Entwicklung von Stahlmonstren wie dem Panzerprojekt „Maus“, das ein wahres Schlachtschiffe auf dem Land hätte werden sollen, über die Anfangsphase freilich nicht mehr hinauskam. Allerdings, und auch dies muß in Rechnung gestellt werden: Hitler war auch Motor hinter Waffensystemen, die, wären sie noch wirkungsvoll in den Fronteinsatz gekommen, im Krieg möglicherweise eine Wende hätten herbeiführen können. Viele dieser Projekte kamen aber zu spät. Dies gilt zum Beispiel für die Großrakete unter der Bezeichnung „A 9“/„A 10“ („Amerikarakete“), die auf Basis der bereits eingesetzten „A 4“/„Vergeltungswaffe 2“ („V 2“) New York ebenso erreichen sollte, wie auch für die verschiedenen Bomberprojekte, die als „Amerikabomber“ gehandelt wurden. Einige, wie die Entwürfe der Arado-555- oder die Horten-XVIII-Reihe, fallen auch heute noch wegen ihres futuristischen Aussehens ins Auge.

Wenn der Begriff „Wunderwaffe“ eine Berechtigung hat, dann dürfte er wohl für den U-Boot-Typ XXI (sowie Typ XXIII) gelten, der zum ersten Mal konsequent für die Unterwasserfahrt konzipiert wurde. Vor allem der Typ XXI (heute in Bremerhaven als „Wilhelm Bauer“ zu besichtigen) wurde von vielen nachfolgenden konventionellen U-Boot-Entwürfen kopiert.

Wenn diese Waffenprojekte an dieser Stelle zur Sprache gebracht werden, dann vor allem deshalb, weil eine Reihe dieser Waffen, die durch die Kreativität und durch den Erfindungsgeist deutscher Wissenschaftler und Ingenieure Realität wurden, später Bestandteile der allgemeinen Bewaffnung wurden. Einige, wie die deutschen Raketenprojekte, entfalteten auch im außermilitärischen Bereich eine nachhaltige Wirkungsgeschichte.

Viele „Wunder- und Geheimwaffen“ wurden in gigantischen unterirdischen Anlagen wie Dora-Mittelbau, der größten unterirdischen Anlage im Zweiten Weltkrieg, gebaut. Während Dora-Mittelbau zu einer Art Synonym für die deutsche „Geheim- oder Wunderwaffenproduktion“, aber auch für grenzenloses Elend der hier eingesetzten KZ-Häftlinge geworden ist, ist der Befund im Hinblick auf die bis heute geheimnisumwitterten Projekte im thüringischen Jonastal und beim „Führerhauptquartier Riese“ in Niederschlesien nicht so eindeutig. Dienten diese Areale, die unter größtem Zeitdruck und mit maximalem Material- und Häftlingseinsatz vorangetrieben wurden, nur dem Zweck des „Führerhauptquartiers“ oder waren hier vielmehr „Geheimwaffenschmieden“ geplant? Auch diesen Fragen wird im Buch nachgespürt.

Weniger kreativ und innovativ fielen die deutschen Bemühungen im Hinblick auf die Festungstechnik, Stichworte: „Atlantik-“, „West-“ oder „Ostwall“, aus. Während der gigantische „Atlantikwall“ Fragment blieb und auch deshalb seine Aufgabe am „D-Day“, dem Tag der alliierten Invasion in der Normandie (6. Juni 1944), nicht erfüllen konnte, erwiesen sich sowohl der „West-“ als auch der „Ostwall“ im modernen Bewegungskrieg militärisch als sinn- und effektlos. Sie stellten beim alliierten Vormarsch keine nennenswerten Hindernisse dar. Daß deutscherseits an diesen Projekten dennoch festgehalten wurde, verwundert angesichts der Erfahrungen, die die deutsche Wehrmacht 1940 mit der französischen „Maginot-Linie“ machte. Auch dieses Festungswerk spielte militärisch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Krieges keine Rolle mehr.

