Was Sie in diesem Buch finden
Einführung
Grundlagen der Hundeerziehung
Entwicklung und Lernen beim Hund
Die Entwicklungspsychologie des Hundes
Wie lernt und verlernt ein Hund?
Der richtige Umgang mit dem Hund
Wichtige Regeln und Hinweise für eine erfolgreiche Hundehaltung
Hilfsmittel bei der Arbeit
Halsband und Leine
Technische Geräte
Halti und Gentle-Leader
Wurf- oder Rasselkette
Unterstützende Behandlungsmethoden
Medikamente
Homöopathie und Bach-Blüten
Tellington-Touch
Was ist eine Verhaltensstörung?
Wie wird sie definiert?
Dem Problem auf der Spur: das Verhaltensprotokoll
Beispiele aus der Praxis
Aggressives Verhalten
Dominanz als natürliche Verhaltensweise
Dominanzaggression gegenüber Menschen
Dominanzaggression gegen Hunde im gleichen Haushalt
Dominanzaggression gegen fremde Hunde
Aggression beim Verteidigen des Territoriums
Eifersuchtsaggression (kompetitive Aggression), auch gegenüber Kindern
Beuteaggression gegen Menschen und andere Lebewesen
Angst- und Schmerzaggression (Angstbeißen)
Erregung, Furchtsamkeit und Phobien
Trennungsangst
Nicht durch Trennungsangst bedingte Destruktivität
Angst vor Lärm (Lärmphobien)
Allgemeine übermäßige Furchtsamkeit und unterwürfiges (submissives) Harnen
Autofahren
Kot-Fressen (Koprophagie)
Ausbrechen und Streunen
Keine Verhaltensstörung, aber störendes Verhalten
Der richtige Hund für den richtigen Halter
Die Tricks der Hunde
Häufige Erziehungsprobleme
Wenn alles nichts mehr hilft…
Schlusswort
Anhang
Stichwortverzeichnis
Adressen, die Ihnen weiterhelfen
Impressum
Interessante Themen im Überblick
Die Entwicklungsphasen des Hundes
Hunde in der Stadt
Haben Hunde ein Gewissen?
Genereller Leinenzwang?
Häufig angewendete homöopathische Mittel
Bach-Blüten zur seelischen Regulation
Erste Hilfe mit Bach-Blüten (Rescue-Tropfen)
Diagnose und Behandlung von Verhaltensstörungen
Die Signale für Dominanz
Wann könnte sich ein dominanter Hund herausgefordert fühlen
Allgemeine Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Dominanz
Kampfhunde
Vor- und Nachteile einer Kastration
Hundebegegnungen ohne Stress
Hunde, die Kinder ablehnen
Richtiges Radfahren mit dem Hund
Mit Mausefallen fängt man nicht nur Mäuse…
Bewegungsmöglichkeiten für Hund und Herrn
Verhaltensunterschiede zwischen Rüden und Hündinnen
Grundlegende Fragen vor der Anschaffung eines Hundes
Rassen für Anfänger, Erfahrene und Spezialisten
Die »Tricks« der Hunde
Verhaltensprofile von Hunderassen
Wunsch- und Fehlverhalten des Hundes
Sinnvolle Beschäftigung für den Hund
Es gibt viele Arten, sich mit Tieren zu beschäftigen. Eine der schönsten ist es, Tiere in ihrem natürlichem Verhalten zu beobachten, wie sie stundenlang über die Wiesen tollen, anderen Hunden begegnen oder ohne menschliche Einmischung ein Problem lösen. Aber im Alltag von Mensch und Hund müssen von beiden Seiten viele Regeln eingehalten werden, damit alle Beteiligten und die Umwelt zufrieden sein können. Da der Mensch sich bis zu einem gewissen Grad in einen Hund hineinversetzen kann, aber umgekehrt der Hund nur in seiner Hundewelt lebt, liegt es am Menschen, möglichst viel über seinen vierbeinigen Gefährten zu wissen.
Seit einiger Zeit hat sich ein Zweig der Ethologie (Verhaltensforschung) verstärkt der Tierpsychologie zugewandt. Im Gegensatz zur Ethologie, die inzwischen vorwiegend physiologisch ausgerichtet ist und sich meist summarisch mit einer ganzen Tierart beschäftigt, sieht die Tierpsychologie im Tier nicht nur einen »Forschungsgegenstand«, sondern das unverwechselbare Individuum. Die Tierpsychologie versucht, das einzelne Tier in seinem Fühlen und Verhalten zu verstehen. Nach einer Definition von Heini Hediger, einem der wichtigsten Tierpsychologen unserer Zeit, ist die Tierpsychologie Verhaltensforschung plus einfühlendes Verstehen.
