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Bücher für Entdecker

Books on Demand bietet Autoren ein neues Verlagskonzept. Viele Debütanten, etablierte Autoren und engagierte Verleger nutzen den Publikationsservice von Books on Demand und bereichern den Buchmarkt mit interessanten und außergewöhnlichen Titeln. Vito von Eichborn, einer der innovativsten Buchmacher Deutschlands, wählt als Herausgeber für die Edition BoD herausragende Neuerscheinungen aus. Lesen Sie selbst, welche Entdeckungen das Programm von Books on Demand möglich macht.

Mehr Infos auch auf www.bod.de.

Dr. Carsten Priebe, geboren 1967 in Karlsruhe, befasste sich bereits während seines Studiums der Volkswirtschaftslehre mit Technikgeschichte. Noch während seiner Ausbildung an der Universität Karlsruhe entstand seine erste Buchpublikation über die Pioniere der Automobilentwicklung. Der Zufall führte ihn später in den Finanzjournalismus. 1999 sah er für sich in Deutschland keine Zukunft mehr und zog in die Schweiz, wo er als Wirtschafts- und Finanzredaktor für verschiedene Publikationen arbeitete, bevor er in die Finanzdienstleistungsbranche wechselte. In seiner Freizeit beschäftigt er sich gerne mit verschiedenen historischen Themen. Carsten Priebe lebt heute in einem Dorf außerhalb Zürichs.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch/Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD.

» … ohne … die Ente von Vaucanson hätten wir nichts, was noch an die Glorie Frankreichs erinnert … «

Voltaire in seinem Brief vom 5. Mai 1743 an den Comte d’Argental1

 

 

 

1 Besterman, T.: Correspondance de Voltaire; Vol. II. Lettre 2323; S. 105

Meine Buchhändlerin sagte mir, »ja«, sagte sie …

Ja, ein Sachbuch über die Zeit der Aufklärung könnte durchaus auf Publikumsinteresse stoßen – ja, aber nur, wenn es nicht versimpelt ist, sondern klug, wenn es nicht zu theoretisch ist, sondern lebendig, wenn es also gleichzeitig vergnügliche Lektüre ist und das Selbstdenken anregt …

Wer ist denn dieser Vaucanson überhaupt?«

»Er war einer der bedeutendsten Erfinder des 18. Jahrhunderts. Ihm haben wir im Grunde auch das Internet zu verdanken – naja, sagen wir: die Grundidee. Denn er erfand die Steuerung von Maschinen durch Lochkarten, im Kern also das Eins-Null-Prinzip. Im Mittelpunkt dieses Buches jedoch steht seine mechanische Ente, die …«

»Was ist denn das für ein Blödsinn«, unterbrach mich meine Buchhändlerin, »Blechspielzeug? Ich dachte, das sei seriös?«

»Aber ja«, rief ich, »diese Ente war eins der technologischen Wunder seiner Zeit! Sogar Goethe machte sich auf, um sie zu bewundern. Der Autor verfolgt den Weg dieser Ente durch die Wirren in der Zeit der Revolution; sie wird quasi zum ‚Aufhänger‘ für einen tiefen und originellen Einblick in die ganze Epoche. Dann war die Ente länger verschollen, die Dampfkraft leitete eine neue Ära im Maschinenbau ein, und Vaucanson verfeinerte mit Lochkarten die Steuerungsmechanik von Musikautomaten.«

»Hört sich ja ganz interessant an«, warf meine Buchhändlerin skeptisch ein, »aber ist das alles nicht viel zu technisch, vor allem für meine bücherkaufenden Leserinnen?«

»Interessant!?«, war ich empört, »mit dieser Allerweltsvokabel wird man diesem Buch nicht gerecht. Das ist aufregend, vielschichtig, schillernd, das ist lebendige Kulturgeschichte, das liest sich wie ein Roman über den Beginn unserer Moderne!«

Sie wollte mich wieder unterbrechen, aber ich ließ mich nicht stoppen: »Technik? Aber ja, Priebe macht sie spannend. Und außerdem begegnen wir den wichtigsten Gelehrten der Zeit in den Salons von Paris, erleben die Ausschweifungen bei Hofe und Szenen finstersten Aberglaubens, in diesem Buch wird ein ganzes Jahrhundert lebendig. Auf dem Totenbett dann konnte sich der aufgeklärte Vaucanson nicht mal gegen die Sterbesakramente wehren, und er geriet in Vergessenheit. Erst Jahre später wurde seine Ente wieder der Öffentlichkeit in ganz Europa präsentiert, als auch Goethe sie sah …«

Ich merkte, dass mein Gegenüber mir nicht mehr zuhörte. Sie hatte mir das Buch aus der Hand genommen und ganz buchhändlerinnenmäßig hier und da hinein geschmeckt.

