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Christine Bielecki

YOGA

IST EIN ARSCHLOCH

WARUM ES UNS TROTZDEM
SO GUTTUT

VERLAG DIE WERKSTATT

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Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2016 Verlag Die Werkstatt GmbH

Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Coverfoto: Uwe Eisenbeis

ISBN 978-3-7307-0270-3

„Yoga is like music, mathematics, art or any other great tradition: you get from it what you put into it.“

David B. Hughes, Yogalehrer

VORWORT

„Arschloch“ – die traut sich aber was! Oder wie ging es Ihnen, als Sie den Titel gelesen haben? Ich habe mir gedacht: Hm, das ist aber nicht sehr nett und warum so negativ? Einen Augenblick später kam die Erleuchtung. Es gibt in unserem Leben diese berühmten Arschengel, die uns dazu bringen, uns aus unserer Komfortzone zu bewegen. Die uns unsere Grenzen aufzeigen und uns im besten Fall darüber hinaus befördern. Meist sind sie auf den ersten Blick nicht sehr sympathisch. Diese Engel erscheinen uns in Form von Chefs, Familienmitgliedern oder auch YogalehrerInnen.

Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Yogastunde erinnern. Ich war steif wie ein Bock, litt an Rückenschmerzen, war oft verletzt, und immer war hier und da ein Zipperlein. Ich war zwar fit, aber nie gesund. Vor, während und nach meinen ersten Yogastunden fragte ich mich häufig, warum ich mir das antue. Manchmal beschimpfte ich auch innerlich Übungen wie LehrerInnen und betete, dass die Stunde bald zu Ende ist. Manche Bewegungen ergaben vielleicht Sinn, halfen mir, meinen Körper besser zu verstehen, andere hingegen waren so doof, dass ich mit meinen Gedanken spazieren ging. Der Titel des Buches ist daher nicht so weit hergeholt.

Allmählich erschlossen sich mir der tiefere Sinn und die vielen Bedeutungen hinter der Praxis, die seit Jahrtausenden Bestand hat und auch in unserer westlichen Welt immer populärer wird. Yoga ist mehr als ein Sport. Yoga ist eine Lebensphilosophie, in der es darum geht, dass wir unser Leben gesund, glücklich sowie flexibel im Körper und Geiste meistern. Es geht um Atmung, Ernährung, Bewusst-Sein, Beweglichkeit, Flexibilität und vieles, vieles mehr. Wer sich mit Yoga beschäftigt, beginnt meistens auch, sich mehr mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und dann kann Yoga einem schon mal wie ein A… vorkommen.

Die Autorin Christine Bielecki schafft es auf humorvolle und sympathische Weise, das Thema Yoga und seine Klischees so aufs Papier zu bringen, dass Sie nach dem Lesen des Buches aufstehen und sich verbiegen wollen. Nach Jahren der Übung kann ich sagen: Ja, Yoga ist ein Arschloch, aber ein verdammt süßes, in das ich mich jeden Tag neu verliebe. Möge es Ihnen ähnlich ergehen!

Balian Buschbaum

Ehemaliger Spitzensportler, Buchautor und Lifecoach

PROLOG

Für Risiken und Nebenwirkungen … haben Yogalehrer eine Versicherung.

 

Yoga ist ein Arschloch. 2014 berichtete der mehrfach oscargekrönte Schauspieler Christoph Waltz in einem Gespräch mit Spiegel Online, er halte Yoga für schädlich. Von einer befreundeten Orthopädin habe er gehört, dass es mittlerweile mehr Yoga- als Skiverletzungen gebe. Damit sorgte Waltz wahrscheinlich für schmerzverzerrte Gesichter bei ungefähr 20.000 deutschsprachigen Yogalehrern*. Christoph Waltz ist ohne Frage ein toller Schauspieler. Doch zwei Oscars machen noch keinen Bewegungsexperten. So einfach ist es nämlich nicht. Oder doch?

