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Peter Bachér

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Das Beste aus 40 Jahren

LangenMüller

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www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2012 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagfoto: Getty Images
Herstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7844-8090-9

Inhalt

40 Jahre »Heute ist Sonntag« –
Ein Blick zurück

Das Beste aus 40 Jahren

Der Tag, der mein Leben veränderte · Mein Sohn, mein kleiner Sohn · Das Glück, ein Freund zu sein · Wer die Jugend zurückholen will, wirkt irgendwie älter · Die erste Begegnung mit der Wunderwelt der Bücher · Ich gehöre zu der Generation, die noch immer kein altes Brot wegwerfen kann · Was fängt man mit der grossen Freiheit an? · Schlafende Träume soll man nicht wecken · Hochzeitsrede eines Vaters: Eltern können ihre Kinder nie verlassen · Liebe kennt keine Voranmeldung · Einladungen können einem trotzdem etwas geben · Das lange Warten im Wartezimmer · Wenn die Sonne nur noch von der Seite in das Leben scheint · Verzeihung, ich war sehr in Eile · Nach dem Tod des Vaters: Plötzlich ist es für Fragen zu spät · »Der Tod scheint mich zu vergessen«, meint meine alte Tante · Liebe jeden Augenblick · Vor der Operation: Warum sagt er seiner Frau nicht, dass er für sie betet? · Wofür zu leben lohnt · »Herr Doktor, ich lasse meine Frau in der Klinik, aber ich will sie wiederhaben!« · »Übrigens, ich war heute Morgen beim Röntgen …« · Das Glück, nicht allein zu verreisen · Die vergessene Handtasche – Lehrstück der Vergänglichkeit · Der »Ferienkünstler« weiss nicht den ersten, sondern den letzten Ferientag zu schätzen · Der grösste Irrtum: Zu denken, wir »haben« noch Zeit · Der Hotelportier lächelte wie immer – und doch war alles anders · »Warum arbeiten Sie noch?« – Die pensionierten Verführer mit dem Tschubi-dubi-Gang · Eine gute Ehe ist das Gefühl, dass das Leben vorher nicht von dieser Welt war · Der Vorsatz zum Jahreswechsel: keine guten Vorsätze mehr! · Der Blick in ein altes Adressbuch: eine Reise in die Vergangenheit · Wenn ein Frühstück etwas ganz Besonderes wird · Ein Enkel kommt – der wichtigste Besuch des Jahres · Die »Talk-Show-Epidemie« – und was Goethe dazu sagen würde · Fotos aus der Vergangenheit und was sie dir sagen können · Wachwechsel in der Firma: der schwere Abschied vom »Alten« · Wenn wir selbst im Mittelpunkt stehen: der Film des eigenen Lebens im Zeitraffer · Die Trauer ist der einzige Trost · Die alte Dame wird mir verzeihen – dachte ich · Es gibt keinen Trost beim »Auflösen« einer Wohnung · Wir sprechen heute nicht mehr von »holden Töchtern« – aber es gibt sie noch · Die Nüchternheit der Frühmaschine und Träume in der Abendmaschine · Geständnisse eines studierten Hypochonders · Gefühle, die nur ein alter Koffer schenken kann · Die Treue zu einem alten Sommeranzug · Das Glück im Sommer, wenn all die anderen im Urlaub sind · Liebeserklärung an eine kleine Strandbude · Die Sekunden vor der Abreise · Loblied auf das Doppelzimmer · Nachricht von meinem ersten Chef · »Hallo, wie geht’s?« – Aber wollen wir es wirklich so genau wissen? · »Drei tolle Tage in New York« – lohnt sich denn so eine Reise? · Wenn plötzlich der Mann nicht mehr allmorgendlich das Haus verlässt · »Dabei sein ist alles« – die Gier, zu sehen und gesehen zu werden · Nichts ist selbstverständlich · Die Angst vor dem »leeren« Sonntag · Nachricht von einem sehr guten Freund

40 Jahre »Heute ist Sonntag« Ein Blick zurück

Es geschah an einem Frühlingstag des Jahres 1971 im Springer-Haus an der Fuhlentwiete in Hamburg. Wir saßen in einer Ideenkonferenz zusammen, die Redakteure der BILD am Sonntag. Der Verleger Axel Springer hat uns eines seiner ganz großen Schiffe anvertraut – eine Zeitung mit Millionen Exemplaren zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, über zehn Millionen Leserinnen und Leser. »Wie nennen wir die neue Kolumne, die gleich am Beginn der Zeitung auf Seite 2 ihren festen Platz haben wird?« Das war die Frage, die die Ideenkonferenz umtrieb. Der Inhalt der Kolumne sollte – in groben Umrissen – eine in den Sonntag hineingeschriebene kurze Betrachtung über die aktuellen Zeitläufe sein – und zugleich einen Weg aufzeigen, wie die Menschen mit ihren alltäglichen Problemen klug umgehen können. Kein Tag ist besser als der Sonntag dazu geschaffen, zurück und zugleich nach vorne zu schauen, sein Leben zu überdenken, die Gedanken zu ordnen. Entschlüsse zu fassen, Meinungen zu überprüfen, auch politische Meinungen. Ja, eine Sonntagszeitung hat einen Logenplatz in der Presse.