Das Tier wird zur Persönlichkeit, ohne es zu vermenschlichen. Die neuere Forschung bestärkt mich aber in meiner Meinung, dass man speziell den höher entwickelten Tieren durchaus ein Bewusstsein zusprechen sollte. Man darf aber nur nicht den Fehler machen, den Menschen als Maß aller Dinge zu nehmen. Unsere Hunde leben überwiegend in einer Geruchswelt, die der Mensch so wenig versteht, dass er sie nicht einmal genau sprachlich bezeichnen kann und von einem Geruchs-»Bild« spricht.
Die genaue Kenntnis des normalen oder durchschnittlichen Verhaltens eines einzelnen Tieres oder einer kleineren Gruppe ist die Basis für das Hauptbetätigungsfeld des Tierpsychologen: das Erkennen von persönlichen Eigenarten und die Behandlung von abnormen Verhaltensmustern. Wichtig ist dabei, die Gesetze des Lernens genau zu kennen. Nur so kann man Verhalten verstehen und auch eventuell ändern.
Dieser kleine Leitfaden soll dem Leser einen Überblick über die wichtigsten theoretischen Kenntnisse geben und vor allem praktische Anleitungen, wie problematisches Verhalten positiv beeinflusst, beseitigt oder noch besser vermieden werden kann.
Zahlreiche Fallbeispiele aus meiner therapeutischen Praxis erleichtern die richtige Diagnose und Therapie des am eigenen Hund beobachteten Fehlverhaltens.
An dieser Stelle möchte ich Herrn Dr. Dennis C. Turner vom Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie (I.E.T.), Präsident des Berufsverbandes V.I.E.T.A. (Adressen siehe Anhang), für die Vermittlung wertvoller Erkenntnisse aus der Tierpsychologie danken.
Grundlagen der
Hundeerziehung
Voraussetzung für eine fundamentale Hundeerziehung ist der richtige
Umgang mit dem Hund. Dazu gehört vor allem zu verstehen, wie der Hund
denkt, wie sein positives Verhalten verstärkt werden kann und welche
Hilfsmittel zu Verfügung stehen, um Lernerfolge zu erzielen.
Da der Hund ein Rudeltier ist, ist das Erlernen sozialen Umgangs von elementarer Wichtigkeit. Wie auch der Mensch, durchläuft der Welpe wichtige Phasen in seiner Entwicklung, die sein soziales Verhalten prägen.
Von dem Moment an, in dem ein Hund Teil seiner Umwelt wird, fängt er an zu lernen. Lorenz und Trumler haben nach gründlichen Forschungen die Entwicklung des Hundes in verschiedene Phasen eingeteilt. Wichtig ist, dass jede Phase bestimmte Lernmöglichkeiten für die Entwicklung des jungen Hundes beinhaltet und dass es so genannte sensible Phasen gibt, die unwiederbringliche Förderungsmöglichkeiten bieten. Werden sie verschenkt, können sie nie mehr nachgeholt werden. Stichwort: Prägung. Im Folgenden sollen die einzelnen Phasen besonders im Hinblick auf mögliche Fehlentwicklungen, die gleich oder später zu problematischem Verhalten führen können, kurz beschrieben werden.
Die Entwicklungsphasen des Hundes
• vegetative Phase (1.-2. Woche)
• Prägungsphase (3.-7. Woche)
• Sozialisierungsphase (8.-12. Woche)
• Rangordnungsphase (13.-16. Woche)
• Rudelordnungsphase (5.-6. Monat)
• Pubertätsphase (7.-10. Monat)
• Erwachsenenphase ( Beginn etwa mit 11 Monaten)
• Altersphase
(ab etwa 8 Jahren, rassespezifisch)
Solange die Umweltbedingungen in diesen ersten beiden Wochen nicht extrem negativ sind, geschieht mit dem Welpen noch nicht sehr viel. Er folgt seinem angeborenen Instinkt, bleibt fast ständig dicht bei der Mutter, schläft und trinkt.
