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Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2017

 

Für die Originalausgabe:

© 2016 by Eli Easton

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Stolen Suitor«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2017 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

 

beloved ist ein Imprint des Cursed Verlags

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-625-7

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen
von Vanessa Tockner


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Alle in Clyde’s Corner, Montana, wissen, dass Chris Ramsey vorhat, die Erbin der reichsten Ranch der Gegend zu heiraten. Allerdings ist Mabe Crassen nicht allzu begeistert von der Idee, will sie die Ranch doch selbst in die Finger bekommen. Also setzt sie ihren Sohn Jeremy darauf an, Chris von seinem Vorhaben abzubringen.

Jeremy hält nicht viel vom Plan seiner Mutter, aber wenn er aufs College gehen will, braucht er ihre Unterstützung – die sie ihm natürlich nur gewährt, wenn er Chris verführt. Was für einen schüchternen Mann wie Jeremy gar nicht so einfach ist, denn Chris ist fest davon überzeugt, mit der Hochzeit das Richtige zu tun. Hat Jeremy gegen eine Frau überhaupt eine Chance?


 

Danke an meine Schreibfreunde, die mir helfen, motiviert zu bleiben. Mein besonderer Dank gilt Jamie Fessenden, Kim Fielding, RJ Scott und Shira Anthony.


 

Danksagung

 

 

Danke an meine Betaleser Kate Rothwell, RJ Scott, Veronica Harrison, Jamie Fessenden, Nico Sels und Karen Ostrowski.

Sowohl A Prairie Dog's Love Song als auch Was das Herz sich wünscht wurden von einer meiner Lieblingsautorinnen im Genre Romance, Pamela Morsi, und ihrer Serie Marrying Stone sowie von dem Radioprogramm A Prairie Home Companion inspiriert. Clyde's Corner, Montana, gibt es nicht, aber hoffen wir, dass ähnliche Orte sehr wohl existieren.


 

Anmerkung der Autorin

 

 

Obwohl Was das Herz sich wünscht genau genommen nicht Teil einer Serie ist, spielt der Roman in derselben Stadt (Clyde's Corner, Montana) wie A Prairie Dog’s Love Song, meine Weihnachtsnovelle von 2013. Wenn ihr Bens und Joshuas Geschichte lesen wollt, findet ihr sie dort.


 

Kapitel 1

 

 

Mabeline Crassen hatte endgültig die Grenze zum Wahnsinn überschritten. So viel war klar.

»Was?«, fragte Eric gedehnt.

»Wie ich gerade sagte«, begann Mabe in geschäftsmäßigem Ton, »du, Eric Crassen, wirst dich zusammenreiß'n, mit dem Trink'n und Rauch'n und Zech'n aufhören und Trix Stubben dazu bringen, dich zu heirat'n. Und du, Jeremy, wirst Chris Ramsey verführ'n.«

In der Hölle musste es ziehen, denn ein solcher Luftzug wehte gerade über Jeremy hinweg. Sein Nacken kribbelte selbst unter seinen langen Haaren vor Hitze.

»Was?«, wiederholte Eric.

Jeremy jedoch gab endlich den fehlenden Hinweis, der die Ankündigung seiner Mutter erklärte. »Es geht um die Big Basin Ranch! Fuck, Ma, das wird niemals...«

»Du benutzt dieses Wort nicht in diesem Haus!«, schimpfte Mabe.

»Gut«, knirschte Jeremy. »Mensch, Ma, das wird niemals funktionieren.«

»Warum muss ich mit Feiern aufhör'n?«, maulte Eric. Wie üblich hinkte er dem Gespräch Meilen hinterher und hatte es nicht eilig aufzuholen.

»Und was... was soll das mit Chris Ramsey?« Jeremy schnaufte, als wäre das alles lächerlich, als hätten sich seine Innereien nicht gerade in Chilipulver verwandelt. Konnte seine Mutter wirklich ernst meinen, was sie gerade gesagt hatte? Dass er einen Mann verführen sollte? Wenn ja, brauchte er einen großen Aufkleber mit der Aufschrift Ironie, den er sich für den Rest des Tages auf die Stirn kleben konnte.

Mabe antwortete nicht sofort, aber ihr Gesichtsausdruck war geradezu selbstgefällig. Worum es auch immer bei ihrem kleinen Plan ging, er war definitiv mehr als nur eine Laune. Und das machte Jeremy ziemlich nervös.

