PER LEO

FLUT und BODEN

Roman einer Familie

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Teresa Löwe-Bahners

Abbildung auf dem Vorsatzblatt: Blick auf Vegesack, Stich von Friedrich Geißler (1821) nach einer Gouache von Anton Radl (1818/19)

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Unter Verwendung eines Fotos von © plainpicture/goZooma (Foto: Thomas Schaefer)

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-98017-2

E-Book: ISBN 978-3-608-10699-2

Dieses E-Book beruht auf der 3. Auflage 2014 der Printausgabe

INHALT

1. Kapitel HÄUSER UND LIEDER

2. Kapitel THE MAKING OF A NAZIENKEL

3. Kapitel KOPFSACHE

4. Kapitel KEIN GEHEIMNIS

5. Kapitel IM MASTKORB

6. Kapitel STADT, LAND, FLUSS

7. Kapitel IN BEWEGUNG

8. Kapitel VIER, DREI, ZWEI, EINS – FEUER

9. Kapitel WENN DAS DER GOETHE WÜSSTE!

10. Kapitel BD5R

11. Kapitel STIMMEN

12. Kapitel DER HEIDE VON AHAUSEN

13. Kapitel DIE NEIGUNG

Die zitierten Lieder und Gedichte

Blick auf Vegesack

Welch ein törichtes Verlangen
Treibt mich in die Wüstenein?

Wilhelm Müller

1. KAPITEL
HÄUSER UND LIEDER

Früher Abend, Winter. Links das schwarze Blockland, von halbrechts das Schimmern der Stadt. Vereinzelt drängen weiße Lichter heran, verwandeln sich und sickern rot in die Ferne. So will es die Erinnerung: Immer beginnt die Geschichte mit dem Bild einer Autofahrt. Doch es ist undeutlich, wichtige Teile fehlen, das Wetter zum Beispiel. Regnete es? Nicht unwahrscheinlich. Auch weiß ich nicht mehr, ob es noch 1994 war, das Jahr des Albums, das ich gerade hörte. Oder doch schon Anfang 1995. Hatte das kürzeste Jahr im Leben Kurt Cobains schon Platz gemacht für das längste in meinem? Jedenfalls müssen noch Weihnachtsferien gewesen sein. Sonst wäre es nicht auf der A 27 passiert.

Come as you are, as you were, as I want you to be.

As a friend, as a friend, as an old enemy.

Take your time, hurry up, the choice is yours, don’t be late.

Großmutter hatte müde gewirkt. Das allein wäre kaum der Rede wert; schon gar nicht würde ich mich heute noch daran erinnern. Denn ich kannte sie gar nicht anders als müde. Nicht schläfrig, eher erschöpft. Ausgeleiert. Wie der Himmel über ihrer Stadt. Nun aber hatte sich ihrer Müdigkeit ein auffälliger, beinahe greller Zug beigemischt. Sie will nicht mehr, dachte ich. Der Gedanke begleitete meine Fahrt.

Über viele Jahre, bis zu diesem denkwürdigen Tag, waren meine Besuche in der Weserstraße nach dem ewig gleichen Muster verlaufen.

Die steile Treppe in den schlundartigen Eingang. Der weiße, leicht gewölbte Klingelknopf. Die Stille im Windfang zwischen den beiden Milchglastüren. Der Duft alten Gemäuers. Die Ewigkeit, bis sich eine ferne Tür öffnet und langsame Schritte durch die Eingangshalle schlurfen. Der saure Kuss auf die Wange. Der Geruch von Kartoffeln in der Küche, von Spargel auf der Toilette. Wir fassen uns an den Händen und wünschen eine gesegnete Mahlzeit: Haut rein, ihr Türken, und nicht gezittert! Die Mittagsruhe. Das Fünfmarkstück, mit dem ich nach einem Quadrat Butterkuchen geschickt werde. Der Apfelsaft, den man mir statt Kaffee in eine zarte Tasse mit Rosendekor einschenkt. Die besorgte Frage nach dem Befinden meines Vaters. Die Frachtschiffe, die sich durch die Zweige der alten Kastanien nach Bremen oder zur Nordsee schieben. Bleib ein anständiger Junge, sagt der Großvater zum Abschied, vergiss uns alte Leute nicht, die Großmutter.

Seit Großvater tot war, hieß es nur noch: gesegnete Mahlzeit; und zum Abschied: vergiss mich nicht. Aber sonst hatte sich fast nichts geändert.

Es wäre unangemessen, den gleichförmigen Ablauf in die Nähe eines Rituals zu rücken, in ihm eine souveräne Setzung oder kluges Einverständnis mit dem Unabänderlichen zu sehen. Denn er war nicht gewollt. Er geschah einfach. Ein ums andere Mal servierte Großmutter mir das aufgetaute Hühnerfrikassee, das sie in meiner Phantasie vor vielen Jahren in gewaltigen Mengen auf Vorrat gekocht hatte. Sie wollte nichts mehr ausprobieren, sie suchte auch nichts mehr. Außer im Gespräch, da suchte sie immer den hohen Ton. Ob sie ihn traf, war Stimmungssache. Verfehlte sie ihn, standen ihr nur Vorwurf oder Zerknirschung zu Gebote. Vorwurfsvoll protokollierte sie meine Verspätungen, zerknirscht gestand sie, dass es wieder nur Hühnerfrikassee gab.

Tatsächlich hätte ich es mir aber gar nicht anders gewünscht. Ich mochte Großmutters Frikassee. Und ich mochte auch sie. Obwohl sie nicht mehr gut roch. Obwohl sie ihr Leben mit sich herumschleppte wie einen Staubmantel. Obwohl die Haare an ihrem Kinn kratzig waren. Obwohl sie ständig seufzte und sich über alles und jeden beklagte. Doch wenn sie auf ihren wunden Füßen, die aus den gelöcherten Gesundheitsschuhen herausquollen, wie auf Holzklötzen zum Herd wackelte, wenn ihre wässrigen und immer geröteten Augen mich suchten, ohne meinen Blick je erwidern zu können, wenn sie an Großvaters Grab stand, klein und reglos, als bäte sie still um Einlass, während ihr Kopftuch im Wind flatterte und der überraschend gut geschnittene Trenchcoat sich über ihr mächtiges Hinterteil spannte, dann berührte sie etwas in mir, einen verborgenen Resonanzraum, irgendwo weit unten, dort, wo jetzt die brüchige Stimme Kurt Cobains in mir widerhallte, die gerade das Wort memoria sang, achtlos über die Konsonanten springend, hinein in einen nicht enden wollenden, immer schwerer werdenden Klagelaut, der sich langsam und groß vor den nächsten Atemzug rollte: memo-riii-a.

In meinen Ohren klang es wie eine Mischung aus family und Familie.

Dreimal zog die dunkle Vokalwolke über mich hinweg.