Legt die Mutter normales Sozialverhalten an den Tag, wärmt, nährt und pflegt sie den Welpen liebevoll, sind von dieser Seite schon einmal gute Voraussetzungen für eine normale Entwicklung gegeben. Wichtig sind natürlich auch die Erbanlagen.
Die Welpen fangen an, das Lager zu verlassen. Nun beginnt das Junge die Welt zu erforschen und zu erfahren. Diese Phase dürfte die wichtigste im Leben des jungen Hundes überhaupt sein. Wenn der Hund zum guten Kameraden des Menschen werden soll, müssen jetzt die Umwelteinflüsse (die neben der Vererbung das spätere Verhalten prägen) gesteuert werden. Vor allen Dingen wenn der Hund zum umgänglichen Familienmitglied werden soll, ist es jetzt wichtig, dass der Kleine so viele verschiedene Menschen wie möglich im Guten kennen lernt. Es ist nicht ausreichend, wenn sich nur der Züchter um die Welpen kümmert. Es kann sonst leicht geschehen, dass die jungen Hunde später nur diese eine Person wirklich anerkennen oder nur Männer (wenn der Züchter ein Mann war) beziehungsweise Frauen (Züchterin). Hundeerfahrene Kinder sollten unter Aufsicht viel Umgang mit den Welpen haben. Aber nicht nur Menschen, sondern auch andere Tierarten und die gesamte Umwelt müssen zum positiven Lernelement für die jungen Hunde werden. Je mehr man ihnen Gelegenheit gibt, eine vielfältige Umwelt zu erfahren, ohne dass es zu Schockerlebnissen kommt, umso besser. Wenn Ihnen die Welpen bei einem Züchter vertrauensvoll entgegentollen und Sie eine Menge verschiedenes Spielzeug sehen, vielleicht sogar einen Tunnel, eine kleine Fassbrücke oder Ähnliches, und verschiedene Bodenbeschaffenheiten (Erde, Kies, ein liegendes Wellblech oder Gitter usw.), dann sind Sie mit Sicherheit nicht an der falschen Adresse. Es gibt sicherlich viele Hunde, die ohne diese positiven Umstände zu guten Kameraden werden. Aber das bereits beim Züchter zu erkennen ist manchmal nicht einmal für Fachleute einfach.
Die meisten Welpen werden in dieser Zeit an ihre endgültigen Besitzer abgegeben. Sie können solch einem Zwerg nichts Besseres angedeihen lassen, als sich besonders viel mit ihm zu beschäftigen und eine gut organisierte Welpenspielstunde zu besuchen. Denn zwischen der 8. und 12. Woche entwickelt der junge Hund vor allem Sinn für Gemeinschaft. Bei Wölfen und Wildhunden sorgt in dieser Zeit der Rüde für strenge Erziehung. Vergessen Sie das nicht, wenn sich Ihr kleiner Tolpatsch wieder einmal mit kugelrunden Unschuldsaugen durchsetzen will. Aber denken Sie daran, dass Sie es mit einem Baby zu tun haben. Beharren Sie auf Ihre Autorität, aber bitte liebevoll, wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Hund später nur aus Unterwürfigkeit gehorcht und nicht freudig, so wie es sein sollte.
Im gruppenbindenden Spiel kann jetzt die Bereitschaft zur Unterordnung gefördert werden. Vor allem wenn Sie Ihren Hund mit anderen gut sozialisierten Hunden spielen lassen, werden Sie schnell merken, dass die Hunde nicht zimperlich miteinander umgehen. Greifen Sie nicht ein. Ihr Hund lernt gerade seine Chancen und Grenzen und das kleine Einmaleins des gesitteten Hundebenehmens.
Wichtig ist die Begegnung mit Menschen und Hunden, damit der Hund lernt, mit beiden auszukommen. Überlassen Sie ihn in dieser Zeit nur der Obhut anderer Hunde, ob alt oder jung, kann es Ihnen geschehen, dass Ihr Junger später zwar mit Hunden sehr gut zurechtkommt, aber Schwierigkeiten mit Menschen hat und umgekehrt. Das kann so weit gehen, dass Ihr Hund nicht einmal zu Ihnen eine richtige Bindung entwickelt und sich lieber mit Seinesgleichen beschäftigt. Diese Gefahr besteht auch, wenn Sie sich zwei oder gar mehr Welpen aus einem Wurf zusammen nehmen. Versäumen Sie es dann nicht, sich genügend lange mit jedem Hund einzeln zu beschäftigen.
