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LUTHER BLISSETT

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© 1999, 2000, 2009, 2012 e 2014 Luther Blissett

Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Q« bei Einaudi in Turin.

Die auszugsweise oder vollständige Wiedergabe dieses Werks und dessen Verbreitung im Internet sind für persönliche Zwecke des Lesers erlaubt, vorausgesetzt, dass dies nicht aus kommerziellen Gründen erfolgt.

© der deutschsprachigen Neuausgabe: Berlin, Hamburg 2016

Korrektorat der Neuausgabe: Beate Kirst, Reto Plattner

INHALT

PROLOG

Außerhalb Europas, 1555

Das Auge des Carafa (1518)

ERSTER TEIL

Müntzer

Frankenhausen (1525)

Die Lehre, der Sumpf (1519–1522)

Das Auge des Carafa (1521)

Der Briefsack, die Erinnerungen

Das Auge des Carafa (1525–1529)

ZWEITER TEIL

Ein Gott, ein Glaube, eine Taufe

Eloi (1538)

Das Auge des Carafa (1532–1534)

Das Wort wird Fleisch (1534)

Das Auge des Carafa (1535)

Das Meer (1538)

DRITTER TEIL

Il Beneficio di Cristo

Basel (1545)

Venedig

Tiziano

Qohelet

EPILOG

Danksagung

Das Wu-Ming-Projekt

Für Marco Morri

PROLOG

AUSSERHALB EUROPAS

1555

Auf der ersten Seite steht geschrieben: »Das Fresko zeigt mich als eine der Figuren im Hintergrund.«

Die penible Handschrift, säuberlich und klein. Namen, Orte, Daten, Betrachtungen. Das Notizbuch der letzten verworrenen Tage.

Die Briefe vergilbt und brüchig, Staub vergangener Jahrzehnte.

Die Münze des Reichs der Narren baumelt vor meiner Brust, um mich an das ewige Auf und Ab des menschlichen Geschicks zu erinnern.

Das Buch, vielleicht das einzige erhaltene Exemplar, ist nicht wieder aufgeschlagen worden.

Die Namen sind Namen von Toten. Der meinen und derer, die diese verschlungenen Pfade durchlaufen haben.

In den Jahren, die wir erlebt haben, ist die Unschuld der Welt für allezeit begraben worden.

Ich habe euch versprochen, nicht zu vergessen.

Ich habe euch in der Erinnerung in Sicherheit gebracht.

Ich will alles festhalten, von Anfang an, die Einzelheiten, den Zufall, den Fluss der Ereignisse. Bevor die Jahre den Blick, der sich zurückwendet, trüben und den Lärm der Stimmen, der Waffen, der Streitmächte, das Lachen und die Schreie dämpfen. Und doch erlaubt nur die lange Zeitspanne, an einen wahrscheinlichen Anfang zurückzukehren.

1513, Albrecht von Brandenburg wird Erzbischof von Magdeburg. Mit dreiundzwanzig Jahren. Noch mehr Gold für die Schatzkammern des Papstes: Er kauft auch die Administratur des Bistums Halberstadt.

1514, Mainz. Das größte geistliche Fürstentum Deutschlands erwartet die Ernennung eines neuen Bischofs. Wenn Albrecht sich durchsetzt, herrscht er über ein Drittel des deutschen Territoriums.

Er unterbreitet sein Angebot: 14.000 Dukaten für das Erzbistum und zusätzliche 10.000 Dukaten für den päpstlichen Dispens, der ihm erlaubt, alle seine Ämter zu behalten.

Das Geschäft wird über das Bankhaus der Fugger in Augsburg abgewickelt, die ihm die Summe als Darlehen geben. Nach Abschluss dieses Handels schuldet Albrecht den Fuggern 30.000 Dukaten.

Die Art der Rückzahlungen wird von den Fuggern festgelegt. Albrecht muss in seinen Gebieten die Prediger beim Verkauf der Ablässe Papst Leos X. unterstützen. Die Gläubigen leisten einen Beitrag zum Bau der Peterskirche und erhalten dafür einen Ablassbrief: Der Papst erlässt ihnen die Sünden.

Doch nur mit der Hälfte der Einnahmen werden die Bauten in Rom finanziert. Albrecht verwendet das Übrige, um seine Schulden bei den Fuggern zu tilgen.

Die Aufgabe wird Johann Tetzel anvertraut, dem erfahrensten Prediger weit und breit.

Tetzel zieht den ganzen Sommer 1517 über Land. An der Grenze zu Thüringen macht er halt: Dort herrscht Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, und auf dessen Gebiet darf Tetzel keinen Fuß setzen.

Friedrich verdient mit seiner Reliquiensammlung selbst am Verkauf von Ablässen. Er duldet keine Konkurrenten in seinem Herrschaftsbereich. Doch Tetzel ist gewieft: Er weiß, dass Friedrichs Untertanen gern die wenigen Meilen auf sich nehmen, um auf die andere Seite der Grenze zu gelangen. Eine Eintrittskarte ins Paradies lohnt den Weg.

Das Hin und Her der unruhigen Seelen löst bei einem jungen Augustinermönch, Doktor an der Universität zu Wittenberg, tiefe Empörung aus. Er kann diesen von Tetzel betriebenen obszönen Handel mit päpstlichem Brief und Siegel nicht länger ertragen.

Am 31. Oktober 1517 schlägt der Mönch fünfundneunzig mit eigener Hand geschriebene Thesen gegen den Ablasshandel an das Nordportal der Schlosskirche zu Wittenberg.

Er heißt Martin Luther. Mit dieser Tat nimmt die Reformation ihren Anfang.

Ein Ausgangspunkt. Erinnerungen, Bruchstücke, die eine Epoche bilden. Meine. Und die meines Feindes. Q.

DAS AUGE DES CARAFA

(1518)

Brief nach Rom aus dem sächsischen Wittenberg
an Gianpietro Carafa, Mitglied des theologischen
Rats Seiner Heiligkeit Leos X., vom 17. Mai 1518

An den hochverehrten und hochwürdigsten Herrn, meinen
allergnädigsten Gebieter Giovanni Pietro Carafa, Mitglied
des theologischen Rats Seiner Heiligkeit Leos X. in Rom

Hochverehrter und hochwürdigster Herr, mein allergnädigster Gebieter,

der treueste Diener Eurer Gnaden schickt sich an, Bericht zu erstatten, was in diesem entlegenen Landstrich geschieht, der seit nunmehr einem Jahr zum Herd allen Streits geworden zu sein scheint.

Seit der Augustinermönch Martin Luther vor acht Monaten seine berüchtigten Thesen an das Portal der Schlosskirche geschlagen hat, ist der Name Wittenberg landauf, landab in aller Munde. Aus den angrenzenden Staaten strömen junge Studenten in diese Stadt, um von dem Prediger selbst jene unglaublichen Thesen zu vernehmen.

Vor allem die Predigten gegen den Ablasshandel haben offenkundig den größten Erfolg bei diesen jungen, für neue Gedanken aufgeschlossenen Menschen. Was bis gestern allgemeine und unbestrittene Praxis war, der Erlass der Sünden gegen eine fromme Gabe an die Kirche, scheint heute von allen kritisiert zu werden, als wäre es ein unaussprechlicher Skandal.