»Von wegen Technik, das ist ja sogar lustig!«, meinte sie, »auch voller Episoden und Anekdoten …«, sie zögerte, »verdammt, am Samstag wollte ich eine Radtour machen, keine Chance, da muss ich dies lesen. Jetzt interessieren mich die Zeitgenossen von dieser verrückten Ente.«

Tja, mir ging es genauso. Ich blätterte wie immer erst hier und da, dann begann ich von vorne, tauchte ein in diese Zeit und erst viele Stunden später wieder auf.

Wenn ein Sachbuch mich fesseln soll, braucht es durchgehend narrative Elemente. Hier werden das Leben und die Ente von Vaucanson zum Roman.

Und man versteht auch das eigene Staunen über die umwälzenden Erfindungen unserer Gegenwart wie in einem Spiegel.

Wer die Neugier verloren und das Staunen verlernt hat, sollte die Finger von diesem Buch lassen, empfiehlt

Vito von Eichborn

Vorwort zu dieser Ausgabe

Der vorliegende Text entstand auf Anregung von Vito von Eichborn. Sein Vorschlag, »Vaucansons Ente« neu zu edieren, veranlasste mich, den ursprünglichen Text zu überarbeiten und zu ergänzen. Dazu wurden einige neue Quellen ausgewertet und verwendet, zu den wichtigsten zählen die Sittengeschichte von Schidrowitz und die Werke von Paul Lacroix über das 18. Jahrhundert. Besonderer Dank gilt Rainer Kühn für die Durchsicht des Textes und seine wertvollen Anregungen.

Rafz, 2007

Vorwort

Wie nähert man sich einem Erfinder, der trotz seiner enormen Leistungen kaum noch bekannt ist, der im Raum-Zeit-Kontinuum der Geschichte nur mühsam als singulärer Punkt auszumachen ist? Wie schließt man Lücken in einer Biographie, die in einer Epoche spielt, die uns heute scheinbar vertraut scheint und doch so fremd ist? In der Rekonstruktion müssen sich die Techniken des Historikers mit dem Spürsinn des Journalisten mischen. Jacques Vaucanson hat es eigentlich nicht verdient, vergessen zu werden. Seine bahnbrechendste Erfindung war es, Maschinen mit Hilfe von Lochkarten zu steuern. Dadurch wurde die digitale Programmierung unserer Tage erst möglich: Loch/kein Loch, ja/nein, 0/1. Trotzdem verbinden wir nicht einmal seinen Namen mit diesem technologischen Durchbruch – es war vielmehr sein Nachfolger Jacquard, der Namensgeber für den ursprünglich von Vaucanson entwickelten programmierbaren Webstuhl wurde.

Zu den bemerkenswertesten Konstruktionen Vaucansons gehörten drei Automatenfiguren, darunter die seinerzeit berühmte mechanische Ente. Sie sind das wahre Vermächtnis Vaucansons. Sie waren es, die die Aufklärer und Enzyklopädisten beeindruckten und in ihrer Gedankenwelt beeinflussten. Ihre Spur durch die gelehrten Salons Europas soll hier rekonstruiert werden.

Danken möchte ich Eva Plüss und Volker Reeck für ihre Anregungen. Sie haben zudem das Manuskript durchgesehen und lektoriert.

Zürich 2004

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Vaucansons Automaten nach Gravelot.
Deckblatt der Beschreibung für die
Académie des Sciences von 1738.
In der Mitte die Ente.

