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Guido Knopp

Die Befreiung

Kriegsende im Westen


Edel:eBooks

Am 6. Juni 1944 begann die größte Operation in der europäischen Kriegsgeschichte: die alliierte Landung in der Normandie. Über 5000 Schiffe, mehr als 40 Heeresdivisionen und die schlagkräftigsten Luftwaffenverbände der Welt traten an, um Frankreich zu befreien und Hitler-Deutschland den Todesstoß zu versetzen. Trotz heftiger Gegenwehr gelang es den Alliierten, an der Kanalküste einen Brückenkopf zu errichten. Nach der Schlacht bei Avranches brach die Front in sich zusammen, der Weg nach Paris war frei.

Der längste Tag

Dienstag, 6. Juni 1944. Die Morgendämmerung tauchte die weite Heckenlandschaft der Normandie in ein düsteres Licht. Graue Wolken hingen tief. An der Küste peitschte der starke Wind das grünliche Wasser des Kanals zu meterhohen Wellen auf. Seit mehreren Stunden schon standen die deutschen Soldaten in ihren Bunkerstellungen in erhöhter Alarmbereitschaft. Ungewöhnlich heftig waren in dieser Nacht die alliierten Bombenangriffe auf die Befestigungsanlagen des Atlantikwalls gewesen. Seit Mitternacht gab es sehr widersprüchliche Meldungen über die Landung von feindlichen Fallschirmjägern. Es lag etwas in der Luft. Ob wohl die lang erwartete Invasion bevorstand? Immer wieder schauten die deutschen Posten auf die See hinaus. Gegen 5.30 Uhr hatte das lange Warten dann ein Ende. Die gewaltigste Armada der Weltgeschichte tauchte aus dem Dunst auf. Die deutschen Soldaten trauten ihren Augen nicht: Vor lauter Schiffen war kein Wasser mehr zu sehen – so etwas konnte es doch gar nicht geben. »Der Horizont war schwarz vor Schiffen«, erinnert sich Heinz Bongart, der die Invasion am Strand von St. Laurent erlebte.

Kurz darauf blitzte es aus der Riesenflotte auf und ein wahrer Feuerorkan ergoss sich auf die Strandlinie. Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer begannen, die deutschen Stellungen sturmreif zu schießen. Tonnenschwere Granaten rissen gewaltige Krater in die normannische Erde, zermalmten Stacheldrahtverhaue, Bunkerstellungen und Laufgräben. Die Erde bebte und es war unvorstellbar, dass irgendjemand in diesem Geschosshagel würde überleben können.

Hinter den Kriegsschiffen zeichneten sich die Silhouetten mächtiger Transporter ab, in ihnen zehntausende kampfbereiter Soldaten. Die Armada war von hektischer Betriebsamkeit ergriffen. Sturmboote wurden von riesigen Kränen zu Wasser gelassen, Patrouillenboote flitzten zwischen den großen Landungsschiffen hin und her und in waghalsigen Manövern kletterten voll gepackte Soldaten von Fallreeps in ihre Landungsboote. Die erste Welle brauste nun mit voller Fahrt auf den Strand zu. Die Invasion hatte begonnen!

Wir mussten die größte Landung unternehmen, die bisher in der Geschichte gegen eine von modernsten Befestigungen starrende Küste durchgeführt worden war, und hinter dieser Küste stand das deutsche Westheer, das seit den finsteren Tagen von 1940 nicht mehr zur Schlacht hatte antreten müssen.
General Dwight D. Eisenhower über die Landung in der Normandie

Doch kaum einer der Soldaten, die zur Befreiung Frankreichs und Europas von der Schreckensherrschaft Hitlers zum Kampf angetreten waren, hatte in diesem Augenblick einen Sinn für den historischen Moment. Dicht gedrängt standen die Soldaten in den Sturmbooten. Die schwere See warf sie hin und her. Klatschnass und durchgefroren, waren die meisten seekrank und hofften, nur bald an Land zu kommen, damit die Höllenfahrt endlich ein Ende nehmen würde.

Immer näher schoben sich die Landungsfahrzeuge an die Küste heran. »Utah« und »Omaha« hießen die Strandabschnitte der Amerikaner im Westen der Seine-Bucht. »Gold«, »Juno« und »Sword«, jene der Briten und Kanadier, zwischen Bayeux und Orne-Mündung. Bald hörten die Männer der ersten Sturmwelle nicht nur den Feuerorkan der Schiffsartillerie, sondern auch das dumpfe Dröhnen von Flugzeugmotoren. Über ihren Köpfen bot sich ein atemberaubendes Schauspiel: Aberhunderte von Flugzeugen überflogen die Landungsflotte und stürzten sich auf die deutschen Stellungen. Schwärme von einmotorigen Jagdbombern und zweimotorigen B-26 »Maraudern« griffen immer wieder die Strandlinie an. Über den Wolken flogen die schweren viermotorigen Bomber und warfen ihre todbringende Fracht ab.

