Bernhard Hennen

Das Nachtvolk

Roman

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Prolog

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as für eine Nacht! Es schien, als wolle der Winter gar kein Ende mehr nehmen. Der Schnee war zwar schon vor zwei Wochen geschmolzen, doch dann kehrte die Kälte noch einmal zurück. Der junge Knecht blickte zu dem erleuchteten Turmfenster. Die Welt war ungerecht! Warum lag sein Herr jetzt dort oben in einem warmen Bett, und er mußte hier unten zwischen den Büschen des Kräutergartens kauern, um das Tor zur Festhalle zu beobachten? Das Jahr hatte ohnehin schlecht angefangen. Am Neujahrstag waren diese Sachsen angekommen. Wie ein Rotte Wildsäue hatten sie ausgesehen mit ihren dicken Pelzen, und dann dieser protzige Schmuck. Sogar die Krieger trugen goldene Ketten und Armreife. Barbaren! Golo schüttelte den Kopf. Er hatte nicht verstehen können, warum König Gunther ihnen Einlaß gewährte. Dieses Pack! Allesamt gebärdeten sie sich, als seien sie Fürsten und Könige. Sogar die Pferdeknechte der Sachsen hielten sich für was Besseres!

Golo rieb sich die klammgefrorenen Finger. Sein Herr ging da ganz anders mit diesen Barbaren um. Er wußte, wie man sie treffen konnte! Einen Bastard würde er diesem hochnäsigen Fürsten Horsa unterschieben!

Von der Festhalle erklang lautes Lärmen. Die große Tür öffnete sich, und ein breiter Streifen goldenen Lichts fiel auf den Hof. Sie kamen früher zurück, als er erwartet hätte. Verfluchte Sachsen! Golo formte seine Hände zu einer hohlen Kugel und blies durch den schmalen Spalt, der zwischen den beiden Daumen blieb. Ein leises und ziemlich unechtes Schuhu erklang. Golo fluchte leise. Sie hatten vereinbart, daß er seinen Herren mit dem Ruf eines Käuzchens warnte, wenn die Gesandten zurückkamen. Und jetzt das! Er versuchte es noch einmal, doch der zweite Käuzchenruf klang noch kläglicher.

Golo blickte zu dem erleuchteten Turmfenster. Nichts! Sein Mund war jetzt so trocken, als hätte man ihm eine Handvoll Mehl zu essen gegeben. Er mußte irgend etwas unternehmen! Sie durften seinen Herren nicht dort oben erwischen! Nicht auszudenken, wenn Horsa, der Leiter der sächsischen Gesandtschaft …

Golo formte seine Hände zu einem Trichter und stieß ein schauriges Geheul aus. Er hatte schon lange keinen Wolf mehr gehört, doch war er mit sich zufrieden. Im Geiste malte er sich eine graue Bestie mit fingerlangen Fängen und blutunterlaufenen Augen aus. Das war nicht irgendein Wolf, den er da nachahmte. So heulte ein Leitwolf oder vielleicht gar Fenris, der Götterwolf, von dem die Heiden manchmal sprachen. Noch einmal stieß der Knecht ein langes, klagendes Heulen aus. Wahrscheinlich würde den Sachsen gerade das Blut in den Adem gefrieren, und sie riefen ihre ewig betrunkenen Götter um Schutz an.

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»Euer Haar leuchtet wie das Licht der Sommersonne und kündet von der reichen Ernte der Liebe, die Eure wohlgeformten Schenkel versprechen.«

Amalasfrida lächelte und strich ihm mit einer ihrer goldenen Locken durchs Gesicht. »Ein freches Mundwerk habt Ihr, Herr Volker. Und doch ist es erbaulich, Euch zu lauschen. Ihr versteht es, schönere Worte für mich zu finden als jeder andere Mann, den ich kenne. Die Barden, die unsere Höfe besuchen, singen nur vom Krieg und von den Alten Göttern …«

»Dabei verdient es eine so schöne Frau, wie Ihr es seid, unablässig besungen zu werden.« Er beugte sich herab und küßte ihre Brüste. »Weiß wie Milch ist Eure Haut, und seht nur die kleinen Knospen, wie sie sich mir begierig entgegenrecken, so wie sich die Knospen des Rosenbusches zur Frühlingssonne strecken …«

Amalasfrida zog ihn zu sich hinab und küßte ihn. Ihre Hände tasteten über seinen Rücken, glitten tiefer … Was für ein Weib! Die Sachsen mochten ungewaschene Barbaren sein, doch die Frau des Herzogs vermochte jeden Mann die Kälte der letzten Winterabende vergessen zu lassen. Manchmal war sie leidenschaftlich und dabei so wild wie ein gereizter Eber, doch schon im nächsten Augenblick konnte sie wieder zahm und zärtlich sein. Nach seiner ersten Nacht mit ihr hatte sich Volker gefühlt, als habe er eine Schlacht geschlagen, und er wußte nicht zu sagen, ob er gewonnen oder verloren hatte. Sein Rücken war mit langen, blutigen Striemen überzogen, und überall auf seinem Leib hatten ihre leidenschaftlichen Küsse Spuren hinterlassen. Aber was bedeutete das schon im Vergleich zu einer Liebesnacht in ihren Armen!

»Habt Ihr das gehört?«

Volker blinzelte verschlafen. »Wovon sprecht Ihr, Liebste?«

»Da war ein Heulen, so als streiche ein halb verhungerter, alter Wolf um die Mauern der Burg. «

»Ein Wolf? So nah bei der Stadt hat sich im ganzen Winter noch kein Wolf blicken lassen. Vielleicht war es einer der Jagdhunde und …« Jetzt hörte auch der Spielmann das klägliche Geheul.

Amalasfrida richtete sich auf ihrem Lager auf. »Klingt irgendwie merkwürdig. Es scheint recht nahe zu sein. Fast, als wäre der Wolf schon innerhalb der Burgmauern.«

Volker schluckte. Sollte das etwa … Er warf die schwere Wolldecke zur Seite und griff nach seinen Beinkleidern.