Sport ist Mord, das ist ein schöner Spruch, der hin und wieder leider zutrifft. Aber zu sagen, Yoga wäre gefährlich, ist genauso richtig oder falsch, wie zu behaupten, Fußball, Volleyball, Radfahren und Tischtennis seien schädlich. Letzteres nenne ich aus Erfahrung. Als Fünfjährige bin ich beim Tischtennis gegen meine Brüder mit der Stirn gegen die Kante der Tischtennisplatte gerannt. Platzwunde! Niemand hatte mir gesagt, dass ich die Tischtennisplatte überragen müsste, um gefahrlos Tischtennis spielen zu können. Verletzungen können passieren. Das ist klar. Bei so schönen sozialen Sportspielen wie Volleyball ebenso wie bei unserem Lieblingsvolkssport Fußball. Gar nicht anfangen will ich von den gesundheitlichen Schäden, die Menschen davontragen, weil sie Dopingmittel zu sich nehmen – eine gar nicht so seltene Methode der Leistungssteigerung, und das nicht nur im professionalisierten Sport. So gesehen müssten Leibesübungen generell glatt verboten werden. Aber ist Yoga überhaupt Sport? Jetzt wird es erst richtig kompliziert!

Yoga in seiner ältesten Form ist eine philosophische Lehre. Das hat zunächst nichts mit Sport zu tun, und gefährlich ist es auch nicht. Es sei denn, es fällt einem beim stundenlangen Meditieren ein Dachziegel auf den Kopf. Das Yoga, das wir heute in der westlichen Welt praktizieren, hat nichts mit dem 2.000 Jahre alten Yoga zu tun, von dem immer so ehrfürchtig die Rede ist. Die Asanas, also die verschiedenen Posen, die wir bei unserer Form des Yoga einnehmen, sind gerade mal 100 Jahre alt. Manche davon sind nicht einmal im Rentenalter.

Yoga hat sich also zu etwas entwickelt, was man Sport nennen könnte. Und während Christoph Waltz’ Orthopädin dies vermutlich für bedenklich hält, ist es eigentlich doch grandios. Yoga – einer philosophischen Lehre – gelingt etwas, woran andere Fitnesskonzepte scheitern. Es erfindet sich immer wieder neu und schafft es so, immer mehr Leute zu begeistern. Jemand, der Yoga nie ausprobieren wollte, es „langweilig“ fand, kommt plötzlich durch eine Stunde Poweryoga auf den Geschmack. Jemand, der Sport eher unangenehm findet, lernt über Anti-Gravity-Yoga eine neue Form von Bewegungstherapie kennen. Der unter Strom stehende Manager (Oliver Bierhoff zum Beispiel) spürt plötzlich, wie er beim Yoga Kraft tanken kann. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft (und das hat möglicherweise wiederum mit Oliver Bierhoff zu tun) profitiert vom Stretching und dem mentalen Training beim Yoga. Wer nie Aerobic machen wollte, lernt über eine Stunde Yoga Sculpt mit Kurzhanteln im Fitnessstudio Yoga auf eine ganz andere Art kennen. Und das sind nur einige Beispiele für neue Spielarten des Yoga.

Ein Ende des Yoga-Booms ist noch lange nicht in Sicht. Auch im Jahr 2015 hat das American College of Sports Medicine Yoga wieder auf die Top-Ten-Liste der Trendsportarten gesetzt. Diese Entwicklung ist erfreulich und tragisch zugleich. Denn immer mehr Menschen wollen Yoga unterrichten. Im Grunde genommen ist daran überhaupt nichts verkehrt. Vielleicht macht es die Welt sogar ein klitzekleines bisschen besser. Es ist doch fast schon erfreulich, dass es heute 18-Jährige gibt, die nicht mehr Model, sondern lieber Yogalehrerin werden wollen. Allerdings führt das auch dazu, dass einem auf der Suche nach dem geeigneten Yogalehrer schwindelig werden kann, bevor man überhaupt nur daran denkt, einen Kopfstand zu machen. Wenn man beispielsweise in Los Angeles lebt – wie Christoph Waltz zuweilen –, in einer Stadt, in der gefühlte 50 Prozent der weiblichen Bevölkerung unter 35 eine Ausbildung zur zertifizierten Yogalehrerin absolviert haben, ist es nicht gerade ein einfaches Unterfangen, den richtigen Lehrer zu finden. Dazu eine kurze Erklärung: In den USA gehören zur Ausbildung eines Massagetherapeuten 200 Stunden Anatomiestudium. Der Yogalehrerausbildung genügen deren zwölf. Bedenkt man, in welche Positionen Yogalehrer ihre Schüler bringen, ist das in Anbetracht der Tatsache, was ein Massagetherapeut vergleichsweise falsch machen könnte, lächerlich.

