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Bernd Schmid

Am Zaun

Persönliche Essays

unter Mitarbeit von Jutta Werbelow

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www.bernd-schmid.com
www.isb-w.eu

www.isb-i.eu

© 2016 Bernd Schmid, unter Mitarbeit von Jutta Werbelow

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische
Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

978-3-7345-6486-4 (Paperback)
978-3-7345-6487-1 (Hardcover)
978-3-7345-6488-8 (e-Book)

Umschlagabbildung: © Elsa Hagelskamp: „Der Junge“
Bernd Schmid Privatarchiv

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorwort

Höhere Weisheit

Geburtsanzeige

Abschied

Hoffen

Outing

Tutti Frutti

Sehnsuchtsziele

Laster und Talente

Zufall

Gelassenheit

Surreales Kaleidoskop

Kleine Siege

Näher dran?

Großes auf kleiner Bühne

Freundschaften

Konfrontation

Vergänglichkeit

Begegnung mit Gefühl

Erschütterung und Alltag

Sommergold

Vom Feuer lebendiger Bilder

Nüsse sammeln

Zagen

Am Zaun

Das Seelenschiff

Traumzeit

Warum ich schreibe.

Frühling

Vorwort

Am Zaun meint am Rande der Welten, das Schauen auf Sphären dahinter, auf private Lebenswege hinter fachlichem Engagement, auf Intuitionen und Träume hinter konzeptionellen Betrachtungen, auf Sinnfragen hinter beruflichem Tun.

Manches Erlebnis am Rande, freudige und leidvolle Erfahrungen, mancher Dialog mit Weggefährten haben mich immer wieder berührt, aufgerüttelt und zum Sinnieren gebracht. Durch Schreiben konnte ich vieles verorten, in Form bringen und in mein Leben integrieren. Dabei halfen mir Leser, Menschen, in denen Resonanzen entstanden, die mir meist in persönlichen Begegnungen mitteilten, wie sie aus meinen Texten Gewinn ziehen konnten.

In diesem Büchlein sind nun einige der eher privaten Essays wiedergegeben, solche, mit denen ich weniger Ansichten verbreite und mehr am persönlichen Erleben und Verarbeiten Anteil gebe. Sie sind begleitet von eigenen Fotos. Seit Jahren hilft mir mein „Knipsen aus poetischer Perspektive“ Blickwinkel zu finden und Erinnerungen zu bewahren, die mir sonst verloren gegangen wären.

Kleine Besinnungspausen mitten im Alltag, kurzes Schweifen der Blicke über ihre Zäune. Dies ist allen Lesern zu wünschen.

Ich danke

Jan Zierock, der seit Jahren meinen Blog sorgfältig betreut,

Laura Sobez, die sich engagiert der kleinen Reihe angenommen hat,

Jutta Werbelow, die bei der Auswahl wesentlich mitgeholfen hat,
und allen, die berührende Momente im Leben mit mir geteilt haben.

Insbesondere danke ich meiner Frau Irene, die nun seit fast einem halben Jahrhundert Freud und Leid mit mir teilt.

Wiesloch, den 10. Oktober 2016

Höhere Weisheit

Mai 2003

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In den 1980er Jahren waren wir angetan davon, im I Ging und in den durch Münzwurf gewählten Orakelsprüchen sinnreiche Aussagen zu finden. Aufgrund von 6 Würfen mit je drei Münzen konnte ein Orakelsymbol aus 6 übereinander angeordneten Yin- oder Yang-Zeichen definiert werden. Ich hatte mir angewöhnt, die Zeichen von oben nach unten aufzuschreiben. Bei einer dieser Orakelsitzungen während einer Seminarpause unterbrach mich eine Mitleiterin und meinte, dass man von unten nach oben aufschreiben müsse. Das ging eine Weile hin und her, bis wir uns einigen konnten, es diesmal nach meinen Gewohnheiten zu machen. Das Zeichen, das entstand, war zur Erhellung unseres Gemüts dann von oben nach unten genau gleich zu lesen wie von unten nach oben.

Geburtsanzeige

Dezember 2010

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Ich gebe die Geburt einer weiteren Identität bekannt. Ich bin ein Essayist.

Ein Essay, das ist „ein Versuch über...“, ein Text, der sich aus einer Anfangsidee entfaltet, ohne vorherigen Plan, ganz auf die Fügung des Augenblicks angewiesen. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung des Autors mit seinem jeweiligen Thema.

Bei der Frage, was ich bin, kam ich schon so oft ins Stottern. Was sollte ich bloß in den Meldezettel des Hotels schreiben? Psychotherapeut, Supervisor, Lehrtherapeut? Organisationsberater/Coach? Erwachsenenbildner? Oder Institutsleiter/Unternehmer? Aber das musste ich wieder jedem erklären. Ich bin ja nicht Leiter eines Massageinstituts oder Wurstfabrikant.

