LESEPROBE

Der Pestarzt

von Barbara Büchner

»Herr Redakteur, das ist eine Geschichte, über die man bis Ungarn hinunter reden wird, und vorerst bin ich der Einzige, der davon weiß.« Der Journalist Anton Stieglitz, ein schmächtiger junger Mann in einem Anzug, der aussah, als hätte er darin geschlafen – was er manchmal tatsächlich tat –, stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich so weit vor, dass die Männer beinahe mit den Nasenspitzen zusammenstießen.

»Und woher wissen Sie’s?«, fragte der Lokalredakteur des »Wiener Tagblatts«. Er hatte oft genug erlebt, wie sich von seinen Untergebenen groß angekündigte Sensationen als Windeier erwiesen.

Stieglitz grinste. »Redaktionsgeheimnis.«

»Sein’S nicht albern! Also, setzen Sie sich und erzählen Sie mir, worum es geht.«

Der junge Mann gehorchte eifrig. Er zog ein Notizbuch aus der Tasche und begann wichtigtuerisch darin zu blättern, obwohl er alle Fakten im Kopf hatte. »Sie erinnern sich doch, dass im Februar eine Expedition von Wiener Ärzten nach Indien gefahren ist?«

Ja, daran erinnerte sich der Lokalredakteur. In den Zeitungen erschienen immer wieder Meldungen über Fälle von Beulenpest in Süd- und Ostasien. Vor drei Jahren, 1894, hatte es für große Aufregung gesorgt, als bekannt wurde, dass während einer Epidemie in der Kronkolonie Hongkong der Erreger der Pest identifiziert worden war, und unter den Gelehrten tobte ein heftiger Streit, wer ihn nun eigentlich entdeckt hatte – der berühmte japanische Bakteriologe Shibasaburo Kitasato oder der weitgehend unbekannte, aus der Schweiz stammende französische Tropenarzt Alexandre Yersin. Beide schrieben sich die Entdeckung zu. Oder hatten beide unabhängig voneinander und gleichzeitig den Pestbazillus ausfindig gemacht? Auf jeden Fall hieß das widerwärtige Ding nun Yersinia pestis nach dem Franzosen. Seither forschten Bakteriologen in aller Welt an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen den schwarzen Tod.

Als 1896 eine neue Pestepidemie in Indien ausgebrochen war, hatte die Britische Akademie der Wissenschaften andere Länder dazu eingeladen, eine gemeinsame wissenschaftliche Kommission nach Indien zu entsenden, um die Krankheit zu untersuchen. Für die Österreichische Akademie der Wissenschaft fuhren von Februar bis April 1897 vier Ärzte des Wiener Allgemeinen Krankenhauses nach Bombay. Aber das war im Frühling gewesen, die Ärzte und ihre Mitarbeiter waren alle wohlbehalten zurückgekehrt, und der dicke Wälzer, den sie über ihre Forschungen schrieben, interessierte niemanden außer den Fachleuten – ganz sicher nicht die eher einfache Leserschaft des »Wiener Tagblatts«.

»Geht es wieder um die Zänkerei zwischen dem Japaner und dem Franzosen? Das hatten wir schon mal.«

»Nein, es geht um etwas viel Besseres.« Für den jungen Sensationsjournalisten war eine Geschichte umso »besser«, je mehr Staub sie aufwirbelte, und diesmal war er sicher, dass eine Menge Staub fliegen würde. »Ich habe nämlich jemanden kennen gelernt, der mir Dinge erzählt hat, die er eigentlich niemandem erzählen dürfte.« Er tat so, als kippte er sich mehrere Gläser Bier hinter die Binde. »War nicht mehr ganz nüchtern, der Herr. Hin und wieder kommt ihm das Grauen bei seiner Arbeit, dann säuft er sich nieder. Ich hatte das Glück, ihn in einem Beisl1 hinter dem Allgemeinen Krankenhaus kennen zu lernen, als er sturzbetrunken und recht mitteilsam war. Und jetzt hören Sie gut zu! Der Mann, Franz Barisch heißt er, ist Labordiener am Pathologischen Institut im Allgemeinen Krankenhaus, und wissen Sie, was er dort macht? Ich sag’s Ihnen mit seinen eigenen Worten: Er ›dressiert die Ratten und die Pestbazillen‹!«

Der Lokalredakteur wich instinktiv zurück, als sei schon das bloße Wort infektiös. »Sie meinen, er hat dort ...«

Stieglitz fiel ihm ins Wort. »Genau das. Die vier Ärzte, die in Indien waren, haben nicht nur vor Ort Pestfälle studiert, sie haben auch hochinfektiöses Material nach Wien mitgebracht, und seither machen sie im Pathologischen Institut heimlich Versuche damit. Barisch hat in seinem Pestzimmer, wie er es nennt, eine Menge Käfige mit Ratten und Meerschweinchen stehen, die alle infiziert sind. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn es zu einem Laborzwischenfall kommt? Dann haben wir die Pest in Wien!«

»Das darf doch nicht wahr sein!« Dem Lokalredakteur war sofort klar, dass ein Zeitungsartikel wie eine Bombe einschlagen würde. Schreckliche Berichte waren aus früheren Zeiten über das Wüten der Pest überliefert. So waren in Wien 1541 etwa ein Drittel der rund 25.000 Einwohner an der Pest gestorben, im Jahr 1679 sogar 12.000 Menschen. Am Graben, im Herzen der Altstadt, erinnerte die mächtige barocke Pestsäule an das große Sterben in Wien. Das waren Ereignisse, die man nicht vergaß, so tief hatte sich der Schrecken dem Gedächtnis der Wiener eingeprägt. Seit den großen Seuchenzügen waren Jahrhunderte vergangen, der schwarze Tod hatte sich in den Orient zurückgezogen und verschonte das medizinisch und hygienisch besser ausgestattete Abendland – aber nun hatten Ärzte ihn ganz bewusst eingeschleppt!

»Sie sagen natürlich, dass sie alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben«, fuhr Stieglitz leidenschaftlich fort. »Barisch hat strengen Auftrag, sich selbst und die Räume aufs Sorgfältigste zu desinfizieren, und das Pestzimmer liegt isoliert von allen anderen Räumen des Instituts. Er wohnt auch mit seiner Frau für sich allein im nebenan liegenden Narrenturm. Trotzdem sage ich Ihnen: Wenn der Mann in dem Zustand, in dem ich ihn kennen gelernt habe, mit infizierten Versuchstieren hantiert, dann möchte ich nicht in der Nähe sein. Er konnte kaum mehr stehen. Ich habe mich dann unauffällig umgehört. Normalerweise soll er sehr verlässlich sein, aber dazwischen kommt es immer wieder vor, dass er sich sinnlos besäuft. Das ist eine Berufskrankheit bei den Prosekturdienern – kein Wunder bei der grausigen Arbeit.«

Stieglitz verschwieg diskret, dass es auch eine Berufskrankheit der Journalisten war und er selber längst nicht mehr nüchtern gewesen war, als er mit dem betrunkenen Labordiener Freundschaft geschlossen hatte. Erst am nächsten Morgen, als er mit brummendem Schädel aufwachte, war ihm die Bedeutung dessen, was der Mann ihm erzählt hatte, bewusst geworden.

