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Erste Auflage Berlin 2016

Copyright © der deutschen Ausgabe 2016

MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH

Göhrener Str. 7, 10437 Berlin

info@matthes-seitz-berlin.de

Copyright © der französischen Originalausgabe 2015

Des lions comme des danseuses (Éditions) La Contre Allée

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Pauline Altmann, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Ji-Elle unter Creative Common Lizenz CC-BY-SA-3.0: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bamileke-Figuration_de_crâne-Musée_du_quai_Branly.jpg

ISBN 978-3-95757-370-4

www.matthes-seitz-berlin.de

cover

Arno Bertina

Mona Lisa in Bangoulap

Die Fabel vom Weltmuseum

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort
von Bénédicte Savoy

Für Mathilde

Bénédicte Savoy
Das Erbe der Anderen
Zu Arno Bertinas Mona Lisa in Bangoulap. Die Fabel vom Weltmuseum

Museumsforschung ist Komplexitätsforschung. Sie verwehrt sich der Vereinfachung und fürchtet sich vor Reduktionen. Wer um die Mühsal einer historisch fundierten, ethisch vertretbaren und politisch praktikablen Denk- und Ausstellungstätigkeit von Weltmuseen heute und in Zukunft weiß, wird Arno Bertinas klug subversive Fabel als Befreiungsschlag empfinden. Die Fragen, zu deren Beantwortung seine Mona Lisa beiträgt, gehören zu den dringlichen und wohl auch unbequemsten unserer Zeit. Nicht, dass sie neu wären. Die größte Restitutionsdebatte aller Zeiten fand vor zweihundert Jahren statt, als die gekrönten Häupter Europas nach Napoleons Sturz erwogen, Frankreich all die Schätze zu überlassen, das es während und nach der Revolution in den von ihm besetzten Ländern konfisziert und nach Paris abtransportiert hatte. In den damaligen öffentlichen Diskussionen verliefen die Fronten weniger zwischen den Nationen (alle gegen Frankreich) als zwischen den Generationen: Jüngere Intellektuelle, etwa Vertreter der Romantikergeneration wie Jacob Grimm, setzten sich vehement für die Rücknahme ein, ältere, noch im kosmopolitischen Geist der Aufklärung aufgewachsene Protagonisten wie Alexander von Humboldt, um nur ein Beispiel zu nennen, argumentierten gegen Restitutionen. Schließlich kam es 1815 zur spektakulärsten Restitution aller Zeiten – Tausende von antiken Statuen und Gemälden aller europäischen Schulen gingen von Paris an ihre legitimen Eigentümer zurück.

Damit ist das Zeitalter der Museen angebrochen: Im Konkurrenzgefüge der Nationen spielen die Ausstellungshäuser, und darin vor allem die kunsthistorischen, archäologischen, ethnologischen und paläontologischen Sammlungen, eine prominente Rolle. Macht-, Wissens- und Finanz­asymmetrien begünstigen den massiven Transfer von Funden und Artefakten in die großen Städte Europas und später der USA. Wer in seinem Museum die meisten und spektakulärsten Objekte am schönsten und wissenschaftlich korrektesten präsentiert, stilisiert sich als legitimer Eigentümer des Kulturerbes der Menschheit. Die Entwicklung der Schifffahrt, Eisenbahnen und Flugzeuge und der internationalisierte Kunsthandel erleichtern ihren Transport. Dabei begleiten Rückgabeforderungen von Museumsobjekten, die im 19. und 20. Jahrhundert den Weg vom »Süden« in den »Norden« fanden, seit vielen Jahrzehnten das Leben vieler Museen: Die Reklamation des Genter Altars durch das kleine Belgien hatte schon 1919 Erfolg, die erste Forderung nach Restitution der Nofretete-Büste datiert bereits von 1925. Meist blieben die Anfragen wie in diesem Fall ohne Folgen.

Displaced Objects

Wem gehören die displaced objects, die heute in London, Paris, Dresden, New York oder Berlin präsentiert werden? Wessen (ungemütliches) Erbe sind sie? Wie gehen wir, die wir uns weder mit den Scheußlichkeiten des Kolonialismus noch mit den Pathosformeln alter und neuer Nationalismen identifizieren, mit diesen Objekten um? Und was, wenn sich über die aufzuarbeitende Geschichte der Artefakte im Laufe ihres Daseins als Museumsobjekt eine neue historische Schicht legt – zum Beispiel der früher in Berlin lagernde und dann nach Moskau gebrachte Schatz Trojas, der zum Dokument des Sieges im Großen Vaterländischen Krieges wurde, oder expressionistische Gemälde in Chicago als Dokumente des Widerstands gegen die Nationalsozialisten und der USA als Ort der Freiheit?

Auf diese Fragen gehen Museen und Staaten nur ungern ein. Der Impuls kommt in der Regel von außen. Anfang der Neunzigerjahre führten in den USA Forderungen indigener Völker zur Verabschiedung des Native American Graves Protection and Repatriation Act. Es legt Verfahren und Rechtsstandards für die Rückführung von Objekten fest, die zum kulturellen Erbe indigener Gemeinschaften gehören. Etwa zehn Jahre später mussten Kunstmuseen vor allem in Deutschland und Österreich lernen, unter erheblichem öffentlichem und juristischem Druck Kunstwerke, die während der NS-Zeit in ihre Sammlungen gelangt waren, aufzufinden und für ihre Rückgabe zu sorgen. Spätestens seit der Zuspitzung der relocation debate der Elgin Marbles von London nach Athen um 2000 sowie der immer wieder aufflammenden Diskussion um eine mögliche Ausleihe der Nofretete-Büste von Berlin nach Kairo ist auch in Europa die Zeit eines unbekümmerten Umgangs mit archäologischen Sammlungen passé. Das haben auch die heftigen Kontroversen gezeigt, die das 2006 in Paris eröffnete Museum für außereuropäische Kunst, das Musée du quai Branly, auslöste, dem Geschichtsvergessenheit und eine lediglich auf ästhetische Effekte abzielende Szenografie vorgeworfen wird. Zwar sind archäologische, ethnologische, kunsthistorische displaced objectsMona Lisa inBangoulap