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Über dieses Buch:

Ein Siegeszug auf Samtpfoten: Katzen erobern unser Herz – und das schon seit über 4000 Jahren! Mit Augenzwinkern und viel Humor führt uns Katzenexperte Detlef Bluhm durch die Geschichte der Katze und sammelt, was man über unser Lieblingshaustier wissen muss: Vergnügliches, Spannendes und Verblüffendes über berufstätige Katzen, anspruchsvolle Gourmets, Miezen zur See – und literarische Katzenfreunde am Rande des Nervenzusammenbruchs. Aber auch zu ernsten Themen wie den Umgang mit dem Tod des geliebten Gefährten weiß Detlef Bluhms großes Katzenbuch wertvollen Rat.
Ein Buch über die schnurrende Weltmacht in unseren Wohnungen, das zu außergewöhnlichen Entdeckungen einlädt.


Über den Autor:

Detlef Bluhm wurde 1954 in Berlin geboren. Er arbeitete als Buchhändler und Verleger und ist seit 1992 Geschäftsführer des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen in Berlin-Brandenburg. Seit 2003 ist Detlef Bluhm Vorsitzender des Literaturhauses Berlin. Seine Romane und Sachbücher sind in sechs Sprachen übersetzt worden. Neben seinen vielfältigen Herausgebertätigkeiten betreibt Detlef Bluhm unter dem Pseudonym Kater Paul auch einen Blog, der sich der Kulturgeschichte der Katze verschrieben hat:

katerpaul.wordpress.com/

Die Website des Autors: www.detlefbluhm.de

Der Autor bei Facebook: de-de.facebook.com/people/Detlef-Bluhm/100000135608953

Detlef Bluhm veröffentlicht bei dotbooks auch den Kriminalroman:

Das Geheimnis des Hofnarren

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Neuausgabe März 2016

Copyright © 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, Thinkstockphoto/Bart Kowski

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-526-6

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Detlef Bluhm

Katzenspuren

Vom Weg der Katze durch die Welt

dotbooks.

Ein kleines Katzendenkmal für

Samos und Thira,

Doña,

Monty und Shano

VORWORT

1727 erschien in Frankreich das erste Buch, das einzig und allein die Katze zum Thema hatte, die Geschichte der Katzen von François Auguste Paradis de Moncrif. Seitdem sind Tausende von Katzenbüchern publiziert worden. In Anbetracht dieser Fülle habe ich mich gefragt, ob die Welt noch ein weiteres Katzenbuch braucht. Ich denke ja, denn die Katzenspuren bieten dem Leser eine umfassende Kulturgeschichte der Katze, die alle Aspekte, von der Geschichte über ihr Verhalten bis hin zur Literatur und Musik, untersucht und beleuchtet.

Ich mußte nach der Lektüre ungezählter Bücher über die Katze feststellen, daß eine ganze Reihe Fragen zu diesem faszinierenden Tier unbeantwortet geblieben waren. Es scheint, als habe der Schriftsteller Eugen Skasa-Weiß recht, wenn er sagt, die Katze habe sich vorgenommen, »dem Menschen ein Rätsel zu bleiben«. Diesem Rätsel bin ich im Lauf der letzten Jahre nachgegangen und habe mich anschließend entschieden, dieses Buch zu schreiben – für alle Menschen, die Katzen lieben, mit ihnen zusammenleben oder einfach mehr über sie erfahren möchten. Dabei habe ich gezielt Spuren verfolgt, die abseits der ausgetretenen Pfade lagen. Die eine oder andere Überraschung konnte ich als Belohnung am Wegrand einsammeln.

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So habe ich beispielsweise die Wege reisender Katzen verfolgt, von ihren Reisen im Auto bis hin zu ihren extremeren Reisen auf Expeditionen. Dann habe ich mich auf die Pfade der berufstätigen Katze begeben. Denn es gab tatsächlich Katzen, die etwa in Bibliotheken, beim Militär und im Unterhaltungssektor fest angestellt waren – ganz abgesehen von der Schiffskatze, deren Geschichte im deutschsprachigen Raum bisher kaum bekannt ist und der in diesem Buch ein längerer Abschnitt gewidmet wurde.

Ein weiteres interessantes Thema ist der Einfluß der Katze auf das künstlerische Schaffen in Literatur, Malerei und Musik. Viele bedeutende Kunstwerke sind der Inspiration durch die Katze zu verdanken. In Katzenspuren finden sich dazu zahlreiche Beispiele.

Ein besonderes Vergnügen hat es mir bereitet, das wundersame, sich im Verlauf der Jahrhunderte wandelnde Wissen des Menschen über die Katze einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen.

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Sich einer Katze zu nähern ist oft ein heikles Unterfangen. Alle Mitbewohner oder Besucher eines Katzenhaushaltes können ein nicht immer schmerzfreies Lied davon singen. Denn »ihre Vorderpfoten, halb Samt, halb Nadeln« (Ella Maillart), hinterlassen manchmal empfindliche Spuren auf unserer Haut. Ein noch größeres Abenteuer ist es aber, sich der Katze als Autor eines Buches über sie zu nähern. Folgt man den Spuren, die die Katze im Lauf der Zeit auf der Welt hinterlassen hat, stößt man auf zahllose, höchst unterschiedliche Reaktionen des Menschen. So schillernd und vieldeutig wie die Katze selbst, sind auch die Meinungen und Äußerungen der Menschen über sie. Um diese Vielfalt der Stimmen zu Wort kommen zu lassen, finden sich auch Originaltexte im Buch, die den gemeinsamen Weg von Mensch und Katze durch die Geschichte beschrieben haben.

Nach fast dreißigjährigem Zusammenleben mit Katzen ist es mir bestimmt nicht immer gelungen, dabei in die Rolle des neutralen Beobachters zu schlüpfen. Hier und da habe ich sicherlich dazu tendiert, für die Katze Partei zu ergreifen. Doch ich denke, das wird mir kein Leser verübeln.

Detlef Bluhm

Sandberg, im März 2004.