Der Lokalredakteur streifte die Asche seiner Zigarre ab und betrachtete nachdenklich den glühenden Stumpen. »Sie haben Recht, Stieglitz, das ist eine Bombe. Aber ich brauche bessere Informationen als nur das Geschwätz eines Betrunkenen. Gehen Sie der Sache nach und recherchieren Sie alles, was damit zusam menhängt. Wenn wir uns mit dem Allgemeinen Krankenhaus anlegen, brauchen wir Fakten – hieb- und stichfeste Fakten.« Plötzlich grinste er, ein heimtückisches, wölfisches Grinsen, das gelbe Zähne entblößte. »Warum besuchen Sie nicht Ihren Freund Barisch und überzeugen sich mit eigenen Augen, dass die Geschichte mit dem Pestzimmer stimmt?«

Einen Augenblick verschlug es Stieglitz vor Schreck die Sprache. Dann gewann seine freche, gewandte Natur wieder die Oberhand. »Das mache ich, Herr Lokalredakteur. Und wenn ich dort war, komme ich auf direktem Weg zurück und erzähle Ihnen, wie leicht man sich dort infiziert.«

»Unterstehen Sie sich! War doch bloß ein Scherz. Aber eines meine ich im Ernst: Recherchieren Sie die Geschichte gründlich – und schnell, bevor die Konkurrenz davon Wind bekommt.«

Er stand auf und bedeutete Anton Stieglitz, dass er gehen könnte. Eigentlich hatte er ihm wie gewohnt die Hand schütteln wollen, aber im letzten Moment hatte er es sich anders überlegt. Der Kerl war mit diesem Franz Barisch zusammen gewesen, hatte mit ihm gesprochen, ihn sicherlich auch berührt. Es war besser, ihm nicht allzu nahe zu kommen.

Fortsetzung folgt ...

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 9783865064486

© 2005 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

1. digitale Veröffentlichung 2013 Zeilenwert GmbH

Einbandgestaltung: Creativ-Werbung GmbH, Mülheim an der Ruhr

www.brendow-verlag.de

cover

Fabian Vogt

BUBE

DAME

KÖNIG

Roman

Verlag

Inhalt

Titelseite

Impressum

Prolog

5. Dezember

6. Dezember

7. Dezember

8. Dezember

9. Dezember

10. Dezember

11. Dezember

Epilog

Nachwort

Danksagung

Verzeichnis der historischen
Personen und Orte

Freuen Sie sich jetzt schon auf den nächsten Band!

Leseprobe

I.

Sie halten mich alle für einen Abenteurer, einen Heißsporn, einen Draufgänger, der sich nicht scheut, seine Seele zu verkaufen, wenn sie mit Genuss bezahlt wird. Einen taktlosen Emporkömmling, der vor keiner Schandtat zurückschreckt. Sie haben Recht. Ich habe die Spielregeln meines Lebens nach Lust und Laune verändert. Warum auch nicht? Ich habe mir die Welt angesehen und schnell entdeckt, wie sie funktioniert.

Die meisten Menschen leben wie Spielfiguren, die sich schon glücklich wähnen, wenn die Hand des Schicksals sie aus unerklärlichen Gründen auf der Spielfläche um einen Platz nach vorne schiebt. Einige wenige haben im Laufe der Zeit das Spiel erlernt und kämpfen fortan mit verkniffenen Gesichtern um die verlogene Anerkennung der Mitstreiter, die selbst gern auf dem Podest des Siegers stehen würden. Mir war das von Anfang an zu wenig. Ich wollte nicht irgendwelchen sittlichen Vorgaben genügen und mich für das brave Erlernen eines wohlanständigen Verhaltenskodex feiern lassen. Nein!

Ich war ein leidenschaftlicher Spieler und habe früh angefangen, die Regeln selbst zu bestimmen. Ich habe beobachtet, wie die Würfel auf den Tisch fallen, und sie dann zu meinen Gunsten gedeutet. Ich habe keine Vorgaben akzeptiert. Warum soll denn die Sechs immer die höchste Augenzahl sein? Das Leben schien mir jeden Morgen wie ein weißes Blatt, das danach giert, mit dem Gebot des Tages beschrieben zu werden. Ich habe mich täglich neu erschaffen. Es war himmlisch.

Doch wer die Regeln missachtet oder sie gar auf den Kopf stellt, gilt den vielen Angepassten und Hörigen als Feind. Es gibt wohl kaum etwas, das eine Person suspekter macht, als wenn sie nicht einzuordnen ist und sich den Konventionen entzieht. Sie hassen mich. Weil ich die Spielregeln diktierte. Sie sollten sich und der Welt endlich den wahren Grund eingestehen: Sie ertragen meine zügellose Freiheit nicht.

Freiheit hat schon immer Angst ausgelöst. Weil in ihr die größte Sehnsucht aller Menschen zum Ausdruck kommt. Und darum habe ich nicht nur Feinde gehabt, sondern auch leidenschaftliche Verehrer, fast krankhafte Anhänger, die als meine Jünger mit mir zogen und nie verstanden, dass man die wahre Freiheit keinesfalls in der Abhängigkeit von einem Anführer finden kann. Wie viele sind in diesen Jahren an meiner Seite gewesen? Ihre Gesichter verschwimmen in der Erinnerung.

Ich weiß nicht, ob ich begabt bin. Aber meine Freiheit hat mich mit einer seltenen Fähigkeit gekrönt: Ich schaue Menschen an und sehe mit einem Blick, wonach es sie gelüstet. Ihre Wünsche und ihr Verlangen bedrängen mich geradezu. Es ist, als erhofften sich die geheimsten Begierden eines Gegenübers von mir eine lang verwehrte Erhörung. Sie greifen nach mir mit wilder Verzweiflung. Anfangs habe ich sie abgewehrt. Doch dann habe ich gelernt, sie für mich zu nutzen. Wenn man weiß, was ein Mensch aus ganzem Herzen begehrt, ist er leicht zu fangen. Ich habe denjenigen, die zitternd vor Lust nach Leben vor mir standen, immer genau das versprochen, was sie sich am meisten wünschten. Und sie haben mir aus der Hand gefressen. Julia hat einmal gesagt, dass ich meiner Fähigkeit, den Suchenden ihre eigenen Sehnsüchte anzudrehen, alles verdanke. Sie hat mich einen »Traumverkäufer« genannt.

Wer Menschen für sich gewinnen kann und sich frei fühlt, die Spielregeln des Lebens selbst zu schreiben, darf getrost mutig sein. Ich bin in die Salons der höchsten Machthaber spaziert und habe mich dreist zu ihnen gesellt. Ich wurde in Zeitungen verrissen und in Mythen zu einem Gott gemacht, weil ich der Furcht vor der eigenen Existenz keinen Raum gab. Ich war über Jahre in Europa das beliebteste Gesprächsthema bei all denen, die sich einmal meine Frechheit gewünscht hätten. Ich habe Weltmächte herausgefordert und Geschichte geschrieben.

