RONALD M. HAHN

 

 

Harry Flynn – Private Eye,

Band 3:

Das Grab wartet schon

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

DAS GRAB WARTET SCHON 

Das Buch

 

Chicago, 1917: Während die Prohibition die Trinker drangsaliert, das organisierte Verbrechen in der Großstadt auf dem Tisch tanzt und korrupte Politiker so tun als kümmerten sie sich um das Schicksal der Menschen, schlägt sich der Privatdetektiv Harry Flynn so gut er kann durchs Leben: In diesem neuen Fall als Ermittler in einer Entführung, die ihm nicht ganz koscher vorkommt... 

 

Ich stellte Jessicas Suite auf den Kopf. Als ich im Schlafzimmer gerade in einer Kommode mit Unterwäsche kramte, räusperte sich jemand hinter mir. 

Ich fuhr herum.

„Gefällt Ihnen wohl, das Zeug, was?“ Donna grinste anzüglich. „Sie wühlen wohl gern in den Höschen kleiner Mädchen rum, was?“ Ihre Stimme troff vor Ironie, und ich hatte das Gefühl, dass ich mich sofort und nach Möglichkeit rotzig wehren musste, um nicht in ein schräges Licht zu geraten. 

Zum Glück fiel mir in diesem Augenblick ein in Leder gebundenes Bändchen mit der geprägten Aufschrift Mein Tagebuch in die Hände. Ich nahm es raus und hielt es triumphierend hoch. 

„Ist ’n alter Erfahrungswert“, sagte ich süffisant. „Kleine Mädchen verstecken ihre Tagebücher immer zwischen ihren züchtigen Baumwollschlüpfern.“ Ich warf das schwarze Spitzenhöschen, das sich an dem Buch verheddert hatte, in die Schublade zurück. „Danke, Miss Montgomery. Wenn ich Sie brauche, werde ich Sie rufen lassen.“ 

Ich weiß nicht, was ihr saurer aufstieß: Die Tatsache, dass ich sie raus warf oder die Formulierung rufen lassen. Jedenfalls blies sie die Backen auf, als wäre ihr so was Unerhörtes noch nie passiert. 

Ich sah ihr an, dass sie stinkwütend nach Worten suchte. „Aber da Sie nun schon mal hier sind“, fuhr ich lässig fort und entnahm meiner Hosentasche eine reichlich zerknüllte Packung, aus der ich eine Zigarette fischte. „Wollen Sie auch eine?“ 

Sie schaute mich an wie ein ekliges Ungeziefer, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte hinaus. 

 

HARRY FLYNN – PRIVATE EYE – hard-boiled Krimis aus dem Chicago der 1920er Jahre von Ronald M. Hahn!  

Der Autor

 

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal.

 

Ronald M. Hahn

DAS GRAB WARTET SCHON

 

  1. 

 

Der Schneeregen, der durch die Straße fegte, war so eisig, dass ich glaubte, die Ohren müssten mir abfallen. 

Eine junge Frau öffnete mir die Tür zu Dunkys gut geheiztem Laden. Sie zwinkerte mir zu und ging zum Tresen zurück. Als mein Blick auf ihren Hintern fiel, fragte ich mich, wann ich den letzten Abend in angenehmer Gesellschaft und in einer gemütlichen Wohnung verbracht hatte. 

„Sie sind Harry Flynn, nicht wahr?“ 

Ich stutzte. Sie war dezent geschminkt, was bei weiblichen Nachtarbeitern selten vorkommt. Außerdem hatte sie einen prächtigen Busen, sinnliche Lippen und grüne Augen. Ihr rotes Haar war hochgesteckt. 

„Yeah. Und Sie? Sind Sie neu hier?“ 

Sie zuckte die Achseln. „Aushilfe.“ 

„Ist Dunky nicht da?“ Ich schaute mich um. Der Laden war fast voll. Ich kannte so gut wie alle Anwesenden. Es waren hauptsächlich Schnüffler: Pensionierte Bullen, Privatdetektive, Jungs von der Presse und einige wohlhabende, sich langsam zu Tode trinkende Schluckspechte. 

Zu den Zeitungsjungs gehörte auch Shawn Smith, ein guter Kumpan meines seligen alten Herrn. Die Sympathie, die er meinem Vater entgegengebracht hatte, hatte er auf mich übertragen. Hin und wieder kramte er in meinem Auftrag das Archiv der Tribune durch. 

Manchmal schleppte er auch einen Kunden an. Dass auch der Gentleman, mit dem er zusammen saß, einer war, erfuhr ich aber erst später. 

„Dunky musste schnell zum Zahnarzt. Es geht um ’ne kleine Wurzelbehandlung.“ 

„Ach.“ Ich stöhnte innerlich. Die Rothaarige war verdammt jung, höchstens zwanzig. Hatte Dunky was mit ihr? Es war eigentlich kaum zu glauben, denn er war mindestens vierzig und so kahl wie ’ne Billardkugel. 