Auf Catalina, einer Insel vor Los Angeles, ist ein Hype um eine 13 Jahre alte Yogalehrerin entstanden. Jaysea DeVoe unterrichtet Vier- bis 80-Jährige. Und obwohl sie auf der Insel wie ein Rockstar behandelt wird, ist das ein bisschen bedenklich. Ist eine 13-Jährige tatsächlich in der Lage, einer 45-Jährigen zu erklären, was sie mit ihrem Körper machen soll? Kann ein Teenager, dessen Körper um ein Vielfaches biegsamer ist als der eines Erwachsenen, sich in den erwachsenen Menschen versetzen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das Gute ist: Jeder darf sich den Yogalehrer aussuchen, den er möchte. Und es gibt sie auf jeden Fall, die guten Yogalehrer. Diejenigen, die genau wissen, was sie machen, was sie lehren und die so viel Erfahrung haben, dass sie selbst Massagetherapeuten – ja, vielleicht sogar Orthopäden? – mit ihrem anatomischen Wissen das Wasser reichen können.

Mit Yoga ist es nicht anders wie mit jedem anderen Sport auch. Gewichtheben zum Beispiel. Wer schon mal Langhanteltraining mit schweren Gewichten gemacht hat, weiß, dass die richtige Technik ausschlaggebend ist, um Verletzungen vorzubeugen. Die richtige Technik erlernt man aber nur mit Hilfe eines guten Trainers. Während das beim Gewichtheben jedem einleuchtet, machen sich beim Yoga offenbar nicht so viele Menschen darum Gedanken. Außerdem glauben viele sportliche Menschen, die noch nie Yoga geübt haben, sie seien locker in der Lage, einen Fortgeschrittenen-Kurs zu absolvieren. Davon ist aber abzuraten. Wer noch nie Yoga gemacht hat, ganz egal, ob er vor Kraft Bäume ausreißen kann, sollte die erste Stunde mit Bedacht wählen und ist gut beraten, wenn er sich dazu bekennt, Anfänger zu sein.

Man darf seinem Yogalehrer im Übrigen auch Fragen stellen. Wenn nicht unbedingt während der Stunde, dann direkt im Anschluss. Will der Yogalehrer davon nichts wissen, reagiert er genervt oder hat er schlichtweg keine Lösungsvorschläge, ist das vielleicht ein Zeichen dafür, dass man an den falschen geraten ist. Abgesehen davon sollte man nie vergessen, dass ein Yogalehrer kein Arzt und kein Physiotherapeut ist (es sei denn, er hat beide Ausbildungen). Wer Schmerzen hat, sollte diese stets abchecken lassen, und zwar von einem Arzt, Chiropraktiker oder sonstigen Spezialisten. Eines ist schon mal klar: Zwar dürfen beim Yoga Muskeln zittern, Dehnungen spürbar sein, sogar Muskelkater im Anschluss ist erlaubt – aber Schmerzen? Das sollte stets ein Alarmsignal sein, und zwar bevor man dann bei Christoph Waltz’ befreundeter Orthopädin auf dem Tisch liegt.

Trotz des nun schon langanhaltenden Booms ist Yoga für viele Europäer immer noch irgendwie befremdlich. Und daran ist es zum Teil sogar selbst schuld. Während meiner Ausbildung zur Yogalehrerin war die erste Regel, die Ausbilderin Alanna Kaivalya uns 18 angehenden Yogalehrerinnen mit auf den Weg gab: „Don’t get weird.“ Auf gut Deutsch: Werde nicht seltsam. Vielleicht kamen da so mancher meiner Mitstreiterinnen Zweifel, ob das viele Geld für die Ausbildung wirklich gut investiert war. Für mich hingegen war sofort klar: Ich habe die richtige Schule gewählt! Wie wichtig dieser Ratschlag ist, wird einem schnell bewusst, wenn man sich eine Weile im Dschungel von Yogabesessenen herumtreibt. Da gibt es tatsächlich Menschen, die erzählen, dass Frauen, die Yoga treiben, schmerzfreie Geburten erleben. Werde nicht seltsam, damit meint Alanna Kaivalya auch: Lass deine Welt deine Welt bleiben. Erwarte keine Wunder von Yoga, und verschone diejenigen damit, die sich nicht dafür interessieren. Nur weil ich gerne mal einen Chia-Pudding esse, heißt das noch lange nicht, dass ich die ganze Welt jetzt von Chia-Pudding überzeugen muss.