Dieser so geartete und so rasch entstandene Ruhm hat Luther überheblich und anmaßend gemacht, schon fühlt er sich, als hätte er einen überirdischen Auftrag, was ihn dazu verleitet, sich noch mehr zu erkühnen, sich noch weiter vorzuwagen.

Und in der Tat hat er gestern, als er wie jeden Sonntag von der Kanzel über das Evangelium des Tages predigte (nämlich Johannes 16,2: »Sie werden euch in den Bann tun«), dem »Skandal« des Ablasshandels eine weitere, meines Erachtens weitaus gefährlichere These angefügt.

Luther hat behauptet, man müsse die Folgen eines ungerechten Banns nicht übermäßig fürchten, da er nur die äußere Gemeinschaft mit der Kirche betreffe und nicht die innere. Bei letzterer gehe es ausschließlich um das Band Gottes mit dem Gläubigen, das kein Mensch für gelöst erklären könne, selbst der Papst nicht. Also vermöge ein ungerechter Bann der Seele keinen Schaden zuzufügen, und wenn er mit kindlicher Ergebenheit gegenüber der Kirche ertragen werde, könne aus ihm auch ein wertvolles Verdienst erwachsen. Wenn also einer zu Unrecht gebannt werde, solle er nicht mit Worten und Taten den Grund, weswegen er gebannt wurde, verleugnen, sondern den Bann demütig tragen, selbst wenn er im Bann sterben sollte und nicht in geweihter Erde bestattet werde, weil diese Dinge unvergleichlich geringer seien als Wahrheit und Gerechtigkeit.

Und er schloss mit diesen Worten: »Selig aber und gesegnet ist, wer in einem ungerechten Bann stirbt! Weil er auch noch mit einer so großen Geißel für die Wahrheit geschlagen worden ist, die er nicht verlassen hat, wird er die Krone des ewigen Lebens empfangen.«

Aufgrund meines Wunsches, Euch zu dienen, vereint mit der Dankbarkeit für das mir erwiesene Vertrauen, erkühne ich mich, meinen Eindruck hinsichtlich des oben Dargelegten zu schildern. Dem demütigen Beobachter Eurer Gnaden scheint deutlich, dass Luther den Geruch seines eigenen Banns in der Luft wittert wie der Fuchs den Geruch der Spürhunde. Er schärft die Waffen seiner Lehre und sucht Verbündete für die nächste Zukunft. Im Besonderen, so glaube ich, sucht er die Unterstützung seines Herrn, des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, der seine eigene Haltung gegenüber Bruder Martin noch nicht öffentlich kundgetan hat. Nicht umsonst wird er der Weise genannt. Der Herr von Sachsen bedient sich weiterhin des geschickten Mittlers Spalatin, seines Bibliothekars und Beraters bei Hofe, um die Absichten des Mönchs zu erkunden. Welche Art treuloser und verschlagener Mensch dieser Spalatin ist, davon berichtete ich bereits kurz in meinem letzten Brief.

Euer Gnaden werden besser als Euer Diener ermessen können, wie verderblich die von Luther vorgebrachten Thesen sind: Er möchte dem Heiligen Stuhl sein stärkstes Geschütz rauben, die Waffe des Banns. Gleichermaßen offenkundig ist, dass Luther niemals wagen wird, seine These schriftlich niederzulegen, ist er sich doch ihrer Ungeheuerlichkeit bewusst und der Gefahr, die davon für ihn selbst ausgehen könnte. Ich habe es also für gelegen erachtet, es von meiner Seite her zu tun, damit Euer Gnaden zur rechten Zeit alle Vorsichtsmaßnahmen treffen können, die Euer Gnaden für notwendig erachten, um diesem teuflischen Mönch Einhalt zu gebieten.

Ich küsse meinem hochverehrten und hochwürdigsten Herrn die Hand und anempfehle mich weiter Eurem Wohlwollen.

Wittenberg, am 17. Mai 1518
Der getreue Beobachter Eurer Gnaden
Q

Brief nach Rom aus dem sächsischen Wittenberg an
Gianpietro Carafa, Mitglied des theologischen Rats
Seiner Heiligkeit Leos X., vom 10. Oktober 1518

An den hochverehrten und hochwürdigsten Herrn, meinen
allergnädigsten Gebieter Giovanni Pietro Carafa, Mitglied
des theologischen Rats Seiner Heiligkeit Leos X. in Rom

Hochverehrter und hochwürdigster Herr, mein allergnädigster Gebieter,

als Diener Eurer Gnaden bin ich von der Großmut, die Ihr mir habt erweisen wollen, über alle Maßen geschmeichelt; denn allein Euch zu dienen ist mir eine große Ehre, Euch von Nutzen zu sein jedoch erfüllt mich mit wahrer Freude. Die offizielle Anklage wegen Ketzerei, gerichtet gegen den Mönch Martin Luther, zu der die Predigt über den Bann den letzten Beitrag geleistet hat, dürfte Kurfürst Friedrich bewegen, endlich gegenüber dem Mönch Stellung zu beziehen, wie es der Wunsch Eurer Gnaden war. Die Geschehnisse, von denen zu berichten ich mich anschicke, sind vielleicht schon eine erste Reaktion des Kurfürsten auf die sich unerwartet überstürzenden Ereignisse: Er lässt es sich nämlich angelegen sein, die Reihe der Theologen seiner Universität zu verstärken.

Am 25. August ist Philipp Melanchthon als Professor des Griechischen von der angesehenen Universität Tübingen nach Wittenberg gekommen. Ich glaube, es hat an einer Universität des Reichs noch nie einen jüngeren Professor als ihn gegeben: Er ist erst einundzwanzig Jahre und von Gestalt so schwächlich und hager, dass er noch jünger erscheint. Wiewohl ihm ein gewisser Ruhm vorauseilte und ihn auch auf der Reise hierher begleitete, war der Empfang durch die Doktoren von Wittenberg zunächst nicht überschwänglich. Ihre und vor allem Luthers Haltung sollten sich jedoch bald ändern, als dieses Wunder an klassischer Gelehrsamkeit seine Antrittsvorlesung hielt, in der er die Notwendigkeit eines genauen Studiums der Schriften im Original darlegte. Von da an war das Einverständnis mit Martin Luther unmittelbar und stark. Diese beiden Professoren sind gewisslich eine mächtige Waffe in den Händen des sächsischen Kurfürsten, weil sie trotz ihrer Verschiedenheit so einvernehmlich sind. Der eine ergänzt den jeweils anderen um das, was diesem fehlt, um eine tatsächliche Gefahr für Rom zu werden: Luther ist keck und energisch, doch ungeschlacht und impulsiv, Melanchthon dagegen hochgelehrt und fein, doch jünger und von zartem Gemüt, eher geeignet für Lehrstreitigkeiten als für Feldschlachten. Die erste gefährliche Frucht dieser Verbindung wird gewisslich die Bibel auf Deutsch sein, an der sie, wie es heißt, einverständlich arbeiten und für die Melanchthons Wissen wie Manna vom Himmel sein dürfte.

Da ich weiß, dass Euer Gnaden daran gelegen ist, über wichtige Dinge in allen Einzelheiten unterrichtet zu sein, werde ich in der nächsten Zeit die beiden Doktoren weiter aufmerksam im Auge behalten und alles Eurer Gnaden melden, in der einzigen Hoffnung, Euch auch weiter von Nutzen sein zu können.