»Ich glaub, ich muss noch deutlicher werd'n. Ihr wisst ja, dass John Stubben letzten Sommer tragisch ums Leben gekommen ist...« Mabe sah tatsächlich traurig aus. Es hatte die ganze Nachbarschaft erschüttert. John war so jung und aufrichtig wie wenige andere gewesen, seine Zukunft so vielversprechend.

Genauer gesagt, er war nicht mal ansatzweise wie die Crassens gewesen.

»Jedenfalls sind Trixie, seine Witwe, und Janie, ihre kleine Tochter, jetzt ganz allein. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Billy Stubben vorhat, die Big Basin Ranch Trix und Janie zu vererben. Er glaubt, John hätte es so gewollt.«

»Klingt vernünftig.« Jeremy zuckte mit den Schultern. »Aber das geht nur die Stubbens etwas an.«

»Unsinn! Trixie Stubben wird wieder heiraten. Sie ist ja jung und hübsch auch. Also warum sollte sie nicht Eric heiraten? Es gibt keinen einzigen Grund, warum sie es nicht tun sollte!«

Jeremy sah zu seinem älteren Bruder Eric hinüber. Er wusste ein Dutzend Gründe, warum das nie funktionieren würde. Trix war in der Schule drei Jahre über Jeremy gewesen, aber soweit er wusste, war sie intelligent und bodenständig, arbeitete hart und übernahm Verantwortung. Sie war eine gute Frau und stammte aus einer angesehenen Ranch-Familie. Verdammt, sie war Homecoming-Queen gewesen. Jeremy liebte seinen Bruder, aber er verstand auch, warum jede Frau mit nur einem Fünkchen Verstand einen weiten, weiten Bogen um Eric machen würde.

»Ma, Trix Stubben spielt nicht mal in Erics Liga«, erklärte Jeremy geduldig. »Ist nicht böse gemeint, Eric.«

Eric richtete sich aus seiner typischen krummen Haltung auf. »Jer hat recht, Ma. Eine Frau wie sie würd' nie auf 'nen Typen wie mich anspringen. Alles, was ich hab, is' mein Aussehen, und Trix is' nich' so. Außerdem hab ich eine Freundin.«

Mabe wedelte abfällig mit der Hand. »Alle Frauen sind so. Jetzt hör mal gut zu, Eric Crassen. Mit deinem Ausseh'n könntest du eine Schlange aus ihrer eigenen Haut rauslock'n, und es wird Zeit, dass du deine von Gott gegebenen Gaben nutzt, um es im Leben zu was zu bring'n. Das gute Aussehen bleibt nich' für immer! Du tust ab jetzt so, als hätt'st du dich geändert. Kein Alkohol mehr. Nicht mehr jede Woche ein neues Mädel auf deinem Schoß. Und red kein' Mist von einer Freundin. Diese Darla, oder wie sie heißt, hält nicht länger als ein Niesen, genau wie alle deine Freundinnen.«

»Aber Ma...«, begann Eric.

»Ruhe! Du besorgst dir einen Job. Lässt dich ordentlich und nüchtern im Ort blicken. Wenn du das machst und nett zu Trix Stubben bist, wird sie dir verfall'n wie ein toter Baum nach 'nem Tritt von 'nem Maultier.«

Eric presste zweifelnd die Lippen zusammen.

»Liebling, ich verlang ja nich', dass du das ewig machst.« Mabe sprach nun sanfter und tätschelte Erics Hand. »Verstell dich nur ein paar Monate lang. Sobald ihr verheiratet seid, kannst du wieder normal sein.«

»Oh, wie schön.« Jeremy schnaubte. Er konnte sich gut vorstellen, wie die vernünftige Trix Stubben seinen ungehobelten, betrunkenen Bruder am Hals hatte. In seiner Vorstellung formte sich ein Bild: Trix, gekleidet wie eine echte Frau der Prärie mit einem Bonnet, stand auf der Veranda von Big Basin und hatte in dramatischer Geste einen Arm erhoben, während sie nach ihrem fehlgeleiteten Ehemann Ausschau hielt und im Hintergrund die dunklen Wolken eines Sturms aufzogen... Er kicherte.

Eric verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und warf ihm einen Blick zu.

»Dein hochnäsiges Gehabe wird hier nicht geduldet, Jeremy Monroe Crassen!«, sagte Mabe.

Jeremy hob die Hände. »Keine Sorge. Ich halte mich raus.« Sich herauszuhalten, war das, was er am besten konnte. Außerdem glaubte er nicht eine Minute daran, dass Eric es wirklich schaffen würde, Trix Stubben zu verführen.