Fami-lyyy-e

Fami-lyyy-e

Fami-lyyy-e

Irgendetwas suchte ich bei meiner Großmutter, für das es in meinem Leben sonst keinen Platz gab. Der Ehrgeiz, einem Menschen ohne Wünsche gefällig zu sein, der Wille, sich einer Willenlosigkeit zu unterwerfen, die vollständige Selbstzurücknahme hätte jeden überrascht, der mich nur ein wenig kannte. Doch es war nicht ihre Gesellschaft, die ich suchte. Wir redeten ja kaum miteinander. Ich kann mich nicht erinnern, Großmutter je einen Ausdruck des Wohlgefallens oder ein Lachen entlockt zu haben. Mein Lob für das Mittagessen wiegelte sie jedes Mal ab. Wenn ich ihr anstandshalber irgendeine Frage stellte, sagte sie immer zuerst: Ach ja. Und das war dann oft schon die ganze Antwort. Auch für ihr Leben interessierte ich mich nicht wirklich. So wenig wie sie sich für meines.

Ich glaube, es ging mir um das Haus. Um die alte Frau in dem alten Haus.

Zumindest würde das erklären, warum es mich erst zu ihm hinzog, als ich dort niemanden mehr antreffen konnte außer meiner Großmutter. Sicher, in einer verqualmten Büroetage unter dem Dach hockte noch M41, der älteste Bruder meines Vaters: gelb, gebeugt, einen ausgeleierten Pullover voller Aschekrümel über dem dicken Bauch, dem Bankrott so nah wie seine Mutter dem Tod; und irgendwo dazwischen, in einer herrschaftlichen Wohnung hoch über dem Fluss, rächte sich auch noch der von ihm betrogene Kleinfamilientorso, indem er einfach blieb. Aber diese Bewohner schienen mir so zufällig, dass man über ihre Existenz hinwegsehen konnte. In der alleinigen Gesellschaft meiner müden Großmutter aber öffnete sich das Haus und lud zum Verweilen ein.

Große Häuser, alte zumal, sind selten einladend. Wohl locken sie den Besucher, aber kaum ist er eingetreten, weisen sie ihn in seine Schranken. Große Häuser sind anspruchsvoll, das ist die Regel. Sie werden gebaut, um Unterschiede fühlbar zu machen: von drinnen und draußen, von Gast und Besitzer, von Notwendigem und Erhabenem, von Zweck und Macht. Der Einlass ist ein Privileg. Im Innern herrscht eine unverrückbare Ordnung, die dem Recht des Besitzers, die Wege seiner Gäste zu bestimmen, Geltung verschafft. Und wie gebieterisch kann solche Herrschaft sein, wenn sie von einer Gemeinschaft entlehnt ist! Wenn die Gemäldesammlung in der Treppenhalle Ahnengalerie heißt. Das erste Gebot für Besucher der Weserstraße 84 hieß: Du darfst niemals tun, was du willst. Und das hieß auch: Du bist nie für dich allein. Jederzeit wurde etwas erwartet. Nur selten beim Namen genannt, waren diese Erwartungen spürbar wie ein Kraftfeld, in das man sich schon mit der Anreise hineinbewegte. Den Stimmen der Eltern im Auto war anzumerken, ob wir die norddeutsche Tiefebene durchquerten, um, wie oft und meistens, die mütterliche oder, wie fast nur an Festtagen, die väterliche Familie zu besuchen. Klang das eine Ziel – »Leuchtenburg« – nach Freiheit und Weite, so löste der Name »Vegesack« Vorahnungen von Verzicht aus und das Gefühl, um einen schulfreien Tag betrogen zu werden. Niemand von uns wollte da hin. Das hätte vielleicht sogar mein Vater zugegeben, wenn meine Mutter ihn nicht in die Enge getrieben hätte. Die chronische Enttäuschung ihrer Schwiegereltern im Voraus vergeltend, suchte sie nach Anlässen, sich über die Familie ihres Mannes zu beklagen. Dabei hatte sie an ihr eigentlich nur auszusetzen, dass es sie gab.

Die Feste, die in meiner Erinnerung zu einem einzigen langen Tag verschmelzen, fühlten sich niemals festlich an. Das beherrschende Gefühl war Vorsicht. Besonders die Allgegenwart von W36, der ältesten Schwester meines Vaters, schüchterte mich ein. (Ich musste erwachsen werden, um sie schätzen zu lernen.) Was auch immer man gerade tat, jederzeit konnte sie einem zu verstehen geben, dass noch längst nicht alle Beiträge zum Gelingen des hohen Tages erbracht worden waren. Getrieben vom schicksalsergebenen Ehrgeiz einer Zeremonienmeisterin bei Hofe lieferte sie einen Beweis ihrer Unersetzlichkeit nach dem anderen. Fortwährend wies sie an, tat so, als schlüge sie vor, wo sie tatsächlich befahl, verpasste Gesprächen, an denen sie gar nicht teilnahm, im Vorbeigehen angemessene Themen und Dosierungen, schob kuchen- und schüsseltragende Körper durch das Haus, nahm eine letzte Konzertprobe ab, klatschte in die Hände, rief zum Essen. Und dann brachte sie sich selbst in Form. Blickte ein letztes Mal in den Spiegel, fuhr sich mit dem Finger über die Braue, zupfte den Kragen zurecht, probierte zwei oder drei Gesichter an und huschte durch die Tür ins Wohnzimmer, wo die Gesellschaft schon Platz genommen hatte. Beim Essen schien sie verschwunden, dabei verstand sie sich nur auf die Kunst, kraft ihres Schweigens alle Blicke von sich abzulenken. Doch dann war sie plötzlich wieder da, und nun schwiegen die anderen. In unendlich gemessener Langsamkeit erhob sie sich, als erwachte sie gerade aus einem tiefen Schönheitsschlaf, setzte ein dezentes Lächeln auf, rief den um den Tisch Versammelten den Anlass der Versammlung ins Gedächtnis, hob das Weinglas und sprach den lieben Eltern einen »von Herzen« kommenden Dank aus. Wofür, sagte sie nicht. Die derart Geehrten guckten ziemlich geradeaus. Dann senkte Großmutter kurz ihre Lider, nickte traurig und quittierte die fast übermenschliche Anspannung ihres ältesten Kindes mit einem Blick, der sagte, ja, liebe W36, wenn alle so wären wie du, dann könnte ich mich auch über dich freuen.

Die Großeltern saßen an ihrem angestammten Platz auf dem mit grünem Samt bezogenen Sofa, direkt unter dem ovalen, mit rosafarbenen Blumen bekränzten Foto, das W38 so zeigte, wie sie im Gedächtnis der Eltern verteidigt werden sollte: nicht als das vermutlich verlorenste, sondern als das mit Sicherheit schönste ihrer sechs Kinder. Einige Monate bevor sie sich selbst tötete, so wird erzählt, habe W38 mit einem Gewehr vor dem Haus ihrer Eltern gestanden – eines dieser traumartigen Gerüchte, die darin absurd sind, dass sie eine volle Wahrheit in die Kulisse einer halben Begebenheit stellen. Wie konnte sie uns das antun, soll Großvater auf der Beerdigung gesagt haben.

