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Kosha Anja Joubert und Leila Dregger
ÖKODÖRFER weltweit

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Kosha Anja Joubert
Leila Dregger

Ökodörfer
weltweit

Lokale Lösungen für globale Probleme

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Bücher haben feste Preise.

1. Auflage 2015

Kosha Anja Joubert und Leila Dregger

ÖKODÖRFER weltweit

© für die deutsche Ausgabe Neue Erde GmbH 2015

Alle Rechte vorbehalten.

Titelseite:

Fotos: siehe Bildnachweis

Gestaltung: Dragon Design

Satz und Gestaltung:

Dragon Design

Gesetzt aus der Minion

eISBN 978-3-89060-179-3

ISBN 978-3-89060-664-4

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde

www.neue-erde.de

Inhalt

Vorwort

Die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit

Lichtblicke einer globalen Bewegung

Kosha Joubert: Ökodörfer und die Welt, die wir gemeinsam erschaffen

Leila Dregger: Gemeinschaft Dauer geben

GEN Europa

Schottland: Findhorn

Russland: Kitezh

Deutschland: Sieben Linden

Deutschland: ZEGG

Deutschland: Schloss Tempelhof

Italien: Damanhur

Spanien: Lakabe

Portugal: Tamera

Türkei: Günesköy

Schweiz: Schweibenalp

GEN Africa

Ägypten: Sekem

Togo: Natoun

Malawi: Grüne Schulen

CASA Lateinamerika

Mexiko: La Caravana

Ecuador: Comuna Tola Chica

Kolumbien: Rosario Islands

GENNA Nordamerika

USA: Ithaca

USA: The Farm

GENOA

Thailand: Wongsanit-Ashram

Ladakh: Das Ladakh-Projekt

Indien: Auroville

GEN Naher Osten

Israel: Kibbuz Lotan

Palästina: Hakoritna-Farm

Hildur und Ross Jackson: Die Geschichte von GEN

Wie Sie ein Teil der Bewegung werden können

Weltkarte der GEN-Projekte

Das Netzwerk

Danksagung

Bildnachweis

Über die Autorinnen

Vorwort

Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten,
die in uns liegen, Vorboten desjenigen,
was wir zu leisten imstande sein werden.

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Ein großes Forschungsexperiment geschieht derzeit auf der Erde. Weltweit, meist an abgelegenen Orten, oft kaum beachtet von der Öffentlichkeit, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Handwerker, Erfinder und Ärztinnen, Aktivisten sowie Betroffene globaler Krisen zusammen. Angesichts von Klimawandel, Landflucht, Vereinsamung in den Städten, Umweltzerstörung und ökonomischer Ungerechtigkeit arbeiten sie an ihren Orten entschlossen und kreativ an funktionierenden Alternativen: an ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, dezentraler Energieautonomie, Selbstversorgung mit gesunden Nahrungsmitteln, an Versöhnung nach Konflikten und ökonomischer Gerechtigkeit. In traditionellen oder neu gebauten Dörfern, in ökologisch bedrohten Landschaften, in Industriebrachen, Slums oder privilegierten Regionen aller Erdteile bauen sie reale Modelle für eine lebenswerte Zukunft auf. Sie reaktivieren dazu traditionelles Wissen und lokale Erfahrungen, sie nutzen das vernetzte Zukunftswissen einer globalen Bewegung sowie die kollektive Intelligenz, die entsteht, wenn lokal wieder zusammengefügt wird, was durch die Kräfte der Globalisierung auseinandergerissen wurde: Wissenschaft und Intuition, Arbeit und Leben, Produktion und Verbrauch, Alt und Jung.

Niemand hat es koordiniert, niemand am Reißbrett geplant: Das Forschungsexperiment der Ökodörfer entstand aus eigenem Antrieb, dezentral, auf Graswurzelebene, gesteuert von der Entschlossenheit vieler Bürger und Bürgerinnen, die Zukunft nicht mehr den Politikern zu überlassen, sondern selbst in die Hand zu nehmen. Sie vernetzen sich zu einer globalen Bewegung, tauschen sich aus, kooperieren mit Wissenschaft und Politik, mit Wirtschaft und Medien. So wandeln sich Protestbewegungen in die Kraft für eine globale Alternative.