»Was habt Ihr, Herr Volker?«

»Ich muß hinunter, nach dem Rechten sehen. Manchmal streift Königin Ute noch zu später Stunde durch den Kräutergarten. Wenn wirklich ein Wolf innerhalb der Mauern herumläuft, ist sie vielleicht in Gefahr …«

»Ein Weib, das sich von einem Wolf reißen läßt, hat nicht den Titel Königin verdient!« Sie lächelte. »Ich habe selbst einmal einen erlegt … mit einer Saufeder.«

Volker streifte seine Tunika über, griff nach dem Gürtel und nach seinem roten Wollumhang. »Nun, unsere Königin spaziert nur selten durch ihren Kräutergarten …« Mit einem Schritt war er beim Fenster und spähte in die Finsternis. Zwischen den Büschen war niemand zu sehen. Ein Geräusch ertönte an der Tür. Volker drückte das Licht der Kerze aus.

Eine riesige Gestalt beugte sich unter dem niedrigen Türsturz. »Ich sehne mich nach deinen Krallen, meine kleine Wildkatze, und … Bei Wotan! Wer steht da am Fenster?«

Volker machte einen Satz in die Tiefe. Er haßte es, wenn ein kultivierter Abend ein solches Ende nahm. Barbarenpack! Federnd landete er auf dem hartgefrorenen Boden und fluchte. Er hatte seine Stiefel oben vergessen! Geduckt rannte der Spielmann zwischen den Büschen hindurch in Richtung der Stallungen.

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Golo hatte sich auf dem Heuboden über den Pferdeställen verkrochen. Hier fühlte er sich dem Sommer näher. Es duftete nach Erntedankfest und Pferdemist. In eine alte Decke gewickelt, hatte er sich ein Nest gebaut wie die Vögel in den Bäumen. Es war sicher schön, ein Vogel zu sein. Frei durch die Lüfte zu ziehen und keinen Herren zu haben, der einen dauernd mit allem möglichen Unsinn drangsalierte. Golo wußte nicht, wohin die Vögel im Herbst flogen, aber er war sich sicher, daß sie einen besseren Platz gefunden hatten als das verschneite Worms.

»Wir sollten einmal über Käuzchenrufe reden, mein Freund!«

Golo lugte über den Rand seines Heunestes hinweg. Wie hatte Volker ihn hier oben finden können? »Ich, ähm … Ich habe noch zugesehen, wie Ihr ihnen glücklich entkommen seid, Herr. Hattet Ihr einen schönen Abend bei der Dame?«

»Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich denken, du willst mich foppen, Kerl! Mach Platz! Ich kriech’ bei dir unter. Die Sachsen rennen immer noch wie aufgescheuchte Hühner durch den Burghof und suchen nach einem Flüchtling ohne Schuhe.«

»Ohne Schuhe?« Golos Blick fiel auf Volkers nackte Füße. »Das muß ja gräßlich kalt sein.«

Statt zu antworten, bedachte der Spielmann ihn mit einem bösen Blick. »Warum hast du nicht das vereinbarte Signal gegeben? Wolltest du mitansehen, wie sich dein Herr auf einem Sachsenschwert macht? Hab’ ich dich vielleicht nicht immer gut behandelt? Welcher Diener bekommt von seinem Herren schon einmal ein ganzes Huhn geschenkt und …«

»Ich möchte nicht widersprechen, aber das mit dem Huhn war auf dem letzten Osterfest. Es ist schon fast ein Jahr her und …«

»Unterbrich mich nicht! « Volker packte ihn beim Wams. Für einen Spielmann war er recht stark, und wenn er nicht gerade mit Damen zu tun hatte, konnte er obendrein noch recht rüpelhafte Manieren an den Tag legen. Er sah zwar gut aus mit seinem langen, blonden Haar und den blauen Augen, doch wenn er schlechte Laune hatte, dann konnte man ihn eher für einen Halsabschneider als für einen Dichter halten, dem die Damen zu Füßen liegen. Golo hatte ohnehin nie begriffen, was man an den verdrehten Wortspielen finden konnte, mit denen sein Herr die Herzen aller Weiber eroberte.

»Warum hast du mich da oben ins Messer laufen lassen?« grollte Volker finster. »Was sollte dieses klägliche Wolfsgeheul?«

»Ich … Mir war plötzlich der Mund so trocken, als ich diese Sachsen gesehen hab’, und ich … ich konnte einfach keinen Käuzchenschrei nachmachen. Ich wußte nicht …« Volker stieß ihn ins Heu und hob drohend die Fäuste.

»Ich will die Wahrheit! Das gibt es doch gar nicht, daß du keine Vogelstimmen nachahmen kannst. Willst du mir etwa erzählen, du wärst nicht als kleiner Junge mit deinen Freunden in den Wald gelaufen, um dort allerlei Schabernack zu treiben? So etwas lernt man doch nebenbei, genauso wie reiten und …«

»Erinnert Ihr Euch noch an den Tag, an dem ich zum ersten Mal auf Eurem Pferd gesessen habe, Herr?«

Volker grinste breit und setzte sich neben ihm ins Heu. »Natürlich! War ein toller Spaß zuzusehen, wie Lanzenbrecher dich in den Schlamm geworfen hat.«

»Hmm … stimmt. Mein Hintern erinnert sich noch heute an diesen tollen Spaß. Ich bin damals im Schlamm gelandet, weil ich noch nie auf einem Pferd gesessen hatte. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch, Herr, ich bin der Sohn eines armen Bauern! Im ganzen Dorf hat es kein Pferd gegeben. Ich habe nie reiten gelernt, bis Ihr es mir beigebracht habt. Und ich bin auch nicht mit Freunden durch den Wald getollt. Ich habe Gänse gehütet, Pilze und Reisig gesucht, meinem Vater bei der Ernte oder beim Pflügen geholfen und …«