Vielleicht würde es doch eine leichte Landung werden, dachte so mancher. Man hatte die Männer zwar auf einen schweren Kampf vorbereitet, aber nach diesem Bombardement, so ihre Hoffnung, müsste es eigentlich ein Leichtes sein, Hitlers Atlantikwall zu durchbrechen. Als die Männer der 1. und 29. US-Infanteriedivision auf den Landeabschnitt Omaha zuhielten, konnten sie nicht ahnen, dass 329 schwere Bomber ihre Fracht aufgrund der schlechten Sicht hinter den deutschen Stellungen abgeladen hatten. »Die alliierten Flugzeuge haben so viele Bomben abgeworfen, dass man glaubte, ein schwarzer Vorhang rauscht auf die Erde nieder. Aber der ganze Regen schlug im Hinterland ein und wir sind von keiner einzigen Bombe getroffen worden«, erinnert sich Heinz Bongart, der im Widerstandsnest 65 direkt an der Steilküste lag. Noch 1000 Meter bis zur Küste. Die GIs konnten jetzt das in Rauch gehüllte Steilufer erkennen, das sich etwa 50 Meter über den flachen Sandstrand erhob. Kein einziges deutsches Geschütz feuerte, kein Maschinengewehr schoss auf sie. Noch 500 Meter – deutlich waren nun die minenbesetzten Vorstrandhindernisse auszumachen, dahinter lag der breite Sandstrand. Nichts rührte sich. Doch dann, als die kleinen Sturmboote noch 400 Meter entfernt waren, eröffnete die deutsche Artillerie aus allen Rohren das Feuer. Granatwerfer bellten, Pak schoss. Als die Landungsboote endlich den Strand erreicht hatten und ihre Rampen herunterließen, steigerte sich das Feuer noch. Im brusthohen Wasser wateten die mit Munition und Ausrüstung schwer beladenen Männer ohne Deckung langsam an Land und boten dabei ideale Zielscheiben. Maschinengewehrsalven mähten hunderte von GIs nieder. Es war ein Inferno.

Freiheit gibt es nicht umsonst! Jemand musste dafür bezahlen. Und diese Jungs taten es. Für uns. Ich bin ihnen dafür bis heute dankbar. Und ich bin überzeugt, sie hätten es wieder getan, um diese Welt von Hitler zu befreien.
Roy Stevens, US-Soldat

Die Landung in der Normandie, die Operation »Overlord«, hatte die militärischen und politischen Stäbe der Alliierten seit Jahren beschäftigt. Seit Hitler im Juni 1941 die Sowjetunion angegriffen hatte, trug die Rote Armee zunächst die Hauptlast des Krieges. Angesichts der gewaltigen Schlachten in den Weiten Russlands erschien der Wüstenkrieg britischer Truppen in Nordafrika wie ein nebensächliches Geplänkel. Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt waren sich dieser Tatsache vollauf bewusst, gaben freilich nur allmählich die Berührungsängste mit dem kommunistischen Regime in Moskau auf. Vorerst wollte man nur Waffen liefern – zu mehr Unterstützung sah man sich nicht in der Lage. Ende Dezember 1941 sprachen sie in Washington zum ersten Mal das Problem der zweiten Front an, wobei Churchill für eine Landung in Nordwestafrika und anschließend in Europa plädierte, während die Amerikaner für eine Landung in Frankreich stimmten. In den folgenden Jahren verschwand das Thema nicht mehr von der Tagesordnung der Beratungen der Großen Drei. Stalin drängte bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf, dass die Westalliierten endlich eine große Landfront im Westen Europas eröffnen müssten. Eigentlich war es dem Diktator immer darum gegangen, dass sich die kapitalistischen Staaten in einem großen Krieg selbst zerfleischen würden, sodass er als lachender Dritter eine leichte Beute würde einbringen können. Doch nun war alles anders gekommen. Die UdSSR befand sich inmitten eines Kampfes auf Leben und Tod mit dem nationalsozialistischen Deutschland, der weite Landstriche verwüstete und jeden Tag abertausende Sowjetbürger das Leben kostete, während die USA und Großbritannien mehr oder minder abseits standen. Es war zu befürchten, das Russland in diesem Kampf ausblutete und stattdessen der Westen als lachender Dritter aus diesem Krieg hervorgehen würde.

Am 19. August 1942 landete zum ersten Mal ein größerer alliierter Truppenverband im deutschbesetzten Frankreich. 6000 kanadische Soldaten sollten den gut befestigten Hafen Dieppe an der Kanalküste erobern und ihn dann im Lauf des Abends wieder räumen. Mit dieser »gewaltsamen Erkundung« sollten die Möglichkeiten einer großen Landungsoperation ausgelotet werden. Das Unternehmen mit dem Decknamen »Jubilee« wurde jedoch ein völliger Fehlschlag. In dem schweren Feuer der Deutschen erlitten die kanadischen Truppen schwere Verluste. Nur 1700 Mann gelang es, sich wieder einzuschiffen und nach England zurückzukommen. Die Übrigen waren gefallen oder in deutsche Gefangenschaft geraten. Für Churchill stand nach diesem Fiasko fest, dass es nicht möglich sein würde, noch 1942 in Frankreich zu landen, so wie dies Ende Mai von Roosevelt zugesagt worden war. Stattdessen besetzten Briten und Amerikaner am 8. November 1942 Marokko und Algerien und verjagten Rommels Truppen bis zum Mai 1943 aus Nordafrika. Der Krieg im Mittelmeer verzögerte die große Landung in Frankreich, mit der dem Deutschen Reich ein entscheidender Schlag versetzt werden sollte. Im Juli 1943 setzten die Alliierten zunächst nach Sizilien und im September auch auf das italienische Festland über. Die Deutschen waren dadurch gezwungen, etliche Divisionen von der Ostfront abzuziehen. Doch der erstrebte große Schlag, der rasch das Ende des Krieges bringen sollte, war dies nicht, da die Alliierten im Spätherbst 1943 von der Wehrmacht für mehr als ein halbes Jahr in Mittelitalien aufgehalten wurden.

