Ursula Haucke

Überraschung inbegriffen

Familiengeschichten zum Schmunzeln

 

 

 

 

Ungekürzte Ausgabe 2007
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40440 - 2 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 25268 - 3

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Inhaltsübersicht

Warum Mutz Mutz heißt ...

Geburtstag mit Folgen

Vater löst ein Problem ...

Ein ungemütlicher Morgen

Die Bodenmaus

Mutz ist weg ...

Mutz hat ein Geheimnis

Ein Geschenk für Großmutter

Durcheinander

Mutz kriegt Gänsehaut

Ein ungewöhnlicher Blumenstrauß

Großer Schreck und gutes Ende

Warum Mutz Mutz heißt ...

Mutz heißt eigentlich Matthias, ist sieben Jahre alt und sehr ... ja, was ist er eigentlich »sehr«?

»Sehr eigenwillig«, sagt seine Mutter.

»Sehr verwöhnt«, sagt der Vater und

»sehr verzogen!« sagen seine Schwestern Anna und Lena.

Anna und Lena sind zehn und elf Jahre alt, und die Mutter hat darauf bestanden, daß sie Namen bekämen, mit denen man sie beide auf einmal rufen könne. Das war sehr vorausschauend, wie auch der Vater heute zugeben muß. Wenn die Eltern jetzt »Annalena!« rufen, dann kommen entweder beide oder wenigstens eine von beiden.

Aber warum wird Matthias eigentlich »Mutz« genannt?

Ganz einfach, den Namen hat er sich selber gegeben. Und das kam so:

Als er alt genug war, um sprechen zu lernen, wollten ihm die Eltern auch recht schnell beibringen, daß er »Matthias« heißt. Sie sagten seinen Namen ganz langsam und deutlich und forderten ihn auf, nachzusprechen: »Jetzt sag mal Mat-thi-as!«

Mutz sah sie ernsthaft an, und dann sagte er fröhlich: »Mutz.«

Immer wieder. Der Vater wollte trotzdem nicht aufgeben.

»Der Junge hält uns doch glatt zum Narren«, behauptete er, »wenn er ›Matz‹ statt Matthias sagen würde, das könnte ich ja noch verstehen, aber ›Mutz‹? Was soll das? Er will uns einfach ärgern!«

»Ein so kleines Kind kann doch noch keinen ärgern!« widersprach die Mutter, aber das ließ der Vater nicht gelten.

»Du siehst doch, wie ich mich ärgere!«

Vorsichtshalber versuchte er es noch ein letztes Mal: »Jetzt sag: Mat-thi-as, bitte!«

Und Mutz legte den Kopf ein bißchen schief und lächelte ganz lieb und sagte besonders laut und deutlich: »Mutz!«

»Das war’s dann wohl«, sagte der Vater, »mal sehen, was passiert, wenn er in die Schule kommt.«

Nun, inzwischen ist Mutz in die Schule gekommen, und passiert ist gar nichts. Als Mutz aufgerufen wurde, seinen Namen zu sagen, sagte er klar und deutlich: »Mutz Berger!«

Die Lehrerin lachte ein bißchen: »In meinem Buch steht zwar Matthias Berger, aber wenn du lieber Mutz gerufen werden willst, dann sagen wir eben Mutz zu dir. In Ordnung?«

Mutz nickte, und damit war die Frage ein für allemal geklärt. Im übrigen ist Mutz nicht besonders trotzig. Eigentlich gehorcht er immer, außer – er ist gerade ganz anderer Meinung.

Er mag seine Schwestern sehr gern, außer – sie wollen mal wieder an ihm rumerziehen.

Er mag auch Tiere; und die mag er immer. Und zwar alle, nicht nur die Kuscheltiere. Wenn er auf dem Fensterbrett eine Fliege sieht, die auf dem Rücken liegt und sich nicht mehr umdrehen kann, dann hilft er ihr ganz vorsichtig auf die Beine und legt zur Stärkung noch einen Krümel Zucker vor sie hin.