»Mir kommen die Tränen, Golo.« Volker kratzte sich am Kinn. Eine Zeitlang saßen sie einander schweigend gegenüber. Golo überlegte, ob er vielleicht etwas Falsches gesagt hatte. Dieses Schweigen beunruhigte ihn. Es wäre besser, wenn Volker fluchte und tobte. Schlechtgelaunte Adlige und Kirchenmänner, das war etwas, was er von Kindesbeinen an kannte. Aber ein Ritter, der einfach nur dasaß und einen anstarrte … Das war unheimlich. Ob der Spielmann wohl darüber nachdachte, ihn anzuklagen? Golo schluckte. Das war Unsinn! Volker konnte es nicht riskieren, über diese Angelegenheit öffentlich zu reden. Wenn ruchbar wurde, wer das Lager mit der Sachsenfürstin geteilt hatte, dann …

»Vielleicht habe ich dir Unrecht getan. Ich werde bei Gelegenheit darüber nachdenken. Auf jeden Fall werde ich dich den Ruf des Käuzchens lehren. Du bist als Knecht für mich völlig unbrauchbar, wenn du nicht einmal solche einfachen Kleinigkeiten erledigen kannst. Ich meine, es wird noch öfter geschehen, daß ich einer Dame meine Aufwartung mache, und möglicherweise wird es auch wieder vorkommen, daß du darauf achten mußt, wann der betreffende Ehemann zurückkehrt. Und noch etwas! Falls du es wieder mal vermasseln solltest … Versuche bitte nicht, einen Wolf nachzuahmen! Das war das jämmerlichste Wolfsgeheul, das ich jemals gehört habe. Ich hab’ schon drei Tage alte Hundewelpen gesehen, die bedrohlicher knurren konnten, als du das Geheul eines Wolfes nachmachst.«

»Aber ich …«

»Man widerspricht seinem Herren nicht, Knecht! Und man fällt ihm auch nicht ins Wort. Im übrigen denke ich, daß ich davon absehen werde, dir das Fell zu gerben. Ich hätte eben mit deiner Dummheit rechnen müssen. Das war mein Fehler.«

Golo blickte zu Boden. So kannte er sie, die Adligen! Es war besser, darauf nicht zu antworten. Bis heute abend hatte er sich gefreut, in Volker einen Herren zu haben, für den er nicht allzuviel tun mußte … Manchmal hatte der Dienst bei ihm sogar Spaß gemacht. Es war im letzten Winter gewesen, als Volker in Golos Heimatdorf geritten kam, das zum Lehen der Herren von Alzey gehörte. Er hatte sich die jungen Männer angesehen und schließlich ihn ausgewählt, mit auf die Königsburg nach Worms zu kommen. Er sollte sein Diener und Waffenknecht werden. Er bekam eine Stute und täglich eine Stunde Unterricht im Schwertkampf. Davon abgesehen mußte er sich um die Pferde kümmern und dafür Sorge tragen, daß die Kleider seines Herren immer in einem guten Zustand waren. Verglichen mit der harten Feldarbeit im Dorf war das eine Kleinigkeit. Das einzige, was Golo beunruhigte, war die Tatsache, daß es Volker offensichtlich unmöglich war zu akzeptieren, daß schöne Frauen gelegentlich bereits verheiratet waren. Wenn es um Weiber ging, kannte der Spielmann keine Scham. Ein paar Tage war es erst her, daß Volker ihm voller Stolz erzählt hatte, daß es ihm sogar schon einmal gelungen sei, eine Äbtissin zu verführen. Mochte der liebe Herrgott seiner Seele gnädig sein!

»Was brütest du vor dich hin? Freust du dich nicht, daß ich dich nicht bestrafen werde?«

»Selbstverständlich, Herr!« Golo nickte pflichtbewußt. »Sagt, wie habt Ihr mich eigentlich so schnell gefunden? Ihr könnt doch nicht gesehen haben, wie ich auf den Heuboden gestiegen bin.«

Der Spielmann lachte leise. »Ein guter Herr weiß stets, wo sich seine Knechte und Dienstmägde herumtreiben. Ein Stallbursche hat mir verraten, daß du dich gelegentlich hier oben verkriechst. Übrigens habe ich gerade beschlossen, daß es doch nicht weise ist, dich völlig ungestraft davonkommen zu lassen. Immerhin hat mich deine Dummheit heute abend ein Paar fast neue Reitstiefel gekostet.«

Golo zuckte innerlich zusammen. »Aber Ihr sagtet doch …«

»Ich hab’s mir anders überlegt. Gib mir deine Schuhe!«

»Meine Schuhe?«

»Glotz mich nicht an wie eine Kuh und tu endlich, was ich dir befehle. Ich habe nicht vor, die Nacht hier in einem Heuhaufen zu verbringen. Im Sommer und mit einem hübschen Mädchen im Arm mag das seinen Reiz haben, aber im Moment ist es entschieden zu ungemütlich in einem Stall. Im Burghof laufen wahrscheinlich immer noch ein paar aufgebrachte Sachsen herum und suchen nach einem Mann, der in dieser Eiseskälte barfuß unterwegs ist. Wahrscheinlich helfen ihnen mittlerweile sogar schon die Wachen König Gunthers. Deine Schuhe sind zwar meinem Stand nicht ganz angemessen, aber in der Dunkelheit wird das schon keinem auffallen.«

Golo löste die Lederriemen seiner Bundschuhe. Diese Sache hatte doch einen Haken! »Wie soll ich denn zu meinem Schlafplatz in der Küche gelangen, wenn Ihr jetzt…«

Der Spielmann grinste. »Es ist sicher keine gute Idee, in den nächsten Stunden barfuß über den Burghof zu spazieren. Du weißt ja, diese Barbaren … Aber hier ist es ja auch ganz gemütlich. Du hast eine Decke und das warme Heu. Ich finde, für einen Knecht ist das eine ganz gute Unterkunft. « Volker war in die Bundschuhe geschlüpft und verneigte sich mit großer Geste. »Du entschuldigst mich jetzt. Ich brauche meinen Schlaf. So wie die Dinge stehen, wird morgen bei Hof einiger Aufruhr herrschen …«

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Volker war überrascht vom Geschick, mit dem die Barbaren die Ereignisse der vorangegangenen Nacht verschleierten. Überall bei Hof war die Rede von einem tollkühnen Dieb, der an der Mauer des Turms hinaufgeklettert sein mußte, um den Schmuck der Prinzessin Amalasfrida zu stehlen. Damit wurde die Angelegenheit nun wiederum im höchsten Grade peinlich für König Gunther, der, so wie es schien, nicht einmal innerhalb der Mauern seiner Burg das Zepter in der Hand hielt. Beinahe wäre es schon am frühen Morgen zu einem Duell zwischen Gernot und einem der Sachsen gekommen, weil die Gesandten keine Gelegenheit ausließen, von der Schwäche des Königs zu tönen, und in ihrer Impertinenz forderten, daß der Schuldige bis zum Mittag des kommenden Tages gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden sollte.