Die größte aller Unternehmungen.
Winston Churchill über die Landung in der Normandie

Auf der Konferenz von Teheran, die Ende November 1943 stattfand, sagten Churchill und Roosevelt Stalin dann endgültig zu, im Mai 1944 in Frankreich zu landen, es zu befreien und anschließend in das Deutsche Reich einzufallen. Der Countdown lief – alle militärischen Aktionen wurden nun auf die Vorbereitung der großen Landung ausgerichtet. Riesige Konvois schafften hunderttausende amerikanischer Soldaten sowie tausende von Panzern und Geschützen nach England. Sie überquerten den Atlantik praktisch unbehelligt. Die »Grauen Wölfe« – die deutschen U-Boote – konnten den gewaltigen Aufmarsch nicht mehr behindern. Die vormaligen Jäger waren seit Mai 1943 selbst zu Gejagten geworden. Der Atlantik war nunmehr wie eine große Autobahn, auf der der Verkehr planmäßig lief. Bald glichen die südlichen Grafschaften Englands einem riesigen Heerlager – übersät von Kasernen, Materialdepots und Munitionslagern.

Den Deutschen waren die Vorbereitungen der Alliierten natürlich nicht entgangen. Es lag schließlich in der militärischen Logik, dass Briten und Amerikaner versuchen würden, die nur schwach verteidigte Flanke Europas anzugreifen, während die Masse der Wehrmacht in Russland gebunden war. Allen voran fürchtete Hitler diese drohende Gefahr aus dem Westen. Bereits am 14. Dezember 1941 hatte er befohlen, dass vom Nordkap bis nach Biarritz ein neuer »Westwall« gebaut werden solle. Norwegen hielt er für stark gefährdet, sodass in den nächsten Jahren insbesondere hier viele schwere Küstenbatterien errichtet wurden. Hitlers Angst war nicht ganz unbegründet. Norwegen war für den deutschen Erzimport besonders wichtig und verbesserte die strategische Position von Luftwaffe und Kriegsmarine in erheblichem Maß. Und Churchill regte 1942 in der Tat an, Truppen nach Norwegen zu schicken und das Land den Deutschen wieder zu entreißen. Der Plan scheiterte freilich am Widerstand Schwedens, ohne dessen Hilfe man die Operation nicht durchführen zu können glaubte. Wenngleich die meisten Befestigungsanlagen zunächst in Norwegen gebaut wurden, galt spätestens nach dem alliierten Raid auf Dieppe mehr und mehr auch Frankreich als gefährdet.

Der harte und verlustreiche Kampf der letzten zweieinhalb Jahre gegen den Bolschewismus hat die Masse unserer militärischen Kräfte und Anstrengungen aufs Äußerste beansprucht. ... Die Gefahr im Osten ist geblieben, aber eine größere im Westen zeichnet sich ab: die angelsächsische Landung! ... Gelingt dem Feind hier ein Einbruch in unsere Verteidigung in breiter Front, so sind die Folgen in kurzer Zeit unabsehbar. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der Feind spätestens im Frühjahr, vielleicht aber schon früher zum Angriff gegen die Westfront Europas antreten wird.
Adolf Hitler, 3. November 1943

Im August 1942 hatte Hitler angeordnet, dass der neue »Atlantikwall« aus 15 000 Bunkern bestehen sollte. Überall baute die Organisation Todt in den folgenden Jahren mit zwangsverpflichteten einheimischen Arbeitern Bunkeranlagen. Millionen Kubikmeter Beton wurden verbaut. Doch es musste von vornherein ein hoffnungsloses Unterfangen sein, eine 5500 Kilometer lange Küste ausreichend zu sichern. Weder stand hierfür eine ausreichende Zahl an Truppen zur Verfügung, noch war es möglich, genügend Befestigungen zu bauen. Die Frage war somit: Wo würden die Alliierten landen? Wo sollte man die Verteidigungsanstrengungen ballen? Zunächst konzentrierten sich die Deutschen auf den Ausbau der Häfen, die zum vorrangigen Ziel der Invasionstruppen werden mussten. Für einen weiten Vorstoß ins Land benötigten die Angloamerikaner schließlich eine gesicherte Nachschubbasis – und die konnte einzig und allein ein hinreichend großer Hafen bereitstellen. 1943 rückte Frankreich immer stärker in den Mittelpunkt der Invasionserwartungen. Für den Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, war die gefährdetste Stelle der französischen Küste der Pas de Calais zwischen Boulogne und Dünkirchen. Dort war der Kanal am schmälsten, Landungsboote und Flugzeuge hatten hier den kürzesten Weg zurückzulegen. Außerdem führte vom Pas de Calais aus der schnellste Weg ins Ruhrgebiet – in das industrielle Herz Deutschlands. Auch Feldmarschall Erwin Rommel – im Herbst 1943 übernahm er den Befehl über die Heeresgruppe B, der die Truppen in Nordfrankreich unterstanden – glaubte an eine Landung im Pas de Calais. Schließlich legte auch Hitler den Schwerpunkt der Abwehrbemühungen auf diesen Raum. Im Frühsommer 1944 sollte nämlich aus den dort gelegenen Stellungen das verheerende Feuer der »Vergeltungswaffen« auf London eröffnet werden. Da es gegen die Raketen keine Abwehr zu geben schien, wären die Alliierten, so Hitlers Kalkül, gezwungen, im Pas de Calais zu landen, um die V-Waffen-Stellungen auszuschalten. Genau dort baute man den Atlantikwall also am stärksten aus. Mächtige Küstenbatterien standen hier, die ihre todbringenden Granaten bis nach Südengland feuern konnten. Der Strand war mit Geschützstellungen und Widerstandsnestern gespickt – ein Durchkommen erschien kaum möglich.