Nur eines, eines habe ich niemals gewagt: Ich habe niemals zu jemandem »Ich liebe dich!« gesagt. Nie! Manchmal war ich kurz davor, doch immer, wenn die Silben beinah die Lippen erreicht hatten, verschloss ich mich. Ich hatte Angst, mich der magischen Gewalt dieser drei Wörter auszuliefern. War das meine tiefste Sehnsucht? Lieben zu können? Ich weiß es nicht. O ja, vie le Frauen haben in meinen Armen gelegen, ich habe ihnen leidenschaftliche Geständnisse ins Ohr geflüstert und sie mit verführerischen Versen davon überzeugt, dass mein Herz ihnen gehört. Nur diese drei alles verändernden Wörter sind niemals in Anwesenheit eines anderen Menschen über meine Lippen gekommen. Eine Zeit lang war ich deswegen so verstört, dass ich anfing, vor dem Spiegel zu üben. Weinend habe ich geschrien: »Ich liebe dich! Ich liebe dich!« An ein anderes Ohr als das meine ist jene Erklärung, die einen Menschen so schmerzhaft verwundbar macht, aus meinem Mund aber nie gedrungen.

Jedes Mal, wenn ich spürte, dass ich dieses »Ich liebe dich« nicht mehr länger in mir einsperren konnte, bin ich geflohen, zurück in die Freiheit. Ich habe die Abhängigkeit der Liebe nicht ertragen. Und ich habe wohl nicht glauben können, dass eine Frau mich wirklich zu lieben vermag. Ob deshalb alles zunichte gemacht wurde, was ich erreichen wollte? Ich weiß es nicht. Schaut mich an, ihr Spötter und Rechthaber, ihr Besserwisser und Ehrgeizlinge, genießt euren Triumph, schaut, was ich geworden bin: ein alter, vertrottelter Narr, der am Ende seines Lebens um ein Stück Brot betteln muss. Die Seide hat sich in Sackleinen verwandelt. Es wird Zeit zu sterben. Aber ich will Julia fragen, ob sie mir zuhört. Julia, kommst du? Julia!

»Wir nehmen Gott, den Allmächtigen, zum Zeugen

und erklären angesichts der ganzen Welt:

Wir hängen unserem König in unveränderter Liebe

und unerschütterlicher Treue an und sind entschlossen,

für ihn zu leben und zu sterben.«

Korsische Erklärung vom 21. Januar 1737

Prolog

Die Geschichte des Theodor von Neuhoff kann nicht seelenruhig erzählt werden. Aber erzählt werden soll sie. So, wie sie sich uns zeigt, begegnen wir ihr erstmals am zweiten Advent des Jahres 1756 nach der Frühmesse in London, der damals größten Stadt der Welt, die wenige Jahre zu vor dem fernen Konstantinopel diesen wenig rühmlichen Titel abgerungen hatte. Zwei wohlgenährte Männer, die zu jener Zeit die Metropole zu Fuß umrundeten, um ihre Ausmaße deutlich zu machen, benötigten geschlagene sieben Stunden, bevor sie ihren Ausgangspunkt wieder erreichten.

In den buckligen und mit Löchern übersäten Straßen des kärglichen Stadtteils Soho erschienen an diesem vorweihnachtlichen Dezembertag die letzten Besucher des Gottesdienstes der St. Annenkirche, um fröstelnd unter den kahlen Ulmen nach Hause zu eilen. Ein leichter, kalter Nieselregen legte sich auf die Gesichter und verlieh ihnen einen feinen Glanz, der nicht ihrem inneren Empfinden entsprach. Reverend Sonheart, ein knurriger, vergrämter Einzelgänger, hatte den Gläubigen in seiner Predigt gewaltige apokalyptische Bilder vor Augen gemalt und dabei die Worte Jesu aus dem Lukasevangelium ausgelegt: »Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen.«

Immerhin war es dem Gottesmann gegen Ende doch noch gelungen, für seine Herde mit den abschließenden Versen des Textes einen tröstlichen Bogen zum bevorstehenden Christfest zu spannen: »Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.«

Der fast blinde Mann, der in diesem Augenblick aus der Dean Street in die Little Chapel Street einbog, hielt den Kopf dennoch gesenkt. Er war nicht mehr bereit, an irgendeine Erlösung zu glauben, solange sie sich als Vertröstung entpuppte, die seiner Angst keinen Einhalt gebieten konnte. Laut zog er die große Nase über dem dunklen Bart hoch, der von grauen Strähnen durchzogen war, und spie dann in weitem Bogen in den Rinnstein, wo der Auswurf von dem trüben Rinnsal des Regenwassers davongetragen wurde, das sich zwischen den Steinen einen Weg bahnte.

»Buh!«

Der Alte, der die fünfzig deutlich überschritten hatte, zuckte zusammen, als er den Laut neben sich hörte, doch dann hellte sich seine Miene auf. Für einen Moment schämte er sich, dass er gerade so ordinär auf die Straße gespuckt hatte, bald aber überwog die Freude. »Schascha! Was machst du denn bei diesem Wetter hier draußen?«

Das kleine Mädchen, das nicht viel älter als acht Jahre sein konnte, schmiegte sich an den schmucklosen Tuchrock des Bärtigen und streichelte seine Hand. »Ich warte!«

Der Mann schaute suchend umher, dann neigte er den Kopf und kräuselte die Nase. »Auf wen? Auf deinen Prinzen?«

Das Kind sah schelmisch zu ihm auf: »Großvater Albrecht. Du sollst dich nicht über mich lustig machen!«

»Das würde ich niemals wagen. Aber meinst du wirklich, dass er bei diesem widerwärtigen Wetter hier vorbeireitet? Mitten in der Stadt?«

Mit seiner knorrigen Hand prüfte er die Kleidung seiner Enkelin. Das Kittelchen des Mädchens hatte sich bereits mit Feuchtigkeit voll gesogen und klebte an dem dürren Körper wie eine zweite Haut. Schascha grinste so breit, dass sich auf ihrer linken Wange ein Grübchen in die Haut legte. »Großvater, du weißt doch, wie das ist: Prinzen kündigen ihr Kommen nicht an.« Sie drückte kindlich verspielt die Knie zusammen. »Könige tun das ja auch nicht!«

Beunruhigt hielt Albrecht inne. Langsam legte er die Enden seines Mantels am Hals übereinander. Seine Stimme klang sehr brüchig, als er fragte: »Der König! Ist er schon aufgewacht?«

Das Mädchen lief plötzlich davon und zog hinter einem Ginsterstrauch einen hölzernen Puppenwagen hervor, dessen blumenbestickte Stoffbespannung ebenfalls durchnässt war. Konzentriert starrte es auf die verdreckte Puppe, die zwischen den Kissen hervorlugte. Schüchtern fragte es: »Ist er wirklich ein König?«

Der Großvater nickte fast unmerklich: »Zumindest war er einer. Und seine Königswürde ist ihm niemals aberkannt worden.«

Schascha schüttelte mit großer Konzentration die Decke des Wagens aus und murmelte: »Er stinkt!«