KAPITEL 1: DIE HISTORISCHE KATZE

Von ihrer Herkunft, Dignität, Verfolgung und Rehabilitation

»Das einzig Rätselhafte an der Katze ist,
warum sie sich je entschieden hat,
ein Haustier zu werden.«

COMPTON MACKENZIE

»Was ist eigentlich die Katze?
Eine Korrektur der Schöpfung.«

VICTOR HUGO

DIE EVOLUTIONSGESCHICHTE DER KATZE

»KATZE ist der Name einer Gattung Raubthiere, welche hinsichtlich ihrer Bewaffnung durch Zähne und Krallen, ihrer Gewandtheit und scharfen Sinne, die furchtbarsten Thiere enthält. Sie werden durchs Rauben sehr schädlich und selbst gefährlich.« Diese knappe Beschreibung findet sich in der Allgemeinen deutschen Real-Enzyklopädie für die gebildeten Stände, 1835 im Leipziger Verlag von F. A. Brockhaus in der achten Originalausgabe erschienen, in der die »Katze« erstmalig unter einem eigenen Stichwort auftaucht. Diese Beschreibung gilt nicht nur für Tiger, Panther & Go., sondern prinzipiell auch für die Hauskatze. In unserer »Light-Gesellschaft«, die alles, auch das gemeinschaftliche Leben mit der Katze, ohne Risiken und Nebenwirkungen genießen möchte, ist das genetische Erbe des todbringenden Räubers selbst hartgesottenen Katzenfreunden oft ein Ärgernis, das zu verdrängen man gern bereit ist. So hat sich Bernhard Grzimek beispielsweise Zeit seines Lebens gegen ihre Kategorisierung als »Raubtier« gewehrt und versucht, alternativ den harmloseren Begriff »Beutegreifer« durchzusetzen. Er war der Überzeugung, »Raubtier« enthalte ein Werturteil, eine unangemessen moralische Diskriminierung; seine Bemühungen blieben aber vergeblich.

Doch stimmt es nicht, ist nicht die Katze sogar das Raubtier schlechthin? Was kommt uns zuerst in den Sinn, wenn wir an »Raubtier« denken? Der Haifisch, die gattenmordende Schwarze Witwe, der Adler, das Krokodil oder die Hyäne? Nein, wir denken doch wohl in erster Linie an Großkatzen, an Tiger, Löwen, Panther und Leoparden.

Der Besuch eines Zoologischen Gartens reicht als Hinweis aus. Schon der Geruch im Raubtierhaus signalisiert uns, daß wir eine andere, faszinierende, aber auch gefährliche, eine unter anderen Umständen sogar tödliche Welt betreten. Das Brüllen, Schreien und Fauchen der Katzen vor der Fütterung läßt uns unsere harmlosen Gespräche unterbrechen, jagt uns Schauer über den Rücken. Wir betrachten den federnden, unruhigen Gang der mächtigen Katzen, hören das dumpfe Geräusch ihrer Tatzen auf dem harten Käfigboden und stellen uns vor, wir würden diesen Tieren in freier Wildbahn begegnen. Und erst das gefährliche Spiel der Tierpfleger! Wir können es kaum glauben, daß sie die hungrigen Katzen berühren, schnell und nur ganz kurz, am Kopf und an der Flanke, wenn die Tiere sich am Gitter entlangschieben, wütend vor Hunger und erregt vom Geruch der blutigen Fleischstücke. Und plötzlich, wenn alle Tiere versorgt sind, tritt Ruhe ein, eine genüßliche Stille, nur unterbrochen vom Krachen der Knochen und vom Zerren der Zähne am Muskelfleisch der Beute. Wir sehen gebannt zu, wie die Katzen ein Schenkelstück mit ihren Tatzen am Boden halten und das Fleisch langsam abkauen oder abreißen. Wir gewinnen einen Eindruck von der Kraft, die in diesen Kiefern und in den Halsmuskeln steckt, die das feste Fleisch von den Knochen trennt. Dann verlassen wir das Raubtierhaus verstört, gehen zu den Flußpferden oder Affen, wo wir wieder lachen können.

Beim Besuch der Tiger und Leoparden haben wir nicht an unsere Hauskatze gedacht, zu ungleich sind die Proportionen, zu leise das Miau der hungrigen Hauskatze im Vergleich zum Gebrüll ihrer großen Verwandten. Dabei haben wir außer acht gelassen, daß sich das Jagdverhalten unserer Hauskatze von dem der Großkatzen kaum unterscheidet. Auch unsere Katze geht allein auf die Jagd. Auch sie weiß, daß. bei der Flucht des Opfers am Ende der Pflanzenfresser zwar meist schneller und ausdauernder ist, daß. sie aber über den entscheidenden Vorteil einer wesentlich größeren Anfangsbeschleunigung verfügt. Deshalb schleicht sie sich so nahe wie möglich an die Beute heran, um sie mit einem blitzschnellen Angriff zu überraschen, ehe diese überhaupt einen Fluchtversuch unternehmen kann.

Das Gebiß unserer Hauskatze ist ein raffiniert konstruiertes Werkzeug. Der Kiefer ist stark genug, um fast alle Knochen der Tiere zu brechen, die in ihr Beuteschema passen. Die kleinen Schneidezähne sind bestens dazu geeignet, Fleisch vom Knochen zu nagen. Die gebogenen Eckzähne des Unterkiefers haken sich im Fell der Beute fest, während die längeren, fast geraden Eckzähne des Oberkiefers zum tödlichen Biß in den Körper geschlagen werden. Bei kleinen Beutetieren, beispielsweise Vögeln und Mäusen, durchstechen sie Herz und Lunge, Ratten und Kaninchen wird das Halsmark durchtrennt. Beide Tötungsarten wirken in der Regel augenblicklich.

Für die Jagd ist unsere Hauskatze aber noch mit weiteren erstaunlichen Fähigkeiten ausgestattet. Wenn man nur die beiden hier Genannten, also Geschwindigkeit und Gebiß berücksichtigt, wenn man sich ihre Perfektion bewußt macht, dann wundert es einen doch sehr, daß sich dieses kleine, aber höchst effektive Raubtier mit dem Menschen angefreundet hat. Als sogenannter »Kulturfolger« kam es sogar freiwillig in die Nähe des Menschen. Die Katze hat sich selbst zum Haustier des Menschen ernannt, sie hat, wenn man so will, zu einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung ihre Geschichte selbst in die Hand genommen. Davon hat sie zwar profitiert, darunter aber auch entsetzlich leiden müssen.

Die Vorgeschichte der Katze begann nach dem Aussterben der Dinosaurier vor ungefähr 70 Millionen Jahren mit den Creodonten, fischfressenden Säugetieren, die in den Sumpfgebieten der Urwälder zu überleben versuchten. Sie schafften es nicht und starben schließlich ebenfalls aus. Aber vorher gingen aus ihnen vor 60 Millionen Jahren die Miaciden – fleischfressende, klettergewandte Waldbewohner – hervor, deren Gehirn schon wesentlich größer war als das ihrer Vorfahren. Alle heute noch lebenden Raubtierfamilien der Säuger sind Nachfahren dieses »Ur-Räubers«, vom Bär bis zur Katze, vom Wolf bis zur Hyäne. 20 Millionen Jahre später schlug dann die Geburtsstunde der Katze: die Katzenartigen (Feliden) und die Hundeartigen (Kaniden) bildeten selbständige Familien. Nach weiteren 20 Jahrmillionen evolutionärer Entwicklung betrat mit dem Pseudaelurus der älteste Vertreter der heutigen Hauskatze die Welt. Er sah unseren Katzen schon sehr ähnlich, ging auf den Zehenspitzen und besaß flexible Schulterblätter – so wie die uns bekannten Feliden. Hinter der Bezeichnung Felis Lunensis verbirgt sich ein Tier mit dickem, streifengezeichnetem Fell, das vor 12 Millionen Jahren lebte, das aber wohl jeder Laie mit unserer europäischen Wildkatze verwechseln würde. Der direkte Vorfahr der Hauskatze, die Felis silvestris, erschien dann vor etwa 7 Millionen Jahren auf der Bildfläche.