Prolog

Grenoble – eine abweisende Stadt. Fast so unnahbar wie die mächtigen Berge, die sie umgeben. Im Winter sinken hier die Schatten früh über Plätze und Straßen. Dann wird es kalt, eiskalt. Ein erbarmungsloser Wind von den Bergen treibt jedermann die Tränen in die Augen, verschlägt den Atem. Die Menschen flüchten sich in ihre schlecht geheizten Häuser, suchen Licht und Wärme am offenen Feuer. Wehe den Soldaten, die jetzt im Fort hoch über der Stadt Wache schieben müssen – besonders nachts, wenn der Schnee das Mondlicht reflektiert und die Finger taub vor Kälte werden.

Hier beginnt unsere Geschichte, mitten im Februar des Jahres 1709. Das Jahr hatte besonders kalt begonnen. Hunger war ein ständiger Begleiter, und die Zahl der ausgemergelten und zerlumpten Bettler vor den Kirchen schien ständig zu steigen. Aus dem Nahrungsmangel des Einzelnen wurde bald eine kollektive Hungersnot: In ganz Frankreich verhungerten Tausende Menschen. Nur die Kälte lähmte noch die Plünderer.

Viele Handwerker und Bauern meldeten sich in diesen Zeiten freiwillig zum Dienst in den Armeen Louis XIV. (1638–1715), deren Bedarf nach Kanonenfutter unersättlich war.

In dieser unwirtlichen Stadt wird am 24. Februar einer der genialsten Mechaniker des Abendlandes geboren: Jacques Vaucanson.

I.

Jacques war das jüngste von zehn Kindern. Im Kirchenbuch der Gemeinde wurde sein Geburtsname Vocanson geschrieben. Die Großfamilie drängte sich in vier Zimmern im dritten Stock der Hausnummer 3 der Rue de la Brocherie. Einige Geschwister starben früh, andere gingen schon in jungen Jahren in Klöster. Nur so blieb in dieser schweren Zeit dem Rest der Familie genug zum Leben, denn Frankreich war wieder einmal im Krieg.

Am 11. September fügte Frankreichs Marschall Claude de Villars (1653–1734) den alliierten Truppen des Duke of Marlborough (1650–1722) und des Prinzen Eugen (1663–1736) bei der Schlacht von Malplaquet, einem völlig unbedeutenden Dorf im umkämpften Grenzland der spanischen Niederlande, schwere Verluste zu. Die Schlachtreihe der Franzosen erstreckte sich über eine Länge von fast fünf Kilometern. Nie zuvor trafen so viele Soldaten bei einer Schlacht aufeinander. Fast 80 000 Franzosen und Bayern standen 110 000 Alliierten gegenüber. Malplaquet musste um jeden Preis gehalten werden, denn nach dem Fall der alten Festung von Tournai am 5. September hätte sonst niemand mehr den Marsch der Alliierten nach Paris stoppen können. Der große Festungsbaumeister Sébastien le Prestre Vauban (1633–1707) hatte die Mauern von Tournai mit zehn Bastionen, vier Hornwerken und einer Zitadelle verstärkt. Doch das Bollwerk hielt den Angreifern nicht stand. Nun wurde die Entscheidung bei Malplaquet gesucht. Die Vorbereitungen zur Schlacht zogen sich über Tage. Beide Seiten spionierten einander aus und am Morgen des 11. September riefen die Trommeln zum Kampf. Trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit schien der Sieg für de Villars zum Greifen nahe, denn die Alliierten erlitten im Wäldchen von Taisnières-sur-Hon schwere Verluste. Doch dann wird de Villars verwundet und das Blatt wendet sich. Die Allianz beklagte fast 30 000 Tote und Verwundete, konnte aber die Franzosen zurückschlagen. Die Truppen Louis’ XIV. mussten sich vor der Übermacht der Allianz beugen und den geordneten Rückzug antreten; Marschall Louis-François de Boufflers (1644–1711) organisierte den Abmarsch und rettete so Zehntausenden Soldaten das Leben. Trotzdem blieben 12 000 Franzosen auf dem Feld der Ehre zurück. Es war die blutigste aller Schlachten, die Louis XIV. kämpfte. Am Abend zuvor hatten preußische und französische Offiziere noch zusammen gebechert und gefeiert, konnten sich kaum voneinander trennen …

Am Tag nach der Schlacht erholten sich an der Amsterdamer Börse die Kurse. Normalität kehrte ein. Wieder einmal zogen zerlumpte, traumatisierte und verkrüppelte Veteranen bettelnd durch die Straßen, in den Niederlanden und in Frankreich. Nur wenige von ihnen kamen im Hôtel des Invalides in Paris unter. Der Spanische Erbfolgekrieg wurde derweil mit den Friedensverträgen von Utrecht am Verhandlungstisch beendet.