Unser Täuschungsplan war clever. Wir wiesen mit dem Finger auf den Pas de Calais, den Ort, wo die Landung am einfachsten gewesen wäre, weil dieser Ort England am nächsten liegt.
Sir Carol Mather, Adjutant Montgomerys

Rommel ließ verminte Vorstrandhindernisse errichten, an denen bei Flut angreifende Landungsboote zerschellen sollten. Entschieden sich die Alliierten hingegen, die Invasion bei Ebbe zu starten, müssten sie einen breiten Sandstrand überwinden, wobei sie wie auf dem Präsentierteller dem Feuer der Deutschen ausgesetzt sein würden.

Die Alliierten erkannten rasch den Verteidigungsschwerpunkt der Wehrmacht. Es erschien ihnen kaum ratsam, an diesem gut gesicherten Küstenabschnitt zu landen, zumal es eben auch andere Gründe gab, die gegen den Pas de Calais als Invasionsort sprachen. Die gesamte Nachschublogistik hätte dann auf den kleinen Häfen Dover und Folkestone gelastet, außerdem waren die Strände Wind und Strömung schutzlos ausgeliefert. Bereits im Juli 1943 einigten sich die alliierten Stabschefs daher auf eine Landung in der Normandie. Die Strände waren hier nur schwach verteidigt, bei Westwind schützte die Halbinsel Cotentin die Landungsflotte in der Seine-Bucht. Zudem lag die Normandie zentraler zu den Großhäfen Portsmouth und Southampton an der englischen Südküste, auf die sich die Alliierten vornehmlich stützen wollten.

Als ich zur 29. US-Infanteriedivision kam, wusste ich, welche Aufgabe uns bevorstand. Uns wurde gesagt, dass wir die Speerspitze der Invasion Europas sein würden und dass zwei von drei von uns nicht zurückkommen würden.
Harold Baumgarten, US-Soldat

Im Frühjahr 1944 begannen die Vorbereitungen für die Landung. Immer wieder übten die Truppen die Operation, erprobten das Zusammenspiel von Panzern und Infanterie. Fallschirmjäger trainierten die Einnahme von deutschen Batteriestellungen an originalgetreu nachgebauten Modellen. Nichts sollte dem Zufall überlassen sein. Bitteres Lehrgeld hatten die Alliierten bei den Landungen in Sizilien, Salerno und Anzio zahlen müssen. Immer wieder waren hier grobe Fehler unterlaufen, die zu schweren Verlusten geführt und die Operation gefährdet hatten. Man hatte somit wichtige Erfahrungen gesammelt, eine Unternehmung dieser Größe zu koordinieren und zu verhindern, dass ein Chaos entstand.

Ich kann mich erinnern, dass ein paar Tage vor Invasionsbeginn ein Aufklärungsflieger von uns drüben in England angeschossen worden ist. Er hat sich noch über den Kanal retten können und ist in unserem Abschnitt runtergekommen. Wir haben ihn aus dem Flugzeug geholt, und er hat uns dann sofort erzählt, dass die englischen Häfen knallvoll liegen, Schiff an Schiff. Und ich muss ehrlich sagen, wir haben ihm das nicht geglaubt. Wir haben gedacht, der Mann ist durch seinen Abschuss irgendwie verstört.
Hans Heinze, deutscher Offizier

Kommandotruppen und Kampfschwimmer erkundeten die Landestrände, Luftaufklärer fotografierten jeden Quadratmeter Küstenlinie und die Résistance versuchte, die deutschen Verteidigungsstellungen auszukundschaften.

Die Alliierten wollten nicht überrascht werden, wenn sie an der Küste der Normandie an Land gingen. Im Frühjahr 1944 begann die alliierte Luftarmada damit, die »Festung Europa« sturmreif zu bomben. Die Küstenbatterien, die Radarstellungen und vor allem die Verschiebebahnhöfe wurden angegriffen. Im Mai 1944 war der Eisenbahnverkehr in Frankreich fast lahm gelegt worden, obwohl die Organisation Todt 18 000 Arbeiter von den Baustellen an der Küste zur Instandsetzung der Schienenwege abzog. Damit fiel die Bahn als Transportmittel für schnelle Truppenverschiebungen praktisch aus. Die deutschen Reserven würden auf den engen Straßen zu den Landeköpfen marschieren müssen.