Ähnlich fragwürdig in ihrer militärischen Bedeutung sind die gigantischen Großkampfschiffe, wie die kurze Geschichte der „Bismarck“ gezeigt hat. Dieses Stahlmonstrum, das als modernstes und schlagkräftigstes Schlachtschiff seiner Zeit galt, wurde bereits auf der ersten Feindfahrt versenkt und nahm Tausende deutsche Seeleute mit in den Tod.

Ähnlich ernüchternd fällt die Geschichte des einzigen deutschen Flugzeugträgers, nämlich der „Graf Zeppelin“, aus. Er kam während des ganzen Krieges nicht zum Einsatz und wurde schließlich im August 1947 als Zielobjekt der sowjetischen Marine versenkt.

Gigantische Monumente der verlorenen Schlacht im Atlantik sind die deutschen U-Boot-Bunker in Brest, Lorient, Saint Nazaire und La Rochelle (La Pallice), auf die hier ebenfalls eingegangen wird. Der U-Boot-Krieg wurde vor allem im technischen Bereich entschieden, und zwar nicht nur wegen effizienterer Ortungssysteme oder aufgrund der steigenden Luftüberlegenheit der Alliierten. Entscheidend dürfte vielmehr der Einbruch der Briten in den deutschen Funkschlüssel „Enigma“ gewesen sein, der spätestens ab Frühjahr 1943 aus jedem deutschen U-Boot einen potentiellen „stählernen Sarg“ machte.

Hier wird deutlich, daß Deutschland auf einem nichtwaffentechnischen Gebiet mit möglicherweise kriegsentscheidenden Konsequenzen den Anschluß verloren hatte, nämlich auf dem Gebiet der Entwicklung von elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen. Dieser Befund steht in einem seltsamen Kontrast zu den hier vorgestellten Stahlmonstren, mit denen man glaubte, das Kriegsglück noch einmal zwingen zu können. Auf den sich abzeichnenden militärischen Paradigmenwechsel konnten die Verantwortlichen auf der deutschen Seite keine angemessene Antwort mehr geben. Viele begriffen überdies nicht, daß der „Krieg im Dunkeln“ längst eine ähnliche Wertigkeit erreicht hatte wie der „heiße“ Krieg an der Hauptkampflinie. Diejenigen, die es begriffen hatten und auf Abhilfe sannen, konnten sich nicht durchsetzen.

Es waren aber nicht nur die Unzulänglichkeiten an der „unsichtbaren Front“, die zu Buche schlugen. Viele hoffnungsvolle Projekte kamen auch durch das oft beschriebene Führungs- und Kompetenzchaos im Dritten Reich zu Fall. Fritz Hahn konstatierte in diesem Zusammenhang zum Beispiel, daß es heute „kaum glaubhaft“ erscheine, daß das deutsche Heer dessenungeachtet „auf dem Gebiet von Bewaffnung und Munitionierung noch bis zum Ende relativ genügend versorgt wurde“.

Der waffentechnische Teil dieses Buches fällt deshalb janusköpfig aus: neben visionären, zukunftsgreifenden Projekten, die auch heute noch Staunen hervorrufen, stehen technische Verstiegenheiten gigantischen Ausmaßes, über die man geneigt ist, den Kopf zu schütteln. Auch hier hat wohl die Einschätzung des englischen Historikers Eric J. Hobsbawm, der mit Blick auf das 20. Jahrhundert zu Recht von einem „Zeitalter der Extreme“ sprach, ihre Gültigkeit.

Kapitel I

Hitlers Stil: Klassizismus oder Gigantismus?

