Bachmann, Ingeborg Ich weiß keine bessere Welt

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Der Abdruck der Gedichte »Poliklinik Prag«, »Jüdischer Friedhof«, »Wenzelsplatz«, »Im Feindesland« und »Schallmauer«, aus Ingeborg Bachmann: Letzte, unveröffentlichte Gedichte. Edition und Kommentar von Hans Höller, erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags © Suhrkamp Verlag, Berlin 1998

ISBN 978-3-492-97460-8

Juni 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2000

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Dr. Heinz Bachmann

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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VORWORT

Bei Durchsicht des Nachlasses, auf der Suche nach ein paar bestimmten Blättern, fielen uns die unveröffentlichten, gesperrten Gedichte unserer Schwester in die Hand. Das Wiederlesen nach fast drei Jahrzehnten war für uns faszinierend, berührend und so beeindruckend, daß der Gedanke aufkam, diese Texte nicht länger unter Verschluß zu halten, sondern auch den Leserinnen und Lesern von Ingeborg Bachmann zugänglich zu machen.

Die Gedichte und Entwürfe waren von unserer Schwester nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, aber sie hat sie aufbewahrt und nicht wie andere Texte und Briefe vernichtet. Auch dieser Umstand hat uns bestärkt, dieses Buch zu publizieren. Wir hatten 1978 alle Briefe, biographische Aufzeichnungen und von den Herausgebern der Werkausgabe zur Sperrung vorgeschlagenen Texte der Österreichischen Nationalbibliothek übergeben. Da die nun vorliegenden Texte zum Umfeld der Todesarten-Texte gehören, ebenso wie Malina, Das Buch Franza, Fanny Goldmann und andere publizierte Fragmente (Hrsg. Robert Pichl, Monika ­Albrecht u. Dirk Göttsche), scheint uns die Zeit zur Veröffentlichung gekommen. Da sich in diesem Themenkreis späte, von Hans Höller kommentierte Gedichte (Letzte unveröffentlichte Gedichte, Suhrkamp, 1998) einfügen, haben wir aus diesem Band die dem offenen Nachlaß entstammenden Gedichte Schallmauer, In Feindeshand, Jüdischer Friedhof, Wenzelsplatz und Poliklinik Prag mit aufgenommen. Die Texte wurden lesbar gemacht, ohne einer textkritischen Edition vorgreifen zu wollen.

Geschrieben wurden diese Gedichte in Zürich, Berlin und Rom, den Lebensstationen Ingeborgs der letzten Jahre, in der Zeit zwischen 1962 und 1964, einige auch später. Hinweise auf reale Orte sind vielfältig, und vielfältig ist die Verbindung mit dem Prosawerk. Eine genaue chronologische Zuordnung der Texte ist nicht rekonstruierbar, denn Datierungen sind nicht vorhanden.

Ähnlich dem Prosawerk kehren Motive und Zitate in neuen Ansätzen immer wieder, daher haben wir fast alle Textvarianten aufgenommen und nur bei solchen Blättern, die inhaltlich keine wesentlichen Veränderungen aufweisen, die vollständigste Variante gewählt. Die Anmerkungen zur Textgrundlage wurden von Frau Gisela Fichtl erstellt.

Die Faksimiles der handschriftlichen Texte illustrieren die Arbeitsweise Ingeborgs und machen sichtbar, daß man es vielfach mit Fragmenten und Versuchen, aber nicht mit Endfassungen von Gedichten zu tun hat.

Die schönen Worte haben in diesen Versen dem Entsetzen Platz gemacht, dem Schmerz, der Todesnähe. Sie drücken die Trauer um die verlorengegangene ­Poesie und die Leiden der Kreatur aus und sind gleichzeitig eine unerbittliche Kritik an der Gesellschaft. Keine schönen Metaphern werden bemüht, um die Verstörung und Auslöschung sichtbar zu machen.

Der Mensch ist verletzt, verkauft und verraten in einer Welt, in der die Lieblosigkeit umgeht, doch wird die Hoffnung auf die Zeit, in der die Menschen wieder begabt sein werden für die Liebe, nicht aufgegeben. »Terra nova … ultima speranza«.

Isolde Moser und Heinz Bachmann

Vivere ardendo e non sentire il male

Gaspara Stampa

EINTRITT IN DIE PARTEI

Ist denn ein Mensch nichts unter Brüdern wert?

Verleumdet und bespien, verhöhnt, verlästert,

wer weiß es nicht, für eine Guttat, die sich nicht beweist.

