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Inhaltsübersicht

Über Markus Barth

Markus Barth, geboren 1977 in Bamberg, wuchs auf in Zeil am Main («Fachwerk! Frohsinn! Frankenwein!»). 1999 zog er nach Köln («Kölsch! Klüngel! Karneval!»). Dort arbeitet er als Autor und Headwriter für zahlreiche Fernsehshows (von «Ladykracher» bis «heute-Show»). Seit 2007 steht Markus Barth auch als Stand-up-Comedian auf der Bühne, sein Soloprogramm heißt «Deppen mit Smartphones».

 

Weitere Veröffentlichung:

Der Genitiv ist dem Streber sein Sex. Und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0

Über dieses Buch

Städte sind auch nur Dörfer mit ICE-Anschluss.

 

Seit fünfzehn Jahren lebt Markus Barth nun in der Großstadt. Und lernt immer noch täglich dazu:

• Chicorée ist Blumenkohl für Besserverdiener.

• Mit 3-D-Brillen kann man schlechte Filme noch viel intensiver erleben.

• «Heilfasten» ist genauso sinnvoll wie «Gesundprügeln».

• Obst-Matsch heißt jetzt «Smoothie». Mettwurst dagegen nicht.

Es ist eine verwirrende Welt. Aber mit Markus Barth macht sie wieder Spaß.

 

«Intelligent, gut beobachtet und sehr, sehr lustig.» (Moritz Netenjakob)

 

«Ihr erstes Buch wurde schon nach acht Tagen aus meinem Wartezimmer geklaut. Bei Dieter Bohlen hat‘s zwei Wochen gedauert.» (Markus Barths Zahnarzt)

 

«Ich lese sonst nur Südstaatendramen von William Faulkner, Shakespeare-Sonette und das Spätwerk von Dschinghis Dussetneky. Ausschließlich. Aber wenn in einem Buch ‹lesbisches Mett› vorkommt, werde ich schwach.» (Anke Engelke)

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2012

Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Umschlagabbildung Max Oppenheim/Getty Images

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Printausgabe 978-3-499-25856-5 (2. Auflage 2013)

ISBN E-Book 978-3-644-47461-1

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-47461-1

Für Joachim

«Wir haben uns von Konsum und Fortschritt überrollen lassen … Müssen wir zu allem ja sagen, was wir aufgetischt kriegen?»

(Öko-Bauer Michael Koch in einem beeindruckenden Artikel über sein Leben im Verzicht)

 

«Ach weißte was, jetzt bestell ich mir endlich das neue iPad.»

(Markus Barth, zwei Minuten nachdem er den beeindruckenden Artikel über Michael Koch gelesen hat)

Vorwort

Seit 15 Jahren wohne ich in der Großstadt. Alle Berliner Leser kichern vermutlich schon jetzt in sich hinein. «Haha», werden sie sagen, «lebt der nicht in Köln? Das ist doch keine Stadt! Das ist ein Kathedralen-Kaff.»

Und ein bisschen haben sie da sogar recht. Wenn man eine Zeitlang hier wohnt, merkt man: Köln ist im Grunde nur ein gemütliches rheinisches Dorf mit überraschend vielen Häusern. Manchmal glaube ich, diese Stadt hat nur deshalb so viele Gebäude und so lange Straßen, weil sonst der Rosenmontagszug zu schnell vorbei wäre.

Aber immerhin bekommt man hier auch nach zehn Uhr abends noch ein warmes Essen und nach zwei Uhr nachts eine Tüte Chips – für mich die Grundanforderungen an einen dauerhaften Wohnsitz (sorry, München, damit scheidest du wohl aus). Außerdem kann man hier so verrückte Dinge machen wie die «Lange Nacht der Museen» besuchen, bei einem Flashmob am Hauptbahnhof mittanzen und Kurse für chinesischen Obertongesang belegen. Nicht dass ich das jemals tun würde. Aber ich könnte, darauf kommt es doch an!

 

Zugegeben: Manchmal macht mich das Stadtleben auch wahnsinnig. Zum Beispiel, wenn mein Auto zum dritten Mal in zwei Monaten aufgebrochen wird. (Ein Camping-Bus! Was haben die sich erhofft? Ravioli aus Gold?) In meiner fränkischen Heimat kann man ein Auto wochenlang unabgesperrt stehen lassen, ohne dass irgendetwas passiert. Man kann sogar die Tür sperrangelweit öffnen. Dann kommt höchstens mal ein Nachbar vorbei und lehnt sie vorsichtig an, weil sonst der Hänger mit dem Grünschnitt nicht vorbeipasst.