Im Mai 1944 waren die Vorbereitungen der Alliierten abgeschlossen. Jetzt kam es nur noch auf das richtige Wetter an, und die meteorologischen Anforderungen waren hoch: Die Fallschirmjäger brauchten für ihren nächtlichen Absprung Mondlicht, während die Landungstruppen in der Morgendämmerung bei Ebbe mit auflaufendem Wasser angreifen würden. Am 18. Mai besprach General Eisenhower, der Befehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, mit seinen Beratern die Lage. Zwischen dem 5. und 7. Juni sowie dem 12. und 14. Juni herrschten günstige Mond- und Gezeitenverhältnisse. Eisenhower legte daraufhin den Tag der Invasion auf den 5. Juni 1944 fest. Bereits am 2. Juni 1944 liefen die ersten alliierten Konvois in Richtung Normandie aus. Als zwei Tage später plötzlich das Wetter umschlug, starker Sturm und Regen einsetzte, wurde die ganze Operation abrupt gestoppt, die Schiffe zurückbeordert. Die alliierten Generäle wussten, dass die Landung nur bei ausreichend gutem Wetter gelingen konnte. Chefmeteorologe Group Captain Stagg teilte Eisenhower und seinen Stabschefs am frühen Morgen des 5. Juni mit, dass am Folgetag kurzfristig mit einer Wetterbesserung zu rechnen sei. Daraufhin gab Eisenhower um 3.30 Uhr den endgültigen Angriffsbefehl. Am Morgen des 6. Juni 1944 würden gegen 6.30 Uhr britischer Zeit die amerikanischen und eine Stunde später die britischen Truppen ihren Fuß auf französischen Boden setzen.

Der von der britisch-amerikanischen Kriegführung für die Westinvasion gegen den europäischen Kontinent festgesetzte Termin rückt näher. Ohne uns unter die Propheten mischen zu wollen, sind auch wir der Meinung, dass eine solche Aktion das allgemeine Bild des Krieges in verhältnismäßig kurzer Zeit total verändern könnte ... weil damit zum ersten Mal wieder der Westen aktiv in den Kriegsverlauf eintreten würde. Niemand kann voraussagen, mit welchem Erfolg dies geschehen wird.
Joseph Goebbels im Februar 1944 in der Wochenzeitung »Das Reich«

Auf der anderen Seite des Kanals waren sich die deutschen Stäbe darin einig, dass in den kommenden Tagen keine Landung zu befürchten sei. Man hatte die Invasion für den Mai 1944 erwartet – so wie es ursprünglich von den Alliierten auch geplant gewesen war. Bei dem anhaltend schlechten Wetter glaubte man indes, nichts befürchten zu müssen – die kurze Wetterbesserung wurde von den deutschen Meteorologen zwar vorausgesehen, von den höchsten Stäben aber nicht weiter beachtet. So nahm denn das Unheil seinen Lauf. Die deutschen Vorpostenboote liefen in der Nacht zum 6. Juni 1944 wegen des hohen Seegangs nicht aus und Generaloberst Friedrich Dollmann, der Oberbefehlshaber der 7. Armee, hatte für den 6. Juni eine Planübung in seinem Hauptquartier in Rennes angesetzt, zu der alle Divisionskommandeure beordert worden waren. Nicht ahnend, dass sich eine gewaltige feindliche Armada auf seine Streitkräfte zubewegte, wollte er mit seinen Generälen durchsprechen, welche Maßnahmen bei einer feindlichen Luftlandung in der Bretagne zu ergreifen wären. In den entscheidenden Stunden waren die Divisionen im Landeraum also ohne ihre Kommandeure. Selbst Rommel hatte die Schlechtwetterfront ausgenutzt, um einen Kurzurlaub bei seiner Frau in Herrlingen zu machen. Sie hatte am 6. Juni Geburtstag und er wollte den Tag gerne mit ihr verbringen. Es ist schon fast eine geschichtsphilosophische Frage, ob die Abwesenheit so vieler Entscheidungsträger den Lauf der Ereignisse mitbestimmt hat. Sicher ist jedenfalls, dass die Stabschefs in den Hauptquartieren zurückgeblieben waren und die Truppen auch ohne ihre Befehlshaber kämpfen konnten.

Meinem Vater war es äußerst unangenehm, dass er nicht im Hauptquartier war. Er hat dann über die Marine geschimpft und gesagt, diese hätte ihm versichert, der Seegang sei so hoch, dass die Alliierten gar nicht kommen könnten. Wie sich dann herausstellte, sind aus diesem Grunde sogar die deutschen Vorpostenschiffe zurückgezogen worden, sodass das Heer die Invasionsflotte als Erstes bemerkte.
Manfred Rommel, Sohn Erwin Rommels

