Gunter Pirntke

 

Der Schoß ist fruchtbar noch – Der sächsische Sumpf blüht weiter

 

 

 

Impressum

Covergestaltung: Irene Repp

Digitalisierung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke


© 2016

ISBN: 9783961181537


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Einleitung

 

2001 erschien die erste Auflage des Buches „Schwarzer Sumpf in Sachsen - Ein Kartell aus Korruption und Vertuschung“ und beschäftigte sich mit Affären während der Amtszeit der Ministerpräsidenten Biedenkopf und Milbradt im Freistaat. Diese „Westimporte“ brachten, im Nachhinein gesehen, nicht allzuviel Gutes. Immer neue Skandale erschütterten die Barockstadt. Dann kam der erste Minsterpräsident aus den Osten, der Sorbe Tillich.

 

Stanislaw Tillich entstammt einer sorbischen Familie. Obwohl sein Vater Rudi Tillich selbst evangelisch war, erzog er seinen Sohn entsprechend dem katholischen Glauben seiner Mutter zu einem den religiösen Traditionen seiner Heimat verbundenen praktizierenden Katholiken. Sein Vater war Mitglied der SED-Ortsleitung von Panschwitz-Kuckau und im Dachverband der sorbischen Vereine und Vereinigungen, der Domowina, aktiv. Nach seiner Schulausbildung und dem Abitur an der Sorbischen Oberschule in Bautzen 1977 leistete Tillich von November 1977 bis April 1979 seinen Grundwehrdienst bei den Grenztruppen der DDR. Anschließend studierte er von 1979 bis 1984 an der Technischen Universität Dresden und schloss als Diplomingenieur für Konstruktion und Getriebetechnik ab. 1984 begann er als Konstrukteur in einem Elektronikunternehmen in Kamenz. Vom 1. Oktober 1987 bis zum 24. Mai 1989 war Tillich Angestellter des Rates des Kreises Kamenz. Im Mai 1989 wurde er stellvertretender Vorsitzender des Rates und war zuständig für den Bereich Handel und Versorgung Von 1989 bis 1995 arbeitete Tillich als selbstständiger mittelständischer Unternehmer.

 

1987 trat Tillich nach eigenen Angaben aus eigenem Entschluss in die Ost-CDU ein, die als Blockpartei den Machtapparat der SED stützte. In Potsdam-Babelsberg nahm er vom 2. Januar bis zum 10. März 1989 an einem Lehrgang der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft – einer der bedeutendsten „Kaderschmieden“ der SED – teil. Im Nachhinein bezeichnete Tillich diesen Lehrgang jedoch als „einen der vielen M-L-Kurse“, der ihn „persönlich nicht innerlich überzeugt“ habe. In einem Fragebogen aus dem Jahr 1999 zu seiner Vergangenheit in der DDR verneinte Tillich Kontakte zur Staatssicherheit. Im November 2008 wurden Vorwürfe gegen ihn laut, seine Biografie und insbesondere seine Rolle im Staatsapparat der DDR geschönt zu haben. Tillich räumte zwei Befragungen durch Stasimitarbeiter ein, die wegen eines beschädigten Siegels an der Tür eines betrieblichen EDV-Raumes und bei der Aufklärung von Versorgungsengpässen erfolgt seien. Einer Veröffentlichung des Fragebogens aus dem Jahr 1999, die von der Sächsischen Staatskanzlei zuvor abgelehnt worden war, stimmte Tillich erst 2009 zu. Ab 1989 gehörte Tillich dem Kreisvorstand seiner Partei an. Im November 2010 wurde er in das Präsidium der Bundes-CDU gewählt.

 

1999 berief ihn der damalige Ministerpräsident von Sachsen Kurt Biedenkopf in sein Kabinett, wo er bis 2002 Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten war. Im Kabinett des 2002 zum Ministerpräsidenten gewählten Georg Milbradt arbeitete Tillich zunächst bis 2004 als Staatsminister und Chef der Staatskanzlei und seit 2004 als Sächsischer Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft. In dieser Zeit war er insbesondere zuständig für den Ausbau des Hochwasserschutzes der Elbe nach dem Hochwasser im August 2002.