 

Aber noch halte ich es aus in der Stadt. Noch hat das Reihenendhaus im Oberbergischen, dieses schwarze Loch für Mittdreißiger, das sie alle anzieht und früher oder später verschluckt, keine Sogwirkung auf mich.

Gut, wenn mein nächstes Buch dann heißt: «Da komm ich mit meinem Hänger nicht durch! – Erkenntnisse aus meinem Land-Leben», dann wissen Sie, was passiert ist.

 

Köln, im April 2012

Markus Barth

Mettwurst ist kein Smoothie

Erfinder sind meine Helden. Ich habe jahrelang davon geträumt, irgendwann einmal selbst ein Produkt zu entwickeln, das die Menschheit so richtig nach vorne bringt. Meine einzige Erfindung entstand allerdings im Laufe einer sehr langatmigen Religionsstunde in der zwölften Klasse: die Nasenloch-Verstärker.

Das waren zwei normale Lochverstärker, die man sich bei starkem Schnupfen über die Nasenlöcher klebt, damit die nicht immer so einreißen und wund werden. Vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen: Das Ganze wollte sich nie so richtig durchsetzen. Später habe ich es noch mit einer Variation versucht: dem Mundwinkel-Verstärker (zwei halbe Lochverstärker links und rechts gegen eingerissene Mundwinkel). Aber auch das hatte nicht den gewünschten Erfolg.

 

Erfindungen sind heutzutage aber auch eine schwierige Sache. Wie großartig muss das früher gewesen sein. Man sagte einfach: «Hör mal, is’ ganz schön kalt hier. Ich mach mal Feuer!», und hoppla – schon hatte man das Feuer erfunden. Heute dagegen sind die Grundlagen der Zivilisation schon alle entdeckt: Feuer, Rad, Tesafilm. Da kann es passieren, dass ein Tüftler nach jahrelanger Entwicklungsarbeit freudestrahlend aus seinem Labor gerannt kommt und ruft: «Heureka! Ich habe den dipolaren Chromosomen-Fluxator erfunden!», und seine Mitmenschen schauen ihn nur unbeeindruckt an. Vielleicht sagt dann sogar einer: «Ach, erfind doch lieber mal ’nen Tetrapack, den man öffnen kann, ohne dass die Milch oben rausschwappt», und der arme Mann verzieht sich wieder beleidigt in sein Labor.

Ein frustrierender Job.

 

Deshalb überlasse ich das Erfinden inzwischen lieber anderen. Und ich bin immer wieder überrascht, welche Neuheiten sich bei konsumfreudigen Großstädtern durchsetzen und welche nicht.

Beispiel: die Kopfmassagen-Kralle. Es gibt wohl kaum etwas, das so bescheuert aussieht, wie Menschen, die sich so einen Drahtkraken auf den Kopf setzen und ihn langsam auf und ab bewegen. Ich ließe mich ja vielleicht zum Kauf überreden, wenn mich wenigstens der Effekt überzeugen würde. Aber ich habe es mal bei einer Freundin, die so ein Ding hatte, ausprobiert und finde eine Kopfmassage mit der Drahtkralle genauso entspannend, wie eine halbe Stunde ohne Mütze durchs Gebüsch zu rennen. Trotzdem zahlen Millionen Menschen fünf bis zehn Euro für das bisschen Draht. Es ist mir ein Rätsel.

(Immerhin: Die Freundin erzählte mir, dass sie die Kralle mal an ihrem Hund ausprobiert hat. Der wurde dadurch aber so wuschig, dass er sich anschließend eine halbe Stunde lang an seinem Lieblingsstofftier schubberte. Das erzählte sie mir übrigens, nachdem sie mir die Kralle geliehen hatte.)

 

Eine andere Erfindung hat mir mein Kollege Sven vor kurzem aufgedrängt.

«Guck mal», sagte er und platzierte fünf bunte Fläschchen auf meinem Schreibtisch. «Ich hab Smoothies gekauft. Die guten aus England. Schon probiert?»

Noch so eine Sache, die mich ratlos macht: dass Engländer auf einmal als Fachmänner in Sachen gesunder Ernährung gelten. Früher aß man bei einem Ausflug auf die Insel Pommes mit Essig und Majo und gönnte sich hinterher einen frittierten Mars-Riegel. Heute pürieren die Erfinder von Black Pudding und Clotted Cream lieber Mangos, Litchis und Boysenbeeren, und Jamie Oliver rupft noch ein bisschen frische Minze obendrüber. Ich könnte schreien.