Selbst unten im Obstgarten an der Uferpromenade, den man über eine lange, mit Brettern in den Sand gezwungene Serpentinentreppe erreichte, war man der Observanz des Hauses nicht entrückt. Dabei war es ein herrlicher Ort. Im Rücken die alten Bäume der Böschung, meinte man nasse Finger zu bekommen, wenn man die Hand durch das mit einer dicken Kette verschlossene schmiedeeiserne Tor zur Weser ausstreckte. Im Uferberg gab es einen nach feuchter Erde duftenden Weltkriegsbunker, der gerade so tief versiegelt worden war, dass man die Mauer nicht mehr sehen, ihre Ziegel aber noch ertasten konnte. Doch es waren keine Spaziergänge oder Streifzüge, die uns Kinder hierher, in den entlegensten Teil des Anwesens, führten. Es waren Botengänge, um irgendeinen mühsam ausgedachten Auftrag zu erfüllen: bis zum Mittagessen noch etwas frische Luft zu schnappen; die Reife der Pflaumen zu prüfen; einen Korb mit den mandarinengroßen Walnüssen, die am Steilhang wuchsen, zu sammeln; Cousinen Gesellschaft zu leisten, mit denen einen nichts verband als das Gartenaufsuchgebot.

Zur Straßenseite wurde das Haus von einem großen Saal begrenzt, das Magazin genannt. Seine hohen Decken, die anders als in den Wohnräumen nicht abgehängt waren, und die mit dunklem Holz vertäfelten Wände zeugten von einer Vergangenheit, in der die Bewohner des Hauses mit seiner Größe noch etwas anzufangen gewusst hatten. Den Großeltern diente das Magazin als Abstellraum, und nur alle paar Jahre einmal wurde es seiner ursprünglichen Bestimmung zurückgegeben, wenn es eine große Festgesellschaft um eine lange Kaffeetafel aufnahm.

Das Porzellanservice meiner Ururgroßmutter soll 48 Gedecke umfasst haben. Wenn es komplett zum Einsatz kam, stand die Tür des Hauses den ganzen Tag offen. Hätte es jemand darauf abgesehen, die Honoratioren des Bremer Hafenstädtchens Vegesack auf einen Schlag auszulöschen, ein versteckter Sprengsatz im Speisesaal der Weserstraße 84 wäre an einem solchen Tag das richtige Mittel gewesen. Ein Jahrhundert später hätte eine Festtagsbombe am gleichen Ort bestenfalls einen Genpool ausgelöscht. Die Großeltern luden nicht zum Fest, sie gaben ihrer Sippe ein Datum bekannt. Absagen war keine Option. Das hatte meine Mutter erfahren müssen, als sie nach unserem Umzug in den Süden eine Anreise von 800 Kilometern als unzumutbare Härte darzustellen versuchte.

Die Bedeutung eines Festes ließ sich im Haus der Großeltern nicht nur an der Zahl der Gäste ablesen, sondern auch an den anwesenden Verwandtschaftsgraden. Ostern und Weihnachten wurde meist nur im Kreis der Kinder und Enkel gefeiert; doch zu runden Geburts- und Hochzeitstagen reisten auch Geschwister, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen der Großeltern an, darunter solche, die ich nie zuvor gesehen hatte. Brach über einer solchen Runde im Magazin die Dämmerung herein, fing sie unweigerlich zu singen an.

Keinen anderen Moment der Familienfeste fürchtete ich so wie diesen, kein anderer Moment war so verheißungsvoll. Während alle anderen mit dem Haus verbundenen Erwartungen sich anfühlten wie ein Nebel, in dem man sich tageweise verfing, war das Mitsingen ein echter Zwang. Wenn es ein einziges nicht nur behauptetes Heiligtum dieser Familie gab, dann war es der Gesang. Ich wusste das, weil ich mich ihm verweigerte. Ein unbezwingbares Schamgefühl hinderte mich daran, in den familiären Gesang einzustimmen. Kein Bitten, kein Mahnen, keine enttäuschten Blicke, keine Aussicht auf väterliche Verstimmung konnten mich von dieser Weigerung abbringen. Dabei war mir klar, dass die Freiheit vom Gesang nur um die Scham des Versagens zu haben war. Und um die Schuld des Verrats. Die Enttäuschung des Kollektivs wog schwer, und es war unmöglich, aus dem Kampf mit seinen Erwartungen als Sieger hervorzugehen. Doch das heißt nicht, dass es nichts zu gewinnen gab. Ich wusste, was ich nicht wollte, nämlich mit diesen mir innerlich fremden Menschen im Gesang verschmelzen; aber ich wusste auch, was ich wollte. Ich wollte der Familie meines Vaters beim Singen zuhören.

Das erste Lied war reine Qual. W36 sah in die Runde, wechselte Blicke mit den Führern der zweiten und dritten Stimme, um dann die Versammelten auf die einzige Reise mitzunehmen, die sie gemeinsam antreten konnten – eine Reise, die weg von der Wirklichkeit führte: je länger, desto weiter. Je weiter, desto enger. Während der Gesang bis zur hohen Decke anstieg, sah ich den strengen Blick meines Vaters, dann spürte ich den Druck seiner Hand auf meinem Arm. Mich selbst hörte ich schweigen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Lied wirkte der Missmut meines Vaters noch bedrohlich, aber ich wusste, dass sein Widerstand nachlassen würde, wenn ich den meinen bis zum dritten Lied aushielt. Und dann war ich frei. Und hörte etwas, das sich mit nichts vertrug, was ich sonst von diesen Leuten kannte. Wie viel Vergessen lag in dieser gewaltigen Einstimmigkeit! Wie viel Nachsicht, wie viel Entgegenkommen, wie viel Vertrautheit in dieser sicheren Vielstimmigkeit. Welches Wissen um Verluste, deren Endgültigkeit nur in Momenten wie diesem überhaupt auszuhalten war, wenn mit dem Vergessen auch die Erinnerung kam – wie viel Wehmut lag im Refrain. Ich will nicht behaupten, dass mir das bewusst war, als ich mich hinter das tief herabhängende Tischtuch der langen Kaffeetafel verkrochen hatte. Doch ich spürte das Gift der Romantik. Und ich ahnte die Heide. Die Landschaft, in der Großvater seine Frau gefunden hatte. Die Welt, aus der mein Vater kam.

Kein schöner Land in dieser Zeit

als hier das uns’re weit und breit

wo wir uns finden

wohl unter Linden

zur Abendszeit.