Ich küsse meinem hochverehrten und hochwürdigsten Herrn demütig die Hände.

Wittenberg, am 10. Oktober 1518
Der getreue Beobachter Eurer Gnaden
Q

ERSTER TEIL

MÜNTZER

FRANKENHAUSEN

(1525)

1. KAPITEL

Frankenhausen, Thüringen
15. Mai 1525. Nachmittag

Beinahe blindlings.

Tun, was ich tun muss.

Schreie in den Ohren, in denen noch der Donner der Kanonen dröhnt. Geronnenes Blut und Schweiß verschließen mir die Kehle, ein Hustenanfall zerreißt mich.

Die Blicke der Fliehenden: Entsetzen. Verbundene Köpfe, zerquetschte Glieder ... Immer wieder sehe ich mich um: Elias ist hinter mir. Er bahnt sich einen Weg durch die riesige Menge. Trägt den reglosen Magister Thomas auf den Schultern.

Wo ist der allgegenwärtige Gott? Seine Herde wird hingemetzelt.

Tun, was ich tun muss. Die Briefsäcke festgezurrt. Nicht stehen bleiben. Das Schwert schlägt mir an die Seite.

Elias immer hinter mir.

Eine wirre Gestalt kommt auf mich zugerannt. Das Gesicht halb unter Verbänden, offenes Fleisch. Eine Frau. Sie erkennt uns. Tun, was ich tun muss: Der Magister darf nicht entdeckt werden. Ich packe sie: nicht sprechen. Schreie hinter meinem Rücken: »Landsknechte! Landsknechte!«

Ich stoße sie fort; weg, sich in Sicherheit bringen. Eine Gasse zur Rechten. Im Laufschritt, Elias hinter mir, Hals über Kopf. Tun, was ich tun muss: Haustüren. Die erste, die zweite, die dritte, sie geht auf. Drinnen.

Wir schließen die Tür hinter uns. Der Lärm gedämpft. Durch ein Fenster fällt mattes Licht. Die Alte sitzt in einer Ecke hinten im Zimmer, auf einem halbzerfetzten Strohstuhl. Ein paar einfache Dinge: eine schadhafte Bank, ein Tisch, glühende Holzscheite, die verraten, dass in dem rußgeschwärzten Kamin noch vor kurzem ein Feuer gebrannt hat.

Ich trete zu ihr: »Schwester, wir bringen einen Verwundeten. Er braucht ein Bett und Wasser, im Namen Gottes ...«

Elias ist in der Tür stehen geblieben, er füllt sie ganz aus. Immer noch den Magister auf seinen Schultern.

»Nur für ein paar Stunden, Schwester.«

Ihre Augen sind wässrig und blicken ins Leere. Ihr Kopf wackelt. Noch immer ein Pfeifen in meinen Ohren. Die Stimme von Elias: »Was sagt sie?«

Ich gehe näher zu ihr hin. Ein leiser Singsang im Getöse der Welt. Ich erfasse die Worte nicht. Die Alte weiß nicht einmal, dass wir da sind.

Tun, was ich tun muss. Keine Zeit verlieren. Eine Treppe führt nach oben, ich gebe Elias ein Zeichen, wir steigen hoch, endlich ein Bett, um Magister Thomas hinzulegen. Elias wischt sich den Schweiß aus den Augen.

Er sieht mich an: »Wir müssen Jakob und Matthias finden.« Ich fasse nach meinem Schwert und schicke mich an loszulaufen.

»Nein, ich gehe, du bleibst beim Magister.«

Ich habe keine Zeit zu antworten, schon steigt er die Treppe hinunter. Magister Thomas rührt sich nicht, starrt zur Decke. Der leere Blick, kaum ein Zucken der Wimpern, fast, als würde er nicht atmen.

Ich sehe nach draußen: eine Häuserzeile vor dem Fenster. Es geht auf die Straße hinaus, zu hoch, um zu springen. Wir sind im ersten Stock, wenigstens gibt es einen Dachboden. Ich betrachte die Decke, erkenne mit Mühe die Ritzen einer Speicherluke. Auf dem Boden ist eine Leiter. Von Würmern zerfressen, doch sie hält. Ich schiebe mich auf allen vieren hinein, der Speicher ist sehr niedrig, die Dielen mit Stroh bedeckt. Die Balken knarren bei jeder Bewegung. Kein Fenster, ein paar Lichtstrahlen dringen von oben durch die Balken des Spitzbodens.

Noch mehr Balken, Stroh. Ich muss mich fast flach ausstrecken. Eine Öffnung geht auf die Dächer hinaus: Sie fallen steil ab. Unmöglich für Magister Thomas.

Ich kehre zurück zu ihm. Seine Lippen sind trocken, seine Stirn glüht. Ich suche Wasser. Unten auf dem Tisch liegen Nüsse, steht ein Krug. Der Singsang geht unaufhörlich weiter. Als ich die Lippen des Meisters mit dem Wasser benetze, fallen mir die Briefsäcke ins Auge: besser, sie zu verstecken.

Ich sitze auf dem Schemel. Meine Beine schmerzen. Ich stütze den Kopf in die Hände, nur einen Augenblick, dann wird aus dem Sausen ein ohrenbetäubendes Getöse: Schreie, Lärm von Pferden, Waffengeklirr. Diese Bastarde im Fürstensold dringen in die Stadt ein. Ich eile zum Fenster. Zur Rechten, auf der Hauptstraße: Reiter, die Lanzen stoßbereit, sie durchkämmen die Straße. Wüten gegen alles, was sich regt.

Auf der anderen Seite: Elias taucht in der Gasse auf. Sieht die Pferde, bleibt stehen. Fußsoldaten erscheinen hinter ihm. Es gibt kein Entrinnen. Er sieht sich um: Wo ist der allgegenwärtige Gott?

Sie zielen auf ihn.

Er hebt den Blick. Sieht mich.

Tut, was er tun muss. Er zückt das Schwert, stürzt sich schreiend auf die Fußsoldaten. Einen hat er aufgeschlitzt, einen anderen mit einem Kopfstoß zu Boden geworfen. Sie fallen zu dritt über ihn her. Er spürt die Hiebe nicht, packt das Heft des Schwertes mit beiden Händen, schlägt weiter um sich.

Sie weichen aus.

Von hinten: ein langsamer, schwerer Galopp, der Reiter ist in seinem Rücken, er greift an. Der Schlag wirft Elias um. Es ist aus.

Nein, er steht wieder auf: sein Gesicht eine blutige, wütende Maske. Das Schwert noch immer in der Hand. Niemand nähert sich ihm. Ich höre ihn keuchen. Ein heftiger Ruck am Zügel, das Pferd macht kehrt. Das Beil hebt sich. Wieder im Galopp. Elias steht mit breiten Beinen da, zwei Wurzeln. Arme und Kopf zum Himmel, er lässt das Schwert fallen.

Der letzte Schlag: »Omnia sunt communia, ihr Hundesöhne!«

Sein Kopf fliegt in den Staub.

Sie plündern die Häuser. Die Türen werden eingetreten, mit Äxten eingeschlagen. Bald sind wir an der Reihe. Keine Zeit verlieren. Ich beuge mich über ihn.

»Magister, hör mir zu, wir müssen fort, sie sind gleich hier ... Bei Gott, Magister ...« Ich packe ihn bei den Schultern. Antwort: ein Flüstern. Er kann sich nicht bewegen. In der Falle, wir sitzen in der Falle.