 

Da gegen Svens Begeisterung nicht anzukommen war, öffnete ich ein Fläschchen und setzte es an die Lippen.

«Und, wie schmeckt’s?», fragte er.

«Obft-Mapf», antwortete ich.

«Bitte was?»

«Es schmeckt nach Obst-Matsch», sagte ich, nachdem ich die Pampe runtergeschluckt hatte. «Wahrscheinlich, weil es Obst-Matsch ist.»

«Das ist doch kein Matsch. Das ist feinstes Fruchtpüree mit Fruchtsaft. Und jedes Fläschchen enthält das Gute aus zwei Portionen Obst!»

«Das enthalten zwei Portionen Obst aber auch! Wie viel kostet der Spaß denn?»

Sven zuckte die Schultern. «Keine Ahnung. Vier Euro oder so.»

«Vier Euro? Für 200 Milliliter püriertes Obst, das wahrscheinlich so gammelig war, dass sie es im Laden nicht mehr losgekriegt hätten?»

«Seit wann bist du denn so fortschrittsfeindlich?», fragte Sven.

«Bin ich gar nicht», antwortete ich. «Es graut mir nur davor, dass bald alles, was püriert, zermatscht und gehäckselt ist, Smoothie heißt und doppelt so viel kostet wie vorher. Reibekuchen mit Apfel-Smoothie, Bratwürste mit Kartoffel-Smoothie und aufm Weihnachtsmarkt Kohl-Smoothie mit Schweine-Smoothie.»

Sven schaute mich fragend an.

«Grünkohl mit Mettwurst», erklärte ich.

Sven verdrehte die Augen: «Kannst sagen, was du willst. Das ist ’ne tolle Erfindung.»

«Im Grunde ist das doch gar keine Erfindung», protestierte ich. «Obst wird schließlich von ganz alleine zum Smoothie. Du musst es nur lange genug im Korb liegen lassen.»

Sven schüttelte den Kopf.

«Ich lass dir die anderen mal da. Du wirst schon noch Fan.»

Dann zog er ab. Ich nahm mir ein Fläschchen und las die Aufschrift:

«Wir versprechen, dass wir niemals Konzentrate in unsere Smoothies mischen. Sonst kannst du es unseren Müttern erzählen.»

O Gott, dachte ich, der Obst-Matsch ist auch noch lustig! Ich hatte plötzlich unbändige Lust auf eine ganz humorlose deutsche Apfelschorle.

In dem Moment kam meine Kollegin Meike ins Zimmer und sah mich mit den Fläschchen.

«Wow, Smoothies!», rief sie. «Darf ich einen haben?»

«Klar. Alle. Sag bloß, du magst die?»

Sie nickte begeistert. «Ich verdünn sie mir aber immer mit Wasser. Sind mir sonst zu dickflüssig.»

Ich runzelte die Stirn. «Du verdünnst sie?»

«M-hm.»

«Aber sind verdünnte Smoothies nicht quasi einfach … Saft?»

Sie überlegte kurz. Dann nickte sie und lachte: «Stimmt!» Sie nahm sich kopfschüttelnd das Maracuja-Mango-Fläschchen und ging in die Küche.

 

Dass solche Leute meine Nasenlochverstärker nicht kaufen wollten, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Deutscher Meister im Danebensitzen

«Dein Bruder kann mich nicht leiden», sagte Stefan und schaute ernsthaft betrübt. Wir waren gerade zwei Monate zusammen und fuhren von unserem Familien-Antrittsbesuch in Franken zurück nach Köln.

«Wie kommst du denn darauf?», fragte ich, völlig irritiert.

«Der hat den ganzen Tag kein Wort mit mir geredet!»

«Na und?» Ich war erstaunt. «Das ist doch kein Zeichen, dass er dich nicht leiden kann!»

«Ach nein?»

Ich zuckte die Schultern. «Ich treffe jeden Tag Menschen, mit denen ich nicht rede. Den Busfahrer, den Besoffski im Kiosk, die lebende Statue am Rudolfplatz. Mit denen hab ich noch nie ein Wort gewechselt. Das heißt doch nicht, dass ich sie nicht leiden kann!»