Die deutsche Architektur in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ist eine Materie, um die die gängigen Architekturgeschichten der Moderne gern einen eleganten Bogen machen oder sie merkwürdig dürr und stereotypenhaft behandeln.1 Sei es, weil man behauptet, sie gehöre gar nicht zur Moderne, sondern sei schlicht rückwärtsgewandt und reaktionär, sei es, weil sie einer theoretischen Betrachtung überhaupt als unwürdig angesehen wird.2 Diese Vernachlässigung und Nichtbeachtung durch die heutige Architekturhistoriographie ist um so erstaunlicher, als es sich dabei um die auch international vorherrschende Richtung der gängigen Architektur handelte, wenn auch die Entwicklungen in einzelnen Ländern unterschiedliche Formen annahmen. Der deutsche Kunsthistoriker Karl Arndt hat die These vom Neoklassizismus als „Zeitstil“ der Epoche begründet.3 Daher überrascht es folglich kaum, daß es sich bei der „klassizistischen“ Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts natürlich keineswegs um eine typisch „nationalsozialistische“ oder „faschistische“ handelt. Vielmehr ist sie bereits viel früher entstanden; das Jahr 1933 hat tatsächlich „für die Bereiche Architektur und Städtebau keine entscheidende Zäsur“ dargestellt.4 Trotzdem hat man sich inzwischen in der Literatur angewöhnt, diesen Architekturstil kurzerhand etwa als „Mausoleums-Architektur“, „Totalitäre Architektur“ oder „Diktatorenklassizismus“5 zu disqualifizieren. Daß dies nicht die ganze Wahrheit sein kann, beweist bereits ein kurzer Blick auf die verwandte klassizistische Monumentalarchitektur in anderen europäischen, amerikanischen oder asiatischen Ländern: die Parlamentsgebäude in Helsinki oder Ankara, der Völkerbundspalast in Genf,6 das Palais Chaillot in Paris,7 das Rathaus in Oslo, die Battersea Power Station in London oder der Bahnhof von Cincinnati, um nur einige wenige Beispiele herauszugreifen.8

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Nur um einige Meter niedriger als die geplante Große Halle in Berlin: Entwurf für den Moskauer „Palast der Sowjets“, bekrönt mit einer riesigen Lenin-Statue

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Der Genfer Völkerbund-Palast (oben) und das Parlamentsgebäude von Helsinki (unten)

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Parallele Entwicklungen in Paris: Zeitgleicher Umbau des Palais Chaillot (jeweils oben im Bild) und der Aufbau des sowjetischen und deutschen Pavillons für die Weltausstellung 1937 (jeweils unten links und rechts an der Seinebrücke)

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Die kaiserlich deutsche Botschaft in St. Petersburg von Peter Behrens (1912)

Die frühesten Zeugnisse der klassizistischen Architektur des 20. Jahrhunderts finden sich in der deutschen Architektur seit etwa 1910. Heinrich Tessenows Festhalle in Dresden-Hellerau (1910) und Peter Behrens’ Deutsche Botschaft in St. Petersburg (1912) gehören zu jenen architektonischen „Inkunabeln“ dieses Stils. Dieser Klassizismus verstand sich zu jener Zeit zwischen 1910 und 1918 keineswegs als rückwärtsgewandte Wiederaufnahme eines alten Stils, sondern als schroffe Ablehnung des als schwülstig empfundenen Historismus, des Wilhelminismus in Deutschland,9 des Übermaßes an Verzierungen und zum Teil auch der üppigen Ornamentik und Dekors des Jugendstils. Die Abwendung von Historismus und Eklektizismus führte, zumindest in Deutschland, zu einem neuen stilistischen Purismus.

Unter starkem englischen Einfluß suchte man nach stilistischer Einfachheit. Man fand ihn für die private Kleinarchitektur im „Heimatstil“ – und bei den repräsentativen und industriellen Großbauten in einer Hinwendung zum modernen Klassizismus.