An einem Ende des komplizierten Stammbaumgeflechtes der Katzenartigen steht schließlich die Felis libyca, die afrikanische Falbkatze, eine Unterart der Felis silvestris, zu der noch die Wildkatzen der Mittelgebirge Europas und der Steppen Zentralasiens sowie die Steppenkatzen aus den Halbwüsten Pakistans und Indiens gehören. Diese afrikanische Falbkatze – auch Felis silvestris libyca genannt – ist die Stammform aller Hauskatzen der Welt.

Dagegen ist der Mensch eine ziemlich junge Erscheinungsform. Vor etwa 1,5 Millionen Jahren entstand der Homo erectus, der schon annähernd die Körpergestalt des heutigen Menschen besaß). Nach weiteren evolutionären Prozessen von über einer Million Jahren erreichte der Homo erectus eine Stufe der technischen und kulturellen Entwicklung, die ihn – jedenfalls nach Meinung einiger Wissenschaftler – als Vorfahren des Menschen kennzeichnet. Andere bleiben bei der traditionellen Datierung der sogenannten »humanen Revolution«, die mit dem Beginn der Jungsteinzeit, also der Zeit vor etwa 40 000 Jahren, zusammenfällt. »Und in der Tat handelte es sich bei diesen eiszeitlichen Künstlern, wie uns die Fachleute versichern, schon um frühmoderne Vertreter unserer eigenen Art Homo sapiens sapiens, die sich in körperlicher wie in geistiger Hinsicht kaum mehr wesentlich von uns unterschieden«, schreibt der Vor- und Frühgeschichtler Martin Kuckenburg in seinem Buch Als der Mensch zum Schöpfer wurde. Aber wie auch immer der wissenschaftliche Streit um das Alter des Menschen ausgehen mag, eines gilt als gesichert: Als der erste Vertreter unserer Art auftauchte, war die evolutionsgeschichtliche Entwicklung der Katze seit Jahrmillionen vollendet. Wenn man die Geschichte von Katze und Mensch vergleichend betrachtet, kommt man zu dem Ergebnis, daß› die Katze über einen entwicklungsgeschichtlichen Vorsprung von gut 20 Millionen Jahren verfügt. Mit der um so viele Millionen Jahre älteren Geschichte der Katze wurde oft ihre majestätische und geheimnisvolle Erscheinung begründet. Und nicht nur in Charles Baudelaires Dichtung tauchen Katzen deshalb als fast mythische Wesen auf: »In edler Haltung sinnen sie in Weiten ¦ Wie eine Sphinx am Grund der Einsamkeiten.«

Die Anfänge der Beziehung zwischen Mensch und Katze liegen im Dunkel der Geschichte. Der Altertumsforschung fehlen ausreichende Knochenfunde, um ein genaues Bild zu zeichnen. Fest steht jedenfalls, daß, sich der Mensch eine Reihe anderer Tiere nutzbar gemacht hat, bevor die Katze zu ihm stieß. Axel Eggebrecht hat die Domestizierung der Tierwelt durch den Menschen in seinem Buch Katzen kurz auf den Punkt gebracht: »Der Mensch sicherte sich und erhöhte sich zugleich gegenüber allen Mitgeschöpfen. Angefangen hat es mit Hund und Pferd, den Jagdhelfern. Bequemer als Nahrung und Kleidung zu erkämpfen, war es dann freilich, wenn man die fleißigen Erzeuger zu Hause in Ställen auffütterte und zu emsiger Ergiebigkeit anhielt. So wurden Rind, Schaf, Huhn und Schwein lebendige Vorratskammern. Endlich, lange nach den tragenden, jagenden, wachenden, milchenden, wolligen und eierlegenden Tieren, erscheint als spätester unserer Gefährten die Katze.«

Bei Ausgrabungen in der neolithischen Siedlung Choirokoitia im südlichen Zypern wurde 1983 von Alain de Brun ein Katzenunterkiefer gefunden, den man auf ein Alter von 8000 Jahren datiert hat. Da auf Zypern niemals Wildkatzen existiert haben, müssen Menschen, vermutlich Siedler, die Katze nach Zypern gebracht haben. Wir wissen, daß diese Siedler auch andere domestizierte Tiere mit sich führten. Man kann davon ausgehen, daß diese Katze schon an den Menschen gewöhnt war, denn nur zahme oder halbzahme Tiere ließen sich überhaupt in den beengten Verhältnissen eines Bootes transportieren. Weshalb sollten sie eine ungezähmte Wildkatze mit an Bord genommen haben? Man weiß, daß vor 7000 Jahren Katzen in einer der ältesten Städte der Welt, in Jericho, gelebt haben. Das waren aber bestimmt noch keine Hauskatzen, sondern vermutlich ebenfalls halbzahme Wildkatzen. In der Nähe der westanatolischen Stadt Burdur hat man Tonstatuetten gefunden, die etwa aus der gleichen Zeit stammen. Sie zeigen eine Frau auf dein. Leopardenthron mit einer Katze im Arm und eine andere, die eine Katze im Schoß hält. Auch hier ist noch von der Darstellung halbzahmer Wildkatzen auszugehen.

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Über Hunderttausende von Jahren beobachtet die Katze den entwicklungsgeschichtlichen Weg des Menschen. Nomaden interessieren sie nicht, genauso wenig wird sie von ihnen beachtet. Davon erzählen die folgenden Verse, die eine schöne Beduinin im siebten Jahrhundert n. Chr. dichtete, als sie mit dem omaijadischen Herrscher Moawija vermählt werden sollte: »Ein hart Kamel im freien Feld zu reiten ¦ Ist lieber mir als Maultiers sanftes Schreiten ¦ Ein Hund, der für die Wandrer bellt zum Zeichen ¦ Ist lieber als die Kätzchen mir, die weichen.« Den von Ort zu Ort ziehenden Beduinen, reisenden Händlern und Hirten, die dem Weidewuchs folgen, dient der Hund. Er begleitet und verteidigt sie und wacht über ihre Herden. Die Katze ist dagegen keine Nomadin. Sie ist ortsverbunden, herrscht in ihrem Revier und verteidigt es gegen Eindringlinge. Das unstete Leben umherziehender Menschen liegt ihr nicht. Auch kleine Siedlungen, kärgliche Flecken und winzige Stadtstaaten wecken ihr Interesse nur bedingt. Erst das Großreich der Ägypter mit seiner sich rasch entwickelnden Vorratshaltung macht die Katze neugierig. Hier können aufgrund der Nilüberschwemmungen riesige Getreidemengen produziert und nach der Ernte gelagert werden, um das Volk in der Dürrezeit zu ernähren. Das wiederum lockt die Nager in die prallgefüllten Speicher und fördert die Massenvermehrung von Ratten und Mäusen – die Tiere, auf deren Verzehr die Katze von der Evolution in Millionen von Jahren vorbereitet wurde. Denn die Hauskatze ist, um gleich einen Irrtum auszuräumen, kein »Fleischfresser«, sondern ein »Beutefresser«. Ihre Ernährung ist über das Fleisch hinaus auf Knochen und Knorpel, Haut und Haare, also auf die Nährstoffe der ganzen Maus, angelegt. Nur die Pfoten, den Schwanz und die Galle verschmäht sie. Selbstverständlich frißt die Katze auch anderes Getier, aber die Maus ist das ideale »Vollfutter« der Katze und das Beutetier, zu dessen Jagd die Evolution sie optimal ausgerüstet hat.

