Einführung
Dass es Leid gibt, stellt heute und seit Generationen zweifelsohne die größte Herausforderung für den christlichen Glauben dar.
John Stott
Es war ein wunderschöner Sonntagmorgen. Der Gottesdienst war vorüber, und ich rollte über den Parkplatz zu meinem Van, als mich ein gutaussehender junger Mann ansprach, der sich mir als David vorstellte.
„Sind Sie Joni?“, fragte er mich.
Ich lächelte und nickte.
„Großartig!“, sagte David. „Ich bin hier zu Besuch, und ich hatte gehofft, dass ich Sie heute treffe. Ich habe für Sie gebetet.“
Ich blickte ihn groß an. „Wirklich? Wofür?“
„Ihre Heilung. Ich habe dafür gebetet, dass Sie aus Ihrem Rollstuhl rauskommen.“ In diesem Moment zögerte ich innerlich. David war ein Besucher. Er war in der Hoffnung zur Kirche gekommen, mich zu treffen, und er wollte mich geheilt sehen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Menschen ich über die Jahre getroffen habe, die genau dasselbe wollten. In Gemeinden, an Straßenecken, in Versammlungsgebäuden und in lebhaften Einkaufszentren. Einige dieser Begegnungen waren etwas überwältigend, fast furchterregend.
Aber nicht an diesem Tag, mit diesem jungen Mann.
Dennoch musste ich ein paar unangenehme Gefühle unterdrücken, die in mir hochkamen. Vor ein paar Jahren tauchten mehrmals Männer an unserer Haustür auf, die alle „durch den Heiligen Geist dorthin geführt wurden“, um mich entweder zu heilen ... oder zu heiraten! Jetzt können Sie vielleicht meine Zurückhaltung verstehen.
„Nun, ich bin einem Gebet um Heilung nie abgeneigt“, versicherte ich David.
Er verschwendete keine Zeit und kam mit etwas heraus, das wie eine vorbereitete Rede klang. „Haben Sie je darüber nachgedacht, dass vielleicht unbekannte Sünde Ihrer Heilung im Weg stehen könnte? Dass Sie irgendwie ungehorsam waren?“ Bevor ich antworten konnte, schlug David seine Bibel auf – wir standen immer noch mitten auf dem Parkplatz – und las eine Stelle aus dem Lukasevangelium vor: „Da brachten einige Männer einen Gelähmten auf einer Trage. Sie versuchten, sich durch die Menge zu drängen und den Kranken zu Jesus zu bringen. Aber sie kamen an den vielen Menschen nicht vorbei. Kurz entschlossen stiegen sie auf das Dach, deckten die Ziegel ab und ließen den Mann auf seiner Trage durch die Öffnung zu Jesus hinunter.“2
Er schlug seine Bibel zu und erinnerte mich daran, dass der gelähmte Mann in der Geschichte geheilt wurde. Und ich könne auch geheilt werden, wenn ich nur meine Sünden bekannte und auf Gott vertraute. Er fügte hinzu: „Joni, da muss irgendeine Sünde in Ihrem Leben sein, mit der Sie sich noch nicht befasst haben.“
Ich sagte ihm, dass mein Gewissen rein sei (er sah mich etwas skeptisch an), und wiederholte, dass ich Gebete um Heilung immer begrüßte. Ich dankte ihm für seine Besorgnis, erklärte jedoch, dass ich nicht denke, diese Angelegenheit hänge irgendwie mit meinem (mangelnden) Glauben zusammen.
Für David ergab das keinen Sinn. Nach allem, was er gelernt hatte, verhielt es sich nämlich so: Wenn ich Christ war und es keine Schuld in meinem Leben gab, die ich noch nicht bekannt hatte, und wenn ich fest daran glaubte, dass Gott mich heilen könnte, nun ... dann würde ich auch geheilt werden. Wollte Gott etwa nicht jeden heilen? Wollte Jesus nicht, dass jeder gesund ist? Natürlich wollte er das. Das war so offensichtlich!
„Joni, Ihr Glaube muss nicht stark genug sein. Ich meine, schauen Sie sich an. Sie sitzen immer noch im Rollstuhl!“
Ich dachte einen Moment über die biblische Geschichte nach, die er mir gerade vorgelesen hatte, und bat ihn, in seiner Bibel erneut denselben Abschnitt im Lukasevangelium, Kapitel 5 aufzuschlagen.