Viel wichtiger war nun die Frage, wie es mit der Verteidigungsfähigkeit des Atlantikwalls an den Küsten der Seine-Bucht bestellt war. Insgesamt hatte die Wehrmacht Anfang Juni 1944 59 Divisionen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden versammelt, davon zehn Panzer- und Panzergrenadierdivisionen, die über 1800 gepanzerte Fahrzeuge aller Art verfügten. Dies war auf den ersten Blick eine beachtliche Streitmacht, die für die Alliierten gefährlich werden konnte. Betrachtete man die Verbände allerdings genauer, waren die Spuren des vierten Kriegsjahres nicht zu übersehen. Die Masse der Einheiten waren so genannte bodenständige Divisionen, welche aus älteren Jahrgängen zusammengesetzt worden waren und über keinerlei Fahrzeuge verfügten. Der Mannschaftsbestand rekrutierte sich manchmal zu 30 Prozent aus so genannten Ostbataillonen, das heißt ehemaligen Sowjetbürgern, die sich freiwillig der Wehrmacht angeschlossen hatten. Weil es zu befürchten war, dass sie in Russland zur Roten Armee überlaufen würden, setzte man sie im Westen ein. Selbstverständlich konnte man von Krimtataren, Kalmücken und Kosaken, die in Frankreich für die Deutschen gegen die Amerikaner eingesetzt wurden, nicht allzu viel Kampfgeist erwarten. Die Ausrüstung der meisten Divisionen war veraltet, sie war größtenteils ein Sammelsurium von Beutewaffen. Nur um wenige Einheiten war es besser gestellt, eine davon war die 352. Infanteriedivision, die den Westteil der Calvados-Küste verteidigte – die GIs, die am Omaha-Beach an Land gingen, sollten dies bitter zu spüren bekommen.

Monty wusste, dass Rommel uns direkt am Strand mit seinen Panzertruppen attackieren würde. Und darum mussten wir so schnell wie möglich Brückenköpfe landeinwärts errichten. Das bedeutete, dass die Invasion nur mit enormer Truppenstärke funktionieren konnte.
Sir Carol Mather, Adjutant Montgomerys

Ein weiteres großes Problem war die Verteilung der Panzerdivisionen. Über diese Frage entbrannte ein heftiger Streit. Er betraf letztlich die generelle Strategie, die zur Abwehr einer Invasion gewählt werden sollte: Rommel war davon überzeugt, dass die einzige Chance, die Landung erfolgreich abzuwehren, darin bestand, den Feind am Strand aufzuhalten und mit einem sofortigen Gegenstoß ins Meer zu werfen. Waren die Alliierten erst einmal gelandet, würden sie ihre gewaltige Materialüberlegenheit entfalten können und die deutschen Truppen zermalmen. Rommel wusste, wovon er sprach. Er hatte in Afrika die alliierte Luftüberlegenheit erlebt und ihm war bewusst, dass dies nur ein Vorspiel dessen gewesen war, was man bei der Invasion zu erwarten hatte. Die kampfstarken Panzerdivisionen wollte er deshalb direkt an der Küste postieren. Rundstedt war jedoch anderer Meinung. Er hatte noch keine Materialschlachten gegen die Alliierten erlebt, kannte den Krieg nur aus der Zeit der großen Siege 1940/41. Er wollte Briten und Amerikaner kommen lassen, um sie dann in einer klassischen Panzerschlacht zu vernichten. Die Panzerdivisionen sollten daher weit von der Küste abgesetzt versammelt werden, von wo man sie nach geraumer Zeit zentral auf die Gegner loslassen konnte. Wie immer entschied Hitler diesen Streit nicht, sondern fand einen Kompromiss: Die Panzerdivisionen wurden weder so weit an der Küste disloziert, wie Rommel dies vorschwebte, noch so weit im Hinterland, wie Rundstedt dies wünschte, sondern in der Mitte. Zudem waren die Unterstellungsverhältnisse denkbar kompliziert, es gab keinen einheitlichen Oberbefehl. Im Ernstfall würde man daher nur mit Verzögerungen reagieren können.

Ich will Minen gegen Menschen, gegen Panzer, gegen Fallschirmjäger; ich will Minen gegen Schiffe und Landungsboote.
Erwin Rommel

Die Desorganisation wirkte sich umso schlimmer aus, als die Abwehr der Landung praktisch ausschließlich auf den Schultern des Heeres ruhte. Luftwaffe und Marine waren derart schwach, dass sie im besten Fall Nadelstiche setzen konnten – mehr war von ihnen nicht zu erwarten. Dabei hatte sich die Marine gerade selbst um ihre wirksamste Waffe gebracht, die die Kampfhandlungen erheblich hätte beeinflussen können. Im Sommer 1943 war ein neuartiger Minenzünder entwickelt worden, der durch die Druckwellen eines Schiffes ausgelöst wurde und gegen den es keine Räummethode gab. Aus Angst, diese »Wunderwaffe« könnte in die Hände des Gegners fallen, wurde ihr offensiver Einsatz an der englischen Küste verboten. Allerdings wurden vor der eigenen Küste auch keine Defensivminensperren geworfen, die einen wirksamen Schutz gegen jede Invasionsflotte dargestellt hätten. Rommel forderte dies mehrfach von der Marine, die es jedoch immer wieder ablehnte. Hitler ordnete schließlich noch Ende Mai an, die streng geheimen Druckdosenminen aus den vorgeschobenen französischen Depots wieder nach Deutschland zurückzubringen. Als die Invasion dann am 6. Juni begann, mussten sie erst mühsam auf den zerbombten Eisenbahnstrecken an die Front gebracht werden, wo sie dann viel zu spät zum Einsatz kamen. Befehlswirrwarr, Organisationschaos und der Irrglaube, dass die Alliierten nur in den Pas de Calais landen könnten, haben die ohnehin spärlichen Chancen der Wehrmacht, die Invasion zurückzuschlagen, auf ein Minimum schrumpfen lassen.