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Im ersten Buch Mose wird die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern überliefert. An der berühmten Deutung des Pharaotraums von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen läßt sich die Situation der Landwirtschaft im alten Ägypten ableiten: Wenn im Innern Afrikas die Regenfälle ausblieben, trat der Nil nicht über die Ufer und überschwemmte das Land nicht mit dem notwendigen Düngeschlamm. Dann hieß es, vom »Eingemachten« zu leben, die Kornspeicher zu öffnen. Diese hatte man gebaut, nachdem das Land von verheerenden Dürrekatastrophen heimgesucht worden war, und über dieses Korn fielen die Mäuse her wie eine Seuche.

Um zu ermessen, welchen Schaden Mäuse anrichten, hat der renommierte Katzenforscher Paul Leyhausen folgende Berechnung angestellt: »Die durchschnittliche freilaufende Bauernkatze fängt pro Tag etwa ein bis zwei Dutzend Mäuse. Nehmen wir nun an, sie fange im Durchschnitt 15 Mäuse am Tag, so ist das sicher nicht zuviel gerechnet. Im Jahr macht das also 5000 bis 6000 Mäuse. Wer schon einmal eine Maus gehalten hat, weiß, welche erstaunlichen Futtermengen diese kleinen Tiere benötigen. 10 Gramm Getreide pro Tag und Maus sind wieder ein Minimum. Auf 5000 Mäuse ergibt das im Jahr 18 Tonnen. Und diesen Verlust erspart uns eine Mausekatze Jahr für Jahr, ihr ganzes Leben lang.« Leyhausen weist abschließend aber noch darauf hin, daß eine Katze nicht nur den errechneten Verlust aktiv einspart, sondern darüber hinaus auch den Fortpflanzungstrieb der Mäuse hemmt, indem sie bei diesen durch ihre Präsenz sowie ihre Duftmarken Streß erzeugt.

In Kenntnis dieser Berechnung läßt sich die Wertschätzung, die die Ägypter der Katze entgegengebracht haben, und deren kultische Verehrung im Reich der Pharaonen, von der gleich die Rede sein wird, besser verstehen.

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VOM HAUSTIER ZUR GÖTTIN

Die ältesten Zeugnisse der Beziehung zwischen Mensch und Katze in Ägypten reichen 7000 Jahre zurück. Die British School of Archeology in Egypt förderte 1922 bei Ausgrabungen in Badari und Mostagedda in Oberägypten Knochenreste von Katzen aus dieser frühen Zeit zutage. Auch aus der prädynastischen Epoche, also vor etwa 6000 Jahren, ist die Existenz der Katze in der Nähe des Menschen bezeugt. Es ist aber davon auszugehen, daß die Katze zu dieser Zeit in der bäuerlichen Gesellschaft Ägyptens nur geduldet wurde, daß sie zwar ein gern gesehener Helfer gegen Mäuseplagen war, daß man aber noch nicht von einer Domestizierung der Katze, also einer Zufütterung durch den Menschen, einer Gewöhnung ans Haus oder von einem Versuch selektiver Züchtung sprechen kann. Allerdings muß der lange Prozeß der Domestizierung bereits in dieser Zeit oder ein paar Jahrhunderte später begonnen haben und rasch vorangeschritten sein, denn zu Beginn des Mittleren Reiches, vor ungefähr 4000 Jahren, sind Grabbilder der Katze, erste Katzenmumien und Inschriften in Pyramiden nachgewiesen. Sogar die Verwendung des Altägyptischen »Miu« (Katze) als Eigenname bei der Mutter eines Beamten von König Menthuhopet II. ist vor 4000 Jahren belegt. In diese Zeit fällt auch die südliche Ausdehnung des Reiches bis Nubien. Manche Forscher vermuten deshalb, daß« man die gezähmte Katze von dort importiert hat.

Aber wie dem auch sei: Vor 4000 Jahren ist die Katze in Ägypten als Haustier fest beheimatet, leistet wichtige Dienste bei der Mäusevertilgung und dient der Oberschicht zum vergnüglichen Zeitvertreib, bei der Vogeljagd oder im Heim. Nur noch eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne vergeht, und sie steigt vom Haustier zur Gottheit auf.

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In der verwirrenden Welt der ägyptischen Götter und Göttinnen und ihren kaum überschaubaren Verbindungen mit zahlreichen Tiergestalten nehmen die Löwengöttinnen einen besonderen Platz ein. Sie sind unberechenbar und gefährlich, schwer zu besänftigen und tragen Namen wie Sachmet, Hathor und Tefnut. Der Löwe gilt als Inbegriff der Naturgewalten und der Sonnenglut, in seiner unberechenbaren Wildheit ist er zerstörerisch, verkörpert für die Ägypter dieser Zeit aber auch Überlebens- und Heilkraft. Die Löwengöttinnen muß man ständig durch berauschende Getränke, Zuspruch und Musik sanft stimmen. Der ägyptischen Mythologie nach mißlingt dies bei der Löwengöttin Tefnut, sie verläßt Ägypten im Zorn und lebt in Nubien, wo sie mit ihrem Feuerhauch Angst und Schrecken verbreitet. Kurz danach gelingt es dem Gott Thot in Gestalt eines freundlichen Affen, die in Nubien wütende Tefnut durch schmeichelndes Zureden, Musik und Tanz zu besänftigen und zur Rückkehr nach Ägypten zu bewegen. Sie bringt bei ihrer Rückkehr die ertragreiche Flut des Wassers, die Nilüberschwemmung, mit und macht eine erstaunliche Verwandlung durch: die brüllende, unberechenbare Löwin erscheint plötzlich als schnurrende Katze. Die nun entstehenden Bronzefiguren mit Katzendarstellungen gehören zum Schönsten, was die ägyptische Kunst hervorgebracht hat. Die Beliebtheit der Katzengöttinnen wächst zu Beginn des Neuen Reiches unter Echnaton und Tutanchamun stetig an, bis sie am Ende des Neuen Reiches vor 3000 Jahren in der Göttin Bastet einen heute unvorstellbaren Höhepunkt erreicht. Die Löwengöttinnen sind mit der Katzengöttin Bastet verschmolzen. Bastet verkörpert auf der einen Seite die unberechenbare und gefährliche Seite des Löwen, vor allem aber die Sanftheit und beschützende Kraft der Katze, die in ihr überwiegt. In dieser Zeit heißt es in Ägypten: »Sachmet von gestern … Bastet von heute.« Seitdem sorgen Besänftigungsrituale dafür, daß die Göttin, wie es der Ägyptologe Erik Hornung formuliert hat, »nicht zurückfällt in die einstige Wildheit und die Menschheit vernichtet, sondern fortgesetzt ein gnädiges Antlitz zeigt und die freundliche Katze bleibt, in die Thot sie verwandelt hat«. Die Göttin Bastet wurde von den Ägyptern als wirksame Beschützerin betrachtet, die ihren Anhängern sehr nahe war.