War für den Heimatstil eines Paul Schmitthenner oder Paul Schultze-Naumburg10 das ästhetische Urbild die schlichte, aber vollendete Form von Goethes Gartenhaus in Weimar, so waren auch für den Klassizismus der Großarchitektur nicht etwa der Rückgriff auf isolierte klassizistische Stilelemente wie etwa Akanthusblätter oder dorische Säulen von Bedeutung, sondern sehr allgemein Einfachheit und stimmige Proportionen. Dieser Klassizismus ist daher nicht als „rückwärtsgewandter“ Stil einzuordnen, sondern in seiner Opposition zum bestehenden Stil als Teil der Moderne11 anzusehen. Lars Olof Larsson bezeichnet diesen Stil und seine Adaption in Deutschland in seiner insbesondere für Funktionsbauten in Berlin typischen Mischform zwischen Klassizismus und Moderne in den 1920er und 1930er Jahren, durchaus korrekt, als „klassischen Funktionalismus“,12 Joachim Petsch vor allem seine spätere Ausprägung als „Neoklassizismus“.13 Der letztere Begriff scheint inzwischen der gebräuchlichste geworden zu sein.

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Klassizistische Anflüge: Entwurf Mies van der Rohes für eine Villa (1912)

In der stilistisch entscheidenden Zeit, etwa zwischen 1910 und 1916, blieben die Übergänge von Neo-Klassizismus und klassischer Moderne fließend. Man findet daher am Anfang alle wichtigen Architekten jener Epoche (auch) unter den „Klassizisten“, so grundsätzlich unterschiedlich sie auch gewesen sein mochten: etwa Peter Behrens,14 Heinrich Tessenow,15 Hermann Muthesius, den Mitbegründer der Wiener Sezession, Josef Hoffmann,16 – und (vor 1914!) überraschenderweise sogar die Protagonisten der späteren Avantgarde, Mies van der Rohe17 und Le Corbusier. Sogar im berühmten Haus am Wiener Michaelerplatz von Adolf Loos, das als erstes wichtiges, bewußt ornamentfrei gestaltetes Haus in die Geschichte der modernen Architektur eingegangen ist, finden sich in der Säulenfassade im Eingangsbereich eindeutig Gestaltungselemente des modernen Klassizismus, auch wenn es sich hier natürlich nicht um einen klassizistischen Bau im engeren Sinn handelt.

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Lenins erster Regierungssitz: Der Petersburger Smolny-Palast mit Eingangskolonnaden von 1922

Ausgehend von den radikalen Umbrüchen der russischen Oktoberrevolution 1917 und den revolutionären Umbrüchen in Mitteleuropa 1918 trennte sich das Feld der modernen Architekten radikal und ideologisierte sich politisch. Erst seitdem wird der klassizistische Stil von den Vertretern der Avantgarde als konservativ und rückwärtsgewandt bezeichnet. Doch auch das revolutionäre Sowjetrußland baute – offensichtlich mit Zustimmung Lenins und in Befolgung seines Aufrufs zur monumentalen Propaganda – nicht nur avantgardistisch-konstruktivistisch, sondern bereits 1922, lange vor Stalin, ganz klassizistisch.18 Auch der Historiker Joachim C. Fest weist darauf hin, daß der Klassizismus „zu Unrecht als der ‚totalitäre‘ Baustil bezeichnet wird“.19 Hitlers Neigung habe sich ursprünglich, aus der Zeit seiner geschmacklichen Schulung am imperialen Barock Wiens und der neobarocken Ringstraßen-Architektur kommend,20 nicht schwerpunktmäßig am Klassizismus orientiert. Erst unter dem Einfluß des Architekten Paul Ludwig Troost, der Anfang 1934 starb, entwickelte sich Hitler zum Anhänger des „Klassizismus“,21 wohl auch deshalb, weil sich dieser Klassizismus Troosts, im Gegensatz zu den eher asketischen Anfängen des Klassizismus um 1910, eher der klassizistischen Versatzstücke, wie Säule, Giebel, axiale Metrik usw., bediente.

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Steinerne Alpträume für Millionen: Le Corbusiers „Plan Voisin“ hätte für weite Teile von Paris den Abriß bedeutet (rechts unten die Île de la Cité mit der Kathedrale Notre Dame).