Ökodörfer sind in ihren Regionen Leuchttürme für ökologische Erneuerung, soziale Nachhaltigkeit und ökonomische Wiederbelebung. Ökodörfer können bewusst gestaltete Lebensgemeinschaften sein, aber auch gewachsene Dörfer oder Initiativen in Stadtteilen und Slums. Ökodörfer aus dem globalen Süden und dem Norden gehen Allianzen ein, leisten sich gegenseitig Hilfe, bieten einander Wissenstransfer und machen so ein alternatives nachhaltiges Entwicklungsmodell sichtbar, einen Ausweg aus der Armutsfalle und der Abhängigkeit von fossiler Energie und industrieller Lebensmittelproduktion.

In diesem Buch stellen wir eine Auswahl von Ökodörfern aller Kontinente in ihren eigenen Geschichten vor. Wir haben uns bemüht, Ihnen einen Geschmack vom Reichtum und der Vielfalt der Bewegung zu geben. Das Buch beruht auf Texten von und Interviews mit GründerInnen und langjährigen Gemeinschaftsmitgliedern. Anlässlich des 20. Jubiläums des Global Ecovillage Networks (GEN) wollten wir einen Blick auf Erreichtes werfen, baten die Beteiligten aber auch, ihre Schwierigkeiten und Konflikte nicht zu verschweigen. Auf diese Weise entstand ein Lesebuch, das sehr persönlich Zeugnis ablegt von einem der größten Abenteuer unserer Zeit: unser Leben angesichts globaler Mächte wieder in die eigene Hand zu nehmen.

Am Ende jedes Artikels finden Sie einige Stichwörter für die »Solution Library«, die Bibliothek der Lösungen. Jedes Ökodorf hat lokale Lösungen für globale Probleme anzubieten. Die »Solution Library« im Internet macht diese Lösungen sichtbar und nutzbar für viele andere. Unter den genannten Stichworten können Sie im Netz mehr darüber lesen.

Dieses Buch erscheint zeitgleich im englischen Verlag Triarchy Press. Die englische Ausgabe präsentiert mehr internationale Projekte, in der deutschen haben wir dafür einige Projekte aus dem deutschsprachigen Raum hinzugenommen. Für besonders interessierte Menschen lohnt es sich deshalb möglicherweise, beide Bücher zu lesen.

Wir hoffen vor allem, dass es für die junge Generation, die jetzt in den Ökodörfern so zahlreich und kreativ Verantwortung übernimmt, eine Wissensbasis und Inspiration sein wird und dass es den Glauben an unsere Möglichkeiten, diesen schönen Planeten und einander zu heilen, stärkt.

Viel Freude beim Lesen
Kosha Joubert
Leila Dregger

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Die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit

Das Ecovillage-Design-Mandala beschreibt eine ganzheitliche Karte für nachhaltige Gestaltung und Entwicklung, die die soziale, kulturelle, ökologische und ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit umfasst. Die Solution Library wurde entsprechend der Dimensionen organisiert.

 

Die kulturelle Dimension:
Weltsicht, Werte, Verantwortung

Bei aller Vielfalt der Ökodörfer gibt es in ihrer Kultur und Weltanschauung einen gemeinsamen Wert: Respekt vor dem Leben. Verantwortung und aktiver Einsatz für die Erde und all ihre Bewohner sind die Basis einer Kultur der Nachhaltigkeit. Diese Ethik ist kultur- und religionsübergreifend.

Gelebte Gemeinschaftserfahrung ist eine ständige Schule der Anteilnahme an allem, was lebt. So entstehen Verantwortung, Freundschaft mit allen Wesen und Toleranz, auch gegenüber jenen, die anders aussehen, fühlen, denken oder glauben. Um die Verbundenheit mit der Erde und ihren Geschöpfen auszudrücken und sie mit Leben zu füllen, werden in Ökodörfern vielfältige Wege gegangen, Rituale ersonnen oder Bräuche reaktiviert. Auch das Gemeinschaftsleben selbst mit seinen täglichen Aufgaben, der gegenseitigen Hilfe und Diensten im Einklang mit der Schöpfung kann zu einem Weg der Bewusstwerdung werden.

Die ökologische Dimension

Ökodörfer zeigen: Wasser, Nahrung, Energie und Baustoffe können ausreichend in gesunden, regionalen Kreisläufen gewonnen werden – ohne Verzicht auf Lebensqualität. Im globalen Süden entscheidet oft die Souveränität in der Versorgung mit diesen Lebensgrundlagen über Überleben und Selbständigkeit.

Energieautonomie: Durch ökologisches Bauen und Wärmedämmung, passive und aktive Nutzung von Solarenergie sowie den Ersatz energieintensiver Mobilität durch andere Reiseformen konnten viele Ökodörfer ihren ökologischen Fußabdruck stark reduzieren.

