Vanderbeke, Birgit Ich freue mich, dass ich geboren bin

PIPER

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ISBN 978-3-492-97387-4

März 2016

© Piper Verlag GmbH, München / Berlin 2016

Covergestaltung: Kornelia Rumberg, www.rumbergdesign.de

Covermotiv: Martin Barraud / Getty Images

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Geschichte ist erzählte Verleugnung,
Kriegsgeschichte die Zubereitung zum Zwecke
der Wiederholung.
Das beginnt stets mit Realitätsverkennung.

Gerhard Zwerenz

Die besten Ideen hat man zwischen fünf und zehn. Danach haben manche Leute noch ein paar Ideen, vielleicht so bis fünfundzwanzig oder dreißig, je nachdem, ob sie in der Zeit noch mit jemandem reden oder nicht, aber nach dreißig haben die meisten von ihnen keine Lust mehr, mit jemandem zu reden, dann haben sie aufgegeben, und natürlich ist dann auch Schluss mit den Ideen.

Meine beste Idee hatte ich mit sieben, weil ich um die Zeit unbedingt mit jemandem reden musste, und als mir einfiel, wie ich das hinkriegen könnte, hatte ich gleich das Gefühl, dass es eine richtig gute Idee war, aber wie gut sie wirklich war, ist mir erst sehr viel später aufgegangen.

Genau genommen passierte es an meinem siebten Geburtstag.

Wir standen in unserer Dreizimmerwohnung im Land der Verheißung, und es war klar, dass ich zum Geburtstag wieder keine Katze bekommen würde.

Seit wir aus dem Lager raus waren, hatte ich mir eine Katze gewünscht. Da war ich fünf gewesen. Dies war der dritte Geburtstag, an dem ich keine bekommen würde.

Man gewöhnt sich an Enttäuschungen, aber auf Dauer machen sie, dass man sich kalt und leer im Inneren anfühlt und anfängt, den Mut zu verlieren.

Dabei stimmte es nicht, dass Haustiere in der Neubausiedlung verboten waren.

Die Egners in der 24c hatten einen Dackel in ihrer Wohnung im ersten Stock, und Giselas Mutter züchtete im Keller Chinchillas. Das wusste jeder, also wusste es auch die Hausverwaltung, und die hatte bisher nichts gegen Egners Dackel und die Chinchillas von Giselas Mutter gesagt. Die Chinchillas lebten in Käfigen wie die Kaninchen bei meiner Oma, aber meine Oma war im Osten, sie schlachtete manchmal eines von ihren Kaninchen, meistens freitags, bevor ihre Söhne zu Besuch kamen, am Samstag wurden sie abgezogen, und dann kamen sie sonntags auf den Tisch und wurden gegessen.

Jetzt waren wir im Westen, und da wurde es anders gemacht. Giselas Mutter schlachtete ihre Chinchillas nicht und zog sie auch nicht ab, um daraus Braten zu machen, sondern würde sie demnächst lebendig an einen Pelzhändler verkaufen und damit reich werden, weil der Pelzhändler die Tiere tötete und abzog und ihr dann 300 Mark für ein Fell bezahlte. Das war schon ganz schön viel Geld für Giselas Mutter, aber der Preis würde noch viel höher und weiter steigen, mit Sicherheit bis auf 400 oder 500 Mark. Das hatte jedenfalls der Lenzlinger gesagt, der ihr die ersten Chinchillas verkauft hatte, ein Pärchen zu 2000 Mark, und seit dem ersten Pärchen vermehrten sich die Chinchillas so rasant, wie sich die Kaninchen von meiner Oma im Osten vermehrt hatten. Viermal im Jahr. Demnächst würde der Kellerraum für die Zucht nicht mehr reichen, aber dann würde die Familie sowieso umziehen, weil sie dann so reich wäre, dass sie mit dem vielen Geld nicht mehr wüsste, wohin; so reich, dass sie sich einen eigenen Bungalow leisten könnte. Giselas Mutter müsste nicht mehr stundenweise putzen gehen, und der Vater müsste nicht mehr bei der Rotfabrik in Nachtschicht arbeiten und tagsüber schlafen, wenn Gisela und ihre Schwester Elvis Presley im Radio hören wollten.