Albrecht ging mühsam in die Hocke, um mit seiner Enkelin auf einer Höhe zu sein. »Das stimmt. Er war viele Jahre im Gefängnis. Und dort hat man ihn nicht besonders gut behandelt.«

Mit einer trotzigen Bewegung schob das Kind sein Spielzeug von sich. »Warum ist er dann zu uns gekommen? Wenn er doch ein König ist?«

Der Großvater zog eine Augenbraue hoch. Ruhig sagte er: »In der Zeit, in der der König noch ein richtiger Herrscher war, wollten viele Leute seine Freunde sein. Jetzt verachten sie ihn. Sie lachen über ihn, weil er sich nicht mehr wehren kann. Weißt du: Als er heute Morgen entlassen wurde, ist er als Erstes zum Botschafter des Landes Portugal gefahren, einem seiner alten Bekannten. Doch der hat ihn einfach rausschmeißen lassen!«

Schaschas Augen leuchteten, und sie musste ihre Erkenntnis sofort mitteilen: »Wahrscheinlich, weil er so stinkt.«

Vorsichtig strich der Bärtige dem Kind über den Kopf: »Weißt du: Dreck kann man abwaschen. Und wenn jemand nur dann dein Freund sein darf, wenn er gut riecht, dann ist deine Freundschaft nicht viel wert. Der König hat vor vielen Jahren, als er noch mächtig war, bei mir viele Kleider nähen lassen. Weil ich wie er ein Deutscher bin. Damals waren wir gerade erst in London angekommen – und dank seiner Aufträge konnten wir hier Fuß fassen. Das vergesse ich ihm nie. Ich bin sein Freund, auch wenn er stinkt. – Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Schläft er noch oder nicht?«

Das Mädchen schaute verstohlen auf den Boden. »Als ich aus dem Haus gegangen bin, war er noch nicht aufgewacht.«

Energisch griff der Alte nach der Hand der Kleinen. »Komm, Schascha. Lass uns reingehen. Es ist viel zu kalt, um draußen zu spielen.«

Sie entzog sich ihm. »Bitte, Opa, lass mich noch eine Weile hier warten. Nur ein ganz kurzes Bisschen.«

Er schüttelte bedenklich den Kopf: »Na gut, aber nur noch ein paar Minuten. Deine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen um dich.«

»Och, das glaube ich nicht. Ich mache mir Sorgen um sie: Sie klebt schon wieder an der Wand.«

Der Großvater lachte. Er ging behutsam die nasse Straße hinunter und verschwand im Haus mit der Nummer 5. Das Mädchen schaute ihm lange nach. Dann blickte es wieder konzentriert die Straße hinunter, als sehe es dort eben gerade einen wunderschönen Jüngling auf einem stattlichen Schimmel herantraben.

Zur selben Zeit bog eine große Mietkutsche vom Leicester Square in die Wardour Street ein, um Richtung Oxford Road zu fahren. Es war einer jener modernen Wagen mit stählerner Federung, die erst vor kurzem eingeführt worden waren und nun überall von neugierigen Jungen bestaunt und voller Ehrfurcht berührt wurden.

Im Fond des eleganten Gefährts saß ein verschnupfter Mann von etwa dreißig Jahren und rieb sich die Nasenflügel über dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart. Er trug einen blauen Wollfrack mit Hornknöpfen über einer Weste aus weißem Pikee und eine gelbe Wildlederhose. An seiner Seite lag statt eines Degens ein Stock aus Ebenholz, dessen Griff drei ineinander greifende Kettenglieder als Intarsie zierten. Auf dem leicht geneigten Kopf des erkennbar gut situierten Gentlemans ruhte eine kunstvoll gelegte und mit Puder durchzogene Perücke, die bei jeder Bewegung eine feine Staubwolke absonderte. Darüber aber schwebte ein Dreispitz. Nervös zog der Mann ein Taschentuch aus seinem Rock und putzte sich die juckende Nase. Dann faltete er das Tuch zusammen und begann, mit einem Zipfel die Pistole zu reinigen, die auf seinen Knien lag. Dabei fragte er unruhig: »Wann sind wir denn endlich da?«

Er musste schreien, um das kreischende Geräusch der Metallräder auf den Steinen zu übertönen. Der Kutscher, dessen linker Arm fehlte, warf einen Blick durch die Scheibe hinter seinem Sitz, als wolle er sehen, was er am geschicktesten antworten könnte. Schließlich rief er: »Gleich, Sir!«

Der Passagier beugte sich aus dem Fenster und hielt dabei seinen Hut fest: »Riecht es hier immer so?«

Der Einarmige zog die Zügel etwas fester. Ein verhaltenes Lächeln tanzte auf seinem Gesicht: »O nein, Sir, heute ist es angenehm. Der Regen dämpft den Geruch. Ihr könnt übrigens dankbar sein. Noch vor kurzem sind hier jeden Morgen die Viehherden durchgetrieben worden, die die Bauern auf dem Markt verkaufen. Da hat es wirklich gestunken. Zum Glück gibt es jetzt endlich die New Street. Die wurde extra wegen der vielen Tiere gebaut, die immer die Straßen voll scheißen. Ihr solltet das genießen, Sir! Diese Mischung aus Asche, Verwesung, Heu und Mist: Das ist London.«

Noch einmal zog ein schräges Grinsen über sein Gesicht, als er die Pferde wieder antrieb. Der Passagier zog angewidert seinen Kopf zurück und schloss das Fenster mit einem Ruck. Die Finger seiner linken Hand strichen nervös die Pistole entlang, als könnten sie sich daran festhalten. Der Kutscher blickte währenddessen suchend umher und bog dann mehrfach wahllos ab, um an diesem Sonntagmittag jemanden zu finden, der ihm den Weg weisen könnte.

In der Little Chapel Road fiel ihm ein kleines Mädchen auf, das dort zitternd mit seinem selbst gezimmerten Wägelchen am Straßenrand stand. Doch er beschloss weiterzufahren, bis er einen älteren Passanten entdecken würde. Als er sich dem Kind näherte, kreuzten sich ihre Blicke, und dem Kutscher war für einen Augenblick, als könne er in diese gierigen Augen hineinfallen, so groß und weit schauten sie auf die glänzende Karosse.