»Oh nein, du wirst dich nicht raushalten.« Ein böser Glanz trat in Mabes Augen. »Wir brauchen dich, damit es funktioniert! Ich bin nicht die einzige Person in diesem Ort mit Augen im Kopf. Der alte Berk Ramsey lässt schon seinen Sohn Chris um Trix herumscharwenzeln. Trix wird sicher keinen Ramsey heirat'n! Nicht solang' ich zwei gut aussehende Söhne hab!«

Jeremy betrachtete das Gesicht seiner Mutter und versuchte herauszufinden, woher das alles auf einmal kam. Sie war stolz und hatte nie in ihrem Leben irgendwelche Almosen angenommen. Und jetzt wollte sie eine der schönsten Ranches der Gegend? Es ergab keinen Sinn. Sie musste ihnen etwas verschweigen. Vielleicht wollte sie nur, dass Eric sich zusammenriss, und gab ihm den nötigen Ansporn dazu.

»Also, dieser Chris sieht ja nich' schlecht aus, obwohl er nichts gegen Eric is'«, fuhr Mabe fort. »Aber er hat einen Uniabschluss als Vorteil und den Ramseys gehört der Merc. Also müss'n wir Chris ausm Weg schaffen. Zum Glück«, sie machte eine dramatische Pause, »ist Chris, wie ich durchaus glaub, stockschwul. Und du, Jeremy, wirst das beweis'n. Du wirst den Mann verführ'n und jedem hier zeigen, von welchem Ufer der kommt.«

»Was?« Jeremy sprang von seinem Stuhl auf, wobei er fast den Küchentisch umstieß. »Das... Das ist Irrsinn!«

»Oh nein, is' es nich'«, sagte Mabe sehr gelassen. Sie nahm ihre Kaffeetasse und trank anmutig.

»Mann, ich dachte, ich hätt Probleme!« Eric wieherte vor Lachen. »Ein Glück, dass ich nicht du bin!«

Jeremy gab Erics Stuhl einen brüderlichen Tritt. »Erstens, Ma, wie kommst du darauf, dass Chris Ramsey schwul ist? Du hast gerade gesagt, er trifft sich mit Trix.«

Mabe verzog verächtlich das Gesicht. »Jeder weiß, dass Schwule heiraten können und es auch tun. Wisst ihr noch, wie Gibbon Adams sich immer wie die Cowboyversion von diesem Liberace angezogen hat? Es hieß, er hatte sogar Pailletten auf seinem Nachthemd. Seine Olle hat's trotzdem geschafft, sechs Kinder zu kriegen. Wie man so schön sagt: Bei Nacht sind alle Katzen grau.«

»Oh mein Gott«, stöhnte Jeremy, während er sich die Handballen auf die Augen presste. Er konnte nicht glauben, dass seine Mutter tatsächlich eine Philosophie über schwule Männer hatte. Eine, in der es um Sex... und Dunkelheit... und Pailletten ging. Er fühlte sich schmutzig.

»Wie auch immer, dieser Chris war immer ordentlicher als alle Mädels, die ich kenn«, fuhr Mabe aufgeregt fort. »Seine Zähne sin' so weiß, die blenden einen richtig. Das is' doch nich' normal.«

»Ma, nur weil er auf sein Aussehen achtet, ist Chris lange noch nicht schwul«, sagte Jeremy verzweifelt. »Aber auch wenn er es wäre, könnte ich niemals Chris Ramsey verführen.«

Sie lehnte sich eifrig vor. »Natürlich kannst du! Du siehst vielleicht nich' so gut aus wie Eric, aber wenn du diese verdammten Haare aus deinem Gesicht nimmst, bist du ganz hübsch.« Leicht belustigt sah sie Jeremy an. Er hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Sie hatte definitiv etwas vor. Und es ging ihr nicht um die Big Basin Ranch.

»Ma«, sagte Eric ruhig. »Jeremy is' zu schüchtern, das weißt du.«

Sie winkte nur ab. »Jer, du bist derjenige, der den ganzen Verstand abbekomm'n hat.« Sie deutete zwischen Jeremy und Eric hin und her. »Ich weiß, dass du es schaffen kannst, wenn du es versuchst. Tu einfach so, als wärst du ein – wie nennst du die noch mal? – Charakter in einer dieser Geschichten, an denen du immer herumkritzelst. Verstell dich. Nimm die Haare zurück und zeig ihm dein süßes Lächeln, dann wirst du keine Probleme haben.«

Verlegen strich sich Jeremy die langen Strähnen hinter die Ohren, obwohl er sich lieber weiterhin dahinter versteckt hätte. Er tauschte einen Blick mit Eric. Großer Gott, Eric, wie kommen wir da wieder raus?