In Grenoble war im Herbst 1709 von alldem wenig zu spüren. Vaucansons Vater, Jacques Senior, war ein Meister der traditionsreichen Handschuhmacher in Grenoble; ein frommer Handwerker und Händler. Handschuhmacher war ein angesehener Beruf, denn Handschuhe waren Luxusgegenstände, oft reich verziert, zuweilen mit Juwelen geschmückt und häufig stark parfümiert. Sie wurden von Adel und Klerus teuer bezahlt und massenweise gebraucht.

Der Vater schickte seinen Sohn bald in die Obhut der Jesuiten. Der Orden war in letzter Zeit zahlreichen Angriffen ausgesetzt, konnte sich aber behaupten. Mit sechs Jahren, also 1715, trat der junge Jacques in die Jesuitenschule von Grenoble ein. Gottesfürchtig und doch gelehrt, streng und wundergläubig – so wurde hier erzogen. Noch in Jahresfrist verlor Jacques den Vater; der hatte einen weiteren harten Winter überlebt und starb im April 1716. Seine strenggläubige Witwe Dorothée Lacroix tat alles, um ihrem jüngsten Sohn eine gute religiöse Erziehung angedeihen zu lassen. Vom Alltag im Konvent gab es für Jacques nur wenig Abwechslung. Jeden Samstag besuchte die Mutter mit ihm zwei alte Damen. Die Stunden vergingen nur langsam. Die ermüdenden Gespräche schienen sich immer um dieselben Themen zu drehen. Die Wohltat der Sicherheit, die Langeweile der Routine. Jacques interessierte das alles nicht. Er hatte in der Wohnung der alten Damen nur Augen für eine mechanische Uhr. Er studierte sie genau, zerlegte sie im Geist, analysierte ihren Bewegungsablauf, beobachtete, wie die kontrollierte Kraft der Feder die Zahnräder bewegt, wie sie ineinander greifen und die Zeiger über das Zifferblatt treiben. Jacques war fasziniert. Bei jedem Besuch lernte er mehr, bis er verstand. In der Werkstatt des Vaters begann er zu basteln und es gelang ihm das Unglaubliche: Er baute eine mechanische Uhr mit Stundenschlag. Legenden ranken sich um seine außergewöhnliche Begabung. So soll er vom Jesuitenkolleg verbannt worden sein, weil er ein kleines mechanisches Figurentheater mit Engeln und Priestern gebaut habe. Ein Spielzeug, das die barocken Kircheninszenierungen dermaßen entlarvte, hätte natürlich eine Bestrafung verdient.

Hatte Vaucanson damals von Antoine Morand gehört? Morand war ein Autodidakt wie er selbst, der es in Paris zu großem Ansehen gebracht hatte. Wir wissen nicht genau, wann Morand geboren wurde, wohl um 1650. Er hatte die berühmtesten Uhrenautomaten seiner Zeit in Frankreich studiert, etwa jene von Nicolas Lippius in Lyon oder auch die von DeVic in Paris. Sicher hatte er sich auch mit der berühmten Uhr im Straßburger Münster befasst, die 1573 nach den Plänen des Mathematikers Konrad Dasypodius (1530–1600) fertiggestellt worden war. 1706 war es soweit, Morand überreichte Louis XIV. eine hochkomplizierte Uhr für dessen Gemächer in Versailles. Noch heute ist das Meisterwerk im Merkur-Saal der großen Gemächer zu sehen. Bei jedem Stundenschlag krähen zwei Hähne und schlagen mit den Flügeln. Figuren setzen sich darauf in Bewegung, schlagen auf Glocken, zuletzt öffnen sich die Tore eines Tempels und eine Figur Louis’ XIV. tritt hervor, um unter triumphalem Glockenspiel von der Siegesgöttin gekrönt zu werden. Der Sonnenkönig steht im Mittelpunkt dieses mechanischen Universums; denn man stellte sich den Kosmos als Regelwerk vor, das berechenbaren Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Ganz Frankreich redete von diesem Meisterwerk. Morand baute noch einige weitere Automaten, dann verschwand er im Strom der Zeit.