Stefan schüttelte den Kopf. «Die lebende Statue sitzt dir auch nicht am Frühstückstisch gegenüber! Wenn dein Bruder mich leiden könnte, warum nimmt er dann, während ich von unserem Urlaub erzähle, den Sportteil der Zeitung und fängt an zu lesen?»

«Das kann ich erklären!», rief ich.

«Ach ja?»

«Ist doch klar: Den Politikteil hatte ja ich!»

 

Das war vielleicht die härteste Lektion, die Stefan in unserer Beziehung lernen musste: Kommunikation spielt in meiner Familie eine sehr untergeordnete Rolle. Wir können ganze Tage damit verbringen, zufrieden, aber wortlos vor uns hin zu schauen. Wenn es fürs Nichtkommunizieren eine Meisterschaft gäbe, meine Familie würde jedes Jahr den Cup holen.

(Einsatz Gerd Rubenbauer:) «Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zur Deutschen Meisterschaft im Danebensitzen. Unser nächster Teilnehmer: Markus Barth. Wir sehen ihn hier eingebettet in eine Kaffeerunde aus 14 Personen. Alle schnattern, alle reden, aber Markus Barth, der bleibt eisern, der schaut lächelnd vor sich hin, piddelt am Kerzenwachs herum und sagt kein Wort. Denn das ist sein Motto: ‹Nur dabei statt mittendrin!› Das hat er von seinen Eltern. Unvergessen die Barth’sche Hochzeitsfeier von 1969, auf der die beiden Ja-Worte die einzigen des Tages blieben …»

 

Manchmal glaube ich, es liegt gar nicht an meiner Familie, sondern eher an dem Landstrich, aus dem wir kommen. Der Franke an sich spricht einfach nicht gerne. Und wenn er es doch tut und zum Beispiel Lothar Matthäus heißt, wünscht sich alle Welt, er würde es wieder lassen.

Wer sich also in einem fränkischen Restaurant zu Einheimischen an den Tisch setzt, grüßt und dann auch noch um die Speisekarte bittet, muss schon damit rechnen, dass jemand die Augen verdreht und stöhnt: «Die Gosch’n geht in einer Tour!»

Im Grunde reicht nämlich ein einziges Wort, um sich in Franken zu verständigen. Es ist das schöne Wörtchen «Hrmpf». Natürlich ist es eher ein Laut als ein Wort, er kommt aus einer bei Franken besonders ausgeprägten Ecke des Brustkorbes, man zieht dazu kurz die Schultern nach oben und lässt Luft durch die Lippen gleiten: «Hrmpf.» Das Schöne an «Hrmpf»: Man kann es bei jeder Gelegenheit von sich geben. Als Gruß, als Ersatz für die Frage: «Wie geht’s?» und auch als Antwort darauf. «Hrmpf» passt immer. Vorausgesetzt, man stört damit niemandem beim Danebensitzen.

 

Meine Leidenschaft fürs Nonverbale hat Stefan anfangs vor allem deshalb so verwirrt, weil in seiner Familie traditionell sehr gerne gesprochen wird. Und am liebsten: gleichzeitig.

Unser erster Besuch bei meiner Schwiegerfamilie lief folgendermaßen ab: Wir saßen am Kaffeetisch, Bruder, Schwester und Oma musterten mich und fragten dann simultan: «Wie geht’s dir?/Was macht der Hund?/Was arbeitest du?»

Ich schaute ratlos von einem zum anderen, während Stefan mir im Hintergrund die Fragen noch einmal gestisch zu vermitteln suchte. Bevor ich aber etwas sagen konnte, setzten die drei schon wieder an: «Wo kommst du her?/Was ist das für ’ne Rasse?/Scheint bei euch daheim auch die Sonne?»

Mir lief allmählich der Schweiß von der Stirn, und ich fing an, am Wachs der Tischkerze herumzupiddeln.

Stefan wollte mir zu Hilfe kommen, aber als er zu sprechen anfing, taten sein Vater und seine Mutter natürlich dasselbe, und ich hörte nur einen Mix aus:

«Jetzt lasst ihn doch mal!/Was hat er denn?/Der hat doch was!»

Ich atmete tief durch, schaute von einem zum anderen, zog die Schultern hoch und sagte dann das Einzige, was mir in dem Moment einfiel:

«Hrmpf.»