Mabe warf ihnen über den Tisch hinweg einen entschlossenen Blick zu. »Jetzt hört zu. Wir machen das zusammen, als Familie, und wir werden es schaffen. Eric, du wirst es nie zu viel bringen, also brauchst du eine fleißige Frau, die sich um dich kümmert. Und ich kann nich' ewig für andere putzen und waschen. Ihr wisst doch, dass wir nichts auf der hohen Kante hab'n. Und du, Jeremy, du willst doch aufs College, oder? Wenn du deinem Bruder hilfst, mit Trix Stubben zusammenzukommen, brauchst du uns nich' mehr finanziell unterstützen.«

Dann lächelte sie ihn an, als wüsste sie, dass sie gewonnen hatte. Und verdammt noch mal, sie hatte ihn mit Haut und Haaren in der Tasche. Jeremy fühlte, wie etwas in ihm nachgab, nur ein wenig.

Er sagte nicht, dass er es machen würde, nicht einmal im Stillen zu sich selbst. Aber vielleicht, nur vielleicht konnte er sich Chris Ramsey zumindest einmal genauer ansehen.

 

Nachdem seine Mutter ihm ihren verrückten Plan eröffnet hatte, musste Jeremy aus dem Haus kommen, weswegen er früher zu Nora's ging. Er setzte sich in seine Lieblingsecke, an den kleinen Tisch im hinteren Bereich, den die Mitarbeiter nutzten, wenn sie Zeit hatten.

Nora brachte ihm Kaffee und ein Stück Blaubeerkuchen. »Du bist ja früh hier, Hübscher«, kommentierte sie und hob eine Augenbraue.

»Ma«, sagte Jeremy, was Erklärung genug für Nora war.

»Willst du darüber reden?«

»Auf keinen Fall.«

Nora lächelte. »Alles klar, Süßer. Ich bin da, wenn du's dir anders überlegst.«

Sie ging wieder, um die Gäste zu versorgen, was sie mehr oder weniger im Alleingang schaffte, bis Francie um drei kam, wenn die Schule aus war.

Nora war für Jeremy das Beste an der Arbeit im Diner. Er hatte verdammtes Glück, dass sie ihm eine Chance gegeben hatte. Als der dritte männliche Crassen im Ort war Jeremy bereits abgeschrieben geworden, bevor er es überhaupt versucht hatte.

Beim Fleischverpackungsbetrieb zum Beispiel. Das war der größte Arbeitgeber in der Gegend, der keinen Universitätsabschluss verlangte. Aber nachdem ihm sowohl sein Vater als auch Eric abgesprungen war, warf er einen Blick auf Jeremys Namen und erteilte ihm eine höfliche Absage.

Nicht dass Jeremy unbedingt in der Fleischverpackung arbeiten wollte. Tatsächlich war ihm schon der Gedanke zuwider und er war sich sicher, dass er die Arbeit dort genauso hassen würde wie sein Vater und sein Bruder. Aber es wäre der bestbezahlte Job im Ort gewesen und er musste so viel Geld wie möglich verdienen, wenn er seine Ma unterstützen und noch dazu für das Studium sparen wollte.

Stattdessen hatte Nora ihn angestellt. Während der Highschool hatte er als Aushilfe und Tellerwäscher, ab und zu sogar als Kellner gearbeitet. Als Nora von der Absage der Fleischverpackung gehört hatte, hatte sie ihn gefragt, ob er nicht als Koch für Schnellgerichte anfangen wollte. Eduardo wurde nicht jünger und wollte keine langen Schichten mehr übernehmen. Also hatte sich Jeremy von Eduardo ausbilden lassen; jetzt übernahm Eduardo die Frühschicht und Jeremy stand von eins bis zum Geschäftsschluss um acht in der Küche.

Jeremy träumte nicht unbedingt davon, Koch zu werden, auch hatte er kein besonderes Talent dafür. Aber die Gerichte im Diner waren alles andere als ausgefallen und an den meisten Tagen gab es genug zu tun, um ihn beschäftigt zu halten. Und wenn es mal ruhiger war, konnte er sich nebenbei beim Burgerbraten Plots und Szenen und Charaktere ausdenken. Das gefiel ihm.

Als er Noras wunderbaren Blaubeerkuchen genoss, dachte er jedoch nicht an seine Geschichten. Er dachte an seine Mutter und Chris Ramsey.