Sie hatte sogar ihre eigene Stadt: Bubastis im östlichen Nildelta, vor 3000 Jahren Hauptstadt des Deltas. Hier erfreute sie sich einer beispiellosen Beliebtheit, der wichtigste Tempel der Stadt war ihr geweiht. In Bubastis versammelten sich in jedem Frühjahr über eine halbe Million Menschen, um das heilige Fest der Bastet zu feiern. Auf seinem Höhepunkt galt es als das populärste und bestbesuchte Fest im alten Ägypten, was nicht wundert, denn Bastet galt auch als Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit.

Thomas Mann hat die Katzenstadt in Josephund seine Brüder folgendermaßen dargestellt: »Hier nun roch es so eindringlich nach Katzenkraut, daß es einem nicht daran gewöhnten Fremden fast übel davon wurde. Denn der Geruch ist jedem Wesen zuwider, nur nicht dem heiligen Tier der Bastet, nämlich der Katze, die ihn, wie man weiß, sogar gierig bevorzugt. Zahlreiche Beispiele dieses Tiers wurden in Bastets Heiligtum, dem gewaltigen Kernstück der Stadt, gehalten, schwarze, weiße und bunte, wo sie mit der zähen und lautlosen Anmut ihrer Art auf den Mauern und in den Höfen zwischen den Andächtigen umherstrichen.« Das Fest der Bastet beschreibt Thomas Mann als »ein Fest von drei Tagen, mit Opfern, Tänzen und Mummenschänzen, mit Jahrmarkt, dumpfem Getrommel, Märchenerzählern, Gaukeleien, Schlangenbeschwörern und so viel Traubenwein, wie er in Bubastis das ganze übrige Jahr hindurch nicht verbraucht wurde«. Diese Darstellung ist uns auch von dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot überliefert.

Zum Fest der Bastet wurden Abertausende von Katzenmumien als Weihgabe mitgebracht und in einer riesigen Katzennekrophole beigesetzt. Dieser Brauch, der Bastet besänftigen sollte, brachte allerdings für die Katze erhebliche Nachteile mit sich. Da die Nachfrage kaum zu befriedigen war, wurden Katzen nur zu diesem Zweck gezüchtet und getötet. Aber nicht lange, dann wurde es verboten, Hand an das heilige Tier zu legen. Wer dieses Verbot übertrat, konnte der eigenen Hinrichtung kaum entgehen.

Nach einem späteren Bericht des griechischen Geschichtsschreibers Diodor, der Ägypten von 60-57 v. Chr. bereist hatte, soll der Tod einer Katze sogar ein folgenschweres römischägyptisches Scharmützel ausgelöst haben. Dies geschah in den letzten Jahren der Herrschaft der griechischen Ptolemäer in Ägypten. Das Land wurde immer wieder von Aufständen der einheimischen Bevölkerung erschüttert, die die politisch instabilen Verhältnisse, insbesondere die Schwäche der Ptolemäer, für die eigene staatliche Unabhängigkeit ausnutzen wollte. 60 v. Chr., zur Zeit des ersten Triumvirates in Rom, überfuhr der Streitwagen des römischen Gesandten laut Diodor auf der Straße versehentlich eine Katze, und der beteiligte Römer wurde auf der Stelle von aufgebrachten Ägyptern gelyncht. Den Triumvirn Pompeius, Crassus und Caesar diente dieses Ereignis als geeigneter Vorwand für eine militärische Intervention. Die Jahre der griechischen Herrschaft über Ägypten waren gezählt. 31 v. Chr. besiegte Octavian die Ptolomäer bei Actium, eroberte im Anschluß Alexandria und zwang Antonius und Kleopatra, die letzte Herrscherin der Ptolemäer, zum Selbstmord.

Aber zurück zur Katzengöttin Bastet. Die ihr geweihten Katzenmumien wurden nach dem Tötungsverbot durch Bronzestatuetten ersetzt. Inzwischen war das Ansehen der Hauskatze so gestiegen, daß, es das aller anderen Tiere bei weitem übertraf. Wenn eine Katze starb, rasierte man sich die Augenbrauen ab und ließ, den Leichnam mumifizieren. Seit Echnaton begrab man die Katze in prächtigen oder einfachen Särgen und ging in Trauer. Katzenpriester versorgten die Tempelkatzen, und als irdische Erscheinungsform der Göttin Bastet durften Katzen nicht außer Landes gebracht werden. Selbst auf Münzen wurde die Katze geprägt.

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Vergessen waren die Jahrtausende der Fremdheit zwischen Katze und Mensch, übersprungen die relativ kurze Zeit ihrer Annäherung: Von der Wildkatze war sie über die halbzahme und domestizierte Hauskatze zur Göttin aufgestiegen – eine Karriere, die kein anderes Tier vor und – bis jetzt – nach ihr vorweisen kann. Die Zeitspanne ihrer bedingungslosen und unvergleichlichen Verehrung dauerte fast 2000 Jahre. In dieser Zeit ging es ihr besser als vielen Menschen in Ägypten. Sie litt weder Hunger noch Durst, ihre Freiheit und ihr Leben blieben unangetastet. Für die Ägypter war sie der Garant für die Sanftmut der Göttin Bastet, für die Fruchtbarkeit des Landes und des Leibes, für Liebe und Heilung. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes in einem Schlaraffenland angekommen, dem Land Kanaan, in dem Milch und Honig für sie flössen.

Es verwundert übrigens nicht, daß im Alten Testament kein einziges Wort über die Katze geschrieben steht. (Im Neuen Testament auch nicht, aber das hat andere Gründe, auf die später noch eingegangen wird.) Die nach der biblischen Mythologie in Ägypten fronleistenden Israeliten müssen die Katze gehaßt haben, das Tier, dem es so unvergleichlich besser ging als ihnen selbst, das auf so blasphemische Weise verehrt wurde. Nach ihrer Flucht aus dem verhaßten Land mochten sie wahrscheinlich nicht einmal mehr den Namen dieses Tieres in den Mund nehmen.