Als am 5. Juni 1944 die Nacht anbrach, herrschte in den deutschen Verteidigungsstellungen die Ruhe vor dem Sturm. Franz Gockel lag in einem Widerstandsnest am Omaha-Beach. Er erinnert sich: »Am 5. Juni war es für uns ein Abend wie viele andere vorher. Nur die Spannung wuchs doch immer mehr. Wir haben in unserem Bunker, soweit wir nicht auf Wache waren, noch zusammengesessen. Es wurde immer wieder diskutiert, kommen sie oder kommen sie nicht? Da wir noch kein elektrisches Licht hatten, saßen wir im Schein von Kerzen zusammen. Es verbreitete sich eine richtig gemütliche Atmosphäre. Besonders Kameraden, die eine Familie hatten, waren nachdenklich, fragten sich, wie es zu Hause wohl aussah. Einige kamen aus den Städten und ein Kamerad hatte vor einigen Tagen noch die Nachricht bekommen, dass seine Großmutter und seine Schwester bei einem Bombenangriff umgekommen waren. Um die Stimmung etwas zu verbessern, legten wir Schallplatten auf und hörten ›Wenn der weiße Flieder wieder blüht‹ und ›Wenn du einmal ein Herz verschenkst‹.« Müde fielen die Männer um Franz Gockel schließlich ins Bett. »Hoffentlich kommen die Brüder diese Nacht nicht, hoffentlich können wir durchschlafen«, dachten viele.

Aus Langeweile haben wir am Abend des 5. Juni auf dem Kirchplatz von Ste. Mère Eglise Kunstradfahren veranstaltet. So gegen elf Uhr haben wir unsere Fahrräder zu einem Schuppen gebracht und sind zurückgekommen. Als wir bei der Kirche waren, kam ein Flugzeug – man konnte deutlich erkennen, dass schwarze Punkte ausstiegen. Wir glaubten, dass dies eine Flugzeugbesatzung sei, die abspringen musste. Plötzlich hörten wir Motorengebrumm, hunderte Flugzeuge überflogen uns und der Himmel war nur noch schwarz von Fallschirmjägern. Wir dachten: Da können wir paar Mann nichts ausrichten, und haben uns rasch nach Ste. Mère Eglise zurückgezogen.
Rudi Escher, deutscher Soldat

Es war 0.15 Uhr, als die ersten alliierten Fallschirmjäger in ihren Transportmaschinen auf ein kleines grünes Licht starrten: das Zeichen zum Absprung. Aus nur 300 Metern Höhe sprangen sie in das Dunkel der Nacht und schwebten der Erde entgegen. Es waren Pfadfinder, die Landezonen für die nachfolgenden Fallschirmjäger und Lastensegler markieren sollten. Doch die bis dahin größte Luftlandeoperation der Geschichte stand unter einem ungünstigen Stern: Die Transportmaschinen hatten Flakfeuer erhalten, waren zu heftigen Ausweichbewegungen gezwungen und fanden in der Nacht ihre Ziele nicht. Die meisten Pfadfinder standen völlig orientierungslos in dem von Hecken durchzogenen Gelände. Sie waren weit verstreut abgesetzt worden und konnten ihren Auftrag nicht erfüllen. Eine Stunde später donnerte dann eine Armada von 2000 Transportflugzeugen über den Kanal, in ihren Bäuchen 18 000 amerikanische und britische Fallschirmjäger.

Zwei amerikanische Luftlandedivisionen wurden auf der Halbinsel Cotentin abgesetzt und sollten das Hinterland des Landeabschnitts »Utah« sichern. Die 6. britische Luftlandedivision sprang an der Orne ab und hatte den Auftrag, die östliche Flanke des Landekopfes gegen deutsche Einheiten zu sperren. Besonders chaotisch verlief die Aktion bei den Amerikanern. Im deutschen Flakfeuer kurvten die Piloten der Dakota-Transporter wie wild hin und her und setzten die Fallschirmjäger in der Aufregung weit verstreut über ein großes Gebiet ab. Die Männer der 82. und 101. US-Airborne-Division sprangen ins Chaos. Wohlweislich hatten die Deutschen die Flüsse Douve und Merderet angestaut und riesige Sumpflandschaften geschaffen. Diese wurden vielen Fallschirmjägern zum Verhängnis. Unzählige ertranken in den Fluten, andere verloren auf den überschwemmten Wiesen ihre schwere Ausrüstung und retteten nur ihr nacktes Leben. Lastensegler krachten in die Hecken und Bäume, versanken in den Überschwemmungsgebieten. Ein Großteil des schweren Materials ging so verloren.