Im Jahr 1717 wird Jacques mit einer Kutsche ins Collège de Juilly gebracht. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt; er lernt lesen und schreiben und gehört bald zu dem alphabetisierten Viertel der Bevölkerung Frankreichs. Seine Mutter hatte den Oratoriern, die das Kolleg führen, für dieses Privileg die beträchtliche Summe von 1000 Livres gezahlt. Jacques vertieft sich bald in jeder freien Minute in seine Konstruktionen, plant und zeichnet unermüdlich. Pater Jean-Simon Mazières, Mitglied der Académie des Sciences, erkennt das Talent des Jungen und hilft ihm beim Bau eines von Jacques entworfenen Bootsmodells mit mechanischem Antrieb.

Hatte Vaucanson vielleicht von jenem kunstvollen selbst rudernden schiffsförmigen Tischautomaten gehört, den einst der Augsburger Silberschmied Schlottheim (ca.1546–1625) für Kaiser Rudolf II. (1552–1612) gebaut hatte? In diesem Segelschiff war eine kleine Orgel verborgen, die drei Melodien mitsamt Trommelbegleitung spielte. An Deck standen vier Trompeter, ein Trommler und ein Pauker. Am Ende jeder Fahrt wurde eine Kanone abgefeuert.

Rudolfs Wunderkammer in Prag führte noch weitere Prunkstücke des Automatenbaus. Der Augsburger Melchior Mair (1565–1613) passte ein Uhrwerk in den Körper eines Zentauren, der seine Augen bewegen konnte und eine Reiterin trug, die am Ende des Ritts einen Pfeil über den Tisch verschoss. Einen Triumphwagen für seine Tafel hatte sich der Kaiser von Sylvester II. Eberlin (ca. 1570–1639) anfertigen lassen. Das Uhrwerk des Tischwagens trieb zwei Faune an, die ihn zogen. Eine von Schlottheim gefertigte Orgel mit sechs Pfeifen spielte eine Melodie, zu der die Figur des Bacchus auf dem Wagen den Arm hob. Ein Musikant blies den Dudelsack und ein Papagei schlug die Flügel. Der Gast, vor dem das prunkvolle Spielzeug stehen blieb, musste sein Glas leeren.

Kannte Vaucanson vielleicht auch die Überlieferungen von jenen sagenhaften Automaten des Robert Grotest, des Bischofs von Lincoln, der wie auch Roger Bacon (1214–1292) im 13. Jahrhundert einen sprechenden Menschenkopf gebaut haben soll? Oder von jenem Automaten des Bischof Albertus Magnus (1200–1280), der angeblich im Zimmer umherging, eintretende Besucher begrüßt habe und von seinem Schüler Thomas von Aquin (1225–1274) zerstört worden sein soll? Hatte der junge Erfinder von den mechanischen Vögeln und Schlangen, den Schützen, Tänzern und Bläsern eines Meister Caspar Schlott oder jenen seines Glaubensbruders, des Universalgelehrten und Jesuiten Prof. Athanasius Kircher (1602–1680) aus Würzburg gehört? Oder wusste Vaucanson vielleicht von jenem Automaten des Mechanikers Achilles Langenbucher aus Augsburg, der im Jahre 1610 die Kirchgänger überraschte, als seine Erfindung eine ganze Vesper – nämlich 2000 Takte – von selbst spielte?

Oder war es etwa Pater Mazières, der Vaucanson von Pater Truchet (1657–1729) aus Lyon erzählt hatte, jenem Mitglied der Académie, der für Louis XIV. nicht nur die Hydraulik in den Gärten von Versailles konstruierte, sondern auch ein kunstvolles bewegliches Bild zum Amüsement des Königs gebaut hatte? Vaucanson jedenfalls eiferte den großen Automatenbauern nach und verfeinerte seine Fähigkeiten mit jedem Tag.

II.