Wie Elias.

Meine Hand umklammert das Schwert. Wie Elias. Ich wünschte, ich hätte seinen Mut.

»Was willst du tun? Genug Martyrium. Geh schon, sieh zu, dass du dich rettest.«

Die Stimme. Wie aus den tiefsten Tiefen der Erde. Ich kann es nicht glauben, dass er gesprochen hat. Er ist noch regloser als zuvor. Von unten donnernde Schläge. Mir wird schwindlig.

»Geh!«

Wieder die Stimme. Ich wende mich ihm zu. Er rührt sich nicht.

Schläge. Die Tür geht in Stücke.

Die Briefsäcke, sie dürfen sie nicht finden, weg, auf die Schultern damit, die Leiter hinauf, die Soldaten beschimpfen die Alte, ich rutsche aus, finde keinen Halt, zu viel Gewicht, weg, ein Sack fällt hinunter, sie kommen die Treppe herauf, endlich drinnen, ich ziehe die Leiter hoch, schließe die Luke, die Tür öffnet sich.

Sie sind zu zweit. Landsknechte.

Ich kann sie durch eine Ritze zwischen den Balken erspähen. Ich darf mich nicht bewegen, das kleinste Knarren, und ich bin verloren.

»Nur ein schneller Blick, dann gehen wir, hier finden wir sowieso nichts ... Ah, da ist ja noch jemand!«

Sie treten ans Bett, schütteln Magister Thomas. »Wer bist du? Ist das dein Haus?« Keine Antwort.

»Lass gut sein. Günther, sieh mal, was wir hier haben!«

Sie haben den Sack gefunden. Einer der beiden öffnet ihn.

»Scheiße, da ist nur Papier drin, kein Geld. Was ist das für Zeug? Kannst du lesen?«

»Ich? Nein!«

»Ich auch nicht. Vielleicht ist es wichtig. Geh nach unten und hol den Hauptmann.«

»Was ist los? Willst du mir etwa Befehle geben? Warum gehst du nicht selbst?«

»Weil ich diesen Beutel gefunden habe!«

Am Ende einigen sie sich. Der Kumpan desjenigen, der Günther heißt, geht nach unten. Ich hoffe, dass auch der Hauptmann nicht lesen kann, sonst ist es aus.

Schwere Schritte, es muss wohl der Hauptmann sein, der die Treppe hochsteigt. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Gaumen ist ausgetrocknet, die Kehle voller Staub vom Dachboden. Um nicht husten zu müssen, beiße ich mir in eine Backe und schlucke das Blut.

Der Hauptmann beginnt zu lesen. Ich kann nur hoffen, dass er nichts versteht. Am Ende hebt er den Blick von den Blättern: »Es ist Thomas Müntzer.«

Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Zufriedene Blicke: doppelter Sold. Sie tragen den Mann weg, der den Fürsten den Krieg erklärt hat.

Ich gebe keinen Ton von mir, unfähig, ein Glied zu rühren.

Der allgegenwärtige Gott ist weder hier noch an irgendeinem anderen Ort.

2. KAPITEL

16. Mai 1525

Der Morgen dämmert. Erschöpft breche ich zusammen.

Als ich zuvor die Augen wieder öffnete, im tiefsten Dunkel der Nacht und meines Lebens, wurde mir als erstes die vollkommene Gefühllosigkeit meiner Glieder bewusst.

Seit wann waren die Landsknechte weg?

Von der Straße drangen Flüche von Betrunkenen herauf, der Lärm ausschweifender Feiern, Schreie von Frauen, dem Gesetz der Landsknechte unterworfen.

Ein teuflischer Juckreiz erinnerte mich daran, dass ich am Leben war: auf der Haut eine Kruste aus Schweiß, Stroh und Staub.

Ich lebte, und jetzt durfte ich auch husten und stöhnen.

Doch nur aufzustehen und mich unter dem Dach aufzurichten, mit dem Briefsack und dem Schwert, war schon ein mühsames Unterfangen. Ich wartete, bis ich in der Dunkelheit etwas erkennen konnte, und hielt meinen forschenden Blick auf die Stadt des Todes gerichtet.

Allerorten brannten dort unten Feuer, erleuchteten die Fratzen der ausgelassen feiernden Landsknechte, die den Sold dieses leichten Siegs vertranken.

Gegenüber war es dunkel. Das vollkommene Dunkel, wie es außerhalb der Städte herrscht. Zur Linken, einige wenige Dutzend Schritte entfernt, ein Dach, das ein Stück weiter vorsprang als die anderen, über die darunterliegende Gasse reichte, bis an die Grenze der absoluten Dunkelheit. Ich kroch über die Dächer, schleppte mich mit meinem schmerzenden Kreuz bis dorthin: die Stadtmauer, drei Mann hoch, keine Wache. Ich lief darauf entlang.

Zuerst nahm ich den Geruch nicht wahr: der Mund eine Kloake, die Nase von Schweiß und Dreck verstopft. Dann roch ich es: Mist. Direkt unter mir. Ich ließ mich einfach fallen, ins Dunkel hinein, es war doch alles gleich.

Ein Misthaufen.

Schnell, weg, von Durst gequält, schnell, laufen, stolpern, weg, und weiterlaufen, weg, nur weg, von Hunger geplagt, schneller als der Tod, der mich gestreift hatte, und der Gestank von Kot, der mir folgte, so weit meine Füße mich trugen.

Die Morgendämmerung.

Ich liege in einem Graben und trinke schlammiges Wasser. Versinke im Dunkel, während die Sonne aufgeht.

Der Himmel glüht im Westen. Jede Ritze meines Körpers brennt; verkrustet mit Kot und Schlamm: Ich lebe.

Felder, Garben, der Rand eines Waldes ein paar Meilen südlich. Weiter fliehen. Ich muss den Einbruch der Dunkelheit abwarten.

Allein. Meine Gefährten, der Meister, Elias.

Allein. Die Gesichter der Brüder, in der Ebene verstreute Leichen.

Der Briefsack und das Schwert scheinen das Doppelte zu wiegen. Ich bin geschwächt: Ich muss essen. Wenige Schritte entfernt grüne Ähren. Ich reiße mehrere Hände voll ab. Würge sie mit Mühe herunter.

Ich frage mich, wie ich wohl aussehe, betrachte den überlangen Schatten auf dem Boden. Er hebt eine Hand und fährt sich damit übers Gesicht: die Augen, der Bart, das bin ich nicht. Das werde ich nie wieder sein.

Denken.

Das Grauen vergessen und denken. Danach sich bewegen und das Grauen vergessen. Und dann: das Grauen vernichten und leben.

Also denken. Essen, Geld, Kleider. Ein Unterschlupf, weit von hier, ein sicherer Ort, um Nachrichten zu erhalten und die überlebenden Brüder ausfindig zu machen.

Denken.

Hans Hut, der Buchhändler. Seine Flucht aus der Ebene beim Anblick der Landsknechte von Herzog Georg, vor dem Gemetzel. Wenn einer entkommen ist, dann Hut.

Er hat seine Druckerwerkstatt in Bibra, nahe Nürnberg. Vor Jahren wimmelte es dort schon von Brüdern. Eine Zuflucht für viele.