 

2007 wurde er sächsischer Staatsminister der Finanzen und Nachfolger des wegen der Krise der sächsischen Landesbank zurückgetretenen Horst Metz. Tillich führte die Verhandlungen um die angeschlagene Sachsen LB an der Seite von Ministerpräsident Milbradt. Die Sachsen LB wurde im Dezember 2007 unter Umgehung des Landesparlamentes an die Baden-Württembergische Landesbank LBBW verkauft, ein Vorgang, der vom Sächsischen Verfassungsgericht im August 2009 für verfassungswidrig erklärt wurde. Statt einer Beteiligung des Landtages in Form eines Entschließungsantrags, wäre, so das Gericht, ein Nachtragshaushalt notwendig gewesen.

 

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Stanislaw Tillich (2013)

 

Im 14. April 2008 schlug ihn Georg Milbradt in seiner Rücktrittserklärung infolge der Affäre um die Landesbank als Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten und den Landesparteivorsitz vor. Am 28. Mai folgte die Wahl zum Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen. Bei der Landtagswahl am 30. August 2009 erlangte die CDU unter Tillichs Führung 40,2 Prozent der Stimmen. Da die FDP auf 10 Prozent der Stimmen kam, konnte Tillich eine CDU-FDP-Koalition bilden und wurde am 29. September 2009 als Ministerpräsident wiedergewählt. Als Ministerpräsident war Tillich bei der Landtagswahl am 31. August 2014 wieder Spitzenkandidat seiner Partei. Die CDU erzielte 39,4 Prozent der Stimmen. Der Koalitionspartner in Tillichs Kabinett, die sächsische FDP, verpasste mit einem Stimmenanteil von 3,8 Prozent den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag. Nachdem eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen worden war und die sächsischen Grünen eine Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU abgelehnt hatten, wurde eine Koalitionsregierung mit der SPD gebildet und Tillich am 12. November 2014 als Ministerpräsident wiedergewählt. Wie zuvor gegen den damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers wurden im Februar 2010 auch gegen Tillich Vorwürfe im Zusammenhang mit Zusagen für Gesprächstermine bei Zahlung von Spenden an die CDU erhoben. Diese sogenannte Sponsoring-Affäre betrifft primär eine CDU-Veranstaltung in Dresden, die unter dem Titel Denkfabrik Sachsen abgehalten wird. Dort erhalten Firmen bei verschiedenen Sponsoring-Stufen entsprechenden Gegenleistungen (Standplätze, Gespräche, Nennung in Reden). Oppositionelle Politiker kritisierten diese Praxis als Käuflichkeit von Politikern.

 

2010 wurden unter der Regierung Tillich zur Vermeidung von Neuschulden Kürzungen im Sozialbereich in Höhe von 25 Millionen Euro beschlossen. So wurde die Förderung der Jugendarbeit um ein Drittel verringert, was zu Protesten und Gegendemonstrationen führte. In einem Interview zum Thema Pegida und Zuwanderung am 25. Januar 2015 mit der Welt am Sonntag sagte Tillich: „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“. Er ist seit 2001 Mitglied im Rotary-Club „Dresden Blaues Wunder“ und wohnt neben seinem Einfamilienhaus in Panschwitz-Kuckau zusätzlich seit April 2015 in einem Penthouse auf dem Weißen Hirsch in Dresden.

 

Tillich und seine CDU-Minister stehen für politisches Versagen, Unfähigkeit, Blindheit zu allen Aktivitäten von Rechtsextremen und Behäbigkeit. Dies soll nachfolgend verdeutlicht werden. Zuvor aber einen Rückblick.