In dem Moment, in dem das eindrucksvolle Gefährt auf Höhe des Mädchens war, nahm dieses plötzlich seinen klapprigen Kinderwagen und schob ihn mit aller Kraft, über die es verfügte, auf die Straße. Knirschend zermalmte das Hinterrad der Kutsche die hölzerne Konstruktion, trennte der Puppe den Kopf vom Leib und ließ das darin enthaltene Stroh herausquellen. Die kleinen Eisenstäbe, die dem Spielzeug als Achsen dienten, wurden einen Moment lang mitgeschleift und fügten dem tiefen Klagen der Kutschenräder ein hohes, kratzendes Schreien hinzu. Wütend ließ der Kutscher die Pferde anhalten: »Wie kann man nur so töricht sein? Ich hätte große Lust ...«

Die Stimme des Reisenden aus der Kutsche unterbrach ihn: »Was ist denn los?«

Der Einarmige stieg vom Kutschbock und schimpfte dabei weiter: »Der Puppenwagen dieser Göre ist unter die Räder gekommen.«

Der Passagier blickte auf das Mädchen hinunter, das unbeweglich dastand und ihn mit großen Augen anstarrte. Unvermittelt fragte es: »Du! Bist du ein Prinz?«

Überrascht von der Frage, vergaß der Mann seinen Ärger über die Unterbrechung für einen Moment. Ein Lächeln flog über sein Gesicht wie ein Vogel, der den Himmel entlangzieht. Doch er war offensichtlich im Umgang mit Kindern unerfahren, denn er antwortete sehr ernsthaft: »Ein Prinz? Nein! Ich heiße Frederik.«

Das Kind trat an die Kutsche heran »Aber der Prinz heißt doch Frederik!«

Der Kutscher zerrte die Überreste des Puppenwagens hervor, während der Reisende schmunzelte: »Du meinst Prinz Friedrich, den Sohn von König Georg II. Ich hoffe nicht, dass ich der bin, der ist nämlich schon vor einigen Jahren gestorben. Ich bin Lord Fre derik von Kilmarnok. Pass auf: Ich gebe dir zehn Schilling, davon kannst du dir ein neues Spielzeug kaufen.«

Während der Mann nach seiner Geldbörse griff, musterte ihn das Mädchen von oben bis unten: »Du siehst aber aus wie ein Prinz.«

Lord Kilmarnok zuckte bedauernd mit den Schultern: »Tut mir Leid, dass ich dich enttäusche. So, und jetzt muss ich weiter.« Er hielt dem Kind die Münze hin und lehnte sich dabei weit aus dem Fenster. Doch das durchnässte Mädchen fing plötzlich an, bitterlich zu weinen. Tränen schossen aus seinen Augenwinkeln und vermischten sich mit dem Regen auf seinem Gesicht. Irritiert schaute der Reisende den Kutscher an, dann holte er eine weitere Münze aus seiner Börse. Das Kind aber wollte sich nicht beruhigen. Es schluchzte: »Du musst mit mir reinkommen und mit meiner Mama reden!«

Der Kutscher war inzwischen wieder auf seinen Sitz gestiegen. Lord Kilmarnok schüttelte den Kopf: »Ich muss leider weiter. Ich habe es sehr eilig.«

Das Mädchen begann erneut zu weinen, diesmal so laut, dass an zwei Häusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Fenster geöffnet wurden und neugierige Gesichter hervorlugten. Unruhig blickte sich der Kutscher um: »Sir, lasst uns weiterfahren! Ihr werdet doch wohl nicht in so ein dreckiges Loch steigen, nur weil eine alberne Göre weint. Mit den zwanzig Schilling kann die Familie eine ganze Monatsmiete bezahlen. Ihr dagegen werdet Euch bei Leuten dieser Art wahrscheinlich irgendwelche Krankheiten einfangen.«

Während der Einarmige gesprochen hatte, war das Kind rot angelaufen und hatte energisch mit dem Fuß auf den Boden gestampft. Mit einem zornigen, aufbrausenden Stolz blickte es auf den Kutschbock: »Bei uns ist alles sauber. Und wir haben etwas, was du niemals haben wirst, du komischer Mann, du: Wir haben einen König bei uns zu Gast.«

Plötzlich war es still. Als hätte jemand den Regen und den Wind angehalten und die letzten Vögel zum Schweigen gebracht. Zumindest erschien es dem Reisenden so, dessen Hände sich um die Pistole verkrampften, die die ganze Zeit neben ihm auf dem Sitz gelegen hatte. Das Mädchen entdeckte den ungezügelten Hass, der von den Gesichtszügen des Lords Besitz ergriff, und trat instinktiv einen Schritt zurück. Das war gut so, denn im selben Augenblick flog die Tür der Kutsche auf und der Edelmann stieg heraus. Ohne die Bewegung im Geringsten verbergen zu wollen, steckte er seine Waffe in den Gürtel und nahm das Mädchen grob an der Hand: »Lass uns zu dir gehen!«

Ungehalten klang die Stimme des Kutschers von oben herab: »Sir, Ihr wisst, dass ich hier in den Straßen höchstens eine Stunde stehen bleiben darf.«

Lord Kilmarnok würdigte ihn keines Blickes. Leise zischte er: »Keine Sorge, so lange werde ich gewiss nicht brauchen.«

Der Adlige zog das Mädchen, das sich unter seinem festen Griff wand, hinter sich her. Doch als er die Haustür fast erreicht hatte, stockte sein Schritt. Durch die Öffnung klang ein weicher Gesang, der wie frische Seide an seiner Haut herabfloss. Sanft schlichen sich die Töne der Melodie in die Erinnerung des aufgewühlten Mannes, der verblüfft entdeckte, dass ihm die Musik vertraut war. Nach kurzem Zögern erkannte er ein Weihnachtslied, das er als Kind selbst oft gesungen hatte, Worte, die in ihm Bilder einer vergessen geglaubten Vergangenheit hervorriefen. Er, der bisher nur englisch gesprochen hatte, sah das Mädchen erstaunt an und fragte dann in deutscher Sprache: »Deine Familie spricht Deutsch?«

Die Kleine nutzte die Gelegenheit, um ihren Arm mit einem Ruck aus der Umklammerung zu befreien: »Natürlich, mein Opa kommt aus Westfalen.« Mit kindlichem Stolz fügte sie hinzu: »Ich kann aber auch Französisch. Meine Uroma hat nämlich in Frankreich gelebt. Je suis …«

Energisch, als sei es ihm peinlich, sich selbst bei einer Sentimentalität ertappt zu haben, und als müsse er den kurzen Moment der Schwachheit abschütteln, wandte sich Lord Kilmarnok wieder zur Tür und drückte die Klinke.

Im Inneren des Hauses bot sich ihm ein seltsamer Anblick: Der Raum war mit Dutzenden von Talglichtern erhellt, in deren Schein eine junge Frau Papierbögen mit Hilfe einer faulig riechenden Masse an die hintere Zimmerwand klebte. Mit geübten Fingern strich sie die Bahnen glatt und achtete darauf, dass die Muster an den Kanten scheinbar nahtlos ineinander übergingen und die große Fläche langsam, aber sicher mit einer wild wuchernden Pflanzenpracht überzogen. Auf dem gelben Grund der Bögen stritten feste grüne Ranken und blaue Blütenreihen um die Vorherrschaft. Kunstvoll kreuzten sich die gemalten Gewächse, berührten einander an einigen Stellen beinahe und strebten dann doch wieder voneinander fort, um sich der nächsten Pflanze zu nähern. Diese sich wiederholende Struktur erhielt ihren besonderen Reiz durch kleine rote Vögel, die in jedem dritten Muster auf der Ranke sitzend von der jeweils daneben liegenden Blüte kosteten. Der feine Pinselstrich und die Natürlichkeit der Motive verliehen der Wand so intensive Konturen, dass der Betrachter sich in das Bild hineingezogen fühlte.