Wasser: Techniken der Regenwasserspeicherung, dezentrale Pflanzenkläranlagen, Trennung von Trink- und Brauchwasser sowie Komposttoiletten können Wasserverbrauch und Abwassermenge enorm reduzieren.

Lebensmittel: Viele Ökodörfer erzeugen und verarbeiten Obst, Gemüse, teilweise Getreide und tierische Produkte selbst. Die wichtigsten Anbauprinzipien dabei sind: Mischkultur und Vielfalt, keine chemischen Dünger und Pflanzenschutzmittel, eigene Saatgutvermehrung, Frische.

Bauen: Bauen mit möglichst regionalen, natürlichen Bau- und Dämmmaterialien – Lehm, Holz, Papier, Stroh und Abfällen – erhöht die Lebensqualität und schont die Umwelt.

Abfall: Nach dem Vorbild der Natur versuchen Ökodörfer, ihre Abfälle durch das Schaffen geschlossener Wertkreisläufe, Kompostierung und Wiederverwendung zu reduzieren.

Die soziale Dimension:
Gemeinschaft

Nachhaltigkeit entscheidet sich auch an der Kunst des Zusammenlebens und -arbeitens: Die besten Anbau- und Energiesysteme, biologischen Häuser, Wasser- und Recyclingsysteme nutzen wenig, wenn ihre Nutzer und Betreiber miteinander im Streit liegen.

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Ergänzung, Austausch und Miteinander, auch Reibung und Konflikt gehören zu unserer Spezies. Unsere Vorfahren meisterten Herausforderungen gemeinsam in Stämmen und Großfamilien. Moderne Gemeinschaften versuchen, die Vereinzelung unserer Konsumkultur aufzulösen und Formen von Nähe und Kooperation herzustellen, die Individualität und Vielfalt zulassen und fördern.

Einige Gemeinschaften haben wertvolle Erfahrungen gesammelt und stellen ihr Wissen neuen Initiativen zur Verfügung: Dazu gehören Methoden der Kommunikation in großen Gruppen, der Konfliktlösung und partizipativer Entscheidungsfindung – und vieles mehr.

Die ökonomische Dimension

Fair, gerecht, solidarisch, durchschaubar und zinsfrei – das sind die Merkmale einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe brauchen ein entsprechendes Finanzsystem, das den Wert in der Region belässt.

BewohnerInnen von Ökodörfern sind bewusste KonsumentInnen, ProduzentInnen und HändlerInnen hauptsächlich lokaler Waren. Sie bauen innerhalb ihrer Gemeinschaft und mit der Region Modelle für eine neue Ökonomie auf. Hier finden in kleinem Maßstab, auf der Grundlage von Vertrauen und Pioniergeist, ökonomische Experimente statt: von Gemeinschaftskasse über regionale Währungen, von Tauschringen bis Gemeindebanken und Schenkökonomie.

Es gibt viele Fragen im Bereich der Ökonomie – und unterschiedliche Antworten, die die verschiedenen Ökodörfer darauf geben: Auf welche Weise teilt man den Gesamtbesitz – und wie ist das juristisch abzubilden? Hat man individuelle oder gemeinschaftliche Betriebe? Wird Mitarbeit in der Gemeinschaft bezahlt? Gibt es individuelles Einkommen oder geht alles in eine Gemeinschaftskasse? Wofür soll es gemeinsame Kassen geben? Wie sorgt die Gemeinschaft für ihre Mitglieder, wenn sie krank, alt oder schwach werden oder aussteigen wollen?

Unabhängig davon, welche ökonomische Form eine Gemeinschaft wählt: Vertrauen, Rückkopplung und Kommunikation untereinander sind die Basis, damit sie funktioniert.

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Lichtblicke einer globalen Bewegung Wussten Sie schon, …

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dass das erste Ökodorf in der Demokratischen Republik Kongo für und mit Pygmäen bei Buhama gebaut wird?

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dass im ärmsten Bundesstaat Orissa in Indien mit 23% indigener Bevölkerung sich über zweitausend Dörfer in Ökodörfer verwandelt haben?

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dass das Permakulturdorf Crystal Waters in Australien mit über 200 Bewohnern gleichzeitig ein Refugium für Wildleben ist?

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dass Senegal das erste Land ist, das Ökodörfer zu einer Regierungsstrategie gemacht hat? 14.000 traditionelle Dörfer sollen in Ökodörfer umgewandelt werden.

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dass die gASTWERKe-Gemeinschaft in Deutschland gemeinsame Ökonomie, Konsensentscheidung, bewussten Konsum und die Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen verbindet?