Trotz rassebedingter Unterschiede ist jeder Hund ein Rudeltier. (Es gibt allerdings Rassen, die man als Ein-Mann-Hunde bezeichnet, die als Familienhunde ungeeignet sind, zum Beispiel der Chow-Chow). Zwar neigen manche Hunderassen auf Grund ihrer ererbten Arbeitsdisposition eher zu Selbstständigkeit (zum Beispiel Wind-, Meute-, Schlitten- und Hirtenhunde - nicht zu verwechseln mit den Hütehunden! Mehr dazu auf S. 80 f.), aber die Grundbegriffe des Zusammenlebens beherrscht jeder normale Hund. Zwischen der 13. und 16. Woche reift vor allem dieses Sozialverhalten weiter aus.
Der Mensch hat in dieser Phase die Chance, seine Stellung als »Leithund« zu festigen. Je mehr das durch psychische und nicht durch physische Überlegenheit geschieht, desto freudiger wird der Hund folgen und desto mehr Vertrauen wird er in seinen Herrn setzen. Bei fast jedem Hund kommt eine Zeit, in der er mehr oder weniger stark versucht, seinen Kopf durchzusetzen.Wenn dann das Vertrauen da ist, kann sich der Mensch auch einmal äußerst energisch durchsetzen, ohne dass die Mensch-Hund-Beziehung ernstlich gestört wird.
Ein junger Wolf müsste jetzt die komplizierten Regeln der Großwildjagd erlernen. Der Ablauf der einfacheren Kleintierjagd war ihm weitgehend angeboren. Die Zeit des nur spielerischen Erkundens ist vorbei. Wenn das Rudel überleben will, muss jedes Mitglied seinen Platz und seine Rolle bei der Großwildjagd kennen. Der Ernst des Lebens beginnt.
Drei Dinge treten im Leben des jungen Wolfes in den Vordergrund: unbedingte Disziplin, Kooperationsbereitschaft und bedingungslose Anerkennung eines erfahrenen Anführers. Diese ererbte Entwicklungsdisposition muss sich der Mensch zunutze machen. Der Hund ist lernbereit wie kaum zu einer anderen Zeit. Es ist ein leider immer noch weit verbreitetes Ammenmärchen, dass man mit der Erziehung des Hundes nicht vor einem Alter von einem Jahr beginnen sollte. Man muss sich nur auf die Verhältnisse einstellen und das Programm »kindgerecht« gestalten. Warum wertvolle Zeit verschenken?
Im Gegenteil - ich habe in meiner Praxis immer wieder Fälle erlebt, bei denen der Hund ein Jahr lang praktisch antiautoritär gehalten worden und dann der Berg der Probleme nur noch schwer in den Griff zu bekommen war. Einige selbstbewusste Hunde entwickelten eine ausgeprägte Dominanz auch gegenüber dem Besitzer oder der Hund war zu einem eingefleischten Jäger von Radfahrern geworden.
Obwohl sich im Zusammenleben mit dem Menschen im Prinzip nicht viel Neues tut, hat diese Zeit, nicht anders als in der menschlichen Familie, ihre Tücken. Es beginnt damit, dass die Hündin zum ersten Mal läufig wird und der Rüde sich anstellt das Bein zu heben. Während die äußeren Zeichen bei der Hündin deutlich sind, kann es beim Rüden durchaus sein, dass er zwar zeugungsfähig ist, aber immer noch nicht das Bein hebt. Man muss sich deswegen keine Sorgen machen. Ich habe das Gefühl, dass es geradezu die Ehre mancher Hundebesitzer trifft, wenn ihr vierbeiniger Filius sich Zeit lässt und seine Männlichkeit nicht durch ein hocherhobenes Bein unter Beweis stellt.
Tatsächlich hat das wenig über das Wesen des Hundes zu sagen. Ich kenne viele durchaus selbstbewusste und energische Gebrauchshunde-Rüden, die in Bezug auf das Beinheben ihr Leben lang eher nachlässig waren. Viel wichtiger ist es zu wissen, dass sehr viele Hunde in der Pubertät scheinbar grundlos ihr Wesen verändern. Da kann es im Extremfall sein, dass ein frecher und vor rücksichtsloser Unternehmungslust strotzender Junghund plötzlich zurückhaltend wird. Ein anderer, der bis jetzt mit allen vier Pfoten fest im Leben stand, erschrickt vor seinem eigenen Schatten.