Es gab viele Vorschläge: Wegmarkierung – Blick nach vorn – Gedanken zur Woche. Fast eine Stunde lang prasselten die Vorschläge. Schließlich – wir waren alle schon erschöpft und drehten uns im Kreis – da sagte Max Pierre Schaeffer, der ein paar Häuser weiter im Lektorat des Springer-Verlages Romane betreute und nur als Gast bei uns Zeitungsmachern reinschaute (»Hier bei euch tobt ja das Leben, Romane sind dagegen ja richtig langweilig«) – den entscheidenden Satz: Warum nennen wir das Ganze nicht einfach »Heute ist Sonntag«? Das stimmt immer, hebt den Sonntag noch mal in das Bewusstsein der Leser, was ja schließlich die Faszination einer Sonntagszeitung ausmacht, und gibt ihr die große Chance, sich von den Tageszeitungen in Inhalt und Ton abzugrenzen.

»Heute ist Sonntag« – das war also die Formel. Wie so vieles siegt am Ende oft das ganz Simple. Das, was man sich eigentlich gar nicht traut zu sagen. Aber: »Heute ist Sonntag« glich einem Fanfarenstoß: Leser, gib acht, dieser Tag ist kostbar, dieser Tag unterscheidet sich eindeutig vom Werktag, an diesem Tag muss eine Melodie erklingen, die die Herzen erreicht, und es muss gleich ganz vorn passieren, dort, wo man die Zeitung zuerst aufschlägt.

Und so schrieb ich unter dem Titel meinen ersten Text, der sinngemäß sagte: Lieber Leser, fahre heute mal ans Meer oder gehe in die Berge und horche in dich hinein, überprüfe vor dem Hintergrund der großen politischen Ereignisse dein kleines privates Leben in der Stille einer wunderbaren Natur …

Das Echo ließ nicht auf sich warten, wie ich schon Montag früh erfuhr. Die Kollegen der täglichen BILD-Zeitung, die ein paar Zimmer weiter auf demselben Flur arbeiteten, ließen ihrem Spott freien Lauf, indem sie sich gegenseitig und allen, die es hören wollten, erzählten: Bei BILD am Sonntag ist ein Verrückter Chefredakteur geworden, der schreibt doch tatsächlich »ich soll am Sonntag mich selbst besuchen«, lachhaft.

Als ich davon hörte, spürte ich zum ersten Mal den Gegenwind, sobald man den Mut hat, seine eigene private Meinung in einem Millionenblatt zu offenbaren. Und ich wäre fast am Boden zerstört worden, hätte ich nicht in den nächsten Stunden auch ein anderes Echo gehört: Endlich gibt es auch mal leise Töne in der sonst eher lauten Boulevardzeitung. Und mit der Post kam ein Brief von Rosemarie Springer, die mit großer, schöner, steiler Schrift mir schrieb: Ihre Gedanken haben mir so gut gefallen, ich würde sie am liebsten vervielfältigen und hier auf Sylt an jede Windschutzscheibe der Autos anbringen. Wahrlich, schöner konnte ein Zuspruch nicht sein. Und, was für mich wichtig war: Er kam von einer Frau, denn die Frauen wollten wir unbedingt für unsere Sonntagszeitung begeistern, die Männer hatten wir mit der Politik und dem Fußball mit den Bundesliga-Berichten schon längst auf unserer Seite. Aber auch mein Freund und Verleger Axel Springer ermutigte mich immer wieder, meine alltagsphilosophischen Texte Woche für Woche zu schreiben: »Das sind Sie Ihrem Talent schuldig.«

Als wir dann noch nach einigen Wochen feststellten, dass unsere Auflage um 120 000 Exemplare nach oben geschnellt war – »ein lange nicht erlebtes Auflagenwunder« –, da gab es kein Halten mehr: Sonntag für Sonntag schrieb ich mein »Heute ist Sonntag«, bis eines Tages der damalige Verleger des Econ-Verlages in Düsseldorf mich fragte, warum meine Kolumnen nicht als Buch erscheinen. »Das weiß ich auch nicht, da hat mich noch niemand gefragt.« – »Dann frage ich Sie jetzt: Wollen Sie?« – »Ja«, sagte ich, »wenn Sie meinen …« Und so geschah es.