Natürlich ist es Zufall, dass die einzige Gelegenheit, bei der ich je frei von Scham und hingebungsvoll singen konnte, sich nur wenige Kilometer stromaufwärts in einem anderen Gebäude am selben Ufer desselben Flusses fand. Als mein Freund Sven Waas mich an einem milden Freitagabend, es war der 12. April 1985, ein Tag nach Großvaters 77. Geburtstag, zum ersten Mal in die Ostkurve des Weserstadions mitnahm, hatte ich darin zunächst nur einen Abstieg gesehen, den Verzicht auf einen Sitzplatz im Oberrang, den man ja immer geschenkt bekam, wenn man irgendwelche Väter oder Onkel zu Werder begleitete. Es sollte fast zwanzig Jahre dauern, bis ich im Stadion wieder saß, nun selbst einer der Männer, die Kindern Karten kaufen, um den Keim der Gemeinschaft in ihnen zu pflanzen. Denn was tatsächlich passierte, war dies: Ohne einen Moment des Zögerns wurde ich schon lange vor Spielbeginn Teil eines tausendstimmigen Chores, der grobschlächtig und frei sang, allein um gehört zu werden. Mich überraschte das mit der Macht einer Offenbarung. Dass man sich einem kollektiven Singen nur schwer entziehen kann, war mir aus der Weserstraße bekannt. Das Neue im Weserstadion war, dass sich mit dem Pflichtgefühl auch ein Gefühl der Verantwortung einstellte. Sich an diesen Gesängen nicht zu beteiligen wäre schlicht fahrlässig gewesen. Es ist ja alles andere als blasphemisch, wenn man den Fangesang in die Nähe des Kirchenliedes rückt. Denn beide sind so viel mehr als nur ein Ausdruck – einer Stimmung, eines Glaubens, einer Wahrheit –, es sind Handlungen: Taten, die etwas zum Guten bewirken sollen. Beide haben einen Adressaten, von dessen Geschick das eigene Wohlergehen nicht unerheblich abhängt. Und so gaben unsere Gesänge an diesem herrlichen Aprilabend Zuversicht und Kraft (allen Werderanern). So ehrten sie und warben um die Gunst einer Vertragsverlängerung (Rudi Völler nach dem 1 : 0). So trösteten sie, auf dass die Kraft nicht versiege (Uwe Reinders nach dem verschossenen Elfmeter). So schmähten sie (den Gegner im Besonderen, die Bayern und den HSV im Allgemeinen). So schmeichelten sie (der ganzen Mannschaft nach dem 2 : 0). So dankten sie (Otto Rehhagel für das Wunder, das er hier vollbrachte). Und so versprachen sie Standfestigkeit und Treue (zu dem, was bleibt, wenn wir nicht mehr da sind):

Werder Brem’, Werder Brem’, Werder Brem’
(Melodie: Here we go, here we go …)

Werder Brem’, Werder Brem’, Werder Bre-men

Werder Brem’, Werder Brem’, Werder Brem’

O Werder Bremen, o Wer-der Brem’!

Jeden einzelnen dieser Gesänge nahm ich mit in den Vorortzug nach Vegesack, auf die Heimfahrt nach München, in die Lateinstunde, auf den Tennisplatz, bis zur Radiokonferenz des letzten Spieltags, bis feststand, dass doch wieder Bayern Meister wird. Sie waren damit das genaue Gegenteil der Lieder im Magazin. Auf die Lieder im Weserstadion freute ich mich schon Wochen im Voraus, und spätestens auf dem Osterdeich, wenn es strömte und trommelte und aus der Ferne plötzlich das weiße Flutlichtfeuer herüberschien, war kein Halten mehr: Jetzt mussten sie raus. Jetzt galt es wieder. Der nächste Auftrag wartete, und mit stolzer Freude machten wir uns an seine Erledigung. Den Gesang in der Weserstraße dagegen verdrängte ich bis zum letzten Augenblick. Und wenn er einsetzte, ließ ich ihn über mich ergehen, ertrug sein Dröhnen, bis sein Klang mich endlich forttrug. Ausgerechnet hier, mit Blick auf die Schuhe meiner Verwandten, Schönheit zu finden war ebenso erniedrigend wie überraschend.

Als Großvater im Januar 1993 starb, neigte sich das lange Kapitel, das unsere Familie in der Geschichte dieses Hauses geschrieben hatte, seinem Ende zu. Knapp zwei Jahre Gnadenfrist waren Großmutter noch vergönnt, dann brach die Hypothekenlast über M41 zusammen. Kurz darauf brach Großmutter auf dem Postamt zusammen, für immer. Denn obwohl es für mich mit unserem Namen so untrennbar verbunden ist, als zierte sein Bild (und nicht das tanzende Löwenpaar) unser Wappen, ist es eine Tatsache, dass die Leos allein sich dieses Haus niemals hätten leisten können. Leisten konnten es sich die Langes. Die Leos, das waren seit bald vier Jahrhunderten Lutheraner mit Bildungstiteln. Die Langes, das war in diesem Fall eine Witwe mit Industrievermögen. 1909 hatte Elisabeth Lange das Anwesen in der Weserstraße ihrem Cousin, dem Bremer Reeder Friedrich Bischoff, abgekauft. Ihren Aktienbesitz musste sie dazu nicht antasten. Es reichte ein Teil des Betrags, den die Familie ihres früh verstorbenen Mannes ausgelöst hatte, als die Werft Lange & Söhne 1893 in die Gründungsmasse der Bremer Vulkan AG eingegangen war. Sie selbst bezog das Hochparterre; der Familie ihrer Tochter Gesine, meiner Urgroßmutter, überließ sie die Wohnräume im ersten Stock. Deren Ehemann Heinrich Leo, ein junger Gymnasialprofessor aus Thüringen, in dem man einen kommenden Gelehrten sah, durfte sich das Dachgeschoss als Bibliothek und Studierstube einrichten. Sechs Jahre lang wurde das Haus nun standesgemäß bewohnt. Seidenrock und Steckfrisur, Strohhut und Kaiserbart, Latinum und Matrosenanzug, Teekränzchen, Krocket und Piano – drei Generationen einer großbürgerlichen Bilderbuchfamilie unter einem Dach. Dann fiel Heinrich auf der Hügelkuppe Les Éparges, nicht weit von Verdun. Dann schmolz das Vermögen in der Inflation. Dann zerfielen die drei Stockwerke, die zuvor eine durch ein Haustelefon verbundene Einheit gebildet hatten, in familieninterne Parzellen. Wenn jemand starb, wurden sie neu verteilt.

1973 starb Gesine. Davon abgesehen, dass sich ihr Sohn Heinz, mit dem sie über drei Jahrzehnte den ersten Stock geteilt hatte, nun selbst versorgen musste, blieb zunächst alles beim Alten. Und doch war das der Anfang vom Ende. Denn jetzt gehörte das Haus plötzlich meinem Großvater und seinen Brüdern. Vier gebürtigen Leos. Ein grandioses Missverständnis, das M41 mit dem Mut der Verzweiflung noch einmal zu verlängern suchte, als er im Grundbuch seinen Namen neben dem der Bank eintragen ließ. Als er einige Jahre später wieder gelöscht wurde, war das, als hätte man ein Versehen bemerkt.

Wenn die bildungsbürgerlichen Leojungs gewissermaßen qua Heirat geduldete Gäste im Palast der Langemädels waren – um wie viel mehr war es die Dorfschmiedstocher Trina Dodenhoff, die 1935 die Frau meines Großvaters Friedrich Leo wurde und mit ihm seit 1958 das Hochparterre bewohnte. Hätte ihr Tod das nicht verhindert, wäre Großmutter im März 1995 wieder an ihren Geburtsort gezogen. Zu ihrer Tochter W37, auf einen Bauernhof. Zurück in die Heide. Aber auch nach Hause? Glaubt man den widersprüchlichen Aussagen, die sie in ihren letzten Monaten machte, wusste sie das selbst nicht. Dass sie in der Stadt nie angekommen sei, konnte man heraushören. Dann wieder die Angst vor dem Ende. Die Rede vom alten Baum, den man nicht mehr verpflanzt. Wenn es bei Großmutter je so etwas wie Anhänglichkeit an die Weserstraße gegeben hat, dann dürfte sie sehr spät entstanden sein. Genau wie bei mir.