Zu Fuß, des Nachts, ohne die Straßen zu benutzen, durch die Wälder und am Rande der Felder entlang, es wird wenigstens zwei Wochen dauern.

3. KAPITEL

18. Mai 1525

Ein Biwak von Landsknechten.

Lange Schatten und ein rauer Tonfall aus dem Norden.

Seit zwei Tagen und Nächten bin ich im Wald unterwegs, immer auf der Hut, bei jedem Geräusch zucke ich zusammen: beim Flügelschlag der Vögel, beim fernen Heulen der Wölfe, das mir einen Schauer den Rücken hinunterjagt und in den Magen fährt. Dort draußen könnte die Welt zu Ende sein, nichts mehr existieren.

Richtung Süden, bis ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und mich fallen ließ. Ich habe alles hinuntergeschlungen, was den Magen täuschen mochte: Eicheln, wilde Beeren, sogar Blätter und Rinde, wenn der Hunger mich zu sehr plagte. Erschöpft, die Feuchtigkeit in den Knochen und die Glieder immer schwerer.

Die Sonne war schon untergegangen, als aus dem Dunkel des Waldes der Schein eines Feuers aufleuchtete. Ich ging näher heran, schlich mich bis hinter diese Eiche hier.

Zu meiner Rechten, hundert Schritt entfernt: drei angebundene Pferde. Der Geruch könnte mich verraten. Ich verharre reglos, unentschlossen, überlege, wie viel Zeit ich gewinnen würde, wenn ich eines dieser Tiere hätte, um voranzukommen. Von meinem Platz hinter dem Baum aus beobachte ich weiter: Sie lagern um das Feuer herum, in Decken gehüllt, eine Zinnflasche geht von Hand zu Hand, fast kann ich ihren Branntweinatem riechen.

»Oh! Und als wir losgeschlagen haben, sind sie wie die Schafe gerannt, nicht? Ich habe gleich drei mit einer einzigen Lanze durchstochen. Wie auf einem Spieß.«

Trunkenes Lachen.

»Da habe ich mich aber besser geschlagen! Ich habe fünf Weiber gevögelt und zwischendurch diese Hungerleider einen nach dem anderen zunichte gemacht ... Eine von den elenden Huren hat mir sogar das halbe Ohr abgebissen! Seht mal hier ...«

»Und du?«

»Ich hab ihr dafür die Kehle durchgeschnitten, verdammte Scheiße!«

»Vergeudete Mühe, du Dummkopf. Hättest du einen Tag gewartet, dann hätte sie dir alles gegeben, um die Leiche ihres Mannes wiederzubekommen, wie all die anderen Weibsbilder ...«

Wieder Lachsalven. Einer wirft noch ein Scheit ins Feuer.

»Ich schwöre, es war der leichteste Sieg, seit ich Soldat bin, man musste ihnen nur in den Rücken schießen und sie wie Tauben aufspießen. Aber was für ein Anblick: Berstende Köpfe, Leute auf den Knien, die gebetet haben ... Ich habe mich wie ein Kardinal gefühlt!«

Er lässt einen vollen Beutel klingeln, und die beiden anderen tun es ihm lachend nach, einer bekreuzigt sich.

»Deine Worte sind nur allzu wahr. Amen.«

»Ich geh pissen. Lasst mir einen Schluck von diesem Zeug da übrig ...«

»He, Kurt, geh ein Stück weiter, ich will nicht mit dem Gestank deiner Pisse in der Nase schlafen!«

»Du bist so besoffen, dass du es nicht mal merken würdest, wenn ich dir aufs Gesicht kacke ...«

»Leck mich am Arsch, du Scheißkerl!«

Ein Rülpsen als Antwort. Kurt tritt aus dem Schein der Flammen und kommt in meine Richtung. Er wankt, wenige Schritte von mir entfernt, und hastet dann weiter, ins dichte Gebüsch hinein.

Entscheiden, jetzt.

Kleider. Weniger schmutzige Kleider als diese und den Beutel voller Geld am Gürtel.

Ich schleiche hinter ihm her, er streicht dicht an den Bäumen entlang, dann höre ich, wie es aufs Gras prasselt. Ich packe das Schwert. Wie Elias es mich gelehrt hat. Eine Hand auf den Mund des anderen und sich selbst keine Zeit zum Zögern geben. Ich schlitze ihm die Kehle auf, bevor er begreifen kann, was geschieht. Bevor ich selbst es begreifen kann. Nur ein ersticktes Gurgeln, und er spuckt sein Blut und seine Seele aus. Ich fange ihn im Fallen auf.

Ich hatte noch nie einen Menschen getötet.

Ich schnalle ihm den Gürtel auf und nehme den Beutel, ziehe ihm die Jacke und die Hose aus, wickele alles in seinen Mantel. Fort jetzt, nicht rennen, kein Geräusch machen, einen Arm ausgestreckt, um mein Gesicht vor Gesträuch und Ästen zu schützen. Der Geruch des Bluts an den Händen, wie in der Ebene, wie in Frankenhausen.

Ich hatte noch nie einen Menschen getötet.

Berstende Köpfe, Leute auf den Knien, die gebetet haben, Elias, Magister Thomas, der nur noch eine Maske ist ...

Ich hatte noch nie einen Menschen getötet.

Ich bleibe stehen, in völliger Finsternis, die Stimmen sind kaum zu hören. Das Schwert in der Faust.

Tun, was ich tun muss.

Den Schlund der Hölle für diese Bastarde aufreißen.

Ich gehe zurück, einen Schritt nach dem anderen, die Stimmen immer lauter, immer näher, lasse das Bündel und den Briefsack fallen, zwei, mit großen Schritten, es sind zwei, sich selbst keine Zeit zum Zögern geben.

»Kurt, wo zum Teufel ...«

Ich trete in den Schein der Flammen.

»Jesus!«

Ein harter Schlag auf den Kopf.

»Heilige Scheiße!«

Das Schwert in die Brust, mit ganzer Kraft, bis er Blut spuckt.

Eine Hand, die zu spät zur Waffe greift: ein Schlag auf die Schulter, dann in den Rücken.

Er schleppt sich auf den Ellbogen zum Gebüsch hin, schreit wie ein Schwein beim Schlachter.

Ich: immer langsamer, über ihm. Ich packe das Schwert mit beiden Händen, stoße es zwischen die Schulterblätter, durchbohre Knochen und schließlich das Herz.

Das Grauen vernichten.

Stille. Nur mein warmer Atem, sichtbar, in der Nacht, und das Knistern des Feuers. Ich sehe mich um: Nichts regt sich mehr.

Herrgott, ich habe sie alle niedergemacht!

4. KAPITEL

19. Mai 1525

Ich reite, das Gewand der Schande am Leib.

Doch genau dieses Gewand schützt mich jetzt. Vielleicht ist es schlau, die Maske des Landsknechts der Schande zu tragen, wenn die Schande triumphiert, nichts sonst.

Ich muss mich daran gewöhnen. Ich hatte nie zuvor getötet.

Noch ein Sonnenuntergang, der die Felder und Hügel in purpurrotes Licht taucht, die Umrisse verschwimmen lässt, die Gewissheiten auflöst, wenn es überhaupt noch welche gibt.