Die Lektoren seines Verlages stellten unter dem leider etwas schwülstigen Titel »Lass uns wieder von der Liebe reden« ein paar Dutzend Kolumnen zusammen – und eines Tages erschien mein Verleger eines Morgens zum Frühstück in unserer Hamburger Wohnung. Der feierliche Augenblick war gekommen: Mein erstes Buch! Der Verleger holte es aus seiner Aktentasche – meine Frau und ich schauten auf den Titel – und wir erschraken, fast hätte ich gesagt, zu Tode. Denn: Das Motiv war ein Pfeil, der ein Herz durchbohrt, und ein Blutstropfen war auch noch zu sehen, kitschiger ging es nicht mehr! Aber was soll man als Neuling in der mir noch unbekannten Welt der Verleger und Bücherproduzenten schon sagen?

Der zweite Schock kam, als ich ein paar Tage später durch die Buchhandlungen in München und Hamburg streifte und weder bei Hugendubel noch bei Thalia mein Buch finden konnte. Immer wieder drehte ich meine Runden – das neue Buch von Peter Bachér war nirgends zu entdecken. Schließlich fasste ich Mut, fragte eine Verkäuferin, wo ich das soeben erschienene Buch »Lass uns wieder von der Liebe reden« finden könne. »Da müssen Sie hinten in die Ecke gehen, zur Sachbuchabteilung, da wird es sicher unter der Rubrik Sex und Erotik zu finden sein«, sagte sie leicht schnippisch. »Aber es handelt sich doch eher um etwas ganz anderes«, wagte ich leise einzuwenden. »Der Econ-Verlag ist aber ein Sachbuch-Verlag, also werden Sie das Buch auch dort finden.« Und so war es, genau so war es. Da lag es einsam und verloren zwischen Büchern über Schwangerschaft, Partnersuche und zwischen dem allseits bekannten Kinsey-Report. Und natürlich traf ich dort auch meinen alten Kollegen Oswalt Kolle mit seinen Aufklärungsbüchern wieder.

»Fehlstart für den Urenkel von Theodor Storm mit seinen sonntäglichen Plaudereien«, lästerten die lieben Kollegen. Aber mein Verleger ließ sich dadurch nicht beirren: Er schob sofort ein zweites Buch mit dem Titel »Trotz allem glücklich sein« hinterher – und von da an waren die Kolumnenbücher nicht mehr aufzuhalten, bis heute gibt es dreizehn Titel. Es folgten der Ullstein-Verlag in Berlin und dann der LangenMüller Verlag in München, die mehrere Bücher veröffentlichten. Bei Rowohlt in Hamburg erschienen die Taschenbuchausgaben – und als eines Tages ein Brief von dem großen Siegfried Unseld, dem genialen Chef des Hauses Suhrkamp, auf meinem Schreibtisch lag, fragte ich mich nur eines: Werden meine Texte demnächst auch in der berühmten Frankfurter Bücherschmiede erscheinen? Ich traute meinen Augen kaum, als ich folgende Zeilen des Großmeisters las:

»Ich habe in der Welt am Sonntag Ihre Betrachtung ›Da wusste sie plötzlich, dass sie wirklich gute Freunde hatte‹ gelesen; sie hat mir wirklich sehr gut gefallen, und ich möchte Sie eigentlich sehr ermuntern, in dieser Art weiterzuschreiben. Ich lese Ihre Beiträge fast regelmäßig und freue mich jedes Mal darauf.«

Meine Sonntags-Kolumne, die während meiner Jahre als Chefredakteur der HÖRZU pausiert hatte, war inzwischen wieder auferstanden – bei der Konkurrenz Welt am Sonntag. Die Chefredakteure Claus Jacobi und Manfred Geist riefen mich Ende März 1988 an und sagten: Lieber Kollege, Sie sind inzwischen Herausgeber der HÖRZU, der tägliche Stress des Blattmachens ist weg, Sie haben doch sicher jetzt mehr Zeit – wie wäre es, wenn Sie Ihre Kolumne von einst bei uns wieder zum Leben erweckten?