Das alles war kein Geheimnis. Jeder wusste das. Deswegen stimmte es nicht, wenn meine Mutter sagte, wir dürften in der Neubausiedlung keine Katze halten, und meine Mutter wusste auch genau, dass es nicht stimmte, und das gehörte zu den Dingen, die ich an den meisten Erwachsenen nicht leiden konnte: ihre dauernde Lügerei.

Wenn man was sagte, egal, was es auch war, hörten sie entweder nicht zu, oder sie erzählten einem irgendwelche Lügen, weil sie dachten, man wäre noch zu klein, um zu merken, dass man angelogen wurde, und jedenfalls hätte die Hausverwaltung nichts dagegen einzuwenden gehabt, meine Mutter wollte nur nicht, dass ich eine Katze bekam, aber sie sagte mir nicht, warum.

Es war mein Geburtstag, also standen wir in unserem Wohnzimmer, anstatt wie an anderen Tagen in der Küche zu sitzen. Im Wohnzimmer waren wir eigentlich nur, wenn etwas im Fernsehen kam, oder zu besonderen Gelegenheiten. Es war mit so vielen Teakholzmöbeln eingerichtet, wie ins Zimmer hineinpassten. Inzwischen sagten mein Vater und meine Mutter, dass die gesamte Wohnzimmereinrichtung eine Fehlanschaffung gewesen war, weil Teakholz dauernd mit Politur gewienert werden muss, damit es glänzt.

Von einer Teakholzmöblierung hatte meine Mutter immer geträumt, als wir noch nicht im Westen gewesen waren, aber sie hatte natürlich nicht gewusst, dass man das Teak dauernd polieren muss, weil sie eben nur davon geträumt und niemals Teak besessen hatte.

Das mit dem Teakholztraum ging zurück auf ihren Verlobten, von dem sie sagte, dass er im Krieg gefallen wäre, aber in Wirklichkeit hatte er in den Rücken geschossen gekriegt und war tot. Nach dem Krieg war ein paar Jahre lang alles aus den Fugen gewesen, aber inzwischen hätte man denken können, dass allmählich alles wieder einigermaßen in Ordnung gekommen wäre, aber dieser Verlobte war der Sohn einer Gutsbesitzerfamilie gewesen und hätte nach dem Krieg meine Mutter sicherlich geheiratet, wenn er nicht erschossen worden wäre, und später hätten die beiden mit ihren Kindern das Familiengut geerbt, das von oben bis unten mit Teakholzmöbeln ausgestattet und eingerichtet war, und so war es gekommen, dass meine Mutter seit ihrer Verlobung mit dem Gutsbesitzersohn von Teakholzmöbeln geträumt hatte, und sobald der Antrag meiner Eltern auf eine Wohnung im Westen bewilligt war und wir aus dem Flüchtlingslager raus in die Neubausiedlung zogen, die die Rotfabrik für ihre Arbeiter gebaut hatte, schafften sie sich als Erstes eine komplette Wohnzimmergarnitur aus Teakholz an, weil meine Mutter schon so lange davon träumte.

Wir hatten überhaupt viele wertvolle Sachen, von denen meine Mutter im Osten nur hatte träumen können; wir hatten einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, einen Elektroherd mit vier Platten und einem Backofen unten drin, eine Kaffeemaschine und sogar eine Brotschneidemaschine, dann noch ein Elternschlafzimmer mit Doppelbett, einer Birkenholzschrankwand und zwei Nachttischen, alles Ton in Ton und nagelneu, wir hatten einen Fernsehapparat, und wir hatten ein Auto, wovon meine Mutter im Osten noch hundert Jahre hätte träumen können, so lange hätte die Wartezeit gedauert, bis sie sich eins hätte kaufen können, und dann wäre es doch nur ein Trabant oder höchstens ein Wartburg gewesen und kein Opel Kapitän.

Im Land der Verheißung konnte man sich alles, wovon man träumte, sofort auf der Stelle ohne Wartezeit anschaffen, auch wenn man es nicht gleich bezahlen konnte, Teppiche, Samtgardinen, Goldrandgeschirr, Kristallglas-Römer, einen Zauberstab von ESGE, das Birkenholzschlafzimmer und auch die vielen Teakholzmöbel, von denen meine Mutter schon seit dem Krieg und ihrem Verlobten geträumt hatte und die ein Traum geblieben wären, wenn wir nicht abgehauen wären, weil es das im Osten nach dem Krieg nicht gab. Alles, was sie dort hinkriegen, ist Plaste und Elaste, sagte mein Vater.