Viele Meilen zurückgelegt, immer nach Süden, Richtung Bibra, von einer schwachen Hoffnung im Sattel gehalten. Das Land, das ich durchritt, war vom Feldzug der mörderischen Horde gezeichnet. Als hätten die Elemente gewütet: auf immer unfruchtbare Erde, Eisenschrott und jede Art Abfall der unflätigen Truppe; manch eine verwesende Leiche, Skelette Unglücklicher am Wegesrand, Scharen von Söldnern, die von einem beliebigen Massaker zum nächsten Raubzug hetzten.

Seit die Dunkelheit den Horizont und die letzten Schatten verschluckt hat, gehe ich zu Fuß durch den Wald weiter. Zwischen den Bäumen schimmern Lichter in der Ferne: vielleicht andere Feldlager. Wenige Schritte noch, und ein dumpfer Lärm schlägt mir entgegen. Pferde, Klirren von Rüstungen, der Widerschein von Fackeln auf Metall. Das Pferd tänzelt, ich muss es im Zaum halten, während ich hinter einem Baum in Deckung gehe. Ich warte, streichle den Hals des Tieres, um es zu beruhigen.

Tosender Lärm, der näher und näher kommt. Hufschlag und blitzende Waffen. Ein gespenstischer Haufen zieht wenige Meter entfernt an mir vorbei.

Schließlich lässt das Getöse nach, aber die Nacht wird nicht wieder ruhig.

Das Licht jenseits des Waldes ist heller geworden. Die Luft steht still, doch die Wipfel der Bäume schwanken: Es ist der Rauch. Ich gehe näher, bis ich das Knistern brennenden Holzes höre. Der Wald öffnet sich mit einem Mal und gibt den Blick auf ein Bild der Verwüstung frei.

Das Dorf ist von Flammen umzingelt. Die Hitze hüllt mein Gesicht ein, es regnet Glut und Ruß. Süßliche Rauchschwaden, der Geruch nach verbranntem Fleisch, mir dreht sich der Magen um. Da sehe ich sie: verkohlte Leichen, unkenntlich geworden, dem Feuer überlassen. Ich muss mich fast übergeben, kann kaum noch atmen.

Meine Hände umklammern den Sattel, nur weg von hier, kopfüber in die Nacht, nur fort von diesem Grauen, diesem wüsten Höllenspuk.

5. KAPITEL

21. Mai 1525

An der Wechselstation herrscht ein reges Kommen und Gehen von Menschen mit Karren, beladen mit Kriegsbeute aus den Dörfern; Hauptleute brüllen Befehle in allen möglichen Mundarten; Fähnlein von Soldaten marschieren in jede Richtung ab; Landsknechte tauschen und veräußern ihr Diebesgut mitten auf der Straße, Gestalten, die noch verkommener aussehen als ich, und Vagabunden, die warten, ob etwas für sie abfällt. Die andere Seite der Verwüstung, die ich längs der Straße angetroffen habe: Etappe eines Kriegs ohne Fronten. In dieser Kloake endet, was vom Massaker übrig bleibt.

Das Pferd muss sich ausruhen, und ich brauche eine ordentliche Mahlzeit. Doch vor allen Dingen muss ich mich orientieren, den kürzesten Weg nach Nürnberg und weiter nach Bibra finden.

»Ist nicht zu empfehlen, in diesen Zeiten ein Pferd unbewacht zu lassen, Soldat.«

Eine Stimme zur Rechten, von jenseits einer Kolonne Fußsoldaten im Abmarsch. Kräftiger Kerl, ledergeschürzt und mit dreckverkrusteten hohen Stiefeln.

»In der Zeit, wo du ins Gasthaus gehst, braten sie’s dir als Abendessen. Im Stall ist es sicherer.«

»Wie viel?«

»Zwei Taler.«

»Zu teuer.«

»Das Gerippe von deinem Pferd ist weniger wert ...«

Der entlassene und ausbezahlte Landsknecht, der nach Hause zurückkehrt: »Einverstanden, aber du musst ihm Heu und Wasser geben.«

»Bring es hier herein.«

Er lächelt: Überfüllte Straßen bedeuten glänzende Geschäfte.

»Kommst du aus Fulda?«

Der Soldat, der aus dem Krieg zurückkehrt: »Nein. Aus Frankenhausen.«

»Du bist der Erste, der vorbeikommt ... Erzähl ein bisschen, wie ist es gewesen? Eine große Schlacht ...«

»Der am leichtesten verdiente Sold, seit ich dabei bin.«

Der Stallbursche dreht sich um und ruft: »He, Grosz, da ist einer, der kommt aus Frankenhausen!«

Zu viert tauchen sie aus dem Dunkel auf, derbe Landsknechtsgesichter.

Grosz hat eine Narbe: Sie verläuft quer über die linke Wange und zieht sich weiter den Hals hinunter, der Kiefer gebrochen, wo die Klinge den Knochen getroffen hat. Graue, ausdruckslose Augen von einem, der viele Schlachten erlebt hat und an den Gestank von Leichen gewöhnt ist.

Die Stimme ist unglaublich tief: »Habt ihr sie alle hingemacht, die Bauern?«

Ein tiefes Luftholen, um die Angst hinunterzuschlucken. Blicke, die mich mustern.

Der Soldat, der aus dem Krieg zurückkehrt, murmelt: »Allesamt.«

Grosz’ Blick fällt auf den Beutel mit Geld, der an meinem Gürtel hängt. »Hast du Landgraf Philipp gedient?«

Erneutes Luftholen. Sich nie die Zeit zum Zögern geben.

»Nein, unter Hauptmann Bamberg, in den Truppen Herzog Georgs.«

Die Augen bleiben reglos, vielleicht unschlüssig. Die Börse.

»Wir haben versucht, zu Philipp zu stoßen, um uns den Seinen anzuschließen, doch wir sind zu spät in Fulda angekommen. Sie waren schon weitergezogen: Dieser Verrückte hatte es unheimlich eilig. Im Gewaltmarsch hat er Schmalkalden, Eisenach und Salza eingenommen, alles ohne Rast, nicht einmal zum Pissen hat er innegehalten ...«

Ein anderer: »Für uns sind nur die Krumen übriggeblieben, hier und da eine Plünderung. Bist du sicher, dass kein Bauer mehr am Leben ist?«

Die Augen des Soldaten, der die Bauern in der Ebene niedergemetzelt hat: aus Glas, wie die von Grosz.

»Nein, alle tot.«

Narbengesicht starrt immer noch, denkt darüber nach, ob die Gelegenheit günstig, wie risikoreich es ist, sich den Beutel zu nehmen. Sie sind vier gegen einen. Die anderen drei tun nur etwas, wenn er ein Zeichen gibt.

Er spricht langsam: »Mühlhausen. Die Fürsten wollen es belagern. Dort gibt es viel Beute zu holen. Häuser von Händlern, nicht von hungerleidenden Bauern ... Banken, Läden ...«

»Frauen«, fügt der Kleine hinter seinem Rücken grinsend hinzu.

Aber Grosz, das Narbengesicht, lacht nicht. Ich auch nicht, mit meinem trockenen Hals und dem stockenden Atem. Er schätzt das Risiko ab. Meine Hand auf dem Griff des Schwerts, das zusammen mit dem Beutel voller Geld am Gürtel hängt. Er hat verstanden: Der einzige Stoß wäre für ihn. Ich würde ihm die Kehle durchstechen. Ich bin dazu fähig. Das steht in meinem Blick geschrieben, der fest auf sein Gesicht geheftet ist.