Mit schlechtem Gewissen hörte Volker dem Gerede zu und begann darüber nachzudenken, ob er sich nicht stellen sollte, um den Ruf seines Königs zu retten. Amalasfrida und Horsa waren zum Mittagsmahl gemeinsam an der königlichen Tafel erschienen, und nichts deutete darauf hin, daß sich die beiden im Streit befanden. Zum ersten Mal fragte sich der Spielmann, ob es wirklich nur seine schönen Worte waren, denen die Prinzessin verfallen war. Sie hatte recht schnell seinem Werben nachgegeben … War er es am Ende, der zum Opfer einer Intrige geworden war? Suchten die Sachsen einen Anlaß, um den Krieg mit Burgund fortzuführen? Und hatte er ihnen diesen Anlaß nun geliefert?

Er mußte die Ehre seines Königs reinwaschen! Er konnte nicht einfach tatenlos bei diesem Intrigenspiel der Barbaren zusehen. Gerade wollte er sich erheben und in die Mitte des Saales treten, als Hagen hinter seinen Stuhl trat.

»Folgt mir auf den Hof, Herr Volker! « Die Worte waren nur geflüstert, doch in einem Tonfall, der Volker kalte Schauer über den Rücken laufen ließ. Der große, hagere Mann hatte immer etwas Unheimliches, und die meisten bei Hof mieden ihn. Doch sie beide hatten bislang stets ein gutes Verhältnis zueinander gehabt. Hagen hatte ihn im Schwertkampf unterrichtet und ihm oft mit weisem Rat zur Seite gestanden. Das Wort des dunklen Kriegers galt ihm mehr als selbst das seines leiblichen Vaters. In gewisser Weise sah er in dem Tronjer seinen Mentor. Auch wenn das düstere, melancholische Wesen des Recken seinem eigenen Charakter völlig zuwiderlief.

Einen Augenblick lang blickte der Spielmann Hagen unschlüssig nach. Wie stets trug er seinen langen schwarzen Umhang, einen schwarzen Waffenrock und darunter sein geschwärztes Kettenhemd. Auch hatte er sein Schwert umgegürtet, und er sah aus wie ein Mann, der in den Krieg ziehen wollte.

Ungeduldig drehte sich Hagen nach ihm um. Offensichtlich war es klüger, den Tronjer nicht warten zu lassen. Er stand jetzt in einer Nische des großen Festsaals, wo er vor den Blicken der meisten Gäste verborgen blieb. Vor allem die Sachsen am Kopf der Tafel konnten ihn dort nicht sehen. Volker erhob sich und entschuldigte sich mit ein paar höflichen Floskeln bei den Damen, die an seiner Seite saßen. Dann verließ er gemessenen Schrittes den Saal, so als würde er einem tiefen, inneren Drang folgen, um sich von den Zinnen der Burgmauer herab zu erleichtern.

Vor dem Festsaal erwartete ihn Hagen bereits. »Wenn es nach mir ginge, würde ich diese sächsischen Bastarde von unseren Wachen noch in dieser Stunde hinrichten lassen und ihre Köpfe auf Lanzen gespießt vor dem Burgtor aufstellen. Es ist mir unerträglich zuzusehen, wie sie unseren König demütigen. Wie steht Ihr dazu, Herr Volker?«

»Wenn Ihr mein Schwert fordert, stehe ich Euch jederzeit zur Verfügung.«

Hagen lächelte schief. Er hatte die Doppeldeutigkeit der Worte verstanden. »Wir haben zuwenig Männer unter Waffen, um uns auf einen Krieg mit den Sachsen einlassen zu können. Horsa weiß das genau, und deshalb demütigt er unseren König. Was Euch angeht, Herr Volker, denke ich, daß wohl niemandem geholfen ist, wenn Ihr bereit seid, Euer Leben in einem Duell mit mir zu verschenken. Ich schätze Eure Kunst und den leichten Ton, mit dem Ihr diesen Hof selbst in den dunkelsten Stunden zu bezaubern wißt. Euren Lebenswandel jedoch werde ich niemals begreifen. Warum bei den Göttern mußtet Ihr mit der Sächsin buhlen? Seid Ihr nicht mehr bei Sinnen?«

Der Spielmann schluckte. »Ich … Ich glaube, ich war verliebt.«

Hagen schüttelte den Kopf. »Wenn ich Euch das glauben könnte, mein Freund, dann stünden wir jetzt nicht hier. Wißt Ihr, Ihr seid entschieden zu oft verliebt …«

»Woher wißt Ihr eigentlich, daß ich in der letzten Nacht in der Turmkammer war? Nicht, daß ich es leugnen wollte, doch …«

Hagen öffnete die kleine, lederne Geldkatze an seinem Gürtel und zog einige scharlachrote Wollfäden heraus. Er hielt sie an den Umhang des Spielmanns. »Die Farbe stimmt, nicht wahr? Es gibt keinen außer Euch, der einen Mantel in dieser prächtigen Farbe besitzt. Die Wollfäden habe ich im Gebüsch unter dem Turmfenster gefunden. Damit steht für mich außer Zweifel, was sich in der letzten Nacht in der Kemenate dieser Sächsin ereignet hat! «

Volker versteifte sich. »Ich bin selbstverständlich bereit, die Verantwortung für meine Taten zu tragen. Ich werde vor den Hof treten und erklären, wie sich die Dinge in Wahrheit zugetragen haben. Und ich …«