Verblüfft starrte Lord Kilmarnok auf die lebhafte Fläche. Dann aber glitt sein Blick an der Frau herab. Sie trug nur ein beigefarbenes Korsett, auf dem die gewellten dunklen Haare ihrerseits ein mäanderndes Muster bildeten. Zwischen den Schnüren, die den Rücken einsperrten, blitzte hell die Haut hervor. Die Beine aber steckten in einer Männerhose. Da der Adlige noch niemals ein weibliches Wesen in Hosen gesehen hatte, war er einen Augenblick lang unsicher, ob er tatsächlich eine Frau vor sich hatte. Dann aber drehte sich die Dunkelhaarige um und sein Blick fiel auf ihr Dekolleté. Mit einer neckischen Geste strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und lächelte das kleine Mädchen aufmunternd an. Dann erst wandte sie sich dem Eindringling zu. Belustigt über sein verwirrtes Gesicht, fragte sie: »Könnt Ihr nicht klopfen?«

Offensichtlich besann sich der Mann schnell auf sein Vorhaben, denn er sagte mit befehlsgewohnter Stimme auf Deutsch: »Wo ist er?«

Die Frau legte den gerade aufgenommenen Papierbogen zur Seite, wischte ihre verklebten Hände an der Hose ab und zog die Augenbrauen zusammen. Sie musterte den erregten Mann miss trauisch. Ein lauernder Zug erschien auf ihrem Gesicht und verlieh ihr etwas Katzenhaftes. Sie flüsterte eindringlich: »Schascha, komm her!« Dann hob sie fragend die Hand: »Wer seid Ihr?«

Ohne auf die Frage zu antworten, zog Lord Kilmarnok seine Pistole aus dem Gürtel und richtete sie auf die Frau: »Ich will wissen, wo er ist.«

Das kleine Mädchen schniefte heftig, klammerte sich noch fester an die Frau, als wolle es eins mit ihr werden, und rührte sich nicht mehr. Nur das Knarren der Dielen durchbrach die Stille. Wortlos starrten die Frau und der Mann einander an. Da ließ eine ruhige Stimme von der Treppe den Lord herumfahren: »Ihr wollt Geld? Vergesst es! Es ist keines mehr da! Ihr kommt zu spät.«

Gemächlich stieg die bisher verborgene Gestalt die Stufen hinunter. Nach und nach wurde im Licht der Lampen der aus gemergelte Körper eines alten Mannes sichtbar. Endlich tauchte auch sein Gesicht aus dem Schatten auf. Zwischen den Strähnen des Bartes lugten volle Lippen und runde Wangenknochen hervor, die ihm etwas von einem grau gewordenen Hamster gaben. Die dichten Brauen stachen wie kleine Gebüsche aus dem frisch gepflügten Feld der Stirnlinien hervor. Die dunklen Augen aber schauten herausfordernd auf den Edelmann, an dessen Hals ein Muskel zuckte.

Ohne ein Wort zu sagen, schwenkte Lord Kilmarnok seinen Arm herum, so dass die Mündung der Waffe auf den Greis zeigte, spannte den Hahn und drückte ab.

Der schrille Schrei des Mädchens nahm den Knall auf. Die Frau in Hosen warf sich instinktiv über die Kleine und drängte sie zu Boden, wo beide mit einem dumpfen Ächzen im Leim landeten. Der alte Mann dagegen fiel schwer auf die Treppe, rutschte haltlos die letzten Stufen hinunter und blieb regungslos auf den Fliesen liegen. Schnell verbreitete sich der herbe Geruch des Schießpulvers im Raum, während der Dampf aus der Pistole vor das üppige Grün des Wandschmucks zog wie eine kleine Wolke über eine Frühlingslandschaft. Auf dem Antlitz von Lord Kilmarnok zeigte sich ein Zug tiefer Befriedigung.

Als der Schütze sich zur Tür wandte, um zu gehen, stand dort ein kräftiger, fast schon kahler Geselle, dessen Kleider über und über mit Blut besprengt waren. Mit einem unterdrückten Schrei hieb er dem Lord die Faust ins Gesicht und ließ ihn rückwärts ins Zimmer zurücktaumeln. Ein Schlag in die Magengrube und ein weiterer auf das Kinn setzten den Adligen gänzlich außer Gefecht. Er sackte auf dem Boden zusammen, gekrümmt wie ein Fragezeichen. Der kräftige Mann rief ängstlich ins Zimmer: »Isabelle? Ist dir etwas passiert?«

Die Frau richtete sich langsam auf, als müsse sie selbst erst einmal ihre Unversehrtheit prüfen, und nahm das kleine Mädchen tröstend in den Arm. Dann sagte sie: »Mir geht es gut. Schascha auch! Er hat auf Jizchak geschossen.«

Verblüfft beugte der große Mann den Kopf: »Was? Auf den greisen Frömmler? Wer will denn dem etwas antun?«

Isabelle wischte sich mit einer angeekelten Bewegung den Kleber von den Ellenbogen: »Keine Ahnung!« Als käme ihr erst jetzt der Ernst der Situation wirklich in den Sinn, stürzte sie zur Treppe, um nach dem alten Mann zu sehen. Der saß inzwischen mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der untersten Stufe und hielt sich den rechten Arm. Dabei schimpfte er vor sich hin: »Wie kann man nur so schlecht schießen? Das gibt es doch gar nicht! Ich meine, es gehört schon einiges dazu, jemanden aus zwei Meter Entfernung zu verfehlen. In meiner Jugend hätte man sich für so einen Schuss geschämt. Na ja! Vielleicht habe ich aber auch einfach Glück, dass ich so dünn bin.«

Isabelle zog seine Hand nach oben, um einen Blick auf die Verletzung zu werfen: »Er hat dich doch getroffen!«

Jizchak schüttelte den Kopf: »Nicht richtig! Es ist nur eine Fleischwunde. Das wird schon wieder. Lass uns lieber mal diesen Verrückten angucken. Nebenbei, Philipp, du sündiger Metzger: Wenn du mich noch einmal einen greisen Frömmler nennst, dann zeige ich dir mal, wie man richtig boxt.«

Offensichtlich war die Wunde doch schmerzhafter, als der alte Mann zugeben wollte, denn sein Lachen endete in einem ächzenden Klagelaut. Trotzdem erhob er sich aus eigener Kraft und wandte sich dem Adligen zu, der mitten im Zimmer auf dem Boden lag und gerade wieder zu sich kam. Sein Kinn war dunkel angelaufen und sein linkes Auge schwoll so schnell zu, dass man dabei zusehen konnte. Die junge Frau stellte sich vor den Geschlagenen und sah ihn böse an. Sie warf ihr Haar energisch nach hinten und deutete dann mit dem Finger auf ihn. Fordernd sagte sie: »He, Ihr da! Vielleicht erinnert Ihr Euch an meine Frage: Wer seid Ihr?«

Der Mann stützte sich auf seine Ellenbogen und schwieg. Das Mädchen aber senkte neckisch den Kopf und flüsterte: »Mama, er heißt Frederik. Lord Frederik von Kelmandock oder so! Und er ist überhaupt kein Prinz!«

Schascha umschlang Isabelle von hinten und linste neugierig an ihrer Hüfte vorbei. Der Adlige hob zum ersten Mal den Blick: »Ich heiße Kilmarnok. Lord Frederik von Kilmarnok.« Dann schwieg er wieder.