Keiner ihrer Eigentümer hatte Trina je das Gefühl geben können, dass sie in der Villa am rechten Platz war, auch ihr Mann nicht. Sie zahlte fast keine Miete. Und doch schien es, als wollte sie sich ihr Wohnrecht verdienen, indem sie sich ihres Wohnortes würdig erwies. Ihr hehrer Moralismus, all die Achs und Ohs in Kulturdingen, das demonstrative Herumblättern in Schillers Werken, Beethovens Neunte, die selbstgestickten Familienwappen – waren das nicht lauter ungelenke Versuche, sich so lange auszupolstern, bis das Haus ihr endlich passte? Und dann waren plötzlich alle, die ihr einst Eintritt gewährt hatten, tot.

Mir scheint, als hätten wir beide, Großmutter und ich, uns erst nach Großvaters Tod zwanglos in diesem Haus bewegen können. Aber wir brauchten dazu die Gesellschaft des jeweils anderen. Sie meine, weil ich sie behandelte wie eine alteingesessene Bewohnerin, die zum Anwesen gehörte wie die Schachbrettfliesen in der Eingangshalle und der Pavillon im oberen Garten. Ich ihre, weil sie von mir nicht mehr erwartete als ein paar Stunden Gesellschaft. In den zwei Jahren, die Großvaters Tod von ihrem trennten, war Großmutter für mich jedenfalls die ideale, weil sozusagen geringstmögliche Bewohnerin des großen Hauses. Umgekehrt dürfte ich für sie das Haus mit einer gewissen Legitimität ausgestattet haben. Sie erkannte in mir einen rechtmäßigen Eigentümer, einen gebürtigen Leo, einen Erben, nicht dem Gesetz, aber ihrem Gefühl nach. So zumindest kam es mir vor.

Über die Stunden, die wir gemeinsam dort verbrachten, lässt sich kaum etwas erzählen. Wir waren beide müde, sie ihres Alters, ich meiner Jugend. Nun ist ja Müdigkeit an sich nichts Unangenehmes. Im Gegenteil, man muss nur müde sein können. Und hier konnte ich es endlich. Die ohnehin kaum spürbare Anwesenheit meiner Großmutter verflüchtigte sich bis auf einen homöopathischen Rest, wenn sie sich nach dem Essen zum Mittagsschlaf in ihr Zimmer zurückzog. Ich ging in den Wintergarten, legte mich in den Liegestuhl, zog mir eine dicke Wolldecke bis unters Kinn und sah den Gedanken beim Verlassen des Kopfes zu. Das war die schönste Stunde, ihretwegen kam ich. Das Haus war jetzt still und scheinbar leer, ohne dass ich mich einsam gefühlt hätte. Es umfasste mich wie eine große weiche Hülle. Das unentschlossene Studium, die unverliebten Frauen, der irrlichternde Ehrgeiz, Lisa und Lyotard, all das war jetzt weit weg. Hinter den dicken Mauern war die Welt wie eingeschlafen. Die Autos auf dem Kopfsteinpflaster: ein fernes Rauschen. Dann wieder Stille. Vor mir lag eine endlose Weite aus Wiesen, Bäumen, Wasser und den Feldern des Oldenburger Landes. Das juckende Gefühl, da draußen finde irgendetwas statt, dem ich mich stellen müsse, ohne es zu begreifen, der latente Fluchtimpuls, das Gehetztsein, all das beruhigte sich. Plötzlich war es nicht nur Tag – plötzlich wärmte die Sonne, die durch die Kastanienzweige und die großflächigen, von Efeu umkränzten Fenster hereinschien. Für einige Minuten nickte ich weg, wachte wieder auf, nickte wieder ein oder auch nicht, es war egal, dann zog eine Wolke vor die Sonne, dann gab sie ihre Wärme wieder frei, eine Drossel sang, und wenn Großmutter kam, um mich zum Kaffee zu holen, stellte ich mich schlafend.

Aber heute: nichts davon.

Großmutters Müdigkeit hatte scharfe Konturen bekommen. In Form eines Entsetzens, das nicht aus ihrer Miene wich, und in der schmerzhaft schleppenden Schwere ihrer Bewegungen war sie greifbar geworden. Meine Müdigkeit hingegen war verflogen. Ich hatte in Freiburg endlich, endlich! die Versatzstücke eines sogenannten Lebens in Freiheit gefunden, und nun trug ich sie wie Orden mit mir herum. Schon seit dem Ende des Sommers fühlte ich mich einigermaßen unantastbar. Außerdem wussten wir beide, dass dies unser letztes Treffen in Vegesack sein würde. Wenn ich mich richtig erinnere, fand der Mittagsschlaf nicht statt. Oder er fiel dem Notstand geschuldet kürzer aus als sonst. Das Haus in der Weserstraße war im Begriff, die Leos auszuspucken, und nun mussten die Dinge der Großeltern von ihren Räumen getrennt werden. Noch einmal Butterkuchen am Wohnzimmerfenster, dann legte ich die Axt an die mit ihrer Umgebung verwachsenen Gegenstände, dann begann ich das, was ich gerade zu mögen begonnen hatte, zu zerstören.

Welche Bücher sollen mit in die Heide?

Egal, die Goethebiographie vielleicht, sonst alles egal.

Nimm dir, was du willst, sagte sie noch. Es war die Aufforderung, auf die ich seit Jahren gewartet hatte, ohne mir dessen bewusst zu sein. Natürlich wusste ich, dass Großvater ein Nazi gewesen war. Und ich wusste es nicht. Warum hatte mich das nie interessiert? Ich studierte Geschichte, ich hielt mich für links. Warum hatte ich meinem Vater, mit dem ich über fast alles stritt, nicht die Daumenschrauben angelegt? Warum hatte ich ihm nicht zugesetzt damit, dass er mit seinem Vater nie ins Gericht gegangen war? Warum hatte ich nie den Vorhang angehoben, der die beiden untersten Fächer des Bücherregals verdeckte?

Dicker, blauweiß bedruckter Stoff: Das Bild dürfte zu meinen ältesten Erinnerungen an die Weserstraße gehören. Der Vorhang war ja für das kleine Kind, wenn es den langen, raumartigen Flur zwischen Wohnungstür und Wintergarten entlangging, einer der wenigen Anblicke auf Augenhöhe. Doch dem Boden entwachsen, beugte ich mich nie mehr tiefer hinab als bis zu den Bildbänden über Fauna und Erdgeschichte. Ich sah den blauweißen Vorhang darunter, und ich sah ihn nicht. Hatte man mir den Blick dahinter verboten? Eher war es wohl einer der vielen Zauber des Hauses, der bewirkte, dass man nicht fragte, was denn auf dieser noch niemals freigegebenen Bühne gespielt wurde. Und nun kniete ich auf dem Fußboden und tat einfach, worum Großmutter mich gebeten hatte. Ich sortierte die Bücher in solche, die sie behalten, und solche, die ich mitnehmen wollte. Alle Bücher. Auch die hinter dem Vorhang.