Er dachte an die Tatsache, dass er, Jeremy, schwul war, obwohl kein einziger Mensch in Clyde's Corner davon wusste. Es konnte nur reiner Zufall sein, dass seine Mutter auf diese Idee gekommen war. Oder? Sie ahnte nichts. Niemand ahnte etwas.

Schließlich schenkte niemand Jeremy Crassen besonders viel Aufmerksamkeit.

Konnte er es schaffen? Konnte er Chris Ramsey verführen?

Es war eine blöde Idee. Gott, Jeremy war noch Jungfrau. Er kannte keine anderen schwulen Männer im Ort – na ja, keine, die nicht schon vergeben waren, wie Joshua und Ben. Und er war nie mutig oder verzweifelt genug gewesen, um sich tatsächlich online zu verabreden. Außerdem war er der Typ, der lieber für sich blieb. Noch dazu war er ein schlecht bezahlter Koch für Schnellgerichte und ein Crassen – wer würde sich schon für ihn interessieren? Und außerdem, vielleicht war Chris Ramsey nicht einmal schwul. Als könnte seine Mutter ihm das ansehen.

Chris war in Trixies und Johns Jahrgang gewesen. Sie waren im letzten Jahr gewesen, als Jeremy an die Highschool von Clyde's Corner gekommen war. Jeremy erinnerte sich, dass Chris sehr gut ausgesehen hatte, mit dunklem Haar und schlanker Figur, immer elegant und gut gekleidet, und beliebt war er auch gewesen. Verglichen mit Jeremy, der in diesem Alter – zur Hölle, in jedem Alter – ein Einzelgänger gewesen war, hätte er genauso gut ein Gott sein können. Nicht einmal sein großer Bruder hatte Jeremy Gesellschaft leisten können. Eric hatte seinen Abschluss in dem Jahr gemacht, bevor Jeremy an die Highschool gekommen war.

Jeremy erinnerte sich, dass Chris mit John Stubben befreundet gewesen war. John und Trix waren das Vorzeigepärchen gewesen, zwei der Kuhkids – der Ranch-Kinder. Chris' Vater war jedoch kein Rancher. Nein, Berk Ramsey gehörte der größte Laden im Ort, der Merc, was bedeutete, dass die Ramseys wohlhabend waren.

Jeremy hatte nie das Gefühl gehabt, dass Chris schwul war, andererseits war es ja nicht so, als hätten sie je miteinander geredet. Oder als wüsste Chris, dass Jeremy existierte.

Tu einfach so, als wärst du ein Charakter in einer dieser Geschichten, an denen du immer herumkritzelst.

Konnte er das? Wenn Jeremy es sich aussuchen könnte, würde er Gary Prince sein, ein umwerfender, geselliger, blonder Typ aus seinem ersten Roman, einem Roman, der inzwischen für die Termiten in der untersten Schublade seines Schreibtisches lag. Gary war nach dem Vorbild von Ben Rivers entstanden. Er war ein Cowboy, ganz Mann, selbstbewusst und verwegen. Gary Prince war heiß.

Er stellte sich vor, wie Gary Prince in Stiefeln und Cowboyhut mit einem Tausend-Watt-Lächeln in den Lebensmittelladen stolzierte und Chris die Hände auf den Nacken legte. Sie würden ein paar schlurfende Schritte machen, wie in Brokeback Mountain. Dann würde Gary Chris so heftig küssen, dass dieser rücklings am Kassentisch lag.

Jeremy berührte seine eigenen Lippen. Wie würde es sich anfühlen, einen Mann zu küssen? Seine einzige Erfahrung war ein bisschen Knutschen mit Mary Lou Hengler auf einer Party des Abschlussjahrgangs gewesen. Er hatte die Augen geschlossen und so getan, als wäre sie ein Mann, aber ihr Lippenstift hatte scheußlich geschmeckt und ihre Brüste hatten sich geweigert, seine Privatsphäre anzuerkennen.

Nora kam herüber, um seine Tasse nachzufüllen, und Jeremy schenkte ihr ein Gary-Prince-Lächeln.