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dass das Ecovalley in Ungarn so viel Getreide und Gemüse produziert, dass es seine 200 Bewohner mehrfach ernähren könnte, dass es darüber hinaus energie- und wasserautark ist und landesweit effektive Sozialarbeit mit den Ärmsten der Armen leistet?

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dass sich in Kolumbien über tausend Kleinbauern, Flüchtlinge und Indianer zur neutralen Friedensgemeinde San José de Apartadó zwischen den Fronten zusammengeschlossen haben, jeglichen Waffenbesitz ablehnen und keine Gewalt dulden?

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dass die Gemeinschaft Twin Oaks in Virginia/USA bereits fast 50 Jahre existiert, zahlreiche andere Gemeinschaftsgründungen inspirierte und wirtschaftlich auf der Produktion von Tofu, Hängematten und Solarstrom basiert?

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dass in der wahrscheinlich gewaltreichsten Favela der Welt in Sao Paulo die Initiative Favela da Paz – Favela des Friedens – Straßenkinder in Musik unterrichtet, die Bewohner zu ökologischen Initiativen versammelt und Modellanlagen für urbane Permakultur, Biogaserzeugung und Solarenergie aufbaut?

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dass Ökodorf-Techniken in Bangladesch, dem am stärksten vom Klimawandel bedrohten Land der Erde, in Hunderten von Dörfern dabei helfen, lokale Vorsorge für Katastrophenschutz zu leisten?

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dass OTEPIC in Kenia, ein Selbsthilfeprojekt aus einem Slum in Kitale, ein Ökodorf-Projekt aufbaut, Wege aus der Armut zeigt - einschließlich Permakultur, Wasserretention, erneuerbare Energiequellen, Konfliktlösung und Frauen-Empowerment?

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dass die Konohana Family am Fuße des Fujiama in Japan mit rund 100 Mitgliedern neue landwirtschaftliche Methoden für gesunde Lebensmittel und Fürsorge für psychisch kranke Menschen verbindet?

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Dorfversammlung im Ökodorf Mbackombel in Senegal

Ökodörfer und die Welt, die wir gemeinsam erschaffen

von Kosha Joubert, Präsidentin von GEN International

Wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel aufhalten kann. Wir haben die Pflicht zu handeln.

BAN KI-MOON

 

Wir leben in einer schönen Welt. Sie ruft uns dazu auf, uns die Zeit zu nehmen, sie zu entdecken, einen Fluss zu besuchen, den Mond anzuschauen, das Spiel des Windes in den Blättern zu sehen, den Vögeln zuzuhören, den Ozean auf unserer Haut zu spüren – und uns für die größeren Kräfte zu öffnen, die uns umgeben. Wir müssen nur in die Augen eines Kindes blicken, um wieder an unseren inneren Wunsch erinnert zu sein: das Leben zu schützen. Wir alle tragen die natürliche Begabung zur Fürsorge in uns und fühlen uns am glücklichsten, wenn wir ihr gemäß handeln können.

Gleichzeitig leben die meisten ein Leben, das uns an elektronische Bildschirme fesselt, in Gebäuden festhält und uns mit Produkten und Systemen beschäftigt, die nicht dem Leben dienen. In einer Zeit vielfältiger Krisen – Klimawandel, Ökozid, Armut, sinnlose Gewalt, abnehmende Artenvielfalt, Umweltverschmutzung und mehr – wächst unsere Sehnsucht nach einer Lebensweise, die die Erde sanft berührt. Im Herzen sehnen wir uns danach, Leidenschaft mit Verantwortung zu verbinden sowie unsere Liebe zum Planeten mit der Notwendigkeit, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sehnen uns nach dem Tag, an dem wir zurückschauen und stolz sind auf das Erbe, das wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen. Die Ökodorf-Netzwerke der Erde sind ein greifbarer Ausdruck dieser Sehnsucht.

Ich wurde 1968 in Südafrika geboren, einem Land, dessen Völker verschiedener Hautfarben durch Rassismus und Gewalt getrennt waren. Das Apartheid-System brachte ständige Demütigung, wirtschaftliche Ausbeutung und Landraub. Die Konsequenzen sind heute noch in der südafrikanischen Gesellschaft spürbar. Schätzungsweise alle 36 Sekunden wird eine Frau vergewaltigt. Die individuellen und kollektiven Traumata und die geschichtlichen Greuel heilen nicht leicht. Vergebung und Versöhnung können nicht organisiert, sondern müssen Schritt um Schritt gelebt werden, damit ein Weg der Heilung entsteht.