»Und dann? Damit wird die Situation doch nicht besser! Gunther wird Euch für den Frevel am Weib eines Gesandten hinrichten lassen oder zumindest auf immer vom Hof verbannen müssen. Ich habe einen anderen Plan. Morgen werde ich verkünden lassen, daß der Dieb gefaßt ist. Auf dem Marktplatz der Stadt werde ich einen Mann hängen lassen. Er wird zwar bis zuletzt behaupten, daß er unschuldig ist, aber das tun sie ja alle …«

»Das ist Unrecht, Herr Hagen! Der Mann ist unschuldig! Ich habe Euch doch gerade erklärt, daß es niemals einen Diebstahl gegeben hat und daß ich bereit bin, für die Konsequenzen dessen, was tatsächlich geschehen ist, einzustehen.«

Der Tronjer lächelte kühl. »Ich möchte Euch nicht verlieren, Freund Volker. Der Kerl, den ich hängen lasse, ist ein Raubmörder. Um ihn ist es nicht schade. Im Gegenteil, durch seinen Tod hat er vermutlich das einzige Mal in seinem Leben Gelegenheit, seinem König einen Dienst zu erweisen. Gunther wird die Sachsen für den Verlust des Schmuckes reichlich entschädigen, und das einzige, was bleibt, ist eine böse Geschichte darüber, daß Gäste des Burgundenreichs nicht einmal in der Königsburg vor Räubern sicher sind. Was Euch aber angeht, Herr Volker, so möchte ich sicher sein, daß es für die restliche Zeit, die die Gesandtschaft bei Hofe weilt, nicht mehr zu weiteren Verwicklungen wie in der letzten Nacht kommt. Ich habe bereits mit dem König gesprochen, und auch wenn er nicht weiß, was sich in der Kemenate Amalasfridas wirklich zugetragen hat, hält er es für eine gute Idee, Euch an den Hof seiner Nichte in Aquitanien zu schicken. Seit ihrer Hochzeit mit dem Baron Rollo von Marans hat man nichts mehr von ihr gehört, und sie wird sicherlich sehr einsam sein. Reist also nach Marans und leistet ihr den Sommer über Gesellschaft. Ich bin sicher, daß sich alle bei Hof freuen werden, wenn wir Euch zum Christfest wiedersehen, Herr Volker.«

»Aber … Das ist fast ein Jahr. Ihr könnt mich doch nicht ein ganzes Jahr lang in die Fremde schicken! «

Hagen runzelte die Stirn. »Ich kann morgen einen Unschuldigen für Eure Taten hängen lassen. Reden wir lieber nicht darüber, was ich sonst noch alles kann. Packt Eure Sachen und macht Euch zur Abreise bereit. Wenn sich morgen abend die Raben auf den Schultern des Gehängten niederlassen, solltet Ihr schon ein gutes Stück des Wegs gekommen sein. Versteht mich nicht falsch! Ich möchte Euch nicht verlieren, doch wenn ich befürchten muß, daß Ihr dem König durch Euer Ungestüm in Herzensangelegenheiten noch weitere Schwierigkeiten bereiten werdet, könnte ich vielleicht gezwungen sein, zu Mitteln zu greifen, die eine Reise nach Aquitanien noch vergleichsweise angenehm erscheinen lassen. Auch wenn wir gute Freunde sind, Herr Volker, gilt meine Treue doch zuallererst dem König!«

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1. KAPITEL

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olo hatte die beiden Pferde trockengerieben und ging vom Stall zur Schenke. Was für ein Sauwetter! Seit drei Tagen regnete es. Wohin man sah, war Wasser. Die dürftigen Straßen bildeten eine einzige Pfütze, daneben Kanäle und bis zum Horizont Sumpf. Seine Kleider waren von oben bis unten mit Schlamm bespritzt, und er hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib. Das war keine Jahreszeit, um zu reisen! Sie hätten jetzt auf der schönen, warmen Burg bei Worms sitzen können. Aber sein Herr mußte ja unbedingt dieser verfluchten Sächsin nachstellen. Volker sprach zwar nicht gerne darüber, doch ahnte Golo, daß sie der Grund für ihre überstürzte Reise gewesen war. So war das Leben als Knecht! Die Herren begingen eine Torheit, und wer mußte dafür zahlen? Ihre Knechte! Und jetzt auch noch das Spielchen mit dem Duell. Drei Tage lang hatte er Ruhe gehabt, doch es gab Gerüchte über Räuberbanden und Unholde aus den Mooren, die diese Gegend unsicher machten. Deshalb hatte Volker beschlossen, daß es heute wieder soweit sei. Golo blickte flüchtig auf den Platz in der Mitte des kleinen Dorfes. Hier mitten im Morast würde der Kampf stattfinden. Wütend spuckte der Diener aus und trat dann durch die niedrige Tür in die Schenke.

»Gott zum Gruß, Fremder. Habt Ihr die Tiere versorgt? Ein verfluchtes Wetter heute, nicht wahr?« Auf einem Stuhl neben dem Feuer hockte der hagere Schankwirt und blickte grinsend von dem Fisch auf, den er ausnahm.

Golo schaute ihn verdrießlich an. »Ich hab’ schon Flüsse gesehen, die weniger Wasser führten als Eure Straßen.«

Der Wirt lachte. »Ihr müßt auch die guten Seiten sehen. Hier gibt es jede Menge Fische. Ich bring’ Euch ’nen Teller Suppe, und nach ’nem Schluck Branntwein, wenn Ihr erst einmal wieder warm geworden seid, sieht alles schon ganz anders aus. Den Rest des Tages werdet Ihr Euch den Regen von hier im Trocknen anschauen können. In drei Stunden beginnt es zu dämmern. Ihr werdet doch gewiß nicht mehr weiterreiten wollen.«

Golo schnallte den Schwertgurt ab und legte die Waffe vor sich auf den Tisch. Dann zückte er den Löffel, den er seitlich im Stiefel stecken hatte, und blickte erwartungsvoll zu dem großen, dampfenden Topf, der über dem Feuer hing. Außer dem Wirt waren nur noch drei Bauern in der Schenke. Es war besser, jetzt schon mit dem Spiel anzufangen. Bei dem Regen würde es sicher nicht mehr lange dauern, bis Volker auftauchte.