»Danke, Darling. Du siehst heut aber besonders gut aus!«

Nora sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. »Was hast du denn geraucht? Egal. Was es auch immer is', es gefällt mir.«

»Bin nur bezaubert von deiner natürlichen Schönheit.«

Noras Augen waren übertrieben geweitet. »Ach ja? Na, dieser neue violette Kittel macht schon was her, wenn ich das so sag'n darf. Du hast noch eine Stunde bis zu deinem Schichtbeginn. Wollen wir zusammen zu Mittag essen? Dann kannst du mir noch paar Komplimente mach'n.«

»Nein. Ich hab darüber nachgedacht, mal zum Merc runterzugehen.«

»Aha? Brauchst du irgendwas?«

»Noch nicht. Will nur mal die Lage checken«, sagte Jeremy ernst. Mit den Fingern glättete er seine langen Strähnen und strich sie sich hinter die Ohren. Er fuhr sich über das Gesicht, um die letzten Kuchenkrümel zu erwischen, und sah fragend zu Nora auf. »Passt?«

Nora nahm sein Kinn sanft zwischen die Finger und ihr Blick wurde weich. »Süßer, du bist bildhübsch. Sag ich das nich' immer? Wer ist denn die Glückliche – endlich mal?«

Gary Prince zwinkerte Nora zu und glitt vom Stuhl, ohne zu antworten. Hinter der Maske zitterte Jeremy in seinen Stiefeln.


 

Kapitel 2

 

 

Chris war gerade dabei, eine Glühbirne in der Lichterkette über der Kaffeestation auszuwechseln, als Jeremy Crassen in den Merc stolzierte.

Der Merc, die Abkürzung für Mercantile, war die beste Anlaufstelle für Lebensmittel im Ort. Verglichen mit den riesigen Kaufhausketten in der Stadt war der Laden zwar klein, aber für Clyde's Corner reichte es. Abgesehen von Lebensmitteln führten sie Bier, Wein, Spirituosen und eine kleine Auswahl an Kleidung, die die arbeitenden Männer und Frauen aus Montana gebrauchen konnten. Und sie befanden sich auf der Westerny Main Street, genau in der Mitte der malerischen Altstadt von Clyde's Corner. Daher sahen die Leute, die im Laden arbeiteten, regelmäßig so ziemlich jeden aus dem Ort und die meisten Touristen noch dazu.

Mit Ausnahme von Jeremy Crassen. Chris warf ihm einen zweiten, abschätzenden Blick zu. Er konnte sich nicht erinnern, Jeremy jemals wieder im Merc gesehen zu haben, seit er als Kind Süßigkeiten oder Lollipops für einen Penny gekauft hatte. Trotzdem wusste Chris sofort, wer er war.

Dieses volle, glänzende, verboten glatte, rotbraune Haar konnte nur zu einem Crassen gehören. Und Chris kannte Eric Crassen ziemlich gut. Er kam oft vorbei, um Bier und Snacks zu kaufen. Eric war immer noch genauso groß, schön und nutzlos wie in seiner Schulzeit. Also musste das hier Jeremy sein, Erics kleiner Bruder. Als Chris ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war Jeremy fünfzehn gewesen – hatte nur aus Ellbogen, Knie und diesem großen rotbraunen Haarschopf bestanden. Chris erinnerte sich an die langen Strähnen, die Jeremys Gesicht wie zottiges Hundefell verdeckt hatten, als wollte der Junge sich verstecken.

Nun. Heute versteckte Jeremy sich nicht. Er trug das mahagonifarbene Haar offen, gerade geschnitten und weit über die Schultern hinaus. Die vorderen Strähnen waren ordentlich hinter die Ohren gestrichen und zeigten damit ein Gesicht, bei dem Chris sich fragte, warum er es überhaupt versteckt hatte. Er hatte hohe, markante Wangenknochen und weiche Gesichtszüge. Er sah nicht so ungehobelt gut aus wie Eric. Man musste sich die Zeit nehmen, Jeremy genauer zu betrachten, um sein gutes Aussehen zu erkennen. Er wirkte eleganter, zerbrechlicher, eher wie Porzellan als Ton.

Verflucht. Chris hatte sich in letzter Zeit zu viele Kataloge für Essgeschirr angesehen. Und das erinnerte ihn daran, dass er in dieser Woche noch die Tassen für Touristen bestellen musste.

Jeremy blickte zu Chris hinüber und Chris sah hastig auf die Glühbirne und das Kabel in seinen Händen. Er wechselte zwei fragwürdige Birnen aus, bevor er wieder einen Blick wagte.

Jeremy stand vor dem Kühlschrank mit den Getränken, hatte die Tür geöffnet und prüfte den Inhalt.

Er war auch in seine Proportionen hineingewachsen, wie Chris bemerkte. Er trug eine abgewetzte Lederjacke und Jeans. Er war groß und seine Hüften – die unter seiner Jacke zu sehen waren, da er sich mit einem Arm an der Tür des Kühlschranks abstützte – waren schmal, aber mit einem festen, runden...

Jeremy drehte den Kopf und sah Chris direkt an.