Als wir die Küste der Halbinsel Cotentin überflogen, kamen wir in Flakfeuer. Am Boden schoss alles auf uns, wir konnten hören, wie die Geschosse an unsere Flügel prallten. Je weiter wir ins Landesinnere flogen, desto heftiger wurde der Beschuss. Dann kam endlich das grüne Licht und wir sprangen. Als wir außerhalb des Flugzeugs waren, konnten wir die Leuchtspurgeschosse der Flak erkennen. Es sah aus wie ein Feuerwerk.
Dwayne Burns, US-Fallschirmjäger

Die Offiziere versuchten, ihre Männer zu sammeln und kampfkräftige Einheiten zu bilden. Ihr Glück war, dass die Verwirrung bei den Deutschen ebenso groß war wie bei den orientierungslos durch die Nacht irrenden Amerikanern. Die Alliierten hatten im Südosten der Halbinsel Cotentin zahlreiche mit Feuerwerkskörpern ausgerüstete Gummipuppen abgeworfen, die im Dunkel der Nacht wild um sich schießende Soldaten nachahmen sollten. In der Tat trugen sie dazu bei, dass aus der ganzen Normandie Meldungen über gelandete Fallschirmjäger in den deutschen Kommandozentralen eingingen und sich die Gegenangriffe verzettelten.

Bisher noch kein Bild gewonnen, ob Ablenkungs- oder Hauptangriff.
Lagebeurteilung des OB West am 6. Juni 1944, 9.55 Uhr

Im Hauptquartier der 7. Armee gewann der Chef des Stabes, Max Pemsel, freilich ein immer klareres Lagebild. Er versetzte die 7. Armee um 2.15 Uhr in Alarmbereitschaft. Radarstellungen und Horchstationen machten in der Seine-Bucht immer mehr feindliche Schiffe aus. Es konnte keinen Zweifel geben: Dies war die Invasion. Rommels Chef des Stabes, General Hans Speidel, konnte er mit dieser Sicht der Dinge allerdings nicht überzeugen. Er blieb skeptisch, glaubte nicht recht daran, dass man aus den Meldungen bereits schließen konnte, dass die Alliierten in der Normandie landen würden. Speidel wollte erst einmal abwarten, bis sich die Lage weiter klärte. Im Hauptquartier des Oberbefehlshabers West bei Paris sah man die Sache ähnlich. Auch hier wollte man nichts überstürzen, und dies, obwohl mittlerweile zahlreiche Gefangene eingebracht worden waren, die eindeutig belegten, was vor sich ging. Die 91. Luftlandedivision war in schwere Kämpfe mit den amerikanischen Fallschirmjägern verwickelt. Sie war der vom Himmel gefallenen Armee zahlenmäßig weit unterlegen, sodass keine Zeit zu verlieren war, um Verstärkungen heranzuführen, die die US-Luftlandetruppen noch angriffen, bevor sie sich zu größeren kampfkräftigeren Gruppen zusammengeschlossen hatten. Doch nichts dergleichen geschah. Der Zweifel der höchsten Stäbe lähmte die Deutschen.

Trotz der chaotisch verlaufenen Landung waren die beiden amerikanischen Luftlandedivisionen anschließend bald in der Lage, starke Kampfgruppen zu bilden und das Hinterland des Landeabschnitts »Utah« abzusichern. In den frühen Morgenstunden eroberten sie den wichtigen Verkehrsknotenpunkt Ste. Mère Eglise. Die Landung der 6. britischen Airborne-Division zwar etwas geordneter verlaufen, doch kam es auch hier zu erheblichen Verlusten. Dennoch gelang es, die strategisch wichtigen Brücken über die Orne einzunehmen und die Küstenbatterie Merville auszuschalten. Als sich die Landungsboote der Küste näherten, war auch die Ostflanke des geplanten Brückenkopfes gesichert. Jetzt kam es vor allem darauf an, ob es den Bodentruppen gelingen würde, die deutschen Verteidigungsstellungen an den Stränden zu überwinden.

Ich wurde nachts um zwölf alarmiert, und ich hatte mir so einen Kilometer hinter der Küste einen Baum ausgesucht, den ich leicht erklettern konnte. Ich setzte das Fernglas an, aber es war völliger Nebel. So gegen halb sechs kam etwas Wind auf. Dann habe ich geglaubt, ich sehe eine Vision. Es waren tausende von Schiffen, die in der Zwischenzeit vor der Küste aufgefahren waren.
Hans Heinze, deutscher Offizier

Am Strandabschnitt »Utah« lief alles ziemlich planmäßig ab: Die Landungsboote der 4. US-Division, die heftig gegen die raue See anzukämpfen hatten, brausten auf den Strand am Ostufer der Halbinsel Cotentin zu. Sieben Sturmboote sanken bei dem schweren Wellengang, aber der Rest gelangte problemlos ans Ufer. Unterstützt von den Schwimmpanzern, die wie Schildkröten aus dem Wasser krochen, stürmten die Infanteristen über den breiten Strand. Ganz vereinzelt schoss ein Maschinengewehr, einige Granatwerfer- und Artilleriegranaten detonierten. Das übermächtige Abwehrfeuer, das die GIs erwartet hatten, blieb jedoch aus. Kurze Zeit später waren die deutschen Widerstandsnester am Strand überrollt: Das Bombardement aus der Luft und von den Schiffsgeschützen aus hatte volle Wirkung gezeigt und die Verteidigungsstellungen zermalmt. Außerdem wurde dieser Küstenabschnitt von der Wehrmacht nur schwach verteidigt. Im Hinterland erstreckten sich ausgedehnte Überschwemmungsgebiete, die einen schnellen Vorstoß motorisierter Truppen erschwerten. Niemand hatte sich damals vorstellen können, dass die Amerikaner ausgerechnet an dieser Stelle landen würden.