Ich brauchte keine Sekunde zum Überlegen, ich setzte mich sofort an die Schreibmaschine, ich hatte auch sofort ein Thema, denn der damalige Verteidigungsminister Dr. Manfred Wörner hatte mich zu einem Blitzbesuch nach Washington mitgenommen und mir auf dem langen Flug in einem langen Gespräch das Problem der Politiker im heutigen Medienzeitalter erklärt: »Wenn ich nach einer stundenlangen Diskussion das Hotel ›Bayerischer Hof‹ in München verlasse, steht da ein Friedrich Nowottny oder Ernst Dieter Lueg und bittet mich, in dreißig Sekunden zu berichten, was die Spitzen der Nato nach zwei Tagen Diskussion beschlossen haben – und das ist in so kurzer Zeit praktisch unmöglich. Um die Strategie zur Verhinderung eines Nuklearkrieges dem Publikum zu erklären, bräuchte man wenigstens ein paar Minuten, besser eine Viertelstunde, aber die gibt es im heutigen TV-Betrieb nicht, schon gar nicht in der Tagesschau oder bei Heute

Ich schrieb also meine erste Welt am Sonntag-Kolumne unter dem Eindruck dieser Blitzreise nach Washington. Sie erschien am 3. April 1988, also vor 24 Jahren, unter der Überschrift »Heute ist Sonntag« mit der Grundmelodie aller Kolumnen: Der Mensch auf der ewigen Suche nach mehr Balance im Leben. Aber lesen Sie selbst, was ich damals schrieb.

*

Welch eine Woche! Wann habe ich zuletzt so viel Grandioses – und so viel ohnmächtige Armseligkeit erlebt. Alles innerhalb weniger Tage. Alles ganz dicht beieinander. Das Leben – fast wie ein Traum. Das Leben aber auch als grausame bizarre Wirklichkeit.

Da waren meine zwei Tage in Washington. Eine Blitzreise. Viele Gespräche. Die Boeing 707 schoss mich in acht Stunden fast siebentausend Kilometer über den Atlantik. Ein bisschen Stahl nur, ein paar Düsen, das satte Brummen der Motoren. Unten das Meer, oben die Sterne. Plötzlich der Blick auf New York, ein Lichtermeer im Meer, mittendrin eingefasst wie ein Edelstein die Halbinsel Manhattan.

Vor drei Generationen noch hat kein Mensch je so etwas Schönes auch nur sehen können!

Und dann, nach sechzig Stunden wieder zu Hause, mein Weg vom mächtigen Kölner Dom ein paar Schritte runter an den Rhein. Und was mir eben noch so phantastisch erschien, das Wunder des Fliegens, wurde nun durch andere Bilder verdrängt.

Der Fluss hatte sich erhoben wie ein Ungeheuer, schlammbraun, mit rasender Geschwindigkeit trieb er dahin, als sei er von allen guten Geistern verlassen. Und am Ufer standen Menschen: die einen, die dort ihre Häuser haben, total verängstigt, die anderen neugierig auf das Wasserschauspiel, ohne Eintritt, mit Fotoapparaten und Videokameras waren sie gekommen, sogar Busreisen zum »Hochwasser nach Kölle« hatte man blitzschnell arrangiert. Nur noch sechs Zentimeter, und der Vater aller deutschen Ströme würde über die Böschung treten. Flutgefahr! Lebensgefahr! Im Radio hat man den Katastrophenalarm gesendet, in den Zeitungen wurde schon von Todesopfern an der Donau berichtet.

Welch ein Szenenwechsel. Eben noch hatte ich mich an Bord des Flugzeugs wie ein König gefühlt, als Herr über Zeit und Raum, nun stand ich hier und sah – wie alle anderen – einen Fluss, der immer breiter, höher, dreckiger – böse wurde.

Wie klein kam ich mir plötzlich vor, wie ein Däumling. Irgendjemand neben mir sagte, das sei alles Menschenwerk – der Mensch habe der Natur ins Handwerk gepfuscht, und nun schlage sie zurück. Ein anderer sagte: »Das ist Gottes Faust!« Wieder ein anderer sagte: »Der Mensch kann zum Mond fliegen – aber hier auf Erden verlassen ihn die Kräfte.«

Was sah ich noch? Ein paar Techniker, die an Saugpumpen arbeiteten, ein paar Sandsäcke, die eilig herangeschleppt wurden, um die Türen der Häuser zu schützen. Sandsäcke, nur Sandsäcke – gibt es wirklich nichts Besseres? Wasserspiegel über normal: 9,94 Meter! Mit der Natur kann man eben nicht über eine Null-Lösung verhandeln.

Ein Wort fiel mir plötzlich ein, ein Wort der jüdischen Lyrikerin Else Lasker-Schüler: »Der Mensch, das sonderbare Wesen. Mit den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in den Sternen.«

Ja, genau das war auch mein Gefühl, ich hatte es ja in so kurzer Zeit nun selbst erlebt! Wir sind Herren und Knechte. Täter und Opfer. Mächtig und ohnmächtig.