Meine Mutter erzählte die Geschichte mit den Teakholzmöbeln und dem Verlobten zwar nicht jeden Tag, aber doch hin und wieder, und wenn man sie ein paar Mal gehört und eine Weile lang darüber nachgedacht hatte, stellte man fest, dass sie mehrere Haken hatte.

Es gab ein paar Haken daran, die meinem Vater ziemlich die Stimmung verdarben, aber von denen redete er nicht, sondern die verdorbene Stimmung ließ er dann irgendwann später raus, und das war nicht angenehm. Je nachdem konnte es richtig gefährlich werden, und da half es auch nicht, dass man sich ungefähr denken konnte, was ihm die Stimmung verdorben hatte, gefährlich war es trotzdem.

Deshalb brauchte ich dringend eine Idee.

Manchmal sagte er aber doch etwas, wenn meine Mutter die Geschichte von ihrem Verlobten erzählte, nämlich sagte er:

Wenn ich dich daran erinnern dürfte, dass erstens dieser Gutsbesitzerknabe schon lange tot ist und heute bestimmt eine Glatze hätte.

Mein Vater war noch ganz jung, und an Glatze war bei ihm nicht zu denken, außerdem hatte er schwarze Haare, und Glatzen kriegen nur die mit den blonden Haaren.

Dann ging es weiter, dass zweitens aus der ganzen Gutsbesitzerei wohl kaum was geworden wäre, selbst wenn der Verlobte nicht abgeknallt worden wäre, weil seine Familie nach dem Krieg enteignet worden wäre, und dann wäre es ihnen nicht mehr so rosig gegangen, selbst wenn sie keine Nazis gewesen wären, aber weil sie natürlich Nazis gewesen waren wie alle Gutsbesitzer und Bonzen, hätten sie nach dem Krieg unter den Russen bestimmt nicht viel zu lachen gehabt. Meistens sagte mein Vater noch, dass er das übrigens auch ganz richtig finde.

Wenn ich dich außerdem auch noch darauf hinweisen dürfte, dass ihr den Krieg verloren habt, sagte er dann zum Schluss. Das sagte er meistens sehr sanft und so leise, wie er immer sprach, wenn er richtig böse war.

Manchmal hatte er keine Lust, richtig böse zu sein, dann sagte er abschließend zu meiner Mutter, du bist und bleibst eine olle Nazisse. Meistens fing meine Mutter danach an zu weinen. Keiner wusste, warum, obwohl man sich ein paar Gründe denken konnte, und mein Vater pfiff das Lied, wo das Mädchen von ihrem Knaben unbedingt ein Edelweiß haben will; das Ganze spielt irgendwo im Gebirge, der Knabe klettert den steilen Berg hoch und will das Edelweiß holen, stürzt an der Felswand ab, und dann liegt er tot da oben herum. Ein ekelhaftes Lied, bei dem es mich immer gegraust hat, und es endet damit, dass das Mädchen dauernd an sein Grab rennt, weil dort der einzige Freund liegt, den es je gehabt hat.

Meine Mutter zog ihr Taschentuch, das sie zwischen ihrer Bluse und dem Rockbündchen festgeklemmt hatte, und wischte sich im Gesicht herum. Dann sagte sie, das verstehst du nicht, Osch, und mein Vater sagte, genau so ist es, aber nenn mich nicht immer Osch.

Mein Vater mochte es nicht, wenn man ihn Osch nannte. Im Osten hatten ihn alle Osch genannt außer seiner Mutter. Die hatte ihn dommen Jong genannt, und das mochte er auch nicht, aber immer noch lieber als Osch.