Noch wenig erforscht sind die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Beginns des modernen Klassizismus in der Architektur in jenen Jahren, etwa der Werke von Arthur Moeller van den Bruck, der für die preußische Klassizismuskonjunktur der Jahre nach 1910 eine zentrale Rolle darstellte.22

Auch der Gigantismus in der Architektur war keineswegs eine Erfindung der nationalsozialistischen Ideologie. Wie, wenn nicht als megalomanisch, sollte man den „Plan Voisin“ von 1925 des auch heute noch als Vater der modernen Architektur gerühmten Le Corbusier bezeichnen, der vorsah, einen großen Teil der Pariser Innenstadt abzureißen, um mehreren Millionen Menschen in insgesamt 18 Hochhäusern Platz zu schaffen? Schon vorher finden sich etwa in der französischen und russischen Revolutionsarchitektur23 Beispiele von riesenhaft dimensionierter utopischer Architektur, etwa bei Étienne-Louis Boullées „Newton-Kenotaph“. Später steigern beispielsweise der Pariser Triumphbogen und die „Madeleine“ (gebaut als Tempel zur Verehrung der Vernunft) die klassischen Vorbilder zum Teil ins Gigantische. – Über die Monstrosität der offiziellen Sowjetarchitektur seit etwa Mitte der 1920er Jahre muß an dieser Stelle nicht ausführlich berichtet werden.

Der Edinburgher Architekturhistoriker Iain Boyd Whyte geht sogar so weit zu behaupten, daß das „ästhetische Streben nach Neubegründung einer Totalität das große Antriebsmoment“ gewesen sei, „das zahlreiche Manifeste der Moderne aus den zwanziger mit der nationalsozialistischen Gigantomanie der dreißiger Jahre verbindet“. Die „Idee, große Teile einer bestehenden Stadt radikal dem Erdboden gleichzumachen, um Platz zu machen für eine neue geschichtsübergreifende und folglich ahistorische architektonische Ordnung, kam nicht erst mit Speer auf. Sie war vielmehr eine typische polemische Geste der Bewegung der Moderne, die einen besonders effektvollen Niederschlag etwa in Le Corbusiers von 1925 datierendem ‚Plan Voisin‘ für Paris oder, um auf vertrautem Terrain zu bleiben, in Ludwig Hilbersheimers als Erneuerungsprojekt für Berlin vorgeschlagener ‚Hochhausstadt‘ von 1924 fand.“24

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Die Mitte Berlins, wie sie sich Walter Ulbricht 1951 vorstellte

In der Tat ist es dieser ahistorische Ansatz, der sowohl die moderne Avantgarde als auch den Klassizismus Speers miteinander verknüpft. Der Nationalsozialismus verband bei der Ablehnung der historisch gewachsenen Stadt freilich andere, durchaus nicht einheitliche, teilweise sogar widersprüchliche Motivationen. Einerseits gab es die Ablehnung der großen Stadt als eine ungesunde, unnatürliche Lebensform, die nach überschaubareren Lebensformen als Alternative rief. Andererseits gab es den Ruf nach großer machtvoller, imperialer Architektur für eine mächtige Stadt als Zentrum eines mächtigen Reichs. Tatsächlich finden sich, getrennt nach ihren Funktionen, beide Ideen in der gebauten Architektur wieder.

Allein die Gigantomanie einer Architektur ist ihr oft als mangelndes Qualitätsmerkmal vorgeworfen worden. Der Architekturtheoretiker Léon Krier hat dies zurückgewiesen. Denn das hieße, so Krier, an dieser Architektur zu verdammen, was man in gleicher Weise in Manhattan, der Firth of Forth-Brücke oder dem „Monument Valley“ gerade schätze.25 Krier hat einmal graphisch dargestellt, daß der als megalomanischstes Projekt des 20. Jahrhunderts verschriene Bau, die in Berlin geplante „Große Halle des Volkes“, in den Wolkenkratzern von Mid-Manhattan wohl buchstäblich verschwunden wäre,26 schließlich, daß der Grundriß etwa des Washingtoner Pentagons oder der Thermen des Diokletian sich von der Größe des Grundrisses nur unwesentlich von dem der „Großen Halle“ unterscheidet.