Die meisten Hunde scheinen das bisher Gelernte vergessen zu haben und werden unzuverlässig im Gehorchen. Vor allem ist jetzt natürlich auch das sexuelle Interesse erwacht und das ist bei den meisten Hunden äußerst ausgeprägt. Kaum ein Rüde kann einer gut duftenden Hündin widerstehen. Er wird jetzt anfangen, Neigungen zum Ausbrechen zu zeigen, wenn er den entsprechenden Geruch in die Nase bekommt. Und es gibt die selbstbewussten Kandidaten, die spätestens jetzt mehr oder weniger ernsthaft versuchen, ihren Kopf durchzusetzen und das Ruder zu übernehmen.
Während in diesem Alter plötzlich auftretende Unsicherheit, Ängstlichkeit und eine gewisse Sturheit noch nicht Anlass zur Panik sein müssen, sind übermäßiges sexuelles Interesse und vor allem Dominanzverhalten durchaus ernst zu nehmende Probleme, die sich auf keinen Fall von selbst wieder geben. Hier gilt es schon jetzt durchzugreifen und unerschütterlich konsequent zu sein.
Die meisten Besitzer bringen die Welpen- und Junghundezeit noch einigermaßen gut über die Runden. Wenn hier aber nicht alles gestimmt hat, fangen spätestens jetzt die Probleme an ernst zu werden oder die Besitzer nehmen sie erst jetzt ernst, was noch viel schlimmer ist. Jeder Hund entwickelt sich zeit seines Lebens, aber es gibt ein bestimmtes Alter (in der Regel um das zweite Lebensjahr), ab dem Hunde sich von ihrer Umwelt ein bestimmtes Bild gemacht zu haben scheinen, das ihr Verhalten prägt. Nicht zuletzt ist dies auch rasseabhängig. Kleinhunde sind meist Schnellstarter, die schon mit einem Jahr ausgereifte Persönlichkeiten sein können.
Die sehr großen Rassen (zum Beispiel Neufundländer und Doggen) sind ausgesprochene Spätentwickler. Bei den großen Rassen ist zum Beispiel der Deutsche Schäferhund eher ein Frühentwickler, während der Rottweiler vor seinem zweiten Lebensjahr noch relativ kindlich wirkt. Gerade bei dieser Rasse muss ich es immer wieder erleben, wie schon Welpen und Junghunde Anzeichen von ernstem Dominanzverhalten zeigen, die mit dem Hinweis auf das zarte Alter des Tieres von den Besitzern verharmlost werden. Was wird, wenn sich der Hund schon jetzt, weder körperlich noch geistig gefestigt, durchsetzen kann? Wie geht man mit einem 50 kg schweren Rottweilerrüden um, der im wahrsten Sinne des Wortes »seine« oder alle Menschen als Untertanen eingestuft hat? Wie wir noch sehen werden, gibt es auch dann noch Wege, aber sie sind langwierig und unter Umständen nervenaufreibend (siehe S. 62). Im Erwachsenenalter des Hundes werden wir die Früchte ernten, die wir in der Aufzucht gesät haben. Im Wolfsrudel wird weder ein zu schwacher noch ein zu brutaler Führer anerkannt. Nehmen wir uns das als Vorbild und versuchen wir, dem Hund immer in liebevoller Konsequenz gegenüberzutreten. Dann werden die meisten in diesem Buch beschriebenen Probleme gar nicht erst auftreten.
Kein Lebewesen kann überleben, wenn es nicht in der Lage ist dazuzulernen. Dies scheint nach neuesten Forschungsergebnissen bis zu einem gewissen Grad sogar niederen Tieren möglich zu sein. Die meisten Hunde lernen schnell und gerne, oft ohne dass es dem Mensch immer bewusst wird, wie. Viele problematischen Verhaltensweisen basieren auf solchen Lernvorgängen. Es ist ein Grundsatz der Verhaltenstherapie, dass man ein Verhalten nur dann ändern kann, wenn man seine Ursache genau kennt. Dafür muss man den Weg der Entstehung des Verhaltens rückwärts verfolgen können. Ohne die grundlegenden Gesetze der Lerntheorie zu kennen, ist das nicht möglich. Im Folgenden werden in einfachen Worten die wichtigsten Konzepte vorgestellt.