Vor diesem Hintergrund richtete ich meinen Fokus auf Möglichkeiten der Wandlung, vor allem in den Grenzbereichen der interkulturellen Kommunikation. Ich gewann ein – vielleicht – gesundes Misstrauen gegenüber politischen Institutionen, geschlossenen Systemen und gesellschaftlichen Normen. Vertrauenswürdiger erschien es mir, Menschen zu treffen, reale Erfahrungen zu machen sowie das Chaos des Lebens willkommen zu heißen. Mein Engagement für Ökodörfer und die Gemeinschaftsbewegung wurde davon inspiriert.

Pilgerschaft durch mein eigenes Land

Mit 23 ging ich auf eine Pilgerschaft durch mein eigenes Land. Die Gewalt war auf einem Höhepunkt. Nelson Mandela war gerade freigelassen worden, und das ganze Land bebte von unterdrückter Wut und enttäuschter Hoffnung. Eine Weile arbeitete ich in Anti-Apartheid-Organisationen. Schließlich ging ich los, um mein Land kennenzulernen, all die Orte zu besuchen, die tabu waren für ein junges »Afrikanermeisie«: die schwarzen Taxis, die Townships, Alleinsein in der Wildnis unter weitem Nachthimmel. Ich marschierte Wochen und Monate lang die Küste entlang und landete in der Transkei, einem der damaligen Homelands.

Nachdem ich einmal den Fluss bei Port St. Johns mit dem Boot überquert hatte, gab es nur noch Fußwege, die sich um Hügel und Bäche schlängelten, zu Hütten und Feldern, die perfekt in die Landschaft eingepasst waren. Die Hörner der afrikanischen Rinder stiegen empor wie Halbmondsicheln, und ihr Stolz und ihre Neugier sprachen eher von Partnerschaft als von Unterwerfung durch ihre Eigentümer. In diesem Ort der Schönheit fand ich eine Gemeinschaft aus jungen Schwarzen und Weißen, die zusammenlebten und dem System der Apartheid entflohen waren. Sie bearbeiteten die Erde, pflegten das Land, bauten Hütten und zogen ihre Kinder gemeinsam auf.

Das war meine erste Erfahrung mit einem »Ökodorf«, obwohl niemand von uns damals dieses Wort kannte. Die Erfahrung veränderte mein Leben. Ich stellte fest, dass wir das Neue innerhalb des Alten erbauen können, ohne zu kämpfen. Ich verstand, dass eine solche »Zelle« oder Nische der Innovation zum Auslöser für eine Bewegung hin zu einem Systemwechsel werden könnte. Ich stellte auch fest, dass die luxuriöse Einfachheit in Einklang mit den eigenen Werten einen Prozess inneren Wachstums und Reife erfordert, die Naivität und Vorwände ziemlich gnadenlos wegmeißelt.

Ich hatte den Eingang zu einer anderen Welt entdeckt, versteckt unter der äußeren Schale, die meine bürgerliche Erziehung um mich aufgebaut hatte: Es war die Welt der Gemeinschaften und Ökodörfer. Später, als ich nach Europa zog und Asien bereiste, folgte ich den mündlichen Empfehlungen wie einem roten Faden und wurde auf meiner Reise von einem magischen Ort zum nächsten geführt. Jeder von ihnen war anders, geboren aus einer spezifischen Absicht innerhalb eines spezifischen kulturellen Zusammenhangs, und doch ähnelten sie sich in ihrer Suche nach einem Leben, das ein Ausdruck für die Liebe ist.

Das Global Ecovillage Network

Das Global Ecovillage Network (GEN) wurde 1995 gegründet, um ein Phänomen sichtbar zu machen, das sich auf dem ganzen Planeten schon ereignete. GEN dient als Allianz zwischen den ländlichen und städtischen, traditionell gewachsenen und bewusst gegründeten Gemeinschaften mit dem Ziel, ein Leben mit hoher Qualität bei geringem Ressourcenverbrauch zu führen. Einige Siedlungen, die zum Netzwerk gehören, besitzen mit die niedrigsten ökologischen Fußabdrücke pro Kopf, die in der industriellen Welt gemessen wurden. GEN arbeitet durch inzwischen fünf regionale Ökodorf-Netzwerke: Nordamerika (ENA), Lateinamerika (El Consejo de Asentamientos Sustentables de las Américas / CASA), Ozeanien und Asien (GENOA), Europa und Naher Osten (GEN Europe) sowie Afrika (GEN Africa). NextGEN beheimatet die Jugendbewegung. Zusammen verbinden diese Netzwerke schätzungsweise 10.000 Gemeinden in mehr als 100 Ländern. Indem GEN die innovativsten Lösungen mit tief verwurzeltem, traditionellem Wissen verwebt, bildet es einen Pool an Weisheit für nachhaltiges Leben auf dem Planeten.