Dessen ungeachtet wurde die Katze in Ägypten lange Zeit als Gottheit verehrt. Aber mit dem Niedergang des ägyptischen Reiches geriet auch ihr Thron ins Wanken. Das Fest der Bastet hielt sich noch bis in die Zeit der römischen Herrschaft hinein. Erst im Jahr 390 n. Chr. wurde es offiziell verboten. Damit war die göttliche Zeitspanne der Katze unwiderruflich vorbei. Ihrer Dignität beraubt, sah die Katze schweren Zeiten entgegen. Fast so lange wie ihre Herrschaft als Göttin sollte die Zeit der Ablehnung und Verfolgung dauern.

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Bevor aber nun über diese Zeit berichtet wird, die mit der Ankunft der Katze in Europa beginnt, soll zunächst noch auf einen bisher unbeachteten Zusammenhang eingegangen werden – auf eine erstaunliche Parallelität höchst unterschiedlicher Ereignisse.

Vor ungefähr 6000 Jahren regte sich in Ägypten das Bedürfnis, komplexe Vorgänge wie Jagdgeschehen, Resultate militärischer Konflikte und religiöse Vorgänge schriftlich niederzulegen. In Ergänzung zu den Bildaussagen der Kunst entstand ein gemischtes System von Laut- und Bildzeichen. Genau zu dieser Zeit begab sich die Katze in die Nähe des Menschen.

Etwa 1000 Jahre später begann in Ägypten die sogenannte geschichtliche Zeit. In ihr wuchs die Notwendigkeit der schriftlichen Fixierung unterschiedlichster Vorgänge und Ereignisse erheblich. Das Wirtschaftsleben wurde beispielsweise so komplex, daß es die Möglichkeiten bildlicher Darstellung sprengte. Ein wachsendes historisches Bewußtsein, das der Ägyptologe Erik Hornung als den »Übergang vom Mythisch-Allgemeinen zum Geschichtlich-Besonderen« bezeichnet, verlangte nach der Aufzeichnung von Namen und Orten, von Siegen und Niederlagen. Dieser Übergang kann genau benannt werden, er hängt mit König »Skorpion« zusammen, der um 3000 v. Chr. in Oberägypten geherrscht hat. Bis zu seiner Zeit trugen die ägyptischen Könige ohne einen individualisierenden Eigennamen nur den Titel »Horus«, der die irdische Inkarnation des Gottes in Falkengestalt anzeigte. Als erster ägyptischer König verband Skorpion seinen Namen mit seinem göttlichen Titel zu »Horus Skorpion«, begründete damit die »historische« Zeit individueller Herrscher und gab der Schriftentwicklung entscheidende Impulse. Dies geschah, als die Domestizierung der" Katze im bäuerlichen Bereich abgeschlossen war.

Vor 4500 Jahren bildete sich schließlich im Lauf des Alten Reiches eine differenzierte Literatur aus, es entstanden unter König Djoser, dem Erbauer der ersten Stufenpyramide, die Lebenslehre des weisen Imhotep und biographische Grabinschriften hoher Beamter. Wenig später erreichte die ägyptische Schrift den Höhepunkt ihrer Entwicklung. In diese Zeit fällt die endgültige Domestizierung der Katze in allen gesellschaftlichen Schichten Ägyptens. Als schließlich vor 4000 Jahren im syrisch-palästinensischen Raum bei den Phöniziern die erste reine Buchstabenschrift der Welt entstand, nahm die Katze in Ägypten gerade Anlauf, den Götterthron zu erobern.

Nun soll hier nicht etwa eine esoterische Verbindung zwischen dem Auftauchen der Katze in der Nähe des Menschen und der Entwicklung der Schrift konstruiert werden. Nichts liegt ferner, als einen mystischen Einfluß, der Katze auf die menschliche Entwicklung zu vermuten. Nein, an diesem erstaunlichen Zusammenhang scheint mir erwähnenswert, daß sich die Katze dem Menschen erst dann nähert, als dieser einen bestimmten Punkt im »Prozeß der Zivilisation« erreicht hat. »Je höher ein Volk steht, um so verbreiteter ist die Katze«, hat schon Alfred Brehm erkannt.

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DIE KATZE EROBERT DEN MITTELMEERRAUM

Aber zurück zum Weg der Katze durch die Welt. Von der östlichen Mittelmeerküste drangen um 1000 v. Chr. die seefahrenden Phönizier in den gesamten Mittelmeerraum vor und gründeten zahlreiche Handelskolonien. Sie ließen sich auf Zypern, Sizilien und Malta, in Südspanien und Nordafrika nieder. Den Phöniziern ist nicht nur ein reger Handel, sondern auch der fruchtbare Austausch zwischen den Kulturen Ägyptens und Mesopotamiens mit denen des Mittelmeerraumes zu verdanken. Auf dem Höhepunkt des Bastet-Kultes lernten die handelstüchtigen Phönizier, die Desmond Morris einmal als »antikes Äquivalent zu unseren Gebrauchtwarenhändlern« bezeichnet hat, in Ägypten die domestizierte afrikanische Falbkatze kennen, die außerhalb Ägyptens noch unbekannt war. Trotz des strikten Ausfuhrverbotes fanden sie Mittel und Wege, die dort verehrte, ihnen außergewöhnlich erscheinende Katze außer Landes zu schmuggeln und an allen Mittelmeerküsten über ihre Handelsniederlassungen an die Reichen und Wohlhabenden zu verkaufen. So gelangten die ersten Katzen nach Südeuropa, Nordafrika und auf die großen Mittelmeerinseln.

Die Eroberung Ägyptens durch den Perserkönig Kambyses im Jahre 525 v. Chr. eröffnete der Katze nicht nur den Weg nach Vorderasien, dem Ausgangspunkt ihrer Kolonisation Indiens. Katzen spielten bei der Erstürmung der ägyptischen Stadt Pelusium offensichtlich eine entscheidende militärische Rolle – wenn auch gegen ihren Willen. Der griechische Geschichtsschreiber Polyen berichtet über den persischen Angriff auf die belagerte Stadt, daß der persische König zu einer List griff, um den Widerstand der Ägypter endgültig zu brechen. Er ließ alle Katzen der Umgebung einfangen und sie den Ägyptern bei einem Angriff entgegenschleudern. »Die entsetzten Verteidiger von Pelusium zogen es vor, ihre Stadt zu übergeben, als möglicherweise bei deren Verteidigung ihre Götter zu töten oder zu verwunden.« Der französische Maler Paul Lenoir hat diese Schlacht in einem Bild festgehalten, das 1873 im Pariser Salon ausgestellt wurde. Im Vordergrund sieht man den auf die Stadtmauer zureitenden persischen König, in der rechten Hand hält er eine der gefangenen Katzen und holt gerade aus, um sie über die Mauer zu werfen. Mit der anderen Hand hält er einen kleinen Holzkäfig fest, aus dem ein Katzenschwanz herausragt. Das Bild zeigt noch fünf oder sechs weitere Katzen, die gerade – von anderen Angreifern geschleudert – auf die Stadtmauer »zufliegen«.