Chris verschluckte sich an seiner Spucke und hustete wie ein Idiot. Hastig wandte er sich wieder seinen Glühbirnen und dem Kabel zu. Scheiße! Dabei erwischt zu werden, wie er Jeremy Crassens Hintern abcheckte... Auch Jeremy war die Erkenntnis ins Gesicht geschrieben. Mistkerl. Schließlich war er ein Crassen und daher zweifellos dumm und gemein.

Mit einem selbstverachtenden Schnauben steckte Chris die Lichterkette an und war nicht überrascht, als die Hälfte der Birnen immer noch nicht funktionierte. Er würde sich später darum kümmern. Vorerst stopfte er das Werkzeug unten in den Geschirrschrank, um es los zu sein, und ging in Richtung Lagerraum. Er würde Minola dazu bringen, nach vorne zu kommen und Jeremy an der Kasse zu bedienen. Er würde nicht...

»Hey.« Eine Männerstimme, tief und ruhig, erklang in seiner Nähe und ließ sich nicht ignorieren.

Chris drehte sich um und entdeckte Jeremy nur wenige Meter entfernt. »Oh, hallo. Wie kann ich dir helfen?«, fragte Chris steif und runzelte ein wenig die Stirn, damit Jeremy wusste, dass er sich nichts gefallen lassen würde.

Jeremys Augen waren groß und unschuldig. »Ich hab nur die Sahne gesucht, aber sag mal, bist du Chris? Ich habe gehört, dass du wieder in der Gegend bist.« Jeremy lächelte freundlich.

»Oh, ja, hey, äh...«

»Jeremy Crassen.« Jeremy streckte die Hand aus und Chris schüttelte sie zögernd. »Ich nehm es dir nicht übel, dass du dich nicht an mich erinnerst. Ich war in der Schule ein paar Jahre unter dir.«

»Ach, stimmt, jetzt weiß ich es wieder.« Jeremy war so freundlich zu ihm, es wäre gemein, weiterhin so zu tun, als würde er ihn nicht erkennen. »Du bist Erics kleiner Bruder. Wie geht es dir?«

»Super«, sagte Jeremy mit einem weiteren bezaubernden Lächeln. »Und was ist mit dir? Bleibst du länger hier in der Gegend? Und übernimmst den Merc von deinem Vater?«

Die Frage war berechtigt. Jeremy konnte nichts dafür, wenn Chris noch nicht ganz bereit für diese Verantwortung war.

»Na ja, zumindest mache ich das für die nächste Zeit. Mein Dad hatte eine OP am Knie, deshalb helfe ich meinen Eltern ein bisschen. Hey, ich zeig dir, wo du die Sahne findest.« Chris marschierte hinüber zum Kühlregal und öffnete die Tür, während Jeremy ihm folgte. »Wir haben normale Sahne, Bio, Halbfett und, äh, h-ha...«

Seine Zunge stockte, als er den Kopf drehte und mit Haut und Haar in Jeremys Augen versank.

Heilige Scheiße.

Eric war bekannt für seine blauen Augen. Der Macho hatte tatsächlich ein Grübchen im Kinn und seine Augen besaßen die Farbe eines tiefblauen Himmels, wie bei einem Disney-Helden. Die Frauen waren verrückt nach seinen Augen. Eric war in der Schule ein Jahr über Chris gewesen und auch Chris war auf dem Höhepunkt seiner hormongetriebenen Jugend nicht immun dagegen gewesen.

Jeremys Augen waren ganz anders. Sie waren goldbraun mit einem rötlichen Rand, ein paar Nuancen heller als sein Haar, und leuchteten im Licht des Kühlschranks zehnmal so stark. Chris schluckte.

»Bist du sicher, dass ihr keine andere Sahne mehr habt? Vielleicht im Lager?« Jeremys Worte waren glatt wie Seide. Sein Blick sank auf Chris' Lippen, dann auf seinen Schritt hinab.

Chris fühlte, wie sein Gesicht heiß wurde, und im selben Moment begann sein Penis anzuschwellen. Sein verdammtes Blut riss ihn mit sich.

Jeremy sah wieder auf, sein Gesichtsausdruck neutral, als hätte er nicht gerade... Hatte er?

»Tut mir leid, ich war auf dem Weg nach hinten«, sagte Chris schnell. »Arbeit. Muss was erledigen. Entschuldige. Wenn du noch Fragen hast, wende dich an Minola.« Chris nickte ruckartig mit dem Kopf und floh.

 

»Kannst du eine Weile den Laden übernehmen?«, bat Chris Minola. Sie war gerade dabei, Waren auszupacken und ins Lager einzusortieren – eine nie endende Aufgabe, die er ihr vor einer halben Stunde zugewiesen hatte.