Von Permakultur-Projekten in Afrika zu buddhistischen Ashrams in Asien, von Hippie-Kommunen in den USA zu Öko-Karawanen in Lateinamerika: In ihrer immensen Vielfalt sind »Ökodorf-Projekte« nicht leicht zu definieren. Ganz im Gegenteil. Gerade die Komplexität und große Bandbreite scheint den Kern der Ökodorf-Bewegung auszumachen. Kulturelle, individuelle und biologische Vielfalt bilden den Kern unserer Hoffnung auf Nachhaltigkeit. Ob die Vielfalt sich in künstlerischem Ausdruck zeigt, in den vielen spirituellen Wegen und deren Offenheit oder in der Authentizität lokal angepasster Technologien: Der Reichtum an Verschiedenheit ist einer unserer größten Schätze.

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Kosha setzte sich für die Gründung von GEN Afrika ein, hier mit den Präsidenten von GEN Afrika, Ousmane Pame und Lua Beshala.

Was ist ein Ökodorf?

GEN definiert Ökodörfer als »gewachsene Dorf-, Stadtteil- oder Lebensgemeinschaften, die durch bewusste Beteiligung all ihrer BewohnerInnen gestaltet werden. Ein Ökodorf verbessert die Lebensqualität der Menschen und trägt gleichzeitig dazu bei, die umliegende Natur nicht nur zu schützen, sondern sogar zu regenerieren. Die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Wirtschaft, Soziales und Kultur – sind zu einem ganzheitlichen Ansatz integriert.«

Ökodörfer kombinieren ein sozial und kulturell hochqualitatives Leben in gegenseitiger Unterstützung mit einem umweltverträglichen Lebensstil. Sie sind Laboratorien der Zukunft, in denen sich zivilgesellschaftliches Engagement zeigt. Sie gewinnen schnell an Anerkennung als Demonstrationsplätze für gelebte Nachhaltigkeit und inspirieren ihre umgebenden Regionen und Gesellschaften. In Ökodörfern können wirkliche Lösungen für den Planeten gesehen und angefasst werden.

Idealerweise würde aus jedem Dorf und jeder Stadt auf diesem Planeten ein Ökodorf oder eine grüne Stadt mit ökologischen Stadtteilen. Wir scheinen zur Zeit als Menschheit zu glauben, dass wir nicht auf der Erde leben können, ohne die Grundlagen unseres Lebens zu zerstören. Aber Ökodörfer zeigen, was alte Weisheiten lehren: Es liegt in unserer menschheitlichen Kraft, Gemeinschaften aufzubauen, die sich nicht nur selbst erhalten, sondern sogar die Natur regenerieren – durch unseren intelligenten und liebenden Einsatz. In Gemeinschaft können sich Seelen wieder aufrichten, die Vielfalt der Ökosysteme sich vergrößern, können wir Wälder neu pflanzen und Wasser reinigen; wir können die Wunden der Vergangenheit heilen und Lösungen finden; wir können in einem Gewebe erfüllender menschlicher Beziehungen leben. Alle nötigen Zutaten sind vorhanden, wenn wir nur unsere Herzen und unseren Verstand auf diese zentrale Entdeckungsreise der Menschheit richten: den Übergang zu einer lebenswerten und lebensunterstützenden Zukunft.

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Gründungszeremonie GEN Afrika in Thika, Kenia

Wissensverbreitung

Wir wissen alle, dass ein paar mehr Ökodörfer auf der Welt nicht das Schicksal des Planeten verändern werden. Eine unserer Hauptfragen ist es, wie der Ansatz der Ökodörfer sich in einer größeren Dimension verwirklichen kann, ohne an Tiefe zu verlieren. Eine Antwort darauf gibt das Thema Bildung: An GENs zehntem Geburtstag im Jahre 2005 wurde Gaia Education gegründet als ein Ausbildungszweig, um die Erfahrungen von Ökodörfern einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Ich fühlte mich geehrt, als eine von 24 Ausbildern aus aller Welt zu einem Treffen eingeladen zu werden, welches 2004 in Findhorn stattfand. Gemeinsam wollten wir das Beste, das bisher in Gemeinschaftsausbildungen entstanden war, zu einem Curriculum zusammentragen. Die Ecovillage Design Education (EDE) war geboren und wurde ein offizieller Beitrag für die UN-Dekade für Ausbildung zur nachhaltigen Entwicklung (2004 bis 2014). Der EDE-Kurs ist ein vierwöchiges Training von globaler Tragweite, aber lokaler Anwendung, ausgerichtet auf kulturelle Vielfalt und gegenseitigen Respekt. Durch den EDE-Kurs können Gemeinschaften ihren eigenen Weg in die Zukunft gestalten. Aufbauend auf ihre größten Stärken in jeder der vier Dimensionen, werden Projekte identifiziert, in denen minimaler Einsatz zu maximalem Erfolg führen kann, um einen nachhaltigen Wandel herbeizuführen. Bis heute wurde der EDE-Kurs bereits in 34 Ländern in aller Welt abgehalten und wird derzeit zu Bachelor- und Master-Kursen für Universitäten weiterentwickelt.