Es war, als hätte ich all meine Zurückhaltung den Großeltern gegenüber im erstbesten und zugleich letztmöglichen Moment aufgegeben. Als das erste und einzige Mal nicht alles wie immer war. Wie in einem dieser Filme, in denen ein Schatz in genau dem Augenblick gefunden wird, in dem die ihn bergende Höhle sich mit Wasser füllt, raffte ich den gesamten Inhalt des Giftschranks hinter dem Vorhang an mich, murmelte ein paar Sätze zu meinem Interesse an der Zeitgeschichte und packte den Stoff in Kisten, die ich sofort im Auto verstaute, als fürchtete ich, Großmutter könne jeden Moment zu sich kommen und begreifen, was sie mir da erlaubt hatte. Sie kannte ja die offenen Flanken ihres Mannes. Ob es auch die ihren waren, hatte sie immer gut zu verbergen gewusst. Noch beim Kaffee hatte sie das Gespräch über Großvater gesucht, auch dies ein eklatanter Bruch mit den Regeln. Sie schien mir zu vertrauen – aber mit wem sonst hätte sie auch reden sollen? Ihr Vertrauen war riskant und voller Hoffnung. Sie wusste, dass es um das Nachleben ihres Mannes nicht zum Besten bestellt war; doch nun schien sie begriffen zu haben, dass auch ihr Nachleben davon berührt war. Merkte sie plötzlich, dass sie doch noch etwas wollte, etwas, das nicht mehr ihr Leben, sondern ihren Tod betraf? Und dann sagte sie doch nichts. Nicht mehr jedenfalls, als dass es offenbar eine Menge zu sagen gäbe. Auf keinen Fall solle ich alles glauben, was man über ihn erzähle. Ein wundervoller Mann sei er gewesen. Aber wer habe das schon wissen wollen? Einer wie er habe es eben nicht leicht gehabt in so einer Familie. Ein Aufmüpfiger! Idealist! Wie ihm seine Großmutter zugesetzt habe, nur weil er anders sein wollte! Und dann der Autounfall im Krieg! Die Medikamente für den Kopf! Ach. Aber jeder, der ihn vorher gekannt habe. Und die Politik! Ach, die Politik.

Genau, die Politik. Die hat mich auch schon immer interessiert, sagte ich. Die Natur dieses Interesses kalkuliert in der Schwebe lassend, entwendete ich meiner Großmutter, was sie mir anzuvertrauen meinte. Nachdem die letzte Kiste im Kofferraum untergebracht war, drängte es mich fort. Achtlos, fast überstürzt, verabschiedete ich mich. Großmutter kam nicht mal mehr dazu, mich zur Tür zu bringen. Ich ließ sie einfach stehen. Im hell erleuchteten Flur, zwischen lauter offenen Umzugskartons. Die Fahrt in die Bremer Innenstadt, wo meine Mutter seit der Scheidung wieder wohnte, kam mir vor wie eine Flucht. Erst auf der Autobahn, als ich nur noch eine Lichtquelle unter vielen war, die sich rasch von Vegesack entfernten, fühlte ich mich sicher.

Wie gesagt, ich weiß nicht mehr, ob es regnete. Aber es würde passen. Nehmen wir also an, es habe geregnet.

Nur für Augenblicke geben die Scheibenwischer die Sicht auf die Umgebung frei. Dann wieder nur Lichter, ein Schmierbild aus Rot und Weiß. Umgebung, Schmierbild. Umgebung, Schmierbild. Nirvana spielt jetzt David Bowie. Die müde Stimme singt nicht nur, sie erzählt etwas, und endlich ist da auch ein Bass oder wenigstens eine Rhythmusgitarre, die sie treibt, und die anderen Gitarren betten sie nicht mehr nur, sondern lenken und zügeln sie auch, mit Tempowechseln und mit einem Ziel. Und doch beherrscht Cobain auch dieses vorwärtsdrängende Lied – es klingt, als sei es sein letztes.

Oh no, not me

We never lost control

Ich trete aufs Gaspedal, ziehe nach links, vorbei an den roten Lichtern, immer schneller, näher zum Blockland. Und dann passiert es. Irgendwo zwischen der Müllverbrennungsanlage und dem bleistiftförmigen Fallturm der Universität. Wie ein Unfall, bei dem man in den Bruchteilen einer Sekunde alles sieht. Eine Vision seines bisherigen Lebens. Nur ist es kein Unfall, und die Vergangenheit, die ich sehe, ist nicht meine eigene. Kopfgeburten und Schemen der Wirklichkeit sind nicht mehr auseinanderzuhalten. Ich rette mich auf den Seitenstreifen. Wellen weißen Lichts kommen näher, werden schnell größer, explodieren im Rückspiegel und sind plötzlich rot. Schmierig, klar, wieder schmierig, wieder klar, nochmal schmierig, nochmal klar, jedes Mal ein wenig kleiner. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er ausgespült. Und plötzlich liegt sie vor mir, die Geschichte meiner väterlichen Familie, wie ein Treibgut. Und über dem Blockland steigt das Haus auf, ihr Haus – unser Haus. Als hätte es mich auf dem Weg von Vegesack verfolgt und überholt, steht es nun am schwarzen Himmel und guckt auf mich herab. Steinern, mächtig und gelb. Wie eine nächtliche Sonne, die nichts ist als ein rätselhaftes Bild. Zum ersten Mal sehe ich es so klar konturiert von außen, und ganz allmählich rückt seine Pracht, der patrizische Reichtum, zusammen mit Großmutters kugeligem Bauernkörper. Und mit dem schwarzen Lederportemonnaie, das Großvater nach dem Öffnen endlos langsam immer wieder schüttelt, bis er schließlich ein einzelnes Geldstück herausnimmt, es noch einmal wendet und mir dann, als vollzöge er ein Sakrament, zum Kauf eines Butterkuchens überreicht. Ganz langsam hebe ich den Blick, Knopf für Knopf an Großvaters Strickjanker entlang, bis ich sein Gesicht erreicht habe. Was ich sehe, entsetzt mich: ein fremdes Lachen. Lautlos, kalt und böse.

You’re face to face

With the man who sold the world

Jetzt trägt Großvater eine graue Uniform, er sitzt auf einem hellen Pferd, das in wildem Galopp über das Blockland jagt, gefolgt von einer Horde anderer Reiter – immer gen Osten. Und jetzt löst sich auch meine Anspannung. Die Beine zittern, das Gesicht heult, der Kopf ist voll von hysterischem Text. Nichts als gestanzte Wörter und pathetische Halbsätze. Dschinghis Khan! Mongolen der Moderne! Er hat sie aus der Heide geraubt! Und dann haben sie Europa verheert! Der Schrecken ihrer Zeit! Aus bestem, aus gelbem Hause! Dem Haus, das ich gerade verlassen habe.