Definitionsgemäß ist die Konditionierung ein Sammelbegriff für experimentelle Verfahren, in deren Verlauf eine Verhaltensweise oder eine andere Reaktion von bestimmten Bedingungen abhängig wird. Bekanntestes Beispiel sind Pawlows Hunde. Pawlow, ein russischer Physiologe, der 1904 für seine Arbeit den Nobelpreis für Medizin erhielt, wurde vor allem durch seine Hunde berühmt. Zunächst hatte er die Speichelabsonderung von Hunden beim Verlangen nach Nahrung gemessen. Im nächsten Schritt ließ Pawlow jedes Mal genau in dem Moment, in dem die Hunde gefüttert wurden, ein Klingelzeichen ertönen. Nach einer gewissen Zeit zeigte sich, dass nur der Klang des Klingelzeichens ohne Futtergabe ausreichte, um bei den Hunden Speichelabsonderung zu erzeugen, als ob Futter da wäre. Das Klingeln alleine wurde zum Signalreiz, der die dazugehörige Reaktion (Speichelabsonderung) auslöste. Es ist ein so genannter bedingter Reflex entstanden. Diesen Vorgang nennt man klassische Konditionierung oder bedingte Reaktion.
Man kann sich kaum vorstellen, wie viel Reize ein Hund aufnimmt, von denen die Menschen nichts bemerken. Wie leicht stellt sich hier auch eine unerwünschte bedingte Reaktion ein! Unter Umständen bedarf es auch gar nicht vieler Wiederholungen, um das Verhalten zu festigen.
Stellen Sie sich vor, ein bislang sicherer und lärmunempfindlicher Hund wird auf der Straße geführt. Nun geschieht es, dass in dem Moment, in dem ein Lastwagen genau neben dem Hund eine knallende Fehlzündung produziert, der Hund eine starke unangenehme Einwirkung erfährt. Zum Beispiel könnte ein an eine Hauswand gelehnter Bretterstapel just in diesem Moment auf den Hund herabfallen. So geschehen dem vierjährigen Boxer Amor, der den Schmerz und den Schock nicht mit den Brettern in Verbindung brachte, sondern mit dem lauten Motorengeräusch. Hier reichte ein einziges Erlebnis, um den Hund für lange Zeit schreckhaft auf knallartige Geräusche reagieren zu lassen.
Oder ein Hund wird öfter vom Briefträger »geärgert«, indem sich der Amtsinhaber erdreistet, ohne die »Formalitäten« einzuhalten, das Territorium des Hundes zu betreten, um in aller Eile einen Brief zuzustellen. Es gibt Hunde, die ihre Aversion gegen Briefträger nicht nur auf die häusliche Situation beschränken, sondern alle Uniformträger in jeder Situation auf ihre Abschussliste setzen. In diesem Fall ist die Uniform zum Signalreiz geworden.
Im Gegensatz zur klassischen Konditionierung, bei der ein Hund praktisch unfreiwillig lernt, steht die operante oder auch instrumentelle Konditionierung. Hier findet eine so genannte bedingte Aktion statt.