Eine andere Antwort entsteht durch die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Sektoren. Während der ersten Jahre von GEN haben Ökodörfer sich des öfteren als Inseln einer neuen Kultur verstanden, und es gab eine Tendenz, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Heute öffnen sie sich und sehen sich als integralen Bestandteil einer größeren Bewegung für Veränderung. GEN bildet Allianzen, nicht nur mit verwandten Organisationen wie Transition Town und Permakultur-Netzwerken, sondern auch mit Regierungen, Unternehmen und der Wissenschaft.

Kooperation mit Regierungen

Wir können von den Beispielen in Senegal und Thailand lernen. Dort unterstützen Allianzen zwischen der Zivilgesellschaft, politischen Entscheidungsträgern und der Wirtschaft Gemeinden darin, auf regionaler und landesweiter Ebene Antworten auf den Klimawandel zu finden. GEN-Senegal wurde 2002 gegründet und demonstrierte Techniken wie Solarkocher, Tröpfchenbewässerung, Permakultur-Design, Aufforstung und vieles mehr in einem Netzwerk von 45 Ökodörfern. Die senegalesische Regierung ließ sich durch diese Beispiele inspirieren und gründete später eine Nationalagentur für Ökodörfer – ANEV – als Teil des Ministeriums für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung. Heute ist Senegal das erste Land der Welt, das ein nationales Ökodorf-Programm betreibt – mit dem Ziel, 14.000 traditionelle Dörfer in Ökodörfer umzuwandeln.

Im Dezember 2014 fand ein globaler Gipfel der Ökodörfer in Dakar statt, organisiert von GEN in Kooperation mit der senegalesischen Regierung. Ministerpräsident Mohamed Dionne brachte gegenüber den Delegierten aus 40 Ländern sein persönliches Engagement und das des Präsidenten zum Ausdruck: Sie wollen sich dafür einsetzen, das Ökodorf-Konzept auf dem ganzen afrikanischen Kontinent bekanntzumachen.

Top-Down und Bottom-Up integrieren

Die Erfahrung, die GEN und EDE darin gesammelt haben, von reinen Visionen und Worten zur realen Unterstützung von Gemeinden zu kommen, ist unschätzbar. Traditionelle Gemeinschaften werden inspiriert, ihren eigenen Weg in die Zukunft zu finden; sie können mit ihrer Erfahrung sogar Entscheidungsträger beeinflussen und an Strategien mitwirken. Dafür haben wir eine Reihe von Handlungsvorschlägen erarbeitet, die Bottom-Up- mit Top-Down-Aktivitäten kombinieren; wir nennen sie »Zyklus der partizipativen Gestaltung nachhaltiger Entwicklung« (Adaptive Governance Cycle). Es sind Schritte, die uns näher zu einer wahren Demokratie bringen und der innewohnenden Weisheit der Zivilgesellschaft vertrauen.

Zu den stark unterbenutzten Ressourcen auf dem Planeten gehören die guten Absichten der Bürger und unsere Bereitschaft für Veränderung. GEN hilft, dieses Potential freizusetzen, und gibt einen Ausblick auf die schöne Welt, die aus all den Tausenden Lösungen entstehen könnte, verwoben in den farbigen Teppich gemeinschaftlicher Vielfalt.

Dies ist die Zeit, die Wunden der Apartheid zu heilen, nicht nur in einem Land, sondern in der Menschheit als Ganzes. Wenn sich innerhalb der GEN-Netzwerke Mon aus Thailand, Lua aus der Volksrepublik Kongo, Margarita aus Kolumbien, Vera aus Portugal und Aida aus Palästina versammeln und sich darüber austauschen, was in ihren Gemeinschaften geschieht, und in Solidarität miteinander handeln, dann bewegen wir uns jenseits aller Konzepte direkt in das Herz der Menschheit hinein. Wir wissen, dass wir eins sind, wir feiern unsere Erfolge und betrauern unsere Verluste zusammen. Wir sind alle auf einem gemeinsamen Weg – geleitet von unserer Fürsorge für das Leben und alle diejenigen, die in unsere Fußspuren treten werden.