 

Mittlerweile kriegen wir das übrigens etwas besser hin. Stefan hat seiner Familie nach unserem dritten Besuch einfach erzählt, dass ich aufgrund eines Tauchunfalls ein Hörgerät tragen muss und die Batterien «der totale Murks sind, fünf Minuten, dann kannste die wegschmeißen». Seitdem starren mir zwar immer alle auf die Ohren und sagen dabei: «Wo soll das sein?/Ich seh nix!/Kauf dir mal ein neues!», aber wenigstens kann ich ungestört vor mich hin schauen.

Gleichzeitig hat Stefan es sich zur Aufgabe gemacht, die Schweigemauer meiner Familie zu durchbrechen. Und hat damit sogar Erfolg. Ich kann voller Überzeugung sagen, dass ich fast alles, was ich über meine Familie weiß, von Stefan gelernt habe. Nach der letzten größeren Familienfeier seufzte er auf der Rückfahrt tief und sagte dann zu mir: «Ich finde es toll, wie deine Tante Anna den Verlust ihres Mannes weggesteckt hat.»

Ich schaute ihn mit großen Augen an. Stefan legte den Kopf schief: «Sag bloß, du wusstest nicht, dass ihr Mann gestorben ist!»

Ich schaute ihn mit noch größeren Augen an.

Und fragte dann: «Wer ist Tante Anna?»

Kurze Frage

Lieber Online-Klamottenversand «Frontlineshop»,

 

zwei Sachen muss ich vorausschicken:

Erstens: Ich bin wahnsinnig dankbar, dass es euch gibt. Kleidung im Internet zu bestellen war schon immer einer meiner größten Träume. Direkt nach «Treppenlifte mit Achterbahn-Speed» und «ARD ohne Reinhold Beckmann». Meine Einkäufe schleppe ich leider noch immer zu Fuß nach oben, und Beckmann, der alte Journalisten-Imitator, hängt weiterhin donnerstagabends quer über seinem Schreibtisch. Aber wenigstens ihr habt meinen Wunsch erfüllt. Ich kann meine Klamotten jetzt bei euch kaufen und spare mir das entsetzliche Geshoppe in der Innenstadt, wo mir fünfzehnjährige Verkäufer, dünn wie Reisigzweige, mitleidig lächelnd die 33er-Jeans reichen. Danke!

 

Zweitens: Ich bin wirklich kein Sprachpedant. Ich bin auch kein Mitglied der «Gesellschaft für deutsche Sprache» und möchte es nie werden. Mich langweilen diese spaßfreien Anglizismen-Zähler, die den lieben langen Tag vor ihren Computern, ach nee: Rechnern, sitzen und im Zwischennetz nach Sprachpanschern suchen, um dann sofort eine Beschwerde-Elektro-Post zu verschicken. Das ist anstrengendes Korinthengekacke für Deutschlehrer mit zu viel Zeit.

 

ABER!

 

Lieber Frontlineshop aus Hamburg,

wenn ich jetzt einfach mal quer über euren letzten Newsletter lese, in dem ihr euren Supreme Sale ankündigt mit den February Essentials, ach was sag ich: den Key-Pieces des Monats.

Wenn mir dann gleich der Buffalo Bomber Beanie mit dem Fake-Fur ins Auge springt, bevor der vielseitig kombinierbare Charlie im cleanen Colorblock-Look meine ganze Aufmerksamkeit beansprucht.

Wenn ich dann kurz denke: «Ach guck, ein Wollpulli», aber sofort von euch eines Besseren belehrt werde, weil es sich um einen Shawl Troyer Charcoal Heather handelt.

Wenn ich dann langsam zu den Schuhen komme, die alle so fresh sind, und ich mich dort entscheiden muss, ob ich den herausragenden Mid-Topper von Adidas oder doch lieber den Top Sider im Preppy-Style nehme.

Wenn sogar so unangestrengte Basics wie das Cotton Flight Jacket und der topaktuelle Henley von euch zu Everyday-Pieces erklärt werden.

Und wenn ich ganz unten auch noch von euch aufgefordert werde, in eurem Sale Forever aus 1000 reduzierten Styles meine persönlichen Faves rauszusuchen …

 

Da muss man doch schon mal fragen dürfen:

 

HAVE YOU THEM NOCH ALL?