 

Was im ersten Teil geschah

 

Ein Bürokomplex neben dem „Paunsdorf-Center“ war Anfang der 90er Jahre von dem mit Biedenkopf befreundeten Kölner Investor Heinz Barth errichtet worden. Der Freistaat hat in dem Bau am Rande von Leipzig rund 53000 Quadratmeter angemie-tet. 1997 wurde ein geänderter Mietvertrag mit einer Laufzeit von 25 Jahren und 23,57 DM pro Quadratmeter abgeschlossen. Der Landesrechnungshof hatte bereits 1996 überhöhte Mieten gerügt und vertragliche Änderungen gefordert. In dem Be-hördenzentrum sind unter anderem der Rechnungshof, das Leipziger Polizeipräsi-dium und das sächsische Staatsarchiv untergebracht.

 

Der Untersuchungsausschuss war im April 2000 auf Antrag der PDS beschlossen worden. Biedenkopf wurde vorgeworfen, einen erhöhten Preis für die Anmietung des von seinem Duzfreund Barth errichteten Gebäudes durchgesetzt zu haben. SPD und PDS warfen dem Exregierungschef zudem vor, in diesem Zusammenhang bei einer früheren Aussage vor dem Ausschuss gelogen zu haben. Barths Wünsche in Sachen Miete aus einem Brief an Biedenkopf waren von diesem anscheinend direkt an den damaligen Finanzminister Milbradt weitergegeben worden. Der setzte die Vorgaben um, obwohl selbst Mitarbeiter des Ministeriums auf die zu hohen Mieten sowie schlechte Vertragsbedingungen hingewiesen hatten und 15 DM für ausreichend hielten.

 

Biedenkopf bestritt lange Zeit alle Vorwürfe in Bezug auf Paunsdorf, bis Dokumente die enge Verbindung belegten. „Barth hat tatsächlich seinem Freund Biedenkopf die Hand geführt, als dieser Mietpreise und alle Konditionen im Barth-Wortlaut an den Finanzminister weiterleitete. Wobei er sogar noch Rückkaufkonditionen zulasten des Freistaates verschlechterte“, erklärte Nolle.

 

Der Rücktritt Biedenkopfs wird auch der Arbeit des Untersuchungsausschusses und dem, was er ans Licht brachte, gutgeschrieben. Es handelt sich nur um ein Beispiel aus einer Reihe von Skandalen von „König Kurt“, vom IKEA-Rabatt für seine Frau, geringen Mieten für die Dienstwohnungen bis zu kostenlosen Flügen und Schiffsfahrten mit befreundeten Geschäftsleuten wie Barth, die „Biedenkopfjäger“ Nolle erfolgreich in die Öffentlichkeit brachte.

 

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Politiker aus SPD und CDU sowie Bedienstete der Polizei und Justiz sowie ehemalige Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen sollen Teil eines kriminellen Netzwerkes in Sachsen sein. Ihnen wird unter anderem der Verrat von Dienstgeheimnissen, Korruption und Verstrickung in Kinderprostitution und dubiose Immobiliengeschäfte vorgeworfen.

 

Im Verfassungsschutz trägt der Vorgang den Tarnnamen „Abseits“. Nur einmal, als die Stadt Leipzig sich um die Olympischen Spiele bewarb, wurde dort genauer hin-geschaut. Das berühmt-berüchtigte „Leipziger Modell“ – jener Klüngel, bei dem sich die Fraktionen im Stadtrat möglichst nicht weh tun – war kurzzeitig aus dem Gleich-gewicht geraten. Der Olympia-Beauftragte Burkhard Jung verlor wegen dubioser Provisionszahlungen seinen Job – um freilich zwei Jahre darauf Oberbürgermeister zu werden. Der Kämmerer war wegen Untreuevorwürfen nicht mehr zu halten; der Ordnungsdezernent flog nebenbei aus dem Amt, weil er 57-mal ohne Führerschein unterwegs war.

 

Fünf Staatsanwälte und 68 Polizisten durchsuchten schließlich Büros und Wohnungen von Leipziger Rathausmitarbeitern und Angestellten verschiedener Baufirmen.