Wenn diese Überlieferung tatsächlich stimmt, hätten die Ägypter ihre politische Selbständigkeit wegen der von ihnen vergötterten Katze verloren – eine groteske Vorstellung! Mit der Krönung von Kambyses zum ägyptischen König endete jedenfalls das Reich der Pharaonen, von einer sehr kurzen Zeit erneuter Selbstbestimmung einmal abgesehen. Erst 1953, 2500 Jahre später, erlangte Ägypten wieder seine staatliche Unabhängigkeit. In der Zwischenzeit wurde das Land von seinen verschiedenen Beherrschern systematisch ausgebeutet und geplündert, auch von den Briten, die nicht einmal die Katzennekropholen unberührt ließen. 1890 verließen zwei Frachtschiffe Alexandria in Richtung Liverpool mit 300 000 (!) ausgegrabenen Katzenmumien an Bord. Sie fanden für 18 englische Pfund die Tonne als Dünger Verwendung. Ein einziger Katzenschädel blieb erhalten. Er ist im British Museum in London ausgestellt.

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In Griechenland scheint man die Katze vor allem als Pelzlieferant geschätzt zu haben. Der Komödiendichter Aristophanes berichtet um 400 v. Chr. von Pelzhändlern aus Böotien, die Katzenfelle auf dem Markt von Athen anboten. Von einem anderen griechischen Autor, Anaxandrides, stammt etwa aus der gleichen Zeit der Vorwurf, der an einen Ägypter gerichtet war: »Wenn du eine Katze leiden siehst, weinst du. Gescheiter wäre, wenn du die Katze totschlügest und ihr den Pelz abzögest. Das jedenfalls tue ich.« Die Katze spielt als Pelzlieferant leider heute immer noch eine Rolle, vor allem in Asien. Seitdem sie Ägypten verlassen hat, wird sie von dem begehrlichen Wunsch nach ihrem weichen Fell begleitet. In der um 1815 entstandenen märchenhaften Erzählung Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter von Clemens Brentano wird dieses Thema angesprochen. Brentano läßt darin einen kroatischen Edelmann auftreten, der im Wald unerwartet einem Kater begegnet: »… da strich ein großer schwarzer Kater aus dem Gesträuch murrend zu mir her und machte sich so zutulich, daß ich seinen Pelz mit Wohlgefallen ansah und ihn liebkoste mit der Hoffnung, ihn an mich zu gewöhnen und mir etwa aus seinen Winterhaaren eine Mütze zu machen.« Aber kurz darauf ändert der Edelmann seine Haltung. »Der Kater wußte sich so vortrefflich durch Mäusefangen und Verträglichkeit mit meinen Hunden auszuzeichnen, daß ich den Gedanken, ihn aus seinem Pelz zu vertreiben, bald aufgegeben hatte.«

Nach der Eroberung Ägyptens durch Rom 31 v. Chr. verstärkte sich die Verbreitung der Katze in Italien. Es waren vor allem römische Legionäre, die sie bei ihrer Heimkehr »im Gepäck« hatten. Während die Katze in Ägypten den Kampf gegen die Mäuseheere erfolgreich allein bestritten hatte, traf sie in Rom auf einen unerwarteten Konkurrenten: das Wiesel. Das bis zu 30 Zentimeter lange, kurzbeinige Wiesel, das gut springen und klettern konnte, jagte ebenfalls Mäuse und Ratten und tötete diese, wie die Katze, vorzugsweise durch einen Biß in den Nacken. Es half den Römern, der Mäuseplage Herr zu werden. Zahlreiche zeitgenössische Fabeln berichten vom ständigen Kampf der Wiesel gegen die Mäuse. Mit der Ankunft der Katze brach in Italien zwischen ihr und dem Wiesel ein Konkurrenzkampf aus, der 400 Jahre dauern sollte. Lange Zeit sah es nicht gut für die Katze aus, denn im Gegensatz zu ihr war das domestizierte Wiesel ein verhältnismäßig folgsames Tier. Dafür war die Katze anschmiegsamer – wenn sie wollte – und roch nicht so streng. Außerdem konzentrierte sie sich auf den Mäusefang, während das Wiesel auch andere Tiere nicht verschonte, Tiere, auf deren Verzehr der Mensch Wert legte: Hühner, Hasen, Kaninchen und sogar Lämmchen. Trotz ihrer offensichtlichen Vorteile konnte die Katze ihren Krieg gegen das Wiesel aber erst im fünften Jahrhundert n. Chr. für sich entscheiden, als ganze Rattenheere aus Vorderasien und Rußland in Südeuropa einbrachen. Nur die Katze war in der Lage, diesem Ansturm Einhalt zu gewähren. Das Wiesel wurde aus dem Haus gejagt und verwilderte wieder.

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Es war wohl der römische Dichter Martial, der Begründer des klassischen lateinischen Epigramms, der zum Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. der Katze ihren Namen gab. Jedenfalls erwähnte er als erster Lateiner die Hauskatze und nannte sie catus. Vermutlich lassen sich genau daher die europäischen Bezeichnungen für die Katze ableiten: gatta (italienisch), gata (spanisch), gata (griechisch), chat (französisch), cat (englisch), katt (schwedisch und norwegisch), hat (dänisch), kats (jiddisch), qattus (maltesisch), kottur (isländisch), kot (polnisch). Martial hat sich wahrscheinlich bei seiner Namensgebung auf das arabische quttah bezogen, das in leichter Abwandlung auch bei den Berbern bekannt ist.

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Nach der Vertreibung des Wiesels genoß die Katze noch einmal hohes Ansehen – wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne. Sie hatte es sich mühsam erkämpft. Im Gegensatz zum Hund wurde sie im Römischen Reich sogar in Tempeln gern gesehen, denn sie bellte nicht, verhielt sich ruhig und vertilgte auch dort die plagenden Nager. Auf dem Höhepunkt der europäischen Expansion des römischen Weltreiches folgte die Katze den Legionären in alle eroberten Provinzen, vor allem nach England, Frankreich und Deutschland. Dann aber brach das weströmische Reich im fünften Jahrhundert unter dem Ansturm der Völkerwanderung zusammen, und für die vormals göttliche, unter dem Schutz des Pharao stehende Katze begann eine Epoche der Ablehnung und Ausgrenzung, später dann sogar eine Zeit der Verfolgung. Als in Europa das christliche Abendland entstand, war ihre Hochphase beendet. Zu dieser Zeit war die Katze auf dem gesamten Kontinent verbreitet.

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Jahrhunderte später wurden auf einem anderen Kontinent, in Südamerika, Katzen erneut als göttliche Wesen verehrt – hier allerdings keine gezähmten Arten, sondern ihre großen Verwandten. Vom 13. Jahrhundert bis zur Unterwerfung der südamerikanischen Ureinwohner durch die europäischen Konquistadoren huldigten Inkas und Azteken katzenartigen Raubtieren. Der Jaguar galt den Azteken als heiliges Tier, und die Inkas bauten sogar eine ganze Stadt in Form eines Pumas. In einer Tempelanlage am Titicacasee wurden lebende Pumas gehalten, und unweit davon, im bolivianischen Tiahuanaco, entdeckten Forscher ein ausgedehntes Heiligtum, dessen Kult von einem Katzengott dominiert wurde.