Die Ehre, verkauft an jedem Stammtisch.

In aller Mund als eine dreckige Anekdote.

Das Unmaß eines Gefühls ermordet

von geschäftiger Nutznießerei.

Mit der Aufstellung der Einnahmen

beschäftigt die Skrupellosigkeit.

Ein Leben, ein einziges, zum Experiment

gemacht. So ists gelungen. Vollbracht.

Auch das Kaninchen, im Labor, aufgedunsen,

das sein Fell läßt nach dem Versuch,

auch die Ratte, abgespritzt, ohnmächtig

wird den Arm ihres Mörders nicht zerfleischen.

Auch die Fliege, gegen die eine Flitspitze

sich richtet, die Mücken, die eine Charta

der Mückenrechte noch nicht in Anspruch nehmen

sind meine Genossen.

Ich nehme in Anspruch meine Wenigkeit.

Wenn aber Gott Fleisch geworden ist

und ins Reagenzglas kommt und Farbe

bekennt, wenn er die Liebe sein sollte

und ich zweifle, daß etwas sein könnte

von dieser Art, wird mich das wenig trösten.

Ich weiß, daß man die Opfer hier zwingen muß,

zueinander, ohne Vereinbarung noch.

Fliegenart will ein paar Tage, der Paria

einen Blick in den Kastenschlitz, die Ratte,

die Ich, die gänzlich Erniedrigten, wollen

die Rache, eh sie geschändet sterben –

wollen ein Wort des Bedauerns.

Die Kommune verzichtet.

Das Kapital einer zinsentragenden Grausamkeit

steht gegen das Kapital eines abnehmenden

Schmerzes.

Diese Gesellschaft richtet sich dennoch selbst.

Sterben ist es nicht, Aufstehen

ist das Wort. Ohne Verständnis

für die Ausbeutung diese Ausbeutung

beenden. Es komme die Revolution.

Es komme, so mag es denn kommen.

Ich zweifle. Aber es komme

die Revolution. auch von meinem Herzen,

Meine Gedichte sind mir abhanden gekommen.

Ich suche sie in allen Zimmerwinkeln.

Weiß vor Schmerz nicht, wie man einen Schmerz

aufschreibt, weiß überhaupt nichts mehr.

Weiß, daß man so nicht daherreden kann,

es muß würziger sein, eine gepfefferte Metapher.

müßte einem einfallen. Aber mit dem Messer im Rücken.

Parlo e tacio, parlo, flüchte mich in ein Idiom,

in dem sogar Spanisches vorkommt, los toros y

las planetas, auf einer alten gestohlenen Platte

vielleicht noch zu hören. Mit etwas Französischem

geht es auch, tu es mon amour depuis si longtemps.

Adieu, ihr schönen Worte, mit euren Verheißungen.

Warum habt ihr mich verlassen. War euch nicht wohl?

Ich habe euch hinterlegt bei einem Herzen, aus Stein.

Tut dort für mich, Haltet dort aus, tut dort für mich ein Werk

Ich habe die Gedichte verloren

sie allein nicht, aber zuerst

Die Gedichte sind verloren gegangen

nicht sie allein, aber zuerst das Gedicht

dann der Schlaf, dann die

Alles verloren, die Gedichte zuerst

dann den Schlaf, dann den Tag dazu

dann das alles dazu, was am Tag war

und was in der Nacht, dann als nichts

mehr, noch verloren, weiterverloren

bis weniger als nichts und ich nicht mehr

und schon gar nichts war,

Rückzug muß ein inneres Hinterland

mit allen verbriefte Jahre und gesehene Orte

noch vor den Augen, da die Erde

nicht mehr und keine Schmach, dann

hinten noch immer ein Raum

krallenumflogene Weiten für Taube, Stumme

Helle ruflange Weiten für er

die Ankunft, Erstummter

Für den Erstummten die Wüstenei

mit dem verständlichen Gespinnst

das sanft seinen Wahnsinn einpuppt

bis er das gläserne Hotel malt,

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TOTENINSEL

Ich muß glauben, daß

dieser Irrsinn, dieses Gefängnis

für die Ewigkeit währt

die vielen Stunden, als ich

meinen Papst mir wählte

und dunkler Rauch

aufstieg,

(die eine Kerze nicht,

mit dem weißen)

als alle meine Träume

im Konklave waren

und alles stimmte gegen

meinen wütendsten gescheiterten

Traum,

der hätte ja selber sich

nicht geglaubt, und gewußt,

daß über all das zu herrschen

über Schmutz, Gold,

Samen, Toteninseln

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KARDINALFEHLER

Sich messen an Päpsten

und Gläubigen, selber

zum Papst und zum Gläubigen

nicht bestellt, ein ungläubig

erhobener zu sein, dem auch Lumpen

scharlachrot werden, dem Mützen

wegfliehen und kein Hut steht

satanische Existenz

KEIN ZEUGNIS ABLEGEN

Kein Zeugnis ablegen, schweigen, leben,

das vorgeschriebene Leben, leben,

die Sonne, die nichts an den Tag bringt,

die Sonne auch nicht bemühen, niemand

bemühen.