Untersucht man die Gründe für die Megalomanie der deutschen Architektur jener Zeit, so wird man an zwei Männern, die vor allem ursächlich für die Planung dieser Gigantismen waren, nicht vorbeikommen: Adolf Hitler und Albert Speer. Es gehört zunächst zu den Merkwürdigkeiten der Architekturgeschichte, daß ausgerechnet Speer, der später zu den Planern der architektonischen Mega-Projekte des Dritten Reiches gehören sollte, Schüler des Architekten Heinrich Tessenow gewesen war, der etwas ganz anderes wollte: Einfachheit, Bescheidenheit, Geradlinigkeit, Sachlichkeit – eine Architektur ohne große Pose. Auch der Dekor-Klassizismus wurde von ihm als zu „mediterran“ und als dem Deutschen wesensfremd abgelehnt.27 Sein wichtigster Bau, die Festhalle des Delacroze-Instituts in Dresden-Hellerau,28 gilt zwar als eine der Initialbauten des Neoklassizismus des 20. Jahrhunderts (sogar Le Corbusier besuchte sie29 und bewunderte ihre „noble Strenge“), doch war diese Entwicklung seines Hellerauer Säulenvorbaus unter seinem Schüler Speer und die Übertragung ihrer Formsprache ins Riesenhaft-Pompöse sicherlich alles andere als gewollt. Als Speer ihm gleich nach der Machtergreifung Hitlers 1933 seinen Plan für die Umgestaltung des „Tempelhofer Feldes“ für Parteiveranstaltungen zeigte, antwortete ihm Tessenow verächtlich: „Glauben Sie, daß Sie da etwas geschaffen haben? Es macht Eindruck, das ist alles.“30

Hitler scheint die Megalomanie in der Architektur zunächst nicht als durchgängiges Merkmal für „seine“ Architektur gefordert zu haben. Das zeigen auch die Planungen seines Liebingsarchitekten Troost, die zwar durchaus groß dimensioniert, aber nicht gigantisch waren. Das änderte sich jedoch sehr bald unter der Ägide von Albert Speer, der Hitlers unterbewußte Wünsche offenbar in seine eigenen, karrierefördernden Bahnen lenkte. Das Urteil über Hitler als Baumeister schwankt zwischen „Architekt der Weltherrschaft“31, „Chefarchitekt“ bzw. „Chefgraphiker und art-director des Nationalsozialismus“.32

Anfang 1939 versuchte Hitler die Überdimensionalität der Architektur vor Bauarbeitern zu erklären: „Warum immer das Größte? Ich tue es, um dem einzelnen Deutschen wieder das Selbstbewußtsein zurückzugeben. Um auf hundert Gebieten dem einzelnen zu sagen: Wir sind gar nicht unterlegen, sondern im Gegenteil, wir sind jedem anderen Volk absolut ebenbürtig.“33 Tatsächlich spielte für Hitler die Architektur eine zentrale Rolle in seinem Denken.34 Das hatte mehrere Gründe. Zum einen sah er in der städtischen Monumentalarchitektur die Möglichkeit, das auszugleichen, was seiner Meinung nach seit dem 19. Jahrhundert angeblich eine falsche Richtung genommen habe:35 „Im neunzehnten Jahrhundert“, so Hitler, „begannen unsere Städte immer mehr den Charakter von Kulturstätten zu verlieren und zu reinen Menschenansiedlungen herabzusinken. Die geringe Verbundenheit, die unser heutiges Großstadtproletariat mit seinem Wohnort besitzt, ist die Folge davon, daß es sich hier wirklich nur um den zufälligen örtlichen Aufenthaltsraum des einzelnen handelt und um weiter nichts. (…) Niemand wird an einer Stadt besonders hängen, die nichts weiter zu bieten hat als eben jede andere auch, der jede individuelle Note fehlt und in der peinlich alles vermieden wurde, was nach Kunst oder ähnlichem auch nur aussehen könnte. (…) Das Wesentliche ist aber noch folgendes: Unsere heutigen Großstädte besitzen keine das ganze Stadtbild beherrschenden Denkmäler, die irgendwie als Wahrzeichen der ganzen Zeit angesprochen werden könnten.“ Dies sei in der Antike anders gewesen. Dort seien nicht die Privatbauten, sondern die öffentlichen Bauten als „das Charakteristische“ einer Stadt angesehen worden, „weil sich in ihnen nicht der Reichtum eines einzelnen Besitzers, sondern die Größe und Bedeutung der Allgemeinheit widerspiegeln sollte“. An dieser Auffassung habe prinzipiell auch das Mittelalter mit seinen Domen und Rathäusern als öffentliche Repräsentativ- und Monumentalbauten festgehalten.