Jizchak krempelte vorsichtig den Ärmel über seiner Wunde hoch und betrachtete die Verletzung. Ohne seinen Angreifer eines Bli ckes zu würdigen, fing er an, seinen Gedanken über ihn freien Lauf zu lassen: »Nun: Er ist wahrscheinlich einer dieser gedungenen Mörder aus Genua, die dem König noch immer nach dem Leben trachten. Oder einer der vielen Gläubiger, die sich an dem so gepriesenen und so wohlhabenden Königreich dumm und dämlich verdienen wollten. Nein, wartet mal. Jetzt habe ich es!« Er grinste breit in den Raum: »In den Steckbriefen aus Genua hieß es doch immer, der König sei so unglaublich gut aussehend. Wahrscheinlich hat dieser Kerl deshalb geglaubt, ich sei es.« Er bekräftigte seine Schlussfolgerung mit einem meckernden, hohen Lachen.

Lord Kilmarnok sah ungläubig im Zimmer umher. Sein Blick huschte von einer Person zur nächsten und verharrte in tiefer Ratlosigkeit. Stammelnd fragte er: »Was? Ihr ... Ihr, du bist es nicht? Du bist nicht der König?«

Jizchak erhob sich langsam und lehnte sich dann schwer auf den Handlauf der Treppe. Seine Stimme klang leicht sarkastisch: »Eure Lordschaft! Schaut mich doch einmal etwas genauer an. Sehe ich etwa aus wie ein König?« Plötzlich wurde er ernst: »Na gut, Theodor sieht auch nicht mehr aus wie ein König. Aber Euer Gedächtnis scheint genauso miserabel zu sein wie Eure Treffsicherheit. Ihr kommt hier hereingestürmt, wollt den König erschießen und erinnert Euch nicht einmal mehr daran, wie er aussah?«

Der immer noch am Boden Liegende hatte plötzlich Tränen in den Augen. Unsicher rückte er seine Perücke zurecht und sprach mehr zu sich als zu den Anwesenden: »Ich kenne ihn gar nicht! Ich bin ihm auch nie vorher begegnet. Ich bin nach London gekommen, um die Ehre meiner Familie zu verteidigen.«

Isabelle nahm eine einfache Mantua vom Stuhl und hängte sie sich über die entblößten Schultern. Ihre Stimme war eng und gepresst: »Und Ihr meint, dass Ihr Eure törichte Familienehre wiederherstellt, wenn Ihr einem Sterbenden die letzten Tage raubt und daneben ein Kind zu Tode erschreckt?«

Als der Adlige sich erheben wollte, stellte ihm Philipp den Fuß auf die Brust und stieß ihn kraftvoll zurück. Lord Kilmarnok verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf gegen eine Truhe, schien es aber in seiner Wut gar nicht zu bemerken. Schwer atmend lehnte er an dem Möbelstück, und es sah aus, als hätte er alle verfügbaren Muskeln seines Körpers gleichzeitig angespannt. Stolz hob er den Kopf und rümpfte die Nase. Plötzlich strömten die Worte aus seinem Mund wie ein Hornissenschwarm: »Der König. Euer König.« Verächtlich schnellte sein Kinn noch höher: »Ihr habt doch keine Ahnung. Er ist ein widerliches Schwein, ein gewissenloser Hochstapler, ein Schmarotzer, der die Welt zum Narren gehalten hat. Er verdient den Tod, nicht nur einmal, nein, tausendmal. Selbst ein Tier hat mehr Anstand im Leib als diese eklige Missgeburt. Keiner von euch weiß, wie es ist, wenn so jemand Schande über eine Familie gebracht hat. Er hat uns alles genommen. Und ich werde nicht eher Frieden finden, bis ich mich gerächt habe. Diese Ratte …«

Die Flüche hallten in dem kleinen Zimmer nach. Keiner sagte etwas. Jizchak kam von der Treppe und setzte sich auf den Stuhl, von dem Isabelle ihr Kleid genommen hatte. Sanft sagte er: »Ihr kennt ihn wirklich nicht. Wie Ihr ihn beschreibt … so ist der König nie gewesen!«

Lord Kilmarnok zog die Nase hoch, da er es nicht wagte, zu seinem Taschentuch zu greifen: »König! Ich höre immer nur König! Dass ich nicht lache. Ein aufgeblasener Popanz ist er, sonst nichts. Wer hat ihn denn jemals ernst genommen? Keiner. Man hat ihn ausgelacht. Ganz Europa hat sich über ihn amüsiert. Er war das Gespött aller Höfe dieser Welt.«

Er beugte sich vor: »Kennt Ihr die berühmte holländische Karikatur von ihm? Da sieht man ihn auf langen Stelzen, wie er verzweifelt versucht, eine über ihm hängende Krone zu erreichen. Aber er kam nicht dran. Nicht einmal mit diesen langen Dingern unter den Füßen. Er hatte einfach nicht das Format zu einem Herrscher. Er ist einfach ein Stück Unrat!«

Verächtlich spie Kilmarnok neben sich auf den Boden. Isabelle strich sich die Haare aus dem Gesicht: »Nun, zumindest hat er wesentlich bessere Manieren als Ihr! – Ich glaube, dass Ihr keine Ahnung habt, wovon Ihr eigentlich sprecht und was für ein Mensch er ist.« Ihre Züge entspannten sich: »Der König ist herzlich und voller Leidenschaft für das Leben. Er kann so ... so begeisternd sein. Und er war immer großzügig. Er hat damals sogar meine Taufe bezahlt, als mein Vater kein Geld besaß. Er ist ..., nun, er war ein edler Mann.«

Der Körper des Adligen zuckte unkontrolliert. Nur langsam gewann er die Beherrschung zurück. Für einen Moment rührte er sich nicht mehr, dann fragte er lauernd:

»Wieso: ›Er war‹?«

Jizchak riss den zerfetzten Ärmel seines Hemdes ab, um die Wunde zu verbinden. Mit zusammengebissenen Zähnen murmelte er: »Der König liegt im Sterben. Sie haben ihn aus dem Gefängnis entlassen, weil sie nicht für seine Beerdigung aufkommen wollen. Der Arzt hat gesagt, dass er höchstens noch eine Woche zu leben hat. Lasst ihm diese Woche. Sie würde Euren Hass nicht mindern.«

Lord Kilmarnok stützte sich erneut auf, als wolle er sich erheben. Philipp zuckte nach vorne, doch Isabelle hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Als der Adlige aufgestanden war, richtete er seine Kleider und strich den Stoff glatt. Scharf fragte er: »Warum? Warum sollte ich das tun? Warum sollte ich diesem Haufen Dreck etwas gönnen?«