Ist es zu viel verlangt, in einer Welt leben zu wollen, wo unsere menschheitlichen Gaben allen nutzen? Wo unsere alltäglichen Aktivitäten dabei helfen, die Biosphäre zu heilen, und dem Wohlergehen anderer Menschen dienen?
Charles Eisenstein

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Der »Stamm« ist die ursprüngliche Heimat des Menschen.

Gemeinschaft Dauer geben

Erfahrungen aus der Kernkompetenz der Ökodörfer

Von Leila Dregger

 

In den Widerstandscamps der letzten Jahre, ob Wall Street, Madrid oder Kairo, kam es wiederholt zu einem Phänomen: Junge Menschen unserer Zeit – durch Leistungsdruck auf Konkurrenz getrimmt, durch Perspektivlosigkeit ernüchtert – erlebten das Wunder der Gemeinschaft. Sie erkannten, dass ihre Probleme nicht privat waren, schlossen sich zusammen, fanden gemeinsam Lösungen out of the box. Sie erfanden Kommunikationsformen und demokratische Spielregeln, teilten ihr Essen und ihre Gedanken, entwarfen Aktionen, erwarben Wissen, spürten Liebe, fühlten sich verstanden. Alles schien möglich! Kaum jemand wollte mehr nach Hause. Das war das eigentliche Leben, und sie wollten es nie wieder verlassen.

Sie hatten Gold entdeckt – aber schon nach wenigen Tagen rann es ihnen durch die Finger wie Sand. Wenn endlose Diskussionen um Banalitäten kreisten und das Wesentliche nicht mehr angesprochen wurde; wenn eine schweigende Mehrheit entstand und andere endlos argumentierten – dann war das ganze ermüdende Zahnrad der Konkurrenzgesellschaft wieder eingerastet. Es fehlten Erfahrung und Wissen, die Gruppe wieder zu einigen. Der Traum zerbrach – und zwar meistens bevor die Polizei oder die Armee die Camps räumten.

Dies ist kein Wunder. Das gesellschaftlich vorherrschende Feld heißt immer noch: »Tu es besser allein.« Konkurrenz, Abgrenzung und Gegeneinander bestimmen Politik, Wirtschaft und Alltag bis in unsere seelische Innenwelt hinein. So wurden die meisten von uns konditioniert, so werden wir gesellschaftlich bestätigt – und so bringen wir die Erde in den Ruin, wenn wir uns nicht ändern. Denn ohne das authentische Empfinden von Ganzheit und Gemeinsamkeit, ohne zu spüren, was uns verbindet, ohne diese »unsichtbare Substanz der Zugehörigkeit« (Albert Bates) werden wir nicht in der Lage sein, gemeinsam, rasch und effektiv auf eine sich immer schneller verändernde Welt zu reagieren.

Die meisten innovativen Projekte und Initiativen gehen bei genauerer Analyse nicht an äußeren Bedrohungen zugrunde, sondern an inneren Zerwürfnissen – an Machtkämpfen, Heimlichtuerei oder Eifersucht. Auch Klimaverhandlungen sähen anders aus, wenn Politiker und Lobbyisten sich von ihrem Eigeninteresse lösen und entschlossen für das Gemeininteresse eintreten würden. Sich darüber zu empören, hilft wenig. Damit die »andere Welt«, von der wir träumen, wirklich entsteht, brauchen wir ein neues gesellschaftliches Feld: Gemeinschaften des Vertrauens als Selbstverständlichkeit.

Genau dies ist die Kernkompetenz der Ökodörfer. Bei all ihrer Vielfalt ist ihnen eines gemeinsam: Sie haben entschieden, ihre Themen und Herausforderungen als Gemeinschaft anzugehen – und dabei zu bleiben, trotz aufkommender Konflikte, Schwierigkeiten und Ermüdungserscheinungen. Diejenigen, die ihre Auf- und Untergänge, ihre Versuche und Irrtümer überstanden haben, die sich immer wieder neu gebären und weiterbestehen, oft in der zweiten oder dritten Generation, haben wertvolle Erfahrungen gesammelt und sind bereit, sie weiterzugeben.

Was ist Gemeinschaft?