„Na gut“, sagte ich, „Sie haben in einem Punkt recht, David: Nachdem sie den gelähmten Mann durch das Dach auf den Boden vor Jesus gelassen hatten, war er geheilt. Aber schauen Sie sich Vers 20 an. Es heißt dort, als Jesus ,ihren festen Glauben sah‘, war er geheilt.“
„Und?“
„Verstehen Sie denn nicht? Jesus hat nichts von dem gelähmten Mann gefordert. Das, nach dem er Ausschau hielt, war der Glaube dieser Männer, die ihn durch das Dach hinabgelassen hatten. Gott braucht nicht unbedingt meinen Glauben für die Heilung. Aber er könnte Ihren wollen. Der Druck liegt nicht auf mir, David. Wenn es Teil von Gottes Plan ist, mich aus meinem Rollstuhl zu heben, könnte er auch Ihren Glauben gebrauchen! Also glauben Sie weiter, mein Freund. Vielleicht hängt es von Ihnen ab!“
David gefiel dieser Blickwinkel nicht sehr. Das passte nicht zu dem, was er glaubte. Es war nicht das, was ihm beigebracht worden war. Gemäß seiner Lehrer verhielt es sich folgendermaßen: Wenn jemand nicht geheilt wurde, war die Schuld bei dem Betreffenden zu suchen, bei seinem Glauben.
Doch in diesem Abschnitt geht es nicht unbedingt zentral um den Glauben.
Es geht immer um Jesus Christus und um seinen Willen für diejenigen, die leiden.
Einen großen Glauben zu haben heißt, an einen großen Retter zu glauben, und in der Bibel wird der Glauben von jedermann positiv hervorgehoben, der daran glaubt, dass Jesus heilen kann und will. Und in den Tagen, die kommen mögen, wäre es gut möglich, dass dieser „jedermann“ David ist.
Muss man es überhaupt noch sagen?
Gott heilt auch heute noch, daran besteht kein Zweifel. Würde man etwas anderes behaupten, würde man Gottes Wort und die Erfahrungen von unzähligen Menschen ignorieren, die genau das erlebt haben.
Aber wenn ich über mein Parkplatz-Erlebnis mit David nachsinne, erfordert die Aussage „Gott heilt heute“ vielleicht doch eine nähere Untersuchung.
Heilt er immer? Heilt er jeden, der voller Vertrauen zu ihm kommt? Greift er auf wundersame Weise in das Leben aller ein, die darum bitten, dass er sie von Migräne, multipler Sklerose, Prostatakrebs, einer schlimmen Grippe oder, wie in meinem Fall, chronischen Schmerzen befreit?
Und wenn nicht: Warum nicht? Oder warum heilt er einige und andere nicht?
Es ist Ihnen wahrscheinlich aufgefallen, dass ich in diesem Zusammenhang noch nicht einmal Tetraplegie3 mit Rückenmarksverletzung aufgelistet habe. Die Tage, an denen ich Gott in längst vergangenen Zeiten angefleht habe, mich auf meine Füße zu stellen und aus meinem Rollstuhl zu heben, liegen hinter mir. Ja, ich sitze immer noch im Rollstuhl. Aber ich bin glücklich. Und auf dieser Ebene bin ich geheilt. Das ist wunderbar.
Momentan sind meine Schmerzen mein großes Problem. Ja, ich weiß, Sie fragen sich vielleicht, wie eine völlig gelähmte Person überhaupt Schmerzen fühlen kann. Sie können mir glauben, in meinem Alter geht das. Offen gesagt, wenn diese Schmerzen nicht so hartnäckig und manchmal so nervenaufreibend wären, würde ich mich nicht weiter darum kümmern. Aber ich bete jetzt wieder genau das, was ich vor Jahren, als meine Verletzung ihren Anfang nahm, immer wieder zu Gott sagte: Herr, ich kann nicht für den Rest meines Lebens so leben!
Zumindest glaube ich nicht, dass ich es kann. Man muss es abwarten.
Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Ich nehme nichts von dem zurück, was ich in Artikeln und 1978 sogar in meinem Buch „Der nächste Schritt“ über wundersame Heilungen geschrieben habe. (Ist das wirklich schon über 30 Jahre her?) Aber diese anhaltende prekäre Lage zwingt mich dazu, bekannte Bibelstellen nachzuschlagen und ihnen erneut meine Aufmerksamkeit zu schenken, sie unter einem neuen Gesichtspunkt und aus einer anderen Perspektive heraus näher zu betrachten.
Das ist Neuland für mich.
Wie Josua einmal zu den Kindern Israels gesagt hat: „Ihr seid diesen Weg noch nie zuvor gegangen.“ So ist es auch bei mir. Ich habe mich noch nie zuvor im Leben in so einer Lage befunden. Aber genauso, wie die Israeliten Gott auf beiden Seiten des Jordans fanden (und in seiner Mitte), finde ich überall in diesem merkwürdigen, unbekannten Land des Leidens seine Gegenwart, seinen Trost und seine Treue.