Bei der klassischen Konditionierung wird eine schon vorhandene Reaktion mit einem neuen Reiz gekoppelt (Signalreiz). Bei der operanten oder instrumentellen Konditionierung wird eine neue Geste mit der Verminderung eines Bedarfes (zum Beispiel nach Spiel oder Fressen) verknüpft. Die meisten Abrichtemethoden, nicht nur bei Hunden, funktionieren nach dem Prinzip der instrumentellen Konditionierung, die man mitunter auch als »Lernen am Erfolg« bezeichnet. Führt der Hund diesen oder jenen Befehl aus, erhält er einen Futterbrocken oder er darf mit seinem Lieblingsspielzeug herumtollen. Bei manchen besonders agilen Hunden reicht sogar schon das bloße Spiel ohne einen Gegenstand aus, um sie glücklich zu machen. Diese Lernmethode ist sicherlich eine der einfachsten, wenn man folgende Grundsätze beachtet:
• schnelle Belohnung unmittelbar nach der Reaktion
• äußerst reizvolle Belohnung
• zuverlässige Belohnung
Die Belohnung muss unmittelbar nach der Reaktion erfolgen. Je schneller man nach einer Reaktion belohnt, desto besser. Die Erfahrung zeigt, dass es bei vielen Hundebesitzern schon an dieser scheinbar recht einfachen Sache hapert. Richtige Hundeerziehung ist auch eine Konzentrationssache. Nur wenn man hundertprozentig bei der Sache ist, kann man schnell genug reagieren. Befehl - Reaktion des Hundes- Belohnung: Das muss ein durchlaufender Vorgang ohne Unterbrechung sein. Die Belohnung muss für den Hund außergewöhnlich reizvoll sein. Ein satter Hund wird sich kaum durch Futter motivieren lassen. Ebenso wenig ein müder durch Spiel oder Bewegung. Wichtig ist zunächst einmal herauszufinden, auf was der eigene Hund am besten anspricht. Zuwendung zum Beispiel in Form von Streicheln, Bewegung, Futter, ein Spielzeug - wenn ja, welches? Wer die Vorlieben seines Hundes nicht genau kennt, ist zunächst einmal auf Experimentieren angewiesen. Je mehr der Hund Verlangen zeigt, desto leichter wird er dafür auch etwas tun.
Die Reaktion des Hundes auf unsere Wünsche muss immer belohnt werden. Unzuverlässige Belohnung verunsichert den Hund und macht ihn genauso wechselhaft wie sein Herrchen. Was ist so verwerflich daran, immer ein Bröckchen Futter in der Tasche zu haben? Nicht nur auf dem Übungsplatz!
Immer wieder höre ich das Gegenargument: »Mein Hund soll schließlich nicht nur zu mir kommen, weil er Futter bekommt.« Liebe geht nicht nur bei Hunden durch den Magen. Ich halte seit über 20 Jahren Hunde. Alle sind sie in vielen Bereichen voll ausgebildet. Trotzdem könnte meine Mutter nur ganz selten aus Versehen meine Jacke statt ihrer anziehen. Beide sind sie gleich, in meinen Taschen jedoch sind immer Futterbrocken. Diese behalte ich mir freilich für außergewöhnlichen Gehorsam vor. Vor allem in der Grunderziehung wirkt das Wunder.
Strafen nach Maß
• weder übermäßig hart noch halbherzig strafen
• möglichst keine Körperstrafen (physische Einwirkung) anwenden
• beste Bestrafung: Ausbleiben von Belohnung
• unmittelbar und blitzschnell eingreifen
• nicht nachtragend sein!
• keinen Vertrauensbruch dem Hund gegenüber begehen
Mit diesen beiden Elementen gekonnt und wirksam umzugehen gehört vor allem für den Anfänger mit zu den schwierigsten Aspekten der Hundeerziehung. Im vorigen Abschnitt habe ich schon einige Probleme mit der richtigen Belohnung angesprochen. Noch problematischer ist für viele Hundehalter die richtige und angemessene Form der Bestrafung. Oft findet man die beiden Extreme in Reinform. Entweder der Hundeerzieher ist übermäßig hart und wendet oft Körperstrafen an, oder, was öfter vorkommt, man kann nicht das nötige Durchsetzungsvermögen aufbringen, straft halbherzig und unregelmäßig in Bezug auf das gleiche Fehlverhalten.
Dem Terminus »Bestrafung« haftet zweifellos ein brutal angehauchter Beigeschmack an. Um es klar zu sagen: Im Idealfall ist die einzige Bestrafung nur ein Ausbleiben von Belohnung. Wird eine Reaktion nicht verstärkt, bleibt sie allmählich aus. Vor allem bei sehr sensiblen und weichen Hunden kann man damit durchaus sehr gute Erfolge erzielen. Aber die meisten Hunde erkennen die Schwächen ihrer Besitzer sehr schnell und nutzen sie hemmungslos aus. Erinnern wir uns an das Wolfsrudel: Der Umgang der einzelnen Rudelmitglieder untereinander ist sicherlich viel differenzierter und nuancenreicher, als der Laie annimmt, aber man kann nicht übersehen, dass die ranghohen Tiere gegenüber den rangniedrigeren im Falle eines Falles auch physisch (körperlich) durchgreifen. Auffallend bei der Beobachtung solcher Aktionen ist, dass der Gemaßregelte in der Regel sehr schnell versteht, sich entsprechend verhält und auch nicht lange geknickt ist.