Es ist eine Mühe, zu hoffen nicht, zu fürchten nichts.

DIE NACHT DER VERLORENEN
DAS ENDE DER LIEBE

Ein Mond, ein Himmel

und das dunkle Meer.

Nur, dunkel alles.

Nur weil es Nacht ist

und nichts Menschliches

dies feingewirkte auch durchwebt.

Was wirfst du mir noch vor

und solche Bitterkeit,

Tu's nicht.

Ich hab nichts Besseres gewußt

als dich zu lieben, ich hab

nicht gedacht,

daß durch den Schweiß der Haut

die [– –] Welt

und daß der Groschen fiel

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Ich weiß keine bessere Welt.

Die schwachsinnige Moral der Opfer läßt wenig hoffen.

Eine verruchte Frage, auf Ehre, allein,

kommt dem Gefolterten, dies Überlebens

sich wert zu zeigen, im Angriff, abzulegen

die schwachsinnige Moral der Opfer

sich zu erheben, dieses Geröchel

nicht mehr zu werben um eine Stunde.

an die Gefolterten, ob dies Geröchel noch

Werbung ist, für die schwachsinnige Moral

der Opfer.

Die verruchten Fragen gehn jetzt allein

an die Gefolterten

Auf die verruchten Fragen kommt sie

eines Tages, die lautlose, tätige Antwort.

Auf verruchte Fragen, nicht die seligen,

gibt es nicht auf die seligen,

der die da leiden

auf die verruchtesten

finden sich eine Antwort.

der die da leiden, lassen sich stellen.

Die schöne Seele

ICH WEISS KEINE BESSERE WELT

Wer weiß eine bessere Welt, der trete vor.

Allein, nicht mehr in Tapferkeit, und diesen Speichel nicht abgewischt

diesen Speichel, im Gesicht ihn tragen,

als ging es zur Krönung, und dies vergolten, es geht zur Kommunion,

und unter Brüdern. Das schwache Kaninchen,

die Ratte, und die da fallen, sie alle,

allein nicht, mehr, ein Schrecken schon,

Traum von der Wiederkehr

im Traum von der Bewaffnung, im Traum

von Wiederkehr.

Bis zur Wiederkehr. Aber man sagt,

du kommst nie mehr. Es kommt

nur mehr eine andere Nacht.

Noch immer nicht verziehen,

wie wahr, mit den wilden

Anschuldigungen im Kopf,

immer noch nicht begriffen,

daß die Kreatur nicht geachtet werden muß,

immer noch nicht eingesehen,

was zu kämpfen ist gegen einen

Verweigrer des Kampfes.

Ich weigere mich, berufe

mich auf Dein Herz, daß

wenn du keins hast, dir eingepflanzt

worden ist von mir,

Eingepflanzt habe ich dir ein Herz,

einen Kult getrieben mit der Begeisterung

über seine sanften Schläge, zuweilen.

Eingepflanzt habe ich meine Freundlichkeit,

mein Lachen und eine Zukunftsmusik.

in die Dürre einer abgeernteten Brust.

Ich habe geliebt wie die Wilden,

begeistert von der Liebe und jedem Tag.

Angebetet, Wurzeln verbrannt, jedem Klimbim

zu einem Fest verholfen, nachgeplappert jedes

Wort und meine Angehörigkeit vergessen.

Ich war das längst nicht mehr.

Aber wer bin ich jetzt, selber mit

Feuerschlucken, nicht mehr vertraut

Das Herz schlägt nicht mehr.

Wie wird das enden? Ich bin langweilig

geworden und so langsam, und so kalt,

daß ich ohne meinen Schmerz nicht mehr am Leben wäre.

Müd und untauglich

in jeder Gesellschaft

am Ende,

am Ende ist

der Anfang von

Tagtraum und Erinnerung,

am Ende ist also

sodann das was nicht