Später, wenn er den Fernseher angemacht hatte und die Eintracht gegen Hertha oder die Borussia gegen Schalke spielten, erklärte meine Mutter mir in der Küche, dass mein Vater das nicht verstehen könne, weil er noch zu jung sei und außerdem kein Deutscher. Mein Vater war Ausländer, weil seine Mutter mit ihm aus Belgien nach Deutschland gekommen war, als er noch ganz klein gewesen war und der Krieg schon angefangen hatte. Keiner wusste, warum, weil seine Mutter nicht davon redete und überhaupt kein Deutsch konnte, aber jedenfalls waren sie keine Deutschen, und ich war keine richtige Deutsche, obwohl ich noch nie in Belgien gewesen war, aber es geht dabei nach dem Vater. Nur bei meinem Vater war es nach der Mutter gegangen, weil sie keinen Vater zu ihrem Kind mitgebracht hatte, als sie aus Belgien nach Deutschland gekommen war.

Ich fand auch, dass die Geschichte mit den Teakholzmöbeln ein paar Haken hatte, aber es hatte keinen Sinn, mit meiner Mutter darüber zu reden, weil sie mit unserer Wohnungseinrichtung sowieso schon unglücklich war. Nachdem wir die Teakholzmöbel bekommen hatten, stellte sie fest, dass Teak so sonderbar farblos ist, selbst wenn man es andauernd putzt und wie verrückt wienert, es bleibt einfach farblos und fahl, und meiner Mutter wollte scheinen, dass sie sich doch eher an Möbel mit einem warmen Rotschimmer im Gutshaus ihres Verlobten erinnerte, und ob das womöglich gar nicht Teak, sondern Lärche gewesen sein könnte.

Was meinst du, Osch, sagte sie zu meinem Vater, es könnte doch Lärche gewesen sein? Hat Lärche nicht einen so schönen warmen Ton? Mein Vater hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben, also konnte man es nicht sehen, aber ich wusste, dass er in den Hosentaschen seine Hände zusammenballte.

Für mich war der Haken an der Geschichte eigentlich nur, dass es mich nicht gegeben hätte, wenn der Gutsbesitzerverlobte nicht tot wäre, aber davon konnte ich mit meinen Eltern nicht gut reden, weil sie darüber nicht sprechen wollten und ich nicht gerade das Kind geworden war, von dem sie geträumt hatten. Mein Vater hatte sicherlich von gar keinem Kind geträumt und dann unversehens doch eins bekommen, weil meine Mutter von einem Kind geträumt hatte, allerdings nicht von so einem, wie ich dann eines geworden bin, sondern von einem ganz anderen. Meiner Mutter wäre es wahrscheinlich ganz recht gewesen, wenn die ganze Angelegenheit mit dem Krieg damals anders verlaufen wäre und sie sich das verspätete Kind hätte ersparen können, weil sie, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre, viele Jahre zuvor und rechtzeitig ein paar gut geratene Gutsbesitzerkinder in die Welt gesetzt hätte und sich nicht erst kurz vor Toresschluss mit meinem Vater hätte abgeben müssen, um keine alte Jungfer zu werden, und mein Vater hätte in Ruhe sein Abitur machen und vergnügt in Ost-Berlin studieren und massenhaft Freundinnen haben und mit denen in West-Kinos gehen können, wenn dieses Kind nicht dazwischengekommen wäre, also behielt ich das lieber für mich und stellte mir nur manchmal vor, wie es wäre, wenn es mich nicht gegeben hätte. Das war nicht ganz einfach, aber es wäre im Grunde besser für alle gewesen, wenn es mich nicht gegeben hätte.

Ich hätte jemanden gebraucht, mit dem ich darüber hätte reden können.

Im Flüchtlingslager hatte ich Tante Eka, Onkel Grewatsch und Onkel Winkelmann gehabt, mit denen es Sinn hatte zu reden, obwohl sie schon sehr alt waren, aber sie waren eine Ausnahme gewesen, und bevor wir zu den wirklich dringenden Fragen gekommen waren, bekamen sie eine Wohnung zugewiesen, und wir auch, und es wunderte mich nicht, dass wir uns danach sofort aus den Augen verloren, weil meine Mutter sie schon im Flüchtlingslager nicht hatte leiden können und gesagt hatte, es ist widerlich, wie die drei leben. In ihrem Alter.