Zu seinen Eltern ist Mutz natürlich besonders lieb. Wenn der Vater zum Beispiel von der Arbeit nach Haus kommt und etwas müde im Sessel sitzt und wenn er fast schon aus Langeweile das Fernsehen anstellen und die Nachrichten angucken will, dann kommt Mutz, springt auf seinen Schoß und singt ihm das neueste Lied vor, das er in der Schule gelernt hat.

Oder er zeigt dem Vater eine ganz schwierige Turnübung. Oder er bringt ihm ein Buch, in dem viele Vögel abgebildet sind, und der Vater muß raten, wie sie alle heißen. Manchmal sucht er auch im Radio eine ganz schöne Musik, dreht sie ordentlich laut an, damit die ganze Familie sie hören kann, und fängt an zu tanzen. Wenn dann die Mutter ins Zimmer kommt, fragt sie für gewöhnlich: »Was ist denn hier los?«

»Was soll schon los sein?« antwortet der Vater dann meistens, »Mutz macht mal wieder Mätzchen!«

Geburtstag mit Folgen

Es war der Abend von Vaters Geburtstag. Es war ein sehr unruhiger Tag gewesen, fand Mutz. Immerzu hatte es an der Tür geläutet, und jedesmal hatte es ein großes »Hallo« gegeben, weil wieder jemand gekommen war, der dem Vater nur ganz schnell mal gratulieren wollte. Und immer wunderte sich der Vater ganz ungeheuer, und jedesmal wurde der Gratulant hereingebeten und bekam Kaffee und Kuchen. Und ging überhaupt nicht mehr weg. Jedenfalls erst nach ein oder zwei Stunden. Und nachdem das den ganzen Tag so gegangen war, wurde am Abend mit den besten Freunden und den nettesten Verwandten erst so richtig gefeiert. Am Ende war es schon zehn Uhr, und Mutz hatte den Vater keine fünf Minuten für sich allein gehabt. Er hatte ihm nichts vorgeturnt, nichts vorgesungen, und nicht mal ein bißchen geärgert hatte er ihn. Und nun war der Tag zu Ende.

Anna und Lena hatten schon gute Nacht gesagt und sich in ihr Zimmer zurückgezogen, und alle warteten darauf, daß Mutz endlich verschwinden würde. Dann wollte man mit Sekt anstoßen und nur unter Erwachsenen weiterfeiern. Aber da tat Mutz den Mund auf und erklärte: »Ich geh heute nicht ins Bett.«

»Ach, sieh an«, sagte der Vater beiläufig, denn er wußte, daß Mutz diese Idee auch wieder vergessen würde, wenn man nicht weiter darüber redete. Aber es waren ja leider die vielen Gäste da, und fast alle hatten große Lust, mit Mutz über dieses Thema zu reden.

»Hohoho«, lachte zum Beispiel Onkel Otto los, »was höre ich da? Nicht ins Bett? Ich glaube, du möchtest heute in der Mülltonne schlafen, wie?«

»Ich will überhaupt nicht schlafen«, erwiderte Mutz, der die Bemerkung mit der Mülltonne überhaupt nicht komisch fand, »ich bleibe so lange auf, bis ihr alle weg seid.«

»Ach, darum geht es«, amüsierte sich Tante Rita, »das Kind möchte, daß wir gehen!«

»Aber nicht doch, ganz im Gegenteil«, sagte die Mutter schnell, »der Mutz will nur so lange aufbleiben, weil er euch alle so interessant findet.«

Das bezweifelte Onkel Egon ganz entschieden. Welcher kleine Junge hätte sich jemals für eine Geburtstagsgesellschaft von Erwachsenen interessiert?

Tante Christa fügte schnell hinzu, daß das auch niemand verlange. Hingegen könne man verlangen, daß kleine Jungen um sieben oder spätestens um acht Uhr im Bett lägen, damit die Erwachsenen sich von ihnen erholen könnten. Darauf sah Mutz etwas beleidigt aus, wiederholte aber tapfer, daß er nicht ins Bett gehen würde. Schließlich redeten alle durcheinander, und Onkel Konrad brachte die allgemeine Stimmung auf den Punkt: »Jetzt bin ich ja mal gespannt, wer sich hier durchsetzen wird«, und dabei grinste er den Vater richtig frech an.