Kaum eine Regung, nur ein Wimpernzucken, als er zu seinem Urteil kommt. Das Risiko ist zu hoch.

»Viel Glück.«

Sie gehen weiter, stumm, das Geräusch ihrer Stiefel, die im Schlamm versinken.

Der Fettwanst sitzt mir gegenüber, reißt dicke Bissen aus einer Lammkeule, stürzt Bier aus einem riesigen Humpen hinunter; es tropft in den schmierigen Bart, hinter dem, zusammen mit der Binde vor dem linken Auge, das Gesicht fast verschwindet. Die Jacke, abgetragen und schmutzig, kann nur mit Mühe verdecken, wie viele Fässer er in Jahrzehnten im Dienst aller Herren getrunken hat.

Als er eine Pause macht, fragt mich der Fettwanst: »Was tut ein junger Herr wie du in diesem Pfuhl?«

Aus dem vollen Mund tropft es, er wischt sich mit der Hand darüber und rülpst.

Ohne ihn anzusehen: »Das Pferd braucht Ruhe, ich muss essen.«

»Nein, junger Herr. Was du hier tust, in diesem Pfuhl von einem schmutzigen Scheißkrieg.«

»Ich verteidige die Fürsten gegen die Aufständischen ...« Er lässt mir keine Zeit fortzufahren.

»Ja, ja ... schon gut, gegen eine Handvoll verlauster Bauern«, er kaut, »gegen zerlumptes Gesindel«, er schluckt, »was sind das für Zeiten, jetzt verteidigen schon irgendwelche Bürschchen die Herren gegen den Bauernpöbel«, er rülpst noch einmal, »lass es dir von mir gesagt sein, junger Herr, das hier war der beschissenste aller beschissenen Kriege, die dieses eine gute Auge je gesehen hat. Geld, Freund, einzig und allein Geld und die Geschäfte mit diesen Schweinen in Rom. Die Bischöfe mit all ihren Huren und Kindern, die sie unterhalten müssen! Zaster, ich sage dir, die Fürsten, die Herzöge, dieses elende Pack, die denken an nichts anderes. Zuerst nehmen sie den Bauern alles, und dann schicken sie uns, um die armen Teufel zu knüppeln, wenn sie aufmucken. Vielleicht bin ich zu alt für diese Dummheiten. Elende Hundesöhne sind das! Bei dieser Partie müsste man die Kanonen gegen die Fürsten und die Speichellecker des Papstes richten; sie haben Mumm gezeigt, die Bauern: brannten die Schlösser mit ihrem ganzen Überfluss nieder, vögelten die Gräfinnen und schlitzten den verdammten Pfaffen die Bäuche auf! Oh, sie redeten ständig von Gott, aber sie schlugen alles kurz und klein, und fast wäre ich auch dabei gewesen, aber dann wusste ich doch, wie es enden würde, es gibt kein Glück für die Hungerleider. Wir werden wie immer mit einem Spottgeld abgespeist. Das ganze Glück ist für die anderen«, er furzt, grinst, trinkt, »ach, leckt mich doch am Arsch!«

Ich höre auf zu essen, zwischen Verwunderung und Widerwillen. Der Fettwanst ist sympathisch, er hat eine unflätige Sprache am Leib, doch er hasst die Herren. Er macht mir Mut: Diese Landsknechte sind aus Fleisch und Blut, nicht nur scharf geschliffene Eisen.

»Wo bist du gewesen?«, frage ich ihn.

»In Eisenach, später in Salza, dann hatte ich es satt, auf diese armen Teufel einzuschlagen, bis es nicht mehr geht. Wirklich eine Schweinerei. Ich bin zu alt für diese Dummheiten, ich bin vierzig, verdammt, und zwanzig Jahre diese Scheiße. Und du, junger Herr?«

»Fünfundzwanzig.«

»Nein, nein. Wo du gewesen bist ...«

»Frankenhausen.«

»Scheiße! Mitten im Jüngsten Gericht? Das sagen jedenfalls die Gerüchte, so etwas habe ich noch nie gehört.«

»Genau so war es, Freund.«

»Und erzähl einmal ... dieser Prediger, dieser Prophet, äh, dieser Dickschädel, wie heißt er gleich ...? Ach ja: der Müntzer. Was ist aus dem geworden?«

Vorsicht.

»Sie haben ihn ergriffen.«

»Ist er nicht tot?«

»Nein. Ich habe gesehen, wie sie ihn fortgebracht haben. Einer aus dem Fähnlein, das ihn gefangen genommen hat, hat mir gesagt, er habe wie ein Löwe gekämpft und dass es schwierig gewesen sei, die Soldaten seien durch seinen Blick und seine Worte eingeschüchtert worden. Als sie ihn auf dem Karren weggebracht haben, hörte ich ihn noch schreien: ›Omnia sunt communia!‹«

»Und was heißt das, verdammt?«

»Alles gehört allen.«

»Ein tapferer Kerl, verdammt! Und du kannst Latein?«

Er grinst. Ich senke den Blick.

6. KAPITEL

24. Mai 1525

Wenige Stunden Reise, und die Hügel des Thüringer Walds hoben sich nur noch blass von dem Dunkelgrau des Himmels hinter mir ab. Ich hatte vor kurzem die Veste Coburg passiert und war unterwegs zum Gasthof in Ebern. Noch zwei, höchstens drei Tagereisen durch die waldigen Täler, mit denen sich Oberfranken mir darbot. Eine breite Straße, normalerweise überfüllt mit Wagen von Händlern, zwischen Itz und Main. Diesen Abend in Ebern, am nächsten Tag in Forchheim, um neugierige Blicke in Bamberg zu vermeiden, dann Nürnberg und schließlich Bibra.

Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, es schaffen zu können. Die Kraft desjenigen, der eine Niederlage hinter sich lässt, hatte mich die Müdigkeit vergessen lassen, die mich nun langsam übermannt.

Die Kolonne kam mir aus der Ferne entgegen, während sich am Himmel die Wolken auftürmten. Ein Bild des Jammers, des Elends, der Tragik. Vor ihr her, über das freie Land vor dem engen Tal, das ich bis zum Sonnenuntergang hinter mich gebracht haben wollte, schob sich ein Schleier aus zartgrauem Licht und dünnem Regen, der die Sicht trübte und mir das Atmen erschwerte.

Sie kam langsam voran, die Kolonne, vielleicht hatte sie seit Tagesanbruch einige Stunden Wegs hinter sich, nach einem Nachtlager irgendwo, vor sich die unerträgliche Finsternis einer Reise ohne Zufluchtsort.

Sie hatten weder Karren noch Ochsen noch Pferde. Säcke auf den Schultern. Ein Strom von Überlebenden, eine Elendsflut vor den prächtigen Türmen Coburgs.

Die Kolonne kläglicher Gestalten schleppte sich dahin, wehrlos, vom düsteren Himmel niedergedrückt. Männer und Frauen unter der Last von Hausrat gebeugt, stöhnende Kranke mit schmutzigen Verbänden, Alte auf behelfsmäßigen Tragen. Das unaufhörliche Jammern der Alten und das Weinen der Kinder verliehen ihrer Qual Ausdruck.