Als wir im Flüchtlingslager waren, lebte mein Vater anfangs noch nicht bei uns, weil er erst in Ost-Berlin fertig studieren und sich in Ruhe überlegen wollte, ob er lieber im Osten eine Stelle annehmen oder rüber zu uns in den Westen kommen wollte. Er studierte, hatte eine Menge Freundinnen wie alle Studenten und ging in Westkinos, also dauerte es eine ganze Weile, bis er sich entschieden hatte, und in der Zeit waren wir also ohne ihn im Lager, und ich durfte manchmal zu Tante Eka und ihren Männern rüber ins Zimmer, wenn meine Mutter nicht wusste, wohin mit mir, aber irgendwann war mein Vater nachgekommen, und sobald er da war, musste ich meistens auch da sein, weil meine Mutter sich um mich kümmerte. Sie putzte mir mit ihrem Taschentuch und Spucke die Nase oder schüttete mir heißes Öl in die Ohren, wenn ich Ohrenschmerzen hatte, und sie steckte meine Hände in dicke Fausthandschuhe, wenn sie mich ins Bett brachte, damit ich nicht am Daumen lutschte und damit mein Vater sah, wie viel Arbeit sie mit mir hatte. Von dem Moment an, als mein Vater bei uns war, wollte sie nicht mehr, dass ich zu Tante Eka, Onkel Grewatsch und Onkel Winkelmann ginge, und sagte also, es ist widerlich, wie die drei leben. Da gehst du mir nicht mehr rüber, hörst du?

Ich verstand natürlich nicht von eben auf jetzt, was so plötzlich an den dreien widerlich sein sollte; es war schön bei ihnen im Zimmer, Onkel Winkelmann hatte viele Bücher und noch andere interessante Sachen.

Am liebsten mochte ich die Glaskugel, in der es schneite. Es war eine Zauberkugel. Ich durfte sie manchmal schütteln, und wenn der Schnee dann liegen blieb, sagte Onkel Winkelmann, schau einer an, es schneit in Chengdu. Chengdu liegt in China. Oder es schneite in Paris oder Bagdad, und je nachdem, wo es schneite, erzählte Onkel Winkelmann, wie es dort war, in Chengdu oder Bagdad und in Paris, weil er vor dem Krieg überall und in allen Städten schon gewesen war, auf die der Schnee in der Kugel fiel.

Erst war er überall auf der Welt gewesen und dann auch noch im Krieg, sogar in Russland und in Italien, und schließlich wäre er fast in Italien in Gefangenschaft geraten, wenn er nicht abgehauen und zu den Polen übergelaufen wäre, aber so war er am Ende nach Sibirien geraten.

Tante Eka hatte es nicht gern, wenn er davon erzählte, weil sie froh war, dass der Krieg vorbei und er nicht mehr in Sibirien im Lager, sondern in diesem hier und bei Onkel Grewatsch und ihr war, aber wenn man im Krieg abhaute, war man feige und wurde von den eigenen Leuten erschossen. Das Abhauen beschäftigt einen ein Leben lang. Onkel Winkelmann war zwar nicht erschossen worden, weil er zu den Polen übergelaufen war, aber die gaben ihn an die Russen weiter, und so kam er noch mal nach Russland, obwohl er schon vorher da gewesen war.

Das alles hatte sich in Monte Cassino abgespielt. Monte Cassino liegt in Italien, und Onkel Winkelmann erzählte oft davon, weil er darüber nachdachte, ob er wirklich feige gewesen war. In der Geschichte kamen ein Kloster mit Klosterschätzen und Mönche vor und noch eine Menge anderer Sachen, die mit dem Krieg zu tun hatten, aber ich konnte mir außer den Mönchen und den Klosterschätzen keine Einzelheiten davon merken, weil Tante Eka ihn andauernd unterbrach, und dann schüttelte sie ihre lange graue Mähne hin und her, bis Onkel Grewatsch sagte, hör bloß auf, sonst fängst du noch an zu wiehern.

Manchmal gingen sie mit mir auf die Felder, um Äpfel oder Kartoffeln zu klauen, oder sie machten mir mit ihrem Tauchsieder Milch warm, und das ging so lange, bis mein Vater ins Lager kam und ich nicht mehr rüber sollte. Erst verstand ich nicht, warum, aber mit der Zeit kam heraus, dass meine Mutter Tante Eka nicht leiden konnte, weil sie zwei Männer hatte.