»Das wirst du gleich sehen«, sagte der Vater, stand auf, packte Mutz am Hosenboden und trug ihn, obwohl Mutz schrie und strampelte, raus aus dem Geburtstagszimmer. Die Mutter entschuldigte sich, daß der Mutz so etwas noch nie gemacht habe, und als der Vater zurückkam, bat er, daß nun bitte wieder von etwas anderem geredet werden sollte.

Alle stimmten zu, und Onkel Karl wollte gerade erzählen, was für einen schrecklichen Ärger er mit seinem neuen Auto hatte, als Mutz wieder zurück ins Zimmer kam.

Er setzte sich stumm in eine freie Sofaecke und guckte niemanden an.

»Am besten, wir beachten ihn gar nicht«, sagte Tante Gertrude, und das versuchten dann auch alle.

Aber die Unterhaltung wurde etwas schwierig, weil es immer wieder passierte, daß jemand sagte: »Na ja, darüber will ich jetzt nicht reden, das ist nichts für Kinderohren.« Und dann guckten alle vorwurfsvoll auf Mutz, der in seiner Ecke saß wie angeklebt.

Doch irgendwann geht auch die längste Geburtstagsfeier einmal zu Ende, und als die Eltern den letzten Gast verabschiedet hatten und ins Wohnzimmer zurückkamen, lag Mutz ausgestreckt auf dem Sofa und schlief wie ein Murmeltier.

»Am besten, wir lassen ihn einfach liegen«, sagte die Mutter, »ich bin todmüde und will kein Theater mehr haben.«

Vater war der gleichen Meinung und legte die Sofadecke über Mutz: »Das war aber das letzte Mal, daß der Junge solche Mätzchen gemacht hat!«

»Wenn du’s sagst ...«, seufzte die Mutter.

Vater löst ein Problem ...

Keiner konnte sich erklären, was plötzlich in Mutz gefahren war. Am nächsten Abend ging das Theater weiter: Mutz wollte wieder nicht ins Bett.

Anna redete ihm gut zu, Lena redete ihm gut zu, die Mutter versprach ihm eine Gute-Nacht-Geschichte, und der Vater versprach ihm ein paar hinten drauf. Und dann sagte Vater noch, wie glücklich er als Kind gewesen wäre, wenn er ein so schönes Bett gehabt hätte wie Mutz!

Das hätte er besser nicht sagen sollen, denn jetzt wurde Mutz richtig bockig: »Mein Bett ist ganz doof.«

Das hätte nun wiederum Mutz nicht sagen sollen, denn jetzt bekam der Vater rote Ohren, und wenn er rote Ohren bekam, dann passierte immer irgend etwas ziemlich Aufregendes. Vater ging sofort mit großen Schritten aus dem Zimmer, und die Mutter guckte Mutz vorwurfsvoll an: »Da hast du es!«

Was Mutz nun haben würde, das wußte noch niemand, und alle setzten sich um den Tisch herum und warteten ab. Bald darauf hörten sie schrecklich laute Geräusche.

»Er macht was in deinem Zimmer«, sagte Anna zu Mutz, und Lena meinte: »Vielleicht haut er dein Bett kurz und klein.«

»Jetzt rede mal keinen Unsinn«, empörte sich die Mutter, »das war das teuerste Kinderbett im ganzen Geschäft!«

Aber die Geräusche hörten sich wirklich nicht besonders gut an. Dann polterte es plötzlich auch in der Diele, und anschließend kam der Vater wieder herein und hatte keine roten Ohren mehr, sondern rote Backen. Er sah sehr zufrieden aus.

»So, mein Schätzchen, dein Problem ist gelöst. Du hast kein doofes Bett mehr. Und schlafen kannst du nun, wann und wo und wie du willst. Recht so?«

Und dabei blinzelte er der Mutter mit dem rechten Auge zu, und sie zwinkerte mit dem linken Auge zurück, aber das machten sie so, daß es Mutz nicht bemerkte. Darin hatten sie Übung.