Isabelle strich ihrer Tochter, die sich immer noch an sie schmiegte, beruhigend über das Haar: »Warum? Mein Gott, was wollt Ihr eigentlich? Der König kann niemandem mehr etwas tun. Er ist schwer krank und halluziniert die meiste Zeit. Ja, er erkennt nicht einmal mehr die Menschen um sich herum. Er nennt selbst mich andauernd mit fremden Namen. Bringt es Eurer Ehre irgendetwas, wenn Ihr einen wirren alten Mann tötet?«

Auf der Straße fuhr eine Kutsche vorbei, und das kreischende Geräusch der Räder erfüllte das Haus und schnitt jedes Wort ab. Lord Kilmarnok ließ seinen Blick langsam durch den Raum schweifen, während er sein schmerzendes Kinn rieb. Direkt unter dem Fenster des schmalen Zimmers stand ein großer Schneidertisch, der mit einer dünnen Staubschicht bedeckt war. Deutlich war an einer Stelle der Abdruck einer Schere zu erkennen, die jemand weggenommen hatte. In dem kleinen Kamin, der schmucklos in die Wand eingelassen war, brannte ein mageres Feuer. An der Rückwand aber, an der die junge Frau gearbeitet hatte, gingen zwei Türen ab, die zwischen den angebrachten Papierbögen wie die Augen eines schlafenden Riesen in den Raum ragten. Als nähme er seine Umgebung erst jetzt richtig wahr, fragte der Eindringling, indem er auf die Wand zeigte: »Was ist das hier?«

Isabelle ging an ihm vorbei und stellte sich schützend vor die Wand. Mit einem ironischen Unterton sagte sie: »Das? Ihr solltet eigentlich wissen, was das ist. Oder kommt Ihr von so weit vom Land, dass Ihr die neusten Moden dort gar nicht erst kennen lernt? Das, was Ihr hier seht, heißt Tapete.« Ihr Blick war mit einem Mal voller Stolz: »Falls Ihr es tatsächlich noch nicht mitbekommen habt: Die Zeiten der bemalten Räume und des Stucks sind vorbei. Darin sind sich alle Experten einig: Es bricht eine neue Epoche heran. Bald wird man in allen Häusern der Reichen die Wände mit bemalten Stoffen behängen. Und ich werde ihnen die Muster dafür liefern.«

Lord Kilmarnok zog verwundert die Oberlippe hoch. Dann sagte er mit leicht nasaler Stimme: »Welcher Edelmann wird von einer einfachen Arbeiterin ein Muster kaufen wollen?«

Die junge Frau wandte sich angewidert ab. Schascha aber schoss aus der Ecke, in der sie sich ängstlich verkrochen hatte, hervor, stellte sich vor dem Adligen auf die Zehenspitzen und gab ihm mit ihrer winzigen Hand eine Ohrfeige. Dann huschte sie blitzschnell zu ihrer Mutter zurück, um sich hinter ihr zu verstecken. Mehr verblüfft als erschreckt trat der Lord einen Schritt zurück. Dann hob er, verärgert über seine Irritation, die Hände. Philipp näherte sich dem Mann drohend, so als sei er für einen Anlass zum Verprügeln des Eindringlings dankbar, doch Isabelle hielt ihn wieder zurück: »Lass! Da sieht man nur, dass Geld keine Garantie für wirklichen Adel ist. Der Kerl ist vielleicht fein angezogen, aber er hat die Manieren eines Bauern und die Seele eines Unteroffiziers. Wer andere erniedrigen muss, ist immer selbst von Zweifeln zerfressen. Wir sollten ihn bedauern.«

Erbost zog der Zurechtgewiesene seine Jacke gerade und wollte eben zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, als hinter der linken Tür ein verzweifelter Ruf erschallte: »Julia!«

Ehe einer der Anwesenden reagieren konnte, sprang Lord Kilmarnok an Isabelle vorbei, ergriff die Klinke und stürmte in die Kammer: »Wo ist das Schwein?«

Durch die Türöffnung kam ein schwacher Lichtschimmer, in dem sich der Rücken des Adligen deutlich abzeichnete. Konzentriert versuchte er, in aller Eile das Halbdunkel mit seinen Blicken zu durchdringen. Während die übrigen Anwesenden wie versteinert auf Lord Kilmarnok starrten, griff dieser zu einem Messer, das er am Hosenbund verborgen hatte, und hielt es vor sich. Kurz spiegelten sich die schwachen Lichter der Fenster in der Klinge, bevor er sie hob. Schascha heulte auf, als der Mann mit festen Schritten in dem Raum verschwand.

Zwei Sekunden später taumelte er zusammengekrümmt rückwärts wieder heraus und hielt sich den Bauch. Hinter ihm erschien Albrecht, der Großvater des Mädchens, und reckte strahlend einen Schürhaken in die Luft. Seine Augen folgten dem Metall, als hielte er ein Schwert in der Hand: »Ich wusste, dass Genua wieder Mörder schicken würde. Sie können es einfach nicht lassen. Und als ich den Schuss gehört habe, war ich bereit. Lang lebe der König.«

Albrecht salutierte militärisch korrekt und hüpfte dabei vor Freude leicht in die Luft. Seine Begeisterung steckte die anderen an. Isabelle nahm ihrem Vater den Schürhaken aus der Hand, mit dem der halb Blinde im Raum herumfuchtelte. Sie besann sich und sagte leise: »Lang lebe der König. Wie schön das klingt. Du weißt, dass er nicht mehr lang leben wird. Und das liegt nicht an solchen Trotteln wie diesem hier, sondern an der mangelnden Gesundheit seiner Majestät.«

Albrecht schaute mitleidig auf den um Atem ringenden Lord, dem Philipp gerade die Hände fesselte. Dann schüttelte er sich und nickte widerwillig: »Geh rein, Isabelle, er will dich sehen! Wir kümmern uns um diesen Kerl.«

Die junge Frau trat zu ihrer Tochter und begann, auch ihr die Spuren des Kleisters von den Kleidern zu streichen. Trocken erwiderte sie: »Der König will nicht mich, er will irgendeine Julia sehen. Und ich habe keine Lust, eine andere Frau für ihn zu spielen.«

Albrecht starrte sie verwundert an. Offensichtlich hatte er nicht mit einem Widerspruch seiner Tochter gerechnet. Er kratzte sich nachdenklich am Hals: »Isabelle. Du bist für ihn diese Julia. Ist das so schlimm? Bitte enttäusche ihn nicht. Er hat es schwer genug. Guck nicht so. Ja, er ist immer noch etwas wirr, aber er spricht weiterhin davon, dass er dir etwas diktieren muss. Bitte, Isabelle!«

Die junge Frau zog verärgert die Schultern hoch: »Papa, ich kann nicht. Begreifst du das nicht! Ich muss arbeiten. Falls du es noch nicht bemerkt hast: Deine Augen werden jeden Tag schlechter. Nähen kannst du schon lange nicht mehr. Und wenn die Stadt merkt, dass ihr Aushilfsnachtwächter nicht mehr richtig sieht, wirst du diese Arbeit auch verlieren. Wovon sollen wir dann leben?«