Die sächsische Antikorruptionseinheit „Ines“ vermutet Unregelmäßigkeiten bei Bau-aufträgen.

 

All dies, so scheint es nun, war nur ein kleiner Teil des Gesamtbildes. Denn in den geheimen Akten des Verfassungsschutzes geht es noch um ganz andere Delikte – etwa um den Mordversuch an einem Mitarbeiter der städtischen Wohnungs- und Baugesellschaft, dessen schleppende Aufklärung manchem Ermittler reichlich merkwürdig erscheint.

 

Martin Klockzin war Hauptabteilungsleiter für Immobilien- und Eigentumsklärung, als er am 17. Oktober 1994 einem vermeintlichen Telegrammboten die Wohnungstür in der Spittastraße öffnete. Der Mann streckte Klockzin mit mehreren Schüssen aus einer Neun-Millimeter-Pistole, einer Ceska, nieder. Nur knapp konnten die Ärzte im Leipziger Diakonissenhaus Klockzin retten.

 

Bald hatten die Ermittler vier Kleinkriminelle als Verdächtige zur Hand, die tatsächlich zu ordentlichen Strafen verurteilt wurden: dreimal Lebenslang für die Anstifter und zwölf Jahre für den Schützen.

 

Das Urteil sorgte bei Insidern trotzdem für Irritationen. Die Richter waren deutlich über die Anträge der Staatsanwaltschaft gegangen – warum, blieb rätselhaft. Dafür fehlten vor Gericht die eigentlichen Drahtzieher, auf die es aber durchaus Hinweise gab.

 

Erst Jahre später begann sich der Nebel zu lichten, versuchten Ermittler das Große und Ganze zu sehen. Es gibt einen vertraulichen Bericht des Landeskriminalamts zu dem Mordversuch sowie „tangierenden Sachverhalten“ – und das sind viele. Dieses Papier deutet ebenso wie die Akten des Geheimdienstes darauf hin, dass dubiose Netzwerke in der Stadt existieren.

 

Die Ermittler entdeckten nicht nur, dass der Beamte Klockzin ein millionenschweres Monopoly um Leipzigs Filetstücke erheblich behinderte. Sie staunten auch darüber, dass offenbar die halbe Leipziger Society mit dem Mordanschlag zu tun haben könnte: Eine angesehene Anwältin wird erwähnt, ein hoher Richter gerät ebenso unter Verdacht wie ein Bauunternehmer und die Gattin eines sehr hochrangigen Kommunalpolitikers. Allein die Ermittlungslage ist laut Kripo-Bericht diffizil – es gibt Hinweise, aber keine Beweise.

 

Auch zwei Vermisstenfälle irritieren die Ermittler. Beide könnten mit der Baumafia und dem Fall Klockzin zu tun haben. Am Nachmittag des 24. Juli 1996 verschwand die Justizsekretärin Barbara Beer spurlos. Die 49-Jährige arbeitete am Amtsgericht Leipzig, ihr blauer Renault wurde Anfang 1997 auf einem Aldi-Parkplatz in Leipzig gefunden. Erst 2000 entdeckten Arbeiter in der Raßnitzer Elsteraue ihren Schädel und weitere Skelettteile. Es gibt Hinweise, dass Beer im Dienst illegalen Immobilien-geschäften auf die Spur gekommen sein könnte. Doch die Ermittlungen führten zu nichts. Im Januar 2006 wurde der Fall zu den Akten gelegt – ungelöst.

Fünf Monate bevor Beer verschwand, verließ der 24-jährige Michael Mielke seine Wohnung in Leipzig-Burghausen. Er wollte nach Berlin fahren. Doch da kam er nie an. Sein blutverschmiertes Auto fand sich in Leipzig-Lützschena – doch von Mielke fehlt bis heute jede Spur. Die Staatsanwaltschaft schließt Mord nicht aus.