In der Masse der Yogalehrer findet sich immer jemand, der „weird“ geworden ist. So ist es ein großes Glück, wenn man jemandem wie Alanna Kaivalya begegnet. Wer ihr zuhört, hat gute Chancen, normal zu bleiben, das heißt: bei sich selbst zu bleiben. Alanna selbst ist der lebende Beweis dafür, dass man sich nicht verbiegen muss, um in eine Yoga-Box zu passen. Sie ist nicht die super durchtrainierte amerikanische Yoga-Fitness-Queen, die man so oft in Magazinen sieht. Und sie ist eine coole Sau. So legte sie sich mit dem CEO von Lululemon an, einer in eigenen Worten „Yoga-inspirierten Sportbekleidungsfirma“, die dafür bekannt ist, Klamotten hauptsächlich für dünne Frauen zu konzipieren. Alanna Kaivalya nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie gibt gerne zu, dass sie auch heute noch, nach mehr als 20 Jahren Erfahrung als Yogalehrerin, manchmal irgendwie ein Arschloch ist. Mache Yoga passend für dein Leben und nicht dein Leben passend für Yoga. Das ist Alannas Botschaft. Alles ist okay, so wie es ist. Das ist das Schöne an Yoga. Yoga urteilt nicht. Nichts muss, niemand muss. Yoga vollbringt keine Wunder. Die Wunder sind wir schon selbst. Yoga erinnert uns höchstens daran. Es kann vieles. Aber nicht alles.

Während unserer Ausbildung ließ uns Alanna manchmal mit verbundenen Augen Yogaposen einnehmen, und von außen betrachtet sah das in dem Moment sicher ein bisschen „weird“ aus. Oder zumindest brutal langweilig. Aber trotzdem hatten wir danach alle wieder dieses Gefühl, dass irgendetwas Großartiges passiert war. Um gleich mal alle Illusionen zu zerstören: Wir haben einfach Gymnastik gemacht. Mit verbundenen Augen. Das klingt noch unspektakulärer und uncooler als ein Konzertbesuch bei den Wildecker Herzbuben. Aber irgendwas passierte dabei, das sich so ganz anders anfühlte als der Gymnastikunterricht, den wir in der Schule so hassten. Es ist das, was viele Menschen erleben, wenn sie Yoga machen. Glücksgefühle, und zwar andere als beim Joggen oder im Urlaub.

Was genau es mit diesen Glücksgefühlen auf sich hat, das soll unter anderem dieses Buch erklären. Was macht Yoga mit uns? Was kann es besser als Fußball und Skifahren, und warum ist es eigentlich doch gar nicht mit diesen Sportarten zu vergleichen, obwohl es im Westen als Fitnesskonzept verstanden wird? Warum kann jeder – sei er noch so ungelenkig, alt oder gar ein Mann – Yoga machen? Weshalb raten Ärzte zu Yoga? Darüber hinaus möchte ich mit einigen Klischees und Vorurteilen aufräumen, die über Yoga kursieren. Zum Beispiel, dass man als Yogi kein Fleisch essen darf. Oder dass man im Yoga nur rumsitzt und Om chantet. Und den Spruch von der Vereinigung von Körper, Geist und Seele können Sie glatt vergessen. Die sind ja sowieso schon vereint. Oder haben Sie schon mal jemanden ohne Kopf herumlaufen sehen?

*Hier sind natürlich auch die Yogalehrerinnen eingeschlossen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit habe ich mich entschieden, in diesem Buch generell nur eine Bezeichnung zu verwenden, wenn beide Geschlechter gemeint sind.