Geschrieben habe ich mein ganzes Erwachsenenleben. Mein erstes Arbeits-Buch erschien vor 40 Jahren im Heidelberger Springer-Verlag. Ich war damals im fünften Semester. Meist schrieb ich Fachliches, insofern war Schreiben in die jeweiligen beruflichen Identitäten eingegliedert. Mir, einem miserablen Deutschschüler, der auch wegen einer (damals nie so erkannten) Legasthenie nie viel las, wären literarische Ambitionen eh nicht in den Sinn gekommen. Anfang der 1980er erlebte ich eine Art Sprach-Eruption, die Wellen von Gedicht-Entwürfen auslöste. Danach beruhigte sich alles wieder, es ist bei Entwürfen geblieben. Nur abends am Bett mit den Kleinen, bei Reden zu Festen und in geleiteten Phantasien waren Einfallsreichtum und Poesie gefragt. Und doch ahnte ich irgendwo, dass Schreiben für mich sein könnte, was für andere Malen, Meditieren, Bildhauen, Tanzen oder Musizieren ist.

Stilistisch war da noch viel zu tun. Nicht nur, dass ich z. T. harsche Kritik ertragen musste („abstoßend aufgeblähter Stil“), auch Wohlwollende erklärten immer wieder, dass meine Texte erst erträglich wurden, wenn man mich persönlich erlebt hatte. Es gab auch Ermutigung und die Befriedigung, etwas, was aus mir drängte, herausgebracht zu haben. Also nur nicht aufgegeben!

Mein erster bewusst literarischer Versuch: „Marathon – eine Erzählung“. Das Ringen damit, wie man das, was gesagt sein soll, nicht platt als Oberfläche formuliert, sondern zwischen den Worten aufscheinen lässt.

Gerade kleine Sachen wie Kolumnen oder Kurzinterview-Bearbeitungen schienen mir mehr und mehr zu liegen. Menschen um mich herum spiegelten mir, dass ich am überzeugendsten sei, wenn ich zwischen Tür und Angel oder bei Tisch etwas gefragt werde. „Was fällt Dir ein zu...?“ Erste Reaktion: Nichts! Dann fange ich aber doch an, und wir sind oft erstaunt, welche Welt sich entfaltet.

In den letzten Jahren immer öfter kurze Erzählungen, Kontemplationen über ein Thema. Die kleine Form begann Programm zu werden. Und als mir dann meine persönliche Website eingerichtet wurde, fing ich an, regelmäßig Blogs zu schreiben. Nicht unbedingt Antworten suchen, sondern ein Thema umrunden, von mir erzählen, Perspektiven entfalten und Weiteres offen lassen.

So hat sich das alles entwickelt und jetzt zu einer weiteren Facette meiner Identität gefügt. Eigentlich ein Lebensstil. „Ein Versuch über...“

Abschied

November 2008

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Nun ist unser Sohn Peter 7 Jahre tot. Am 23. November 2001 haben wir Ihn tot in unserem Garten aufgefunden. Er war 17 Jahre alt.

Wir haben gelernt, damit zu leben. Darüber hinweg kommen, wie es oft heißt, wollen wir gar nicht. Noch immer bluten unsere Herzen, wenn wir spüren, wie sehr er uns fehlt.

Erst letzte Woche geschah das unerwartet in einem Vortrag. Ich sprach gerade davon, dass der Mensch Sinn braucht, dann kann er auch Schweres tragen. Da brandete eine Schmerzwelle an und erstickte für einen Moment meine Stimme. Ich ließ die Zuhörer Anteil nehmen und fuhr dann in meinem Vortrag fort. Niemand störte sich daran, im Gegenteil.

Die Wellen des Schmerzes werden seltener und milder. Waren in den ersten Jahren immer dunkle Wolken an unserem Himmel, so ist er jetzt meist wieder frei. Peter bleibt Teil unseres Lebens. Da ist wohl doch was dran, am Leben in 7-Jahres Phasen.

Die Lebensfreude kehrt zurück. Manchmal, wenn wir an Peter denken, schmunzeln wir auch nur. Da ist die Erinnerung an sein frisches, lebenszugewandtes Wesen, an seinen Sinn für Humor.

Einige Zeit nach Peters Tod sahen wir in einer Galerie das Bild einer Künstlerin aus der Region: Elsa Hagelskamp. Sie erzählte, wie es zu diesem Motiv kam. Es war eigentlich ein abstraktes Gemälde, das da unter ihren Händen entstand. Erst als es fast fertig war, sah sie plötzlich darin den Jungen und malte, was sie sah. Und so heißt das Bild jetzt auch: „Der Junge“.

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