Noch immer steht sein Bild am schwarzen Himmel. Doch allmählich wird es schwächer. Noch immer sind in meinem Kopf nur Wörter. Aber sie tönen nicht mehr so schrill. Sie stehen herum wie Bruchstücke eines Textes, die nur ein langer Kommentar wieder verbinden könnte. Familienwappen, Humanismus, Schiffbau, Villa, Heide, Scholle, Bücher, Blitzkrieg, Sturmbannführer.

Da komme ich also her.

2. KAPITEL
THE MAKING OF A NAZIENKEL

Als ich Mitte Januar 1995 aus den Weihnachtsferien zurück nach Freiburg kam, versank ich in Agonie und tauchte in Panik auf. Nie zuvor hatte ein Frühling so unerträglich grell begonnen wie in den frühen Märztagen, als meine Großmutter starb. Sollte ich über diesen Tod so etwas wie Traurigkeit empfunden haben, hätte er in der Rangliste meines Elends nur sehr weit hinten – unter »was auch noch passierte« – rangiert. Meine größte Sehnsucht galt dem Einbruch der Dunkelheit, wenn ich ohne den brennenden Fluchtimpuls, der tagsüber jede innere Ruhe verhinderte, im Bett liegen konnte. Doch schon kurz vor dem Einschlafen wich das Gefühl der Geborgenheit dem Gedanken an das Herzrasen, das mich am Morgen wieder wecken würde. An der Unterseite des Regalbretts, das über meinem Bett hing, hatte ich einen Zettel befestigt, auf dem stand: Steh auf, du Arschloch. Schon nach wenigen Tagen sah ich ihn nicht mehr.

Es sagt viel über den Grad meiner Verzweiflung, dass ich meine Mutter um Hilfe gebeten haben muss. Denn ich erinnere mich noch an den lakonischen Rat, den sie mir gab. Wenn du den Weg verloren hast, geh einfach weiter, hatte sie gesagt. Ein Ziel würde sich dann schon finden. (Das war eine von drei Maximen, die sie mir mitgab. Wenn du Geld hast, lautete die zweite, gib es aus: es wird zu dir zurückfließen. Und wenn das Geld knapp ist, so die dritte, kauf dir lieber eine Flasche Champagner als fünfzig Flaschen Bier.) Ich erinnere mich auch, dass ich an diese Worte dachte, als ich auf der Treppe zur Universitätsbibliothek haltmachte und minutenlang mit dem Gedanken spielte, umzudrehen und mich nach Ausbildungsmöglichkeiten bei der Kriminalpolizei zu erkundigen.

Ich ging weiter und las Treitschke.

Im obersten Stockwerk des Bibliotheksneubaus konnte man über die Dächer dieser entsetzlichen Stadt hinweg bis zur Rheinebene sehen. Durch die getönten Scheiben erschien sie in zartem Orange. Treitschke war irgendwie gelb. Gelb wie das Kaiserreich. Gelb wie die Erscheinung des schwebenden Hauses, Baujahr 1887, die mich seit dem Zwischenfall auf der Autobahn nicht mehr verlassen hatte. Das Lesen war eine Qual. Ich kratzte Zeile für Zeile zusammen und hatte keine Ahnung, wie aus diesen Wissenskrümeln je eine Seminararbeit entstehen sollte. Doch wenn ich, um mich von der Anstrengung zu erholen, ab und an aufsah und abwechselnd aus der Stadt hinaus zum Rhein und aus meinem Elend hinaus auf das gelbe Haus blickte, dann ging es mir zwar nicht besser. Aber wenigstens stand die Zeit mal still. Von solch seltenen Momenten der Linderung abgesehen, wirkten nicht einmal die sonst zuverlässigsten Stimmungsaufheller. Dass Werder um ein Haar Deutscher Meister geworden wäre, nahm ich zur Kenntnis wie das Ergebnis einer Schweizer Kantonswahl. Und dass ich 1995 in Freiburg das 1995 veröffentlichte Lied »Freiburg«, das ein Befreiungsschrei hätte sein können, überhaupt nicht bemerkte, ist ebenfalls sehr bezeichnend.

Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse,

Tanztheater dieser Stadt.

Ich bin alleine und ich weiß es,

und ich find es sogar cool,

und ihr demonstriert Verbrüderung.

Das Einzige, was irgendwie funktionierte, war Nazis jagen. Einen Nazi, genauer gesagt. Einen toten Nazi, um noch genauer zu sein. Zeit seines Lebens hatte mir mein Großvater kaum etwas bedeutet. Aber jetzt, als toter Sturmbannführer, wurde er mir ein treuer Begleiter, eine echte Stütze in der Not.

Den Entschluss zur Recherche hatte ich bereits auf der Rückfahrt aus Bremen gefasst. Und schon da war mir die Möglichkeit, Großvaters Tätigkeit bei der SS zu erforschen, wie ein Ast am Ufer eines bedrohlich schneller werdenden Flusses vorgekommen, den ich um keinen Preis mehr loslassen wollte. Es war erstaunlich einfach. Ein Anruf beim Berlin Document Center, eine Unterschrift, und keine zwei Wochen später hielt ich eine Kopie seiner Personalakte in der Hand. Als ich den Umschlag, der zu dick für den Briefkasten war, auf der Schwelle unserer Mansardenwohnung in der Unterwiehre liegen sah, durchzuckte mich helle Vorfreude. Für die Dauer eines Blitzes zeichneten sich vor mir die Umrisse eines Spielbretts ab, das ich so zauberhaft deutlich wie in diesem Augenblick meines ersten Erfolges als Nazijäger nie wieder sehen sollte. Aber es verschwand auch nicht mehr ganz. Wann immer ich in den kommenden Monaten, sei es über den Personaldokumenten des BDC, in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg oder im Berliner Bundesarchiv, wieder ein Schriftstück in den Händen hielt und mich fragte, wie es zu den anderen Stücken passte, kam es mir vor, als säße ich in einem versteckten Kellerraum, der nichts enthielt als einen Tisch und eine schwache Glühbirne. Doch um wie viel besser war dieses einsame Spiel als die gleißende Leere, in der mein sonstiges Leben gerade zerrann. Im Grunde war es nichts anderes als die Partie Patience am Ende eines Tages, der alle Kraft zum abendlichen Lesen, Schreiben oder Ausgehen für sich behalten hat: kein Glück, aber immerhin eine Pause, die sich zwischen den Stumpfsinn der Arbeit und die Besinnungslosigkeit des Schlafs schob, eine Ablenkung von etwas, das auf Dauer nicht auszuhalten gewesen wäre. Eine warme Fanta in der Wüste.

Von anderen nutzlosen Spielen unterschied sich dieses nur dadurch, dass es die vage Aussicht auf einen großen Gewinn enthielt, ohne dass ich gewusst hätte, wie er aussah und wo ich ihn hätte abholen können.

Und dann waren die Akten ausgelesen. In groben Zügen stand das Bild meines Großvaters im Dritten Reich. Aber ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Der Nazi war erlegt – und nun? Nirgendwo ist der Frühling so ungeduldig wie in Freiburg. Als das Magnoliengewitter verstummt war, so plötzlich wie es begonnen hatte, war da nichts mehr als Helligkeit und Hitze.