Den Städtebau des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sah Hitler in dem falschen „Verhältnis zwischen Staats- und Privatbau heute“ versinnbildlicht: „Man vergleiche doch das böse Mißverhältnis, das in einer Stadt wie selbst Berlin zwischen den Bauten des Reiches und denen der Finanz und des Handels herrscht.“ Daraus glaubte er folgern zu sollen: „So fehlt unseren Städten der Gegenwart das überragende Wahrzeichen der Volksgemeinschaft, und man darf sich deshalb auch nicht wundern, wenn diese in ihren Städten kein Wahrzeichen ihrer selbst sieht. Es muß zu einer Verödung kommen, die sich in der gänzlichen Teilnahmslosigkeit des heutigen Großstädters am Schicksal seiner Stadt praktisch auswirkt. (…) Die Zeit erstickt in kleinster Zweckmäßigkeit, besser gesagt, im Dienste des Geldes. Da darf man sich aber auch nicht wundern, wenn unter einer solchen Gottheit wenig Sinn für Heroismus übrigbleibt.“36 Schließlich war er überzeugt, daß, wie bei den Römern, „an die großen Epochen der Geschichte doch nur deren monumentale Bauwerke“ erinnerten. Deshalb könnten auch in „Schwächeperioden“ eines Volkes solche monumentalen Bauwerke erneut dazu dienen, sich an ihnen wieder aufzurichten.37

Als Aufgabe monumentaler Architektur sah Hitler insbesondere auch die Identitätsstiftung für die Gegenwart und die Setzung von dauerhaften Zeichen für die Nachwelt. 1938 erwähnte Hitler, er wolle so groß bauen, „daß selbst die Pyramiden zurücktreten gegenüber den Betonmassen und Steinkolossen. … Ich baue für die Ewigkeit – denn … wir sind das letzte Deutschland“.38 Schließlich wird als Zweck der Architektur Hitlers häufig die Funktion als „Einschüchterungsarchitektur“ hervorgehoben. Dies ist zumindest, was die Architektur der Berliner Reichskanzlei angeht, richtig. Hitler hatte den Sinn der von Speer geplanten „Effekt-Architektur“ einer großen Abfolge von Sälen und Vorzimmern auf kommende Staatsgäste sofort erfaßt: „Die werden auf dem langen Weg vom Eingang bis zum Empfangssaal schon etwas abbekommen von der Macht und Größe des Deutschen Reiches!“ Oder angesichts eines martialischen Ornaments an seinem Schreibtisch: „… Wenn das die Diplomaten sehen, die vor mir an diesem Tisch sitzen, werden sie das Fürchten lernen.“39 Diese Effekte der am 7. Jänner 1939 fertiggestellten Reichskanzlei sind zumindest einmal, einige Wochen später, beim Besuch des schwerkranken tschechoslowakischen Präsidenten Emile Hácha am 14. März in Berlin sehr gezielt politisch eingesetzt und inszeniert worden.40

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Einer der frühesten Vorläuferbauten des Neoklassizismus: Heinrich Tessenows Festhalle in Dresden-Hellerau (1910)

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