 

Obwohl zu den bisher erhobenen Vorwürfen schwere Verbrechen wie Amtsmiss-brauch, Kinderprostitution und Mordanschläge zählen, hatte sich der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) wiederholt gegen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses ausgesprochen und diesen als „Klamauk“ bezeichnet.

 

Der sächsischen CDU ist offenbar auch weiterhin nicht an einer Aufklärung der im Freistaat aktiven kriminellen Netzwerke gelegen. Die Verstrickung hochrangiger Politiker und Beamter aus Polizei und Justiz in dubiose Immobiliengeschäfte und Kinderprostitution sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Doch die Christdemokraten bleiben ihrer Strategie des Aussitzens und Verharmlosens treu. Zudem verstärkt sie die Angriffe auf den Landtagsabgeordneten Klaus Bartl (Die Linke), der als Vorsitzender des Ende Juli 2007 eingesetzten Untersuchungsausschusses fungiert.

 

Der CDU-Landtagsabgeordnete Frank Kupfer nutzte nun die aktuelle Debatte um einen angeblichen Schießbefehl der Staatssicherheit an der früheren Grenze zwi-schen DDR und BRD.

 

***

Der sächsische Skandal um Korruption und Rotlichtverbindungen von Politikern zieht weitere Kreise. Geheimdienstquellen berichten von Kinderpornografie und Mafia-Morden. Der Vorwurf entstammt einem rund hundert Aktenordner schweren Dokumenten-schatz, den die sächsischen Geheimdienstler über Jahre hinweg angelegt haben. Die Beamten hatten sich auf die Spuren des organisierten Verbrechens gemacht - und sind auf viele Indizien für gefährliche Verbindungen der Mafiosi zu Polizei, Justiz und Politik gestoßen. Es geht unter anderem um Korruption, krumme Immobiliengeschäfte, Kindesmissbrauch. Seitdem erschüttert die Affäre den Freistaat.

 

In dem Vermerk des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) werden Aussagen über Verbindungen der Stadtverwaltung zur örtlichen Rotlichtszene unter dem Decknamen "Abseits" zusammengefasst. Danach seien bis zu neun Prostituierte in regelmäßigen Abständen über spezielle Zuhälter angeheuert worden. Die Damen habe man dann "diskret ins Gebäude gebracht", damit sie einem "engen Mitarbeiterkreis" zu Diensten standen. Mitunter habe es städtische Angestellte - "insbesondere aus der Führungsriege" - auch nach Leipzig-Dölitz gezogen. Im dortigen "Relaxcenter Aphrodite" sollen sich die Bürokraten dann entspannt haben.

 

Korruption, Amtsmissbrauch und Prostituierte - Sachsens Affäre um Organisierte Kriminalität in Amtsstuben wurde im Landtag heiß diskutiert. Die Opposition wollte vor allem wissen, warum die Regierung dem kriminellen Treiben so lange zugeschaut hat.

 

In die Kritik gerät dabei auch der heutige Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der bis Ende 2005 Innenminister in Sachsen war. Der habe es nicht für nötig befunden, die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages frühzeitig über die Vorgänge zu informieren, obwohl es seine Pflicht gewesen sei, kritisierte SPD-Mann Stefan Brangs, der zur sächsischen Koalitionsregierung gehört. De Maizière hat dagegen erklären lassen, die „Ermittlungsdichte“ habe damals dafür nicht ausgereicht.

 

Sachsens Verfassungsschutz hat ein Geflecht aus Korruption, Betrug und Prostitu-tion ermittelt, in das Unternehmer, Politiker, Richter und Polizisten verwickelt sein sollen. Die Akten liegen jedoch im Panzerschrank. Der oberste Datenschützer des Landes will sie sogar schreddern.

Bislang wurde die Affäre gern auf eine schlampige Gerüchtesammlung des sächsi-schen Verfassungsschutzes reduziert, in der sich letztlich nichts Belastbares finden lasse. "Die sogenannte Korruptionsaffäre", versichert Ministerpräsident Georg Mil-bradt (CDU), "ist keine": Es gebe lediglich "frisierte Dossiers, im Wesentlichen von einer Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, einer früheren DDR- Staatsanwältin, wohl getrieben von blindem Jagdeifer und blühender Fantasie".