Dieses Buch soll keine detaillierte, erschöpfende Besprechung jedes Bibelverses sein, der das Thema „Heilung“ berührt. Viel von dem, warum Gott tut, was er tut – und heilt, wenn er heilt –, bleibt als göttliches Mysterium im Dunkeln, und ich bin sicher nicht diejenige, die diese Dinge auf den wenigen Seiten eines Buches aufklärt. Stattdessen möchte ich Sie einladen, mich auf meiner sehr persönlichen Reise zu begleiten, auf der ich auf einige grundlegende Fragen über das Leben und Heilung, über Leiden und Durchhaltevermögen, Kummer und Hoffnung zu sprechen komme.
Ich möchte uns auch dazu ermutigen, von den täglichen Kämpfen einmal aufzusehen und auf die Zeit zu blicken, wenn uns alle die endgültige Heilung erwartet. Die Zeit, wenn die Blinden ihr Augenlicht wiederbekommen, die Tauben hören, die Stummen aus voller Kehle singen und Gelähmte springen wie ein Hirsch.4 Oh, was für ein herrlicher Tag das sein wird!
Diejenigen von uns, die derzeit in ihrem irdischen Leben kein Wunder erleben und körperlich nicht geheilt werden: Schaffen wir es durchzuhalten? Können wir an unserer Hoffnung festhalten? Und mehr noch als durchhalten: Lernen wir während unserer „Zeit der Gefangenschaft“, was wir lernen sollten? Denn wie eine Gefangenschaft kommen mir die Tage vor, an denen mich die Schmerzen fast verrückt machen.
Bete ich dafür, dass Gott mich auf wundersame Weise von meinen chronischen Schmerzen befreit? Oh ja, das können Sie glauben.
Erwarte ich es auch? Wenn es Gottes Wille ist, ja.
„Was immer dein Wille ist, Herr“, bete ich. „Wenn es dir mehr Ehre gibt und deine Frohe Botschaft schneller verbreitet, dann bin ich voll dafür.“ Ich möchte mich dem Vater immer, wirklich immer unterwerfen und den Worten Jesu gehorsam sein, denn ich weiß sehr wohl: Wenn ich alles andere im Leben hätte und mir das eine fehlte, dann hätte ich nichts.
Denn ist das nicht das Entscheidende? Dass wir den Menschen davon erzählen, wer Jesus ist und was er für uns getan hat? Ob ich nun schmerzfrei aus meinem Rollstuhl springe und den Leuten erzähle, dass meine Heilung ein echter Beweis für Gottes unglaubliche Macht ist ... oder ob ich weiterhin mit einem Lächeln in meinem Rollstuhl sitze, nicht trotz meiner Schmerzen, sondern wegen ihnen. Weil ich weiß, dass ich noch viel zu lernen habe: Ich muss zulassen, dass er meinen Charakter formt, muss lernen, mich in andere verletzte Menschen hineinzuversetzen, eine verlorene Welt mit Gottes Guter Nachricht erreichen und erkennen, dass mein Retter selbst Leid erlebt hat und sich wünscht, dass unsere Beziehung immer enger wird. Alles davon ist ein echter Hinweis auf Gottes Liebe und Güte.
Das Buch, das Sie in den Händen halten, ist eine Chronik dessen, was ich gerade durchmache. Seit fünf Jahren ringe ich mit einem Feind, der mit jedem Monat größer, unmenschlicher und auf entsetzliche Weise aggressiver zu werden scheint. Ich spreche von meinem fortwährenden Kampf gegen Schmerzen – manchmal schleichend und aufreibend, manchmal flammend heiß und scheinbar unerträglich. Während ich diese Zeilen schreibe, suche ich gerade wieder einen neuen Spezialisten auf. Er soll herausfinden, ob irgendetwas – überhaupt irgendetwas – gegen diese pochenden Qualen getan werden kann, die ich gern voller Freude und Dankbarkeit hinter mir lassen würde.
Ich wollte diesen Aspekt meines Lebens ebenfalls in diese Zeilen einfließen lassen. Nicht der Sensation wegen, sondern einfach, weil das genau der Punkt ist, an dem ich zurzeit stehe. Die Erfahrungen mit den chronischen Schmerzen sind einfach Bestandteil meines Lebens. Sie werden sehen, dass es dem Thema eine gewisse Dringlichkeit verleiht, wenn man aus dem intensiven Leiden heraus ein Buch darüber schreibt, dass Gott heilt. Außerdem bewahrt es davor, abgehoben und theoretisch zu klingen.
Heilung – oder auch nur eine kleine Verschnaufpause von diesem Krieg mit den Schmerzen – ist sicherlich momentan der alles beherrschende Gedanke.
Nein, lassen Sie mich berichtigen: Natürlich möchte ich vor allem dem Namen meines Retters und Königs Ehre bringen, ob er mir nun hier Erleichterung gewährt oder erst im Jenseits, wenn ich im Haus seines Vaters bin. Auf jeden Fall wird er mir helfen, mich retten und, ja, mir Freude schenken.
So wie er es immer getan hat.