Ich traf Felix im Biergarten auf dem Schlossberg, entschlossen, ihm alles zu erzählen. Doch erschrocken stellte ich fest, dass es gar keine Worte gab für das, was da seit Wochen mit mir los war. Zum Abschied probierte ich einen Witz, er misslang. Vielleicht ging es aber auch gar nicht um Worte. Ich schlich den Berg hinunter, dem prallen Frühsommertag schutzlos ausgeliefert. Es war unmöglich, nach Hause oder in die Bibliothek zu gehen, jeder geschlossene Raum wäre mir wie ein Käfig vorgekommen. Um aber dem Fluchtimpuls nachgeben zu können, war es zu heiß. Irgendwann fand ich mich auf der Treppe der kleinen Adelhauser Klosterkirche wieder, unter dem Schatten einer alten Kastanie, den Kopf im Schoß vergraben. So tat es immerhin etwas weniger weh. In der Nähe plätscherte ein Wasserstrahl, sonst war es still – bis plötzlich aus einem offenen Fenster eine klare Querflötenmelodie erklang, nicht zu forsch, nicht zu wehmütig, aber von großer Kraft. Sonst hätten sich die Tränen nicht gelöst. Dann eine Stimme über mir, ein Mädchen, vermutlich Studentin, nicht zu hübsch, nicht zu hässlich, aber angenehm unaufdringlich. Ob sie mir helfen könne. Ich schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf. Sie ging. Wie sehr sie mir schon geholfen hatte, konnte ich ihr nicht mehr sagen.

Von diesem Erlebnis ermutigt, beschloss ich kurz darauf, mir sogenannte professionelle Hilfe zu suchen. Aber wo? Die Stadt, insbesondere mein Viertel, war vollgepackt mit hochsensiblen Psychotherapeuten. Doch mich um einen von ihnen zu bemühen, schien mir so aufdringlich und hoffnungslos wie an einer der Fachwerkvillen in der Nachbarschaft zu klingeln, um ein Gästebett zu fordern. Ich tat, was man halt tut, wenn man sich seine Probleme eigentlich nicht leisten kann. Ich wählte die Nummer eines Notrufs.

Einige Tage später wartete ich in einem kleinen, von Betonpfeilern und einem Glasdach umschlossenen Lichthof, in dem so viele Zimmerpflanzen in einer von braunen Speicherkügelchen gehaltenen Nährstoffbrühe vor sich hinwucherten, dass er kaum noch Licht enthielt. Psychosozialer Notdienst des Studentenwerks Freiburg e. V. Das niedrige Zimmer, in das ich bald gerufen wurde, hatte keine Fenster, nur eine Glasfront zum Dschungel. Ein albtraumartiger Tunnel, am einen Ende tödlicher Wald, am anderen eine Wand. Mir gegenüber saß eine blonde Frau und sah mich an, als ob ich etwas von ihr wollte. Das stimmte ja auch, aber dass man hier initiativ werden musste, nur weil es umsonst war, irritierte mich doch etwas.

»Was ist mit Ihnen?«, fragte sie irgendwann.

Ja, wenn ich das wüsste. Sagen Sie es mir, dachte ich, während ich sagte: »Mir geht es nicht gut.«

Was Sie nicht sagen, sagte ihr Blick, während ich sie sagen hörte: »Beschreiben Sie es doch.«

Es war wie mit Felix, ich fand keine Worte. Nur dass es nicht Felix war.

»Na ja, ich fühle mich irgendwie so leer«, sagte ich schließlich verzagt, fast abwiegelnd, »orientierungslos. Ich weiß nichts mit mir anzufangen.«

»Das Übliche also.«

Wie bitte? Keine zwei Minuten in professionellen Händen und schon die Gewissheit, dass es doch noch schlimmer ging. Mit letzter Kraft nahm ich erneut Anlauf.

»Ich kann nicht richtig arbeiten. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Ich bin so müde.«

»Haben Sie überhaupt schon mal richtig gearbeitet? Körperlich gearbeitet, meine ich.«

Verdammt, mit der Frage hatte ich nicht gerechnet. Du hast schon mal körperlich gearbeitet, ganz sicher, das weißt du, dachte ich, jetzt vollständig gefangen in der Prüfungsfalle dieser offenbar mit allen Wassern gewaschenen Fachfrau. Aber wo war das nochmal? Verdammt, wo war das?

»Wissen Sie«, schickte sie hinterher, »ich komme aus einer sogenannten Arbeiterfamilie. Ich musste mir mein Studium mit Fabrikarbeit verdienen. Da stellen sich bestimmte Probleme gar nicht.«

Nun hatte ich endgültig geschluckt, dass es hier um sie ging und nicht um mich, beziehungsweise dass ich gerade um meine letzte Chance spielte. Nun hatte ich Angst vor ihr. Die Zeit verrann. Schon begann die blonde Frau, in ihren Notizen zu blättern, da fiel es mir wieder ein, gerade noch rechtzeitig. Natürlich: Briefträger! Und Zivildienst, und Bauernhof, und Warenlager. Ein Glück, erst Blackout, und jetzt gleich mehrere richtige Antworten!

Ihr Blick hellte sich ein wenig auf. Sieh an, deine Probleme sind also doch echt, schien er zu sagen.

»Beim nächsten Mal möchte ich mit Ihnen über Ihre familiäre Situation sprechen«, sagte sie und öffnete mir die Tür zum Dschungel.

Eine Woche später schien sie sich zunächst gar nicht an mich zu erinnern. Sie las in ihren Notizen herum.

»Na gut, dann erzählen Sie doch mal von Ihrer Familie«, sagte sie, immerhin verabredungsgemäß.

Diesmal wusste ich besser Bescheid. So viel psychotherapeutischen Common Sense besaß ich doch. Scheidung halt. Vater kürzlich Pleite gemacht. Großmutter gestorben. Kein Urvertrauen, bindungsunfähig, Beziehungen zu Frauen immer schnell am Ende.

Während ich so vor mich hin redete, schrieb sie mit ihrer großen ungezügelten Schrift beide Seiten einer großen Karteikarte voll. Keine Nachfrage, kein Nicken, kein Blick.

»Sie brauchen was Hochfrequentes«, sagte sie, als ich fertig war.

Das klang gar nicht gut. Ob nicht auch Giftspritze ginge, hätte ich fast gefragt.

»Das Problem ist, das zahlt die Krankenkasse normalerweise nicht. Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, das zahlen die nicht. Aber nur im Gespräch kommen Sie nicht weiter.«

Das war mir allerdings auch schon aufgefallen.

»Machen Sie Sport?«

Ich hörte die Frage kaum, denn gerade war mir eine Idee gekommen. Vielleicht hatte ich meine familiäre Situation doch etwas zu schematisch dargestellt.

»Da ist noch etwas. Seit einiger Zeit erforsche ich die Vergangenheit meines Großvaters. Wie sich herausstellt, war er ein dicker Nazi. Berufsoffizier in der SS. Vielleicht belastet mich das auch.«