»Ist sicher besser, noch ein paar Meilen zu reiten, bis es dunkel wird. Sollte schauen, daß ich weiterkomme. Bis zu den Mauren wird er mir vielleicht nicht folgen.«

Der Wirt stellte eine Schüssel voll dampfender Fischsuppe vor ihm auf den Tisch. Golo rümpfte die Nase. Er haßte Fischsuppe! »Wer soll Euch nicht bis zu den Mauren folgen, Herr?«

Schlürfend begann der Knecht, die Suppe auszulöffeln. »Habt Ihr noch ein Stück Brot?«

»Erzählt mir Eure Geschichte und was draußen in der Welt so vor sich geht, und ich schenk’ Euch ein Brot. Wißt Ihr, nach hier verirrt sich nur selten jemand. Wir haben schon lange keine Neuigkeiten mehr gehört.«

Golo blickte von der Suppe auf. »Ihr seid doch ein gottesfürchtiger und ehrbarer Mann, nicht wahr?«

Der Wirt nickte eifrig. »Natürlich. Frag nur den Pfaffen nach mir. Es gibt kaum eine frömmere Seele als mich hier im Dorf.«

Das Gespräch der Bauern am anderen Tisch verstummte. Golo saß mit dem Rücken zu ihnen, doch er konnte förmlich spüren, wie sie jetzt die Hälse reckten und ihre Ohren spitzten.

»Wißt Ihr, Freund, ich bin auf der Flucht. Ohne mein eigenes Verschulden hat der Himmel mich mit einem großen Unheil gestraft. Kurz nach dem Christfest war ich in Worms am Königshof der Burgunden. Ich hatte dort ein Geschäft zu tätigen. Hab’ ein bißchen Vieh verkauft … König Gunther bewirtete ein paar sächsische Gesandte, und ich sag’ Euch, die Kerle haben ihm förmlich die Haare vom Kopf gefressen. Jeden Tag gab es einen Ochsen am Spieß und noch viel mehr. Nun, wie ich so auf dem Hof der Burg stehe, kommt ein hübsches Fräulein vorbei und verliert ein Tüchlein, das sie im Ärmel ihres Gewandes getragen hatte. Sie hat’s offensichtlich nicht bemerkt, und so beuge ich mich hinab, hebe das Tüchlein auf und reiche es ihr. Sie bedankte sich recht artig und ging ihrer Wege. Als ich dann zum Schlachtmeister gehen wollte, um mit ihm zu besprechen, ob er noch mehr fette Ochsen gebrauchen kann, kommt plötzlich so ein junger Ritter auf mich zu. Ich sag’ Euch, seine Augen funkelten wie geschliffene Dolche. Er packt mich am Wams und zerrt mich in einen Stall, wo wir allein sind, und dort fängt er an zu schreien wie ein Eber auf dem Sauspieß. Behauptet, ich hätte ihn und seine Dame beleidigt, und ich hätte meine ungewaschenen Finger von dem Tüchlein lassen sollen. Daß sie es habe fallen lassen, sei ein Zeichen nur für ihn gewesen, und dadurch, daß ich es aufgehoben hätte, sei nun alles verdorben. Am Ende forderte der Kerl mich zum Duell heraus. Er meinte, die Ehre seiner Dame könne nur mit meinem Blut wieder reingewaschen werden. Zum nächsten Morgengrauen sollte ich bei einer Kapelle im Wald auf ihn warten.« Golo brach ein Stück von dem Brotlaib, den die Frau des Wirtes inzwischen gebracht hatte, und wischte damit die Suppenschüssel aus.

»Und dann? Habt Ihr etwa den Ritter im Zweikampf besiegt? Wie geht die Geschichte weiter?«

Der Knecht maß den Wirt mit einem abfälligen Blick. »Sehe ich vielleicht aus, ab sei ich verrückt? Ich bin doch kein Krieger! Ich habe die Zeit, die mir noch blieb, genutzt, meine Sachen gepackt und bin auf und davon. Wißt Ihr, ich habe mich erkundigt, wer dieser Ritter war. Volker von Alzey heißt er, und man sagte mir, er sei der beste Schwertkämpfer im Burgundenreich. Selbst den mächtigen Hagen könne er besiegen. Was soll ich mich mit so jemandem schlagen? Der schlitzt mir den Bauch auf, noch bevor ich blank gezogen habe. Nein, nein! Ich bin zwar nur ein einfacher Mann, aber dumm bin ich nicht! «

Golo rülpste und blickte nachdenklich auf den kleinen Zinnbecher, den er während des Mahls geleert hatte. Der Wirt füllte ihm nach.

»Nun, ich war noch keine drei Tage unterwegs, als ein Händler, den ich des Weges traf, mich warnte. Er war am Vorabend einem furchterregenden Ritter mit langem, blondem Haar begegnet, der nach mir suchte. Dieser verfluchte Herr von Alzey hatte sich auf meine Spur gesetzt. Erst vorgestern habe ich wieder Reisende getroffen, die ihn gesehen haben. Er muß wie von Sinnen sein. Sie berichteten mir, daß er bei Martinopolis eine Bande von fünf Räubern erschlagen hat, die sie bedrohte. Er soll wie ein Wilder und ohne Gnade gefochten haben. Deshalb, Freunde, bin ich in großer Sorge. Was mag diesen Mann nur dazu treiben, mich wegen des Tüchleins einer Dame so unbarmherzig zu verfolgen? Einmal soll er sogar ein Haus angezündet haben, in dem ich nächtigte. Sagt selbst, Herr Wirt, muß man da nicht verrückt sein?«

»Nun ja, wer versteht sie schon, die adligen Herren und …« Draußen auf dem Marktplatz ertönte lautes Geschrei.