 

Herzlichst

Markus Barth

Homo-Ehe für Dummies

Stefan und ich sind jetzt seit zehn Jahren zusammen. Das entspricht umgerechnet ungefähr siebzig Hetero-Jahren. Deshalb fanden wir es irgendwann eine gute Idee, zu heiraten. Man konnte ja schon damals, 2001, kaum ablehnen, als der Staat plötzlich sagte: «Hört mal, ihr Schwuppsis, folgender Vorschlag: Ihr dürft ab jetzt heiraten, ihr dürft’s nur nicht so nennen. Wir sagen lieber ‹verpartnert› oder ‹eingetragen› oder sonst irgendwas, das eher nach ’nem Zeitschriften-Abo klingt als nach Lebensbund. Rechte bekommt ihr auch keine, oder zumindest nicht so richtig viele, und das mit der Adoption, also, Freunde, da müsst ihr ja wohl selber lachen, oder? Aber immerhin haben wir uns dazu entschlossen, euch aufs Standesamt zu schicken und nicht auf die Kfz-Zulassungsstelle. Das ist doch schon mal was!»

Wie gesagt – ein verlockendes Angebot. Und in den letzten zehn Jahren hat sich alles noch mal verbessert, wir dürfen jetzt zum Beispiel … ähm … also wir können mittlerweile …

Na, jedenfalls wurde alles noch viel geiler, wer will sich da verweigern?

 

Wir haben also vor drei Jahren geheiratet. Wenn ich trotzdem – auch hier – meistens von meinem «Freund» rede, dann nur, weil mir der Ausdruck «mein Mann» immer noch nicht so richtig flüssig über die Lippen geht. «Mein Mann und ich», das klingt irgendwie nicht nach Stefan und mir. Oder überhaupt nach Mittdreißigern, die noch was vorhaben im Leben. Das klingt eher nach Chirurgengattinnen, die bei der Abo-Hotline der Kölner Philharmonie anrufen und so etwas sagen wie: «Mein Mann und ich sind sehr ungehalten über das Arbeiterpärchen, das gestern neben uns saß!»

 

Immer wieder überrascht mich, wie viele Leute noch nicht wissen, dass Lesben und Schwule in Deutschland heiraten können. Das klingt unglaublich, aber ich weiß nicht, wie oft mir schon Menschen gegenüberstanden und mich fragten: «Wird das hier denn anerkannt, so ’ne holländische Ehe?»

Und bevor nun die Leser mit Hochschulabschluss wissend in sich hineinschmunzeln und denken: «Na, das dauert eben, bis so eine Nachricht ins Prekariat hinabsickert», sage ich lieber gleich: Vorsicht! Ignoranz ist nach meiner Erfahrung vollkommen schulabschlussunabhängig! Meine Lieblingsreaktion stammt nämlich von einem durch und durch unprekären Redakteur, den ich auf einer Party kennenlernte. Nachdem ich ihm von Stefan und mir erzählt hatte, strahlte er mich an, als wäre ich ein Einrad fahrendes Känguru, und kiekste fröhlich: «Sie haben einen Mann geheiratet? Haha, das ist ja lustig! Und wer war die Braut?»

 

Das gibt’s doch nicht, dachte ich damals, im dritten Jahrtausend noch so ein von Klischees durchsetztes Bild von Homosexuellen – das muss sich ändern. Deshalb werde ich jetzt und hier ein bisschen Aufklärungsarbeit leisten. Mit einem echten, unverfälschten Einblick in unser Eheleben, wie es wirklich ist. Damit all die Vorurteile für immer ad acta gelegt werden können. Quasi «Homo-Ehe für Dummies»:

 

Im Grunde sind wir ganz normale Männer, die all das tun, was Männer so tun: essen, schlafen, Nägel lackieren. Wir wohnen in einem bescheidenen Luxus-Loft in der Kölner Innenstadt, das wir auch selbst eingerichtet haben, zusammen mit unseren beiden besten Freunden: «IKEA» und «Rosa Wandfarbe». Die Wohnung sieht immer aus wie geleckt; wie sollte sie auch verdrecken, Stefan und ich kleben uns ja dreimal am Tag einen Freddie-Mercury-Gedächtnis-Schnauzer ins Gesicht, schlüpfen in den dazu passenden Lederrock, singen «I want to break free» und tanzen staubsaugend durch alle Zimmer.

Dumm ist’s nur, wenn in der Wohnung mal was kaputtgeht. Da sind wir natürlich vollkommen aufgeschmissen. Aber dann schreien, heulen und jammern wir einfach so lange, bis unsere Freundinnen, die Lesben, in ihren Overalls und Holzfällerhemden kommen. Die schrauben dann mit ihrer Lieblingsrohrzange ein bisschen in der Gegend herum und rotzen dann und wann in die Ecke, während wir die Sporttasche packen und uns in den «Bauch, Beine, Po»-Kurs verabschieden.