Und dann gingen alle nachgucken, was passiert war. Sie brauchten bloß bis in die Diele zu gehen. Da standen die einzelnen Teile vom Bett an der Wand und nahmen gar nicht besonders viel Platz weg. Die Matratze stand hochkant vor dem Spiegel, und das Bettzeug lag auf der Kommode.

»Ist ja noch alles ganz!« rief Lena ganz erleichtert.

»Was hast du denn gedacht?« sagte der Vater. »Natürlich ist es ganz. Morgen bringe ich es in den Keller, und dann wird es verkauft.«

»Ach du liebe Zeit«, Mutter tat sehr erschreckt, »und wo soll unser Mutz dann schlafen?«

»Nicht mein Problem«, erklärte der Vater kurz, »falls Matthias überhaupt noch mal irgendwann schlafen möchte, wird er sich schon ein Plätzchen suchen.«

Jetzt war es Mutz doch recht unbehaglich zumute. Aber so viel verstand er schon: Das war nicht der Moment, um zu jammern oder zu schimpfen. Es war eher der Moment, ganz locker aus dem Zimmer zu gehen, über die Diele zu hüpfen und in seinem eigenen Zimmer zu verschwinden. Und das tat er. Als er die Tür hinter sich zugemacht hatte, bekam er erst den richtigen großen Schreck: Wirklich und wahrhaftig, kein Bett mehr! Wo es gestanden hatte, war eine leere, sehr staubige Fläche, und die Katzenfotos, die nun nicht mehr über dem Bett, sondern über der großen, staubigen Fläche hingen, wirkten ganz verloren und verlassen.

Dem Mutz war ein bißchen schlecht, und weil man ja nie so genau weiß, wovon einem ein bißchen schlecht ist, beschloß Mutz, Hunger zu haben. Obwohl alle längst Abendbrot gegessen hatten. Er ging in die Küche, suchte sich einen Zwieback und setzte sich an den Küchentisch. Keiner kam, um ihm Gesellschaft zu leisten.

Nach einer Weile hörte er, wie die Mutter den Dielenschrank aufmachte und ein bißchen herumpolterte. Kurz darauf hörte er den Staubsauger brummen. Jetzt saugte die Mutter bestimmt die Stelle sauber, wo das Bett gestanden hatte. Und den Rest vom Teppich würde sie natürlich gleich mitsaugen.

Er holte sich einen zweiten Zwieback und wartete.

Es dauerte nicht lange, da hörte das Saugen auf, und die Mutter stellte den Staubsauger zurück in den Dielenschrank. Dann ging sie ins Wohnzimmer.

Mutz fand sich ein bißchen toll, wie er so, ohne etwas zu sehen, genau wußte, was in der Wohnung passierte.

Jetzt zum Beispiel ging einer ins Badezimmer, und das war bestimmt Anna, weil sie abends immer als erste ins Bad ging. Dann war sie auch als erste im Bett und konnte noch schön gemütlich lesen. Mutz merkte, wie er auch schreckliche Lust bekam, im Bett zu liegen und ganz gemütlich zu lesen, und er beschloß, einfach die Matratze auf die Erde zu legen, da, wo das Bett gestanden hatte.

Er ging leise auf die Diele, packte die Matratze, hob sie an und – fiel mit ihr um! Es machte einen ziemlichen Lärm, und die ganze Familie kam angelaufen.

»Die Matratze gehört zu dem ›doofen Bett‹, also ist sie ebenfalls ›doof‹. Aber damit Matthias sich nicht erkältet, kann er sich die Wolldecke aus unserem Schlafzimmer auf die Erde legen.«

»Geht’s einigermaßen?« fragte sie und gab ihm einen Kuß.

Und weil er so furchtbar müde war, schlief er auf der Stelle ein. So merkte er gar nicht mehr, daß er auch noch einen Kuß von Anna, einen von der Mutter und zum Schluß auch noch einen vom Vater bekam.