»Golo von Worms! Wo steckst du Bastard! Ich werde dir das Herz herausreißen! «

Der Knecht zuckte zusammen und griff nach seinem Schwert. Jetzt kam es darauf an, den Schlußakt überzeugend zu spielen. »Bitte, Herr Wirt, versteckt mich! Dieser Wahnsinnige wird mich ermorden!«

Die Bauern waren aufgestanden und spähten durch die Tür, die sie einen Spaltbreit geöffnet hatten. »Ich …« Der Wirt erhob abwehrend die Hände. »Ich habe kein Kloster. Sucht woanders Unterschlupf. Ich will nicht, daß er auch mir den roten Hahn aufs Dach setzt. Mach, daß du hier wegkommst, Kerl.«

»Nun, Ihr habt also meinen Tod beschlossen. So sei es! Meine Flucht wird heute ein Ende haben!« Golo stand auf und trat zur Tür. Die Bauern wichen zur Seite. Der Knecht konnte seinen Herren jetzt sehen. Volkers Auftritt war eindrucksvoll wie immer. Auf seinem weißen Hengst mit dem weiten scharlachroten Umhang und dem weißen Waffenrock sah er aus wie ein Recke aus den Liedern der Spielleute. Das blanke Schwert in der Hand, ließ er sein Pferd steigen und trieb es dann in Richtung der Schenke. Überall vor den armseligen Häusern des Dorfes hatten sich Schaulustige versammelt.

Golo stieß die Tür des Wirtshauses auf. »Wohlan denn, Herr von Alzey. Laßt uns unseren Zwist zu Ende bringen!« Wenigstens hatte es inzwischen aufgehört zu regnen.

»Endlich ist die Stunde der Rache gekommen, du Wicht! Fünfhundert Meilen bin ich dir gefolgt!« Der Spielmann schwang sich aus dem Sattel und trat mit gesenktem Schwert auf ihn zu. »Nimm das!« Mit kraftvollem Stoß versuchte er, dem Knecht die Waffe in den Leib zu rammen. Wohl hundertmal hatten sie dieses Spiel auf ihrer Reise geprobt, doch Golo hatte stets Angst davor. Er machte einen Schritt zur Seite und ließ die Klinge des Ritters an seiner Waffe abgleiten. Volker setzte nach und stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Wie üblich war der Treffer auch diesmal heftiger als vereinbart, und Golo ging stöhnend in die Knie.

»Komm hoch, du elender Wurm, und wehr dich.«

Der Knappe blieb in der Tür am Boden hocken und rieb sich über die Rippen. Er haßte diese Auftritte!

»Es ist eine Schande, wenn ich meine Klinge mit deinem Blut besudle, Bastard. Du führst dein Schwert wie einen Besenstiel.«

Golo konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie einige der Bauern grinsten. Für sie war das Schauspiel eine unterhaltsame Abwechslung im täglichen Einerlei.

»Du weißt, daß man mich den besten Schwertkämpfer von Burgund nennt, obwohl meine Bescheidenheit es mir verbietet, diesen Titel anzuerkennen. Wenn ich also unter diesen Umständen gegen dich kämpfen würde, so könnte man mich zu Recht einen Mörder nennen. Damit auch dir die Hoffnung bleibt zu obsiegen, werde ich nun meine Augen verbinden und blind gegen dich weiterkämpfen. Das Duell endet, wenn einer von uns beiden in seinem Blute am Boden liegt.«

Golo kämpfte sich mit einem Seufzer auf die Beine. »Ihr seid von Sinnen, Herr. Wer vermag es schon, sich mit verbundenen Augen zu wehren.« Der Knecht konnte hören, wie die Bauern hinter ihm wetteten, wer den Zweikampf gewinnen würde. Argerlicherweise setzte kaum jemand auf ihn.

»Schweig, du Rattengesicht!« tönte Volker, dem seine Rolle stets großes Vergnügen bereitete. »Was weißt du schon von Ritterlichkeit und Schwertkunst? Glaube nicht, daß dein Sieg schon gewiß ist.«

»Wohlan, bringen wir unseren Streit zu Ende! Möge der Herr Eurer Seele gnädig sein.«

»Du!« Der Spielmann zeigte auf das hübscheste unter den jungen Bauernmädchen, die dem Spektakel zusahen. »Komm zu mir und verbinde mir mit dem Tuch, das du um den Hals trägst, die Augen. Und schenk mir ein Gebet, auf daß du nicht zur Nacht mein Blut aus dem Stoff waschen mußt.« Es wurde schlagartig still auf dem Platz. Unruhig blickte sich Golo um. Für gewöhnlich konnte man an dieser Stelle den einen oder anderen der Zuschauer hämisch grinsen sehen. Das Mädchen mit dem Tuch war leichenblaß geworden. Sie schlug ein Kreuz und bewegte die Lippen, als spreche sie tatsächlich ein leises Gebet.

»Deine Sorge um mich ehrt dich, Kleine. Doch sei gewiß, daß mir kein Unglück widerfahren wird. Ich habe noch niemals ein Duell verloren. Herr Golo, macht Euren Frieden mit Gott.«

Volker kniete nieder, damit das Mädchen ihm die Augen verbinden konnte. Natürlich dachte er nicht daran, seinen Waffenrock zur Seite zu schlagen oder einfach nur sein Haupt zu beugen. Er mußte den Dreck ja nicht auswaschen! Mindestens hundertmal hatte Golo schon versucht, ihm auszureden, während der Reise das weiße Gewand zu tragen. Jeden Schlammspritzer sah man darauf! Der Knecht packte sein Schwert fester und ging auf den Dorfplatz hinaus.

Das Mädchen hatte dem Spielmann inzwischen die Augen verbunden. Die Klinge leicht angehoben, wartete er auf Golo. »Gut, Herr, Ihr habt es so gewollt!« Golo berührte mit seiner Waffe die Spitze von Volkers Schwert. »Bringen wir es hinter uns! « Mit drei schnellen Schlägen eröffnete der Knecht das Gefecht. Volker parierte die Angriffe mühelos.

Golo machte einen Satz zurück und rutschte dabei fast im Schlamm aus. Torkelnd gewann er sein Gleichgewicht. Irgendwo hinter ihm lachte jemand. Wütend biß der Knecht die Zähne zusammen. Er war bei diesem Schauspiel stets der Dumme.