»Klar«, sagte sie freundlich. Minola, in den Vierzigern und ledig, tat gerne alles, was von ihr verlangt wurde, solange Dienstzeit war. Sie wischte sich die Hände ab und ging nach vorne.

Chris betrat das kleine Büro, das in seiner Kindheit das Heiligtum seines Vaters gewesen war und jetzt, zumindest zeitweise, sein Reich. Er zog die Tür hinter sich zu, schloss sie noch dazu ab und ließ sich in den uralten Rollsessel hinter dem Schreibtisch sinken.

Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Was war das?

Er tadelte sich selbst. Das war er, wenn er sich von einem gut aussehenden Mann angezogen fühlte. Er hatte sich selbst geschworen, es nicht zuzulassen. Nicht hier in Clyde's Corner und besonders nicht jetzt. Genauer gesagt, wenn seine Zukunft sich so entwickelte wie geplant, nie wieder.

Chris machte sich nichts vor. Was seine Bisexualität betraf, wusste er, dass seine Neigung eher zu achtzig zu zwanzig tendierte. In der Highschool war er mit ein paar Mädchen ausgegangen und hatte Sex mit ihnen gehabt. Er war dem zwar nicht abgeneigt gewesen oder hatte sich davor geekelt, aber es konnte einfach nicht mit dem Adrenalinrausch mithalten, den er bei Männern bekam, mit dem reinen physisch-hormonellen Trieb, mit dem er geboren worden war.

Aber letztendlich war Sex nur Sex. Jeder musste irgendwann erwachsen werden und eine langfristige Perspektive annehmen. Er hatte im College sein Pensum an Männern erfüllt. Er hatte Dutzende One-Night-Stands gehabt und sogar eine schreckliche Beziehung durchlaufen. Jetzt war er vierundzwanzig und hatte sich entschieden. Er würde sich häuslich niederlassen, eine echte Familie und ein echtes Zuhause gründen. Trix und Janie brauchten ihn und er liebte sie. Das tat er wirklich.

Gott, John. So eine verdammte Tragödie. Ich vermiss dich, Kumpel. Es tut mir so leid, dass du von deinen Mädels getrennt wurdest. Von mir.

Es stand John zu, bei Trixie und Janie zu sein. Als sein bester Freund hatte John ihn nie verurteilt, für nichts. Sie hatten über Gott und die Welt geredet und oft auch darüber, was sie im Leben erreichen wollten. John hatte immer auf der Big Basin bleiben, Trixie heiraten, ein Rudel Kinder haben und das Leben eines Ranchers führen wollen. John war ein aufrichtiger, glücklicher Kerl gewesen. Chris hatte mehr gezweifelt, hatte weniger genau gewusst, wohin er wollte. Aber John hatte ihm immer zugehört und ihm Mut gemacht. Er hatte gerne Neuigkeiten von ihm aus Denver gehört, hatte ihn jede Woche angerufen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Anruf ausgeblieben war.

Chris war zu Johns Beerdigung nach Hause geflogen. Es war Schicksal gewesen, dass in Denver zu der Zeit alles den Bach hinuntergegangen war. Im Zuge einer Personalkürzung hatte Chris seinen Job im Marketing verloren und seine Beziehung mit Sebastian hatte sich in einem höllisch spektakulären letzten Streit selbst zerstört. Außerdem hatte Chris' Dad sich gerade auf die Operation am Knie vorbereitet, deren Folgen ihn für Monate außer Gefecht setzen würden.

Und als er am Friedhof von Clyde's Corner oben am Hügel gestanden und all die bekannten Gesichter gesehen hatte, das grüne Gras und die Bäume und die Berge um sie herum, und vor allem Trix, so einsam und kaputt, und Janie, kaum alt genug, um zu verstehen, hatte Chris vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben Klarheit verspürt.

Er wusste, was er wollte. Er würde Trix heiraten, ein Vater sein und sich langfristig an einem Ort niederlassen. Vielleicht würde er nie ein echter Rancher sein. Aber Trix kannte sich mit all diesen Dingen gut aus und er wusste genug, um dem Betrieb auf andere Art und Weise zu helfen. Außerdem würde er in Clyde's Corner bleiben, wo er seinem Dad helfen und ein Auge auf seine Eltern haben konnte, wenn sie älter wurden.

Das war es, was Chris wollte.

Und er würde weder Jeremy Crassen noch irgendeinem anderen Kerl erlauben, das zu zerstören.