Nur ein paar Frauen versuchten, den Menschen eine Richtung zu geben, stets aufs Neue strichen sie durch die ungeordneten Reihen, trösteten die Verwundeten und ermutigten zum Weitergehen, wenn einer unter dem Gewicht des Unglücks zusammenbrach; nie ohne ihre kleinen Kinder, die sich an ihre Schultern und Arme, in ihren Schoß klammerten, leidgeprägte und würdevolle Gesichter. Diese unvorstellbare, gewaltige Kraft hauchte ihnen ein wenig Leben ein, den unglücklichen Menschen aus irgendeinem Dorf, an dem ich womöglich ein paar Tage zuvor vorbeigekommen war, vielleicht aber auch aus irgendeinem anderen. Gab es irgendwo ein Fleckchen Erde, das der Katastrophe entgangen war?

Ich verfolgte die mühevollen Schritte, von meinem Weg, der ein paar Dutzend Meter weiter rechts vorbeiführte, die Zeit stand still, eine Ewigkeit. Hin und wieder ein Blick, ein flehendes Klagen, die mir durch und durch gingen. Hunderte von Menschen und ein einziger Soldat: keine Geste der Verachtung, nicht die kleinste Reaktion. Alle erschöpft, wie betäubt angesichts des Untergangs. Mir, dem Flüchtling in den Kleidern des Mörders, wandten sich jene bittend zu, die nichts mehr hatten.

Dann löste sich das Gesicht einer Frau aus der trägen Masse, näherte sich mir. Lebendig in seiner ungeheuren Müdigkeit, tauchte es aus der Reihe der Weinenden auf, nachdem die Frau zwei hungrige Kinder, die sie trug, anderen Armen anvertraut hatte.

»Wir haben nichts mehr, Soldat. Nur die Wunden der Krüppel und die Tränen unserer Kinder. Was willst du noch?«

Ich fand keine Worte, die mein schlechtes Gewissen angesichts der Ohnmacht und der Schuld, am Leben zu sein, hätten beruhigen können: gegenüber diesen stolzen Augen, wie ins Fleisch geschlagene Nägel. Ich müsste vom Pferd steigen, ihre Kinder nehmen, ihr Geld und Hilfe anbieten. Meine Leute unterstützen, die Schar der Auserwählten, die in dem Schmutz zugrunde gingen, aus dem sie sich befreien wollten. Absteigen und bleiben.

Ich trieb mein Pferd mit kräftigen Tritten in die Seite an. Beinahe blindlings.

7. KAPITEL

Eltersdorf, Franken
10. Juni 1525

Sich sein Brot zu verdienen ist tatsächlich mühevoll und trostlos. Der Mensch denkt sich erbärmliche Lügen aus, was die Arbeit angeht. Auch dies ist nur ein Götzendienst, der Hund, der den Stock leckt: die Arbeit.

Holzblock und Axt von Sonnenaufgang an. Ich hacke Holz auf dem Hof, der Garten und Stall von Vogels Haus trennt.

Wolfgang Vogel: für alle der Pastor von Eltersdorf, Gefolgsmann Luthers; für Hut ein ausgezeichneter Helfer bei der Verbreitung von Büchern, Opuskula, Flugschriften; für die aufständischen Bauern »Liesdiebibel«, wegen seines ständigen Spruchs: »Jetzt, da Gott in eurer Sprache spricht, müsst ihr lernen, die Bibel allein zu lesen. Ihr braucht die Doktoren nicht mehr.« – »Dann brauchen wir dich auch nicht mehr«, lautete die häufigste Antwort, die ihn jedoch niemals entmutigte.

Alle Achtung, Liesdiebibel: herzlicher Empfang, Schulterklopfen, Erkundigungen nach den Toten und den Überlebenden, und ich finde mich mit einer Axt in der Hand vor einem Stapel Holz wieder. Ich bin erst seit zwei Tagen hier und muss mir die Gastfreundschaft verdienen.

Hut war nicht in Bibra, die Werkstatt der Drucker geschlossen. Sie sagten mir, er sei eine Woche zuvor vorbeigekommen, doch gleich in den Norden des Frankenlands weitergereist, um möglichst viele Leute zu taufen. Wie ein Wanderer, der in eine brennende Herberge kommt und fragt, was es zum Abendessen gibt. Als ich erfuhr, dass Vogel wieder in Eltersdorf sei, blieb ich gerade mal so lang, um das Pferd zu wechseln und für Proviant zu sorgen, und reiste weiter.

Eltersdorf. Ich habe ein Zimmer, einen Teller Suppe und einen neuen Namen: Gustav Metzger. Ich lebe noch und weiß nicht, wieso. Mich wieder auf den Weg zu machen kommt im Augenblick nicht infrage.

Eltersdorf, Sommer 1525

Lange, unerträgliche Tage. Den Stall ausmisten, Holz hacken, den Schweinetrog füllen, warten, dass die Sau wirft. Die Früchte des kleinen Gartens ernten, die Gerätschaften richten, allesamt in marodem Zustand. Die immer gleichen Obliegenheiten, zu denen man den Körper zwingen muss, jeden Tag verrichtet, um wie ein Hund das Recht auf einen Napf voll Fressen zu haben.

Währenddessen kommen von draußen immer neue Nachrichten über Massaker: Es zeigt sich, dass die Vergeltung der Fürsten der Herausforderung entspricht, die wir ihnen entgegengeschleudert haben. Die Köpfe der Bauern bleiben über die Pflüge gebeugt: Es sind nicht mehr die gleichen, die kurz zuvor die Sensen wie Schwerter gepackt haben.

Im ganzen Dorf gibt es niemanden, mit dem ich mich ein wenig unterhalten kann. Ich gehe zur Mühle, um Vogels Korn mahlen zu lassen, und treffe irgendjemanden auf der Straße, ein paar Worte über den Pastor, den Einzigen im Dorf, der Weizen für den Müller hat.

Zu den angenehmen Dingen des Tages gehören die Gespräche mit Hermann, einem ungeschlachten Bauern, der sich um Vogels Garten kümmert. Eigentlich spricht nur er allein, während er mit dem Beil auf das Holz einschlägt, denn jeder, so sagt er, habe die Hände, die er verdient: Er sei schon mit Schwielen auf die Welt gekommen, und die kleinen Doktoren wie ich würden besser nur Bücher anfassen. Er lächelt, sein Mund halb zahnlos, und schwört, dass arme Teufel wie er diesen Krieg gewonnen hätten. Er erzählt, wie sie das Schloss des Grafen gestürmt und sich zehn Tage lang von ihm und seinen Männern haben bedienen lassen, während sie nachts die Herrin und ihre Töchter vögelten. Das war ihr großer Sieg: Unvorstellbar, die Mächtigen für lange Zeit zu stürzen, auch weil allesamt bald Hungers sterben würden, wenn die Bauern regierten und die Herren die Erde bearbeiteten, weil ja jeder die Hände habe, die er verdient ... Und doch, für einen Herrn ist es das Erniedrigendste überhaupt, wenn er einem Diener die Füße lecken und sein Ding da wieder reinstecken muss, wo es ein Bauer drin gehabt hat. Für einen wie Hermann das größte Vergnügen von allen. Er lacht wie ein Wahnsinniger, speit durch die Gegend, und um ihm noch mehr Freude zu bereiten, sage ich ihm, dass der nächste Graf vielleicht in Wirklichkeit sein Sohn ist, und dass dies eine schöne Art sei, die Mächtigen zu schlagen: sich in ihre Nachkommenschaft einzumischen.