Es waren erneut unruhige Zeiten in Frankreich. In Marseille wütete 1718 die Pest. Es war Kapitän Jean Baptiste Chataud, der die Quarantänevorschriften der alten Hafenstadt umgangen hatte und sein aus Beirut kommendes Schiff, die Grand-Saint-Antoine, am 25. Mai des Jahres in den Hafen von Marseille gefahren hatte, obwohl einige Passagiere an Bord schon gestorben und andere bereits krank waren. Fast 85 000 Seelen sollen der Pest zum Opfer gefallen sein. In Massengräbern wurden die Leichen bestattet. Geschichten von angeblich lebendig Begrabenen machten die Runde. So sollen die zum Einsammeln der Toten abkommandierten Sträflinge manchen Kranken einfach mit in die Massengräber geworfen haben. Marseille wurde von den überforderten Beamten vollständig abgeriegelt. Im Hospital verhungerten 3000 Waisenkinder elendiglich.

Die Kirchenglocken verstummten, und das öffentliche Leben in der Stadt brach völlig zusammen. In den Gassen der Altstadt spielten sich albtraumartige Szenen ab; Bilder wie aus den Visionen eines Hieronymus Bosch (1450–1516). Überall lagen verwesende und von Hunden angefressene Leichen. Der König schickte den begabten jungen Arzt François Chicogneau (1672–1752) von der Universität Montpellier in die Stadt. Er wurde von den Professoren Verny und Deidier begleitet. Sie versuchten, sich mit einer neuartigen Schutzkleidung aus dickem Ledermantel, breitkrempigem Hut, Lederhandschuhen und einer mit Kräutern gefüllten Schnabelmaske, die Kristallgläser vor den Augenöffnungen hatte, vor der furchtbaren Krankheit zu schützen. Sie betasteten die Kranken mit einem roten Stock. Viel konnte Chicogneau nicht ausrichten, Deidier sezierte die Toten, in der vagen Hoffnung, eine Lösung zu finden. Bei ihrer Rückkehr nach Montpellier wurden die Mediziner von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt. Während eines weiteren Besuches in der verseuchten Stadt machte Chicogneau einen verhängnisvollen Fehler: Er erklärte die Krankheit für nicht ansteckend. Die Pest wütete weiter, schlimmer noch als zuvor. Augenzeugen berichteten bald von überfüllten Massengräbern, in denen halbverweste, aufgetriebene und blau, violett oder gelblich verfärbte Leichen lagen. Aus ihren aufgeplatzten Körpern drang ein entsetzlicher Gestank. In nur einem Jahr verlor Marseille die Hälfte ihrer Bevölkerung: 50 000 sollen in der Stadt der Pest erlegen sein. Die Angst vor dem Tod gewann eine neue Dimension – eine, in der die Religion keinen Trost mehr bot. Es war der Arzt Bertrand aus Marseille, der erstmals vermutete, dass die tödliche Krankheit durch winzige Lebewesen, durch Mikroben, übertragen würde.

Chicogneau blieb jedoch der Held des Tages, wurde zum Mitglied der Académie des Sciences ernannt und als Hofarzt nach Versailles bestellt. Kapitän Chataud hingegen wurde zur Verantwortung gezogen und nach der Verurteilung im berüchtigten Inselgefängnis Château d’If eingekerkert.

Noch ein weiteres Unglück ereilte Frankreich: Das revolutionäre Finanzsystem des Schotten John Law versprach dem überschuldeten, verschwenderischen Hofstaat zunächst Rettung. Durch Kriege und Prunksucht hatte das Königshaus ungeheure Schulden von etwa drei Milliarden Livres angehäuft. Nach dem Tod des Sonnenkönigs im Jahr 1715 sollte ihm sein Urenkel auf den Thron folgen, doch der spätere Louis XV. (1710–1774) war damals gerade fünf Jahre alt. Der Urenkel verließ Versailles in Richtung Vincennes, und mit Zustimmung des Parlaments regierte Philippe II., der Duc d’Orléans (1674–1723), das Land. Der Neffe Louis’ XIV. war als Zyniker und Atheist für seine ausschweifenden Orgien, die er nach üppigen Gelagen feierte, bekannt. Seine Begleiter nannte der Regent »die zu Rädernden«, seine Mätresse,