»Nun, versuchst du etwa, mir davonzulaufen?« Das war das Stichwort für den nächsten Angriff. Golo wußte, daß der Spielmann jetzt stumm bis sechs zählen würde, um dann herumzuschnellen. Mit ein paar schnellen Schritten umrundete er den blinden Ritter und gelangte so in dessen Rücken. Auch er zählte leise mit. Bei sechs sprang er vor und holte zu einem mörderischen Schlag aus, der auf den Kopf des Spielmanns zielte.

»Hinter Euch, Herr Ritter«, schrie das Mädchen, das Volker sein Tuch gegeben hatte. Der Spielmann fuhr herum und riß sein Schwert hoch. Mit lautem Klirren schlugen die beiden Klingen aufeinander. Nun ging der Ritter zum Angriff über. Mit ein paar wütenden Schlägen trieb er Golo zurück und prellte dem Knecht zum Schluß mit einer gewandten Drehung die Waffe aus der Hand. Dann zielte er mit der Schwertspitze auf die Brust des Dieners und löste mit der Linken die Augenbinde.

»Nicht einmal so seid Ihr ein würdiger Gegner! Wollt Ihr mich um Gnade bitten?«

»Ja, Herr!« Mit flehend erhobenen Armen kniete Golo nieder und achtete darauf, sich nicht allzu schmutzig zu machen. »O mächtigster aller Schwertkämpfer, jeder weiß, daß Ihr der edelste Ritter unter Gottes Sonne seid und Eure Gnade nur von Eurer …«

»Übertreib nicht so!« zischte der Spielmann leise. »Du verdirbst noch den ganzen Auftritt.« Dann fuhr er lauter fort: »Ich werde dir dein Leben schenken, Golo, doch um die Kränkung meiner Ehre zu sühnen, sollst du mir ein Jahr und einen Tag lang als Diener folgen.«

»Ich werde alles tun, was Ihr wollt, Schwertmeister!«

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Volker war in allerbester Stimmung, als er mit seinem Waffenrock über dem Arm in den Stall trat. Golo war gerade damit beschäftigt, Lanzenbrecher zu striegeln. Er zog ein Gesicht, als hätte man ihn gezwungen, faule Eier zu frühstücken.

»Nun, mein Freund! Was ist los mit dir? Man hat uns doch freundlich aufgenommen. Der Wirt hat eine gute Küche, und sein Gastzimmer müssen wir offenbar nicht mit Flöhen teilen … Was will man mehr?«

»Ich finde, daß es nicht nötig war, schon wieder dieses Spektakel aufzuführen, Herr Volker. Ihr seid ein Ritter, ein Mann von Stand! So ein Schauspiel ist unter Eurer Würde!«

»Es ist jetzt drei oder vier Tage her, daß wir unser kleines Spektakel zum letzten Mal gezeigt haben. Unser Ruf hat sich bestimmt noch nicht bis hierher herumgesprochen. Es war an der Zeit, etwas zu tun. Der Winter ist vorbei, und die Vorräte sind überall fast aufgebraucht. Es ist eine Zeit, in der Bauern auf dumme Gedanken kommen können. Mit dem Gold, das man für unsere Waffen und Pferde bekommen kann, könnte man ein Dorf wie dieses hier ein ganzes Jahr lang durchfüttern. Die Versuchung wäre groß, uns einen Hinterhalt zu legen. Wir sind zwei Fremde, die niemand vermissen wird. Nach dem Auftritt vorhin wird sich die Geschichte um meine Schwertkunst wie ein Lauffeuer verbreiten, und mit jedem Bauern, der sie weitererzählt, wird sie noch ein wenig eindrucksvoller werden. Das heißt, wir können in den nächsten Tagen wieder sicher reisen. Jeder Strauchdieb wird einen weiten Bogen um uns machen.«

»Aber Ihr seid doch ein Ritter, Herr! Was könnten Euch ein paar schlechtbewaffnete Bauern schon antun?«

Volker lachte bitter. »Auch mich vermag ein Pfeil im Hals oder ein Speer, der mich hinterrücks trifft, zu töten. Außerdem macht es mir keine Freude, ein paar Hungerleider abzuschlachten, die dumm genug sind, um mich mit Knüppeln und Dolchen zu überfallen. Ich habe meine Waffenkunst nicht erlernt, um mich mit solchem Pack zu messen.« Der Spielmann legte den Waffenrock über ein leeres Faß. »Sieh zu, daß du den Rock säuberst. Irgendwie habe ich mich während des Kampfes mit Schlamm besudelt.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich diesmal wirklich in acht genommen.«

»Gewiß«, knurrte Golo leise.

Volker seufzte. Es war wirklich nicht leicht, die ständige schlechte Laune seines Reisegefährten zu ertragen. Golo sollte froh und dankbar sein! Er war der Sohn eines Leibeigenen. Hätte er ihn nicht als seinen Knecht auserwählt, wäre er ein Leben lang hinter einem Pflug hergelaufen. Er hätte niemals fremde Länder zu sehen bekommen und Abenteuer an der Seite eines Ritters erlebt. Es gab genug junge Burschen, die ihre rechte Hand opfern würden, um derart vom Schicksal begünstigt zu werden.

»Der Wirt sagt, daß der Waschplatz eine halbe Meile nördlich vom Dorf liegt. Dort verläuft ein kleiner Fluß, in den ein flacher Felsen hineinragt. Angeblich gibt es dort Feenwesen, die gar nicht gut auf Menschen zu sprechen sind. Baron Rollo hat vorgestern eigenhändig eine Eiche in einem heiligen Hain gefällt, um gegen den Aberglauben der Bauern und Fischer vorzugehen. Jetzt flüstern sie, daß eine Fee namens Morrigan kommen wird, um ihn zu holen. Nach Dunkelheit wird sich keiner mehr vor die Tür wagen. Sieh also zu, daß du beizeiten zurück bist. Ich werde heute abend in der Schenke zur Laute singen. Dafür sind das Zimmer und das Essen frei. Schlag dir den Bauch voll! Man hat ein Zicklein für uns geschlachtet.«

»Jawohl, Herr Ritter!« Golo verbeugte sich übertrieben unterwürfig.