Doch die Missionare, die den Fußspuren der Eroberer folgten, sorgten für die Vernichtung dieser religiösen Welt und die weitgehende Zerstörung ihrer Anlagen, der Kult- und Kunstgegenstände.

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VERFOLGUNG IM CHRISTLICHEN ABENDLAND

Die Menschheit praktiziert im Umgang mit entthronten Göttern seit jeher eine relativ simple Methode: sie erklärt sie zu Teufeln. Die biblische Mythologie liefert dafür ein besonders prominentes Beispiel: Aus einem der drei Erzengel, Luzifer, der dem Thron Gottes am nächsten stand, wird nach seinem Aufstand gegen den Schöpfer umgehend Satan, der gefallene Engel. Dieser religionsgeschichtliche Mechanismus wurde auch der Katze zum Verhängnis. Verstärkt wurde dieser Prozeß durch den Absolutheitsanspruch des monotheistischen Christengottes, der durch seine Allmacht weit über der Menschheit stand, diese aber gleichzeitig durch seine Zuwendung – die Erlösung durch den eigenen Sohn – weit über die übrige Kreatur stellte. Diese folgenschwere Definition des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur steht schon im ersten Buch Mose und wurde von der christlichen Theologie uneingeschränkt übernommen: »Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.«

So entstand im christlichen Abendland ein distanzierteres Verhältnis zu den Tieren, es wurde geprägt vom Gedanken der Nützlichkeit der Kreaturen. Der Aufbau einer persönlichen Beziehung zu Tieren, die dem Menschen nahe waren, wurde durch den Generalverdacht denunziert, die Liebe zu den Geschöpfen würde die Liebe zum Schöpfer beeinträchtigen. Im Mittelalter tauchte dann noch ein anderer Aspekt auf: Eine zu enge Vertrautheit des Menschen mit dem Tier würde es der Bestimmung entfremden, die der Schöpfer ihm zugedacht hatte.

Vor allen anderen Haustieren geriet die Katze ins Visier klerikalen Mißfallens. Das lag vermutlich daran, daß sie sich, um dem Menschen dienen zu können, ihre Natur als wilder Jäger bewahren mußte und deshalb im Unterschied zu allen anderen tierischen Hausgenossen des Menschen keinen unterwürfigen Gehorsam an den Tag legte. Erschwerend kam noch hinzu, daß die Katze dem Menschen nichts »gab«, keine Milch, keine Eier, kein Fleisch. Sie trug auch keine Lasten und warnte nicht vor Fremden. Dagegen machte sie die Nacht zum Tage, konnte im Dunkeln sehen und verschwand nach Lust und Laune. An ein geregeltes Leben ließ sie sich nicht gewöhnen, Autoritäten erkannte sie nicht an. Kein Wunder, daß die Katze der Kirche ein Dorn im Auge war.

So stand ihre Zukunft nach dem Untergang des ägyptischen, griechischen und römischen Weltreiches unter keinem guten Stern.

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Während die »heidnischen« Autoren aus Rom und Athen noch mit Unverständnis und Spott auf den Katzenkult und andere Tierkulte der Ägypter reagiert hatten, wetzten die christlichen Apologeten bereits ihre ideologischen Messer. Zum Ende des zweiten Jahrhunderts rechnete der einflußreiche christliche Philosoph Clemens von Alexandria mit dem Glauben der Ägypter ab. Seine Beobachtung und Wertung steht hier als Beispiel für die gesamte Theologie der frühen Christenheit: »Die Tempel erstrahlen von Silber, Gold und vergoldetem Silber, sie sind fein ausgeschmückt mit funkelnden Steinen, die man aus Indien und Äthiopien herbeigeschafft hat; das Allerheiligste indes liegt dank goldbestickter Schleier in ein Halbdunkel getaucht. Aber wenn wir in der Hoffnung, die Gottheit zu betrachten, ins Innere des Bauwerks Vordringen und das Standbild suchen, welches diesen Tempel bewohnt, so wird der Gegenstand der Verehrung bei uns schallendes Gelächter auslösen: jener, den wir so sehnlich suchten und nunmehr im Inneren entdecken, ist nämlich gar kein Gott, sondern eine Katze oder ein anderes Vieh von dieser Art, das nicht würdig ist, einen Tempel zu bewohnen, sondern in einer Erdhöhle hausen sollte, im Loch oder im Morast. Der Gott der Ägypter erscheint uns auf purpurnem Lager in Gestalt eines zusammengekrümmten Tieres.«

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Zwar scheiterte die römische Eroberung Germaniens bis zur Elbe mit der Niederlage des Varus im Jahre neun nach Christus, doch die Katze muß den Limes erstaunlich schnell überwunden haben, denn als die Christianisierung der Germanen im vierten Jahrhundert begann, war sie schon da. Sie hatte das Land Odins und seiner Frau Freya betreten, als die germanische Mythologie noch nicht fest kanonisiert war, und eroberte sich in ihr schnell einen prominenten Platz. Es sind Katzen, die Freyas Wagen nach Asgard und über das Himmelsgewölbe ziehen, denn sie passen zu Freya, der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Auch im Erntebrauchtum nahm die Katze bald eine wichtige Stellung ein. Man stellte der Kornkatze Milch in die Getreidefelder, damit die altgermanische Erdgöttin Nerthus, Freyas Mutter, die Ernte beschütze.

Einige Historiker bezweifeln allerdings die Anwesenheit der ägyptischen Katze im Germanien dieser Zeit. Sie verweisen darauf, daß die Edda mit ihrem Bericht von Freyas Wagen und ihren Katzen erst um 1200 geschrieben wurde. Aber wie dem auch sei: Ohne die Katzengöttin Bastet zu kennen, vermuteten auch die Germanen in der geheimnisvollen Katze eine dunkle, zerstörerische Seite. In der Edda, die unter christlicher Herrschaft entstanden ist, um die uralten Traditionen zu bewahren, wird davon erzählt: Eines Tages besucht Thor die Halle des Riesenkönigs Utgardsloki. Der fordert den Sohn des Odin und Gott des Donners zu allerlei Wettkämpfen heraus, auch zu der scheinbar einfachen Aufgabe, eine Katze von der Erde hochzuheben. Doch sosehr sich der stärkste aller Asengötter auch bemüht – er kann nur erreichen, daß die Katze die Bodenberührung mit einem Fuß verliert. Später erklärt Utgardsloki dem Gott Thor, daß er die Mitgardschlange im Griff hatte, das weltumspannende Geschöpf des bösen Loki, das schließlich in einem apokalyptischen Krieg das Ende der Götterwelt herbeiführt.