Und alles hat seinen Preis. Weil wir den Regenbogen am Himmel sehen dürfen, müssen wir auch Blitze, Donner und Regen ertragen.

Als ich den Flughafen verließ, war ich noch erfüllt von himmelhochjauchzender Lebensfreude, was die Technik unserer Generation alles an Erlebnissen schenkt. Als ich mich dann vom Rhein abwandte, dachte ich an die chiffrierte Botschaft dieser dramatischen Tage: Irgendjemand sorgt auf geheimnisvolle Weise dafür, dass wir Menschenkinder immer schön in der Balance bleiben – hier der Schlamm vom Rhein, dort die Sterne von New York und wir dazwischen. Tut es auch weh, so macht es vielleicht doch Sinn?

*

Seit 24 Jahren gibt es sie nun, diese sonntäglich kleine Alltagsphilosophie, erst wöchentlich, dann alle zwei Wochen, jetzt einmal im Monat, was mich noch mehr als früher dazu zwingt, bei den Themen höchst wählerisch zu sein. Themen, die zugleich auch Erfahrungen meines Lebens widerspiegeln.

Nun bat mich, Ende des vergangenen Jahres 2011, meine Münchner Verlegerin, aus über tausend Kolumnen, die in vierzig Jahren geschrieben wurden, die für mich wichtigsten herauszusuchen, also jene Texte, von denen ich meine, dass sie auch für meine Leserinnen und Leser noch gültige Botschaften enthalten, dass sie standgehalten haben in der Flüchtigkeit der dahineilenden Zeit. Auch für mich war die Durchsicht meiner Kolumnen eine Rückschau auf mein Leben und auch auf das, was mich berührt hat und an was ich mich immer noch gerne erinnere.

Wenn ich nun auf das Endergebnis schaue, dann stelle ich eines fest: Alle Kolumnen mit den unterschiedlichsten Themen, die den Test bestanden haben, sind zutiefst authentisch, das Ergebnis erlebter oder manchmal auch erlittener Erfahrungen. Ob es um die zermürbenden Gedanken im Wartezimmer eines Arztes geht; um den Tag, als mein Sohn geboren wurde, der mein Leben veränderte; um den Augenblick, da man um eine Freundschaft bangt. Es waren letztlich doch immer die kleinen privaten Erlebnisse, die beim Publikum das ganz große Echo fanden. Und so lesen Sie auf den folgenden Seiten dieses Buches die ausgesuchten Texte, von denen ich mir wünsche, dass sie immer noch Ihre Herzen berühren. Nicht mehr und nicht weniger sollen sie erreichen.

Das Beste aus 40 Jahren

Der Tag, der mein Leben veränderte

Meine Frau trägt das Kind in die Wohnung. Ich habe ihr die Tür aufgeschlossen. »Da wären wir also«, sage ich, und bei Gott, was Besseres ist mir nicht eingefallen, nur dieses nichts sagende »Da wären wir also«, so, als sei man aus dem Kino heimgekehrt, und dabei ist doch alles ganz anders: Unser Kind, zehn Tage auf der Welt, kommt in sein Zuhause. Das ist doch etwas Festliches, etwas Großartiges – was erleben wir Menschen denn noch?! –, aber ich sage nur »Da wären wir also«, und meine Frau tritt ein, legt das Kind auf das Sofa, schaut sich in den Räumen um, die sie zehn Tage nicht gesehen hat, freut sich über die Rosen, die Freunde geschickt haben zur Ankunft unseres Sohnes und die ich natürlich in die falsche Vase gestellt habe, ich sehe es an ihrem Blick, aber sie lächelt nur. »Nun bin ich ja wieder da«, sagt sie – auch nichts Feierliches.

Wie müsste denn dieser Tag sein? Der Himmel müsste von einem hellen Blau sein, die Sonne alles überstrahlen, alle Blumen müssten blühen, auch die welken Blumen sich aufrichten, die alten Leute auf der Parkbank müssten ihre Köpfe heben. Girlanden müssten gespannt sein, Musik: eine Kapelle, die einen Marsch spielt, weil es ein Junge ist, der nun beginnt, Tritt zu fassen im Leben, oder auch ein Tanzorchester von mir aus, mit viel Saxophon und vielen, vielen Geigen, das eine Melodie hinzaubert, die das Kind von nun an begleitet. Ja, so müsste es doch eigentlich sein, wenn ein neuer Mensch in dieser Welt einzieht, um diese Welt – was zu hoffen ist – zu bereichern, schöner zu machen – besser zumindest.