 

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Die 1992 gegründete Landesbank Sachsen LB war die einzige rein ostdeutsche Landesbank. Anteilseigner waren der Freistaat Sachsen (37 Prozent) und die Sachsen-Finanzgruppe SFG (63 Prozent), die aus acht Sparkassen und der Sachsen LB selbst besteht. Im Jahr 2005 - nach dem Wegfall der Staatsgarantien für die öffentlich-rechtlichen Banken - hatte die Sachsen LB vom Freistaat eine Finanzspritze von 300 Millionen Euro bekommen, um sich mit einem besseren Rating am Kapitalmarkt behaupten zu können. Im Juli 2007 wurde die öffentlich-rechtliche Bank in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, um ihre Position auf den internationalen Märkten zu stärken und sie attraktiver für Partnerschaften zu machen. Allerdings soll die Sachsen LB nach dem Willen der sächsischen Staatsregierung ihren öffentlichen Auftrag als Verbindung zwischen Staat und Wirtschaft behalten. Die Sachsen LB ist die kleinste unter den Landesbanken und gilt seit längerem als Übernahmekandidat. Wegen Personalquerelen und angeblich undurchsichtiger Geschäfte war sie wiederholt in die Schlagzeilen geraten. Damit beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahren ein Untersuchungsausschuss des Landtages.

 

Die von der Landesbank-Tochter Sachsen LB Europe verwaltete irische Gesellschaft Ormond Quay habe sich aufgrund des derzeit schwierigen Marktumfelds bei so genannten Commercial Papers (CP) nicht mehr ausreichend refinanzieren können, hieß es. Die Bonität der gesamten Bank sei dadurch in Frage gestellt worden. CPs sind Anleihen mit einer sehr kurzen Laufzeit. Durch das Einspringen des Sparkassen-Pools könnten die Papiere nun bei ihrer Fälligkeit eingelöst werden.

 

Dann ein Geheimplan zwischen Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt und Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger (beide CDU). Oettinger ist heute EU-Kommissar in Brüssel.

 

Die Umstellung der Refinanzierung der Ormond-Quay-Struktur werde das Jahresergebnis der Sachsen LB belasten, teilte die Bank mit. Der Freistaat Sachsen betonte, für alle möglicherweise aus dem Fonds entstehenden Verluste zu haften. Als Retter in der Not: Die Landesbank Baden-Württember (LBBW) übernimmt die Sachsen LB.

 

Der Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe übertragen ihre Anteile an die LBBW und werden dafür an der LBBW beteiligt, teilte Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger mit. Die Höhe der Anteile werde mit der abschließenden Bewertung zum 31. Dezember 2007 festgestellt. Damit gehe die Sachsen LB ab dem 1. Januar 2008 in ein Mutter-Tochter-Verhältnis zur LBBW über, so Oettinger. Als Soforthilfe überweise die LBBW Eigenkapital in Höhe von 250 Millionen Euro nach Sachsen.

 

Zuvor hatte das Kabinett des Freistaates Sachsen dem Verkauf an die LBBW zuge-stimmt. Milbradt hatte vor der Kabinettssitzung den Verkauf bereits angekündigt. Der Preis liege bei "mindestens 300 Millionen Euro", sei aber "nach oben offen". Ähnlich äußerte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger. Er sprach von einem Preis zwischen 300 und 800 Millionen Euro. Das Ergebniss: Sachsen übernimmt eine Landesbürgschaft in Höhe von 2,75 Milliarden Euro, um Risiken aus umstrittenen Geschäften der Bank abzudecken. Laut Landesbank Baden-Württemberg stellt das Land zudem 500 Millionen Euro frisches Kapital zur Verfügung. Für die Übernahme durch die LBBW sei ein Kaufpreis von 328 Millionen Euro vereinbart worden.