„Ich hab nix mit ihm“, sagte sie und schenkte sich ein Glas Bier ein. Sie schaute mich an. „Scotch? Bourbon?“ 

„Heute mal ’n Bier.“ Ich schaute zu, als sie mir das Bier zapfte. Ich fand die anziehend, aber zu jung. Außerdem erinnerte sie mich an jemanden. Hatte ich ihre Mutter gekannt? Auf meinen fragenden Blick hin fühlte sie sich wohl verpflichtet, mir zu sagen, woher sie mich kannte. „Ich kenn Sie aus der Tribune.“ Sie lächelte. „Der Fall Maud Brewster, wissen Sie noch?“ 

„Das ist Jahre her.“ 

Sie reichte mir ein Bierglas. „Ja, aber ich hab mir Ihr Gesicht gemerkt, weil Dunky gesagt hat, Sie wären Stammgast bei ihm.“ Sie hob ihren Whisky und prostete mir zu. „Ich heiße übrigens Beverly.“ 

„Prost, Beverly.“ Ich nahm das Bier, zwinkerte ihr zu und trank einen Schluck. 

Shawn Smith winkte mir. Er saß in der Nische, in der ich normalerweise saß, wenn ich in Ruhe die Zeitung lesen wollte. 

Der Gentleman, der ihm gegenüber saß, wirkte sehr italienisch, aber auch seriös. 

Ich kannte ihn aus dieser Flüsterkneipe, aber nur vom Sehen. Er war in feinen Zwirn gekleidet. Ein Fachmann hatte ihn frisiert und rasiert. Ich schätzte ihn auf Anfang bis Mitte vierzig. Er konnte natürlich auch älter sein: Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Bürohengste sich länger halten als Schauerleute. 

„Entschuldigen Sie mich, Beverly.“ 

„Schon gut.“ 

Ich ging zu Smith und dem Mann in die Nische. 

„Hallo, Harry, setz dich hin.“ Smith und deutete auf einen freien Stuhl. „Ich möchte dich mit Frank Mariano bekannt machen.“ 

„Angenehm.“ Ich nickte Mariano zu. 

Er erwiderte mein Nicken. Er hatte hübsche braune Augen und einen ehrlichen Blick. Außerdem duftete er nach teurem Rasierwasser, was mir sagte, dass er nicht zu den Armen gehörte. 

Smith stellte mich vor. Mariano musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle. Wie ich dann erfuhr, war er der Privatsekretär eines prominenten Chicagoer Geschäftsmannes: Sein Chef war J.P. Montgomery, der Inhaber des Bankhauses Montgomery & Co. 

„Mister Mariano und ich kennen uns seit langem“, sagte Smith. „Deswegen hat er meinen Rat eingeholt. Es geht um eine Sache, die ihn bedrückt.“ 

„Die Sache“, sagte Mariano, „muss um jeden Preis diskret behandelt werden. Darauf sollte ich vielleicht noch hinweisen.“ Er räusperte sich und schaute sich argwöhnisch um. Die Anwesenden beachteten uns nicht. 

„Ich ermittle in privaten Angelegenheiten, Sir“, sagte ich in dem Bemühen, Vertrauen erweckend zu klingen. „Deswegen ist es immer mein Bestreben, dass die Fakten, die ich ermittle, nicht an die Öffentlichkeit gelangen.“ 

Ich war kein Schwachkopf. Ich hatte schon oft für die High Society gearbeitet. Ich wusste, dass Leute aus Kreisen, in denen Männer sich parfümieren, bei allem was sie tun, auf Diskretion bestehen: Wenn sie sich was nicht leisten können, sind es Skandale. 

„Davon gehe ich aus, Mr. Flynn.“ 

Ich steckte mir eine Zigarette ins Gesicht und schaute Smith an. Ich fand es nett von ihm, dass er mir einen Auftrag zuschustern wollte, aber ich wusste nicht, ob Mariano mich überhaupt mochte. Er wirkte so durch und durch levantinisch, dass ich mich fragte, wieso er für den durch und durch irischen Chef eines Bankhauses arbeitete. 

Na ja, vielleicht hatten sie schon im Sandkasten miteinander gespielt. Oder sie kannten sich aus der Kirche.

„Was ich Ihnen jetzt erzähle, bleibt unter uns.“ Mariano beugte sich vor. „Es bleibt auch dann unter uns, wenn es zu keiner Geschäftsbeziehung zwischen uns kommt.“ Er räusperte sich. „Mein Arbeitgeber ist ein mächtiger Mann.“ Sein Blick fiel auf mich. „Wenn Sie ihn verraten, wird er dafür sorgen, dass Sie in diesem Staat nur noch leere Flaschen sammeln können.“ 

„Sie brauchen mir nicht zu drohen, Sir.“ Ich schaute Smith an, der verlegen die Achseln hob. „Diskretion ist mein Geschäft.“ Ich nahm Mariano in Augenschein. „Erzählen Sie mir, um was es geht. Dann entscheide ich, ob ich den Auftrag annehme.“ 

Meine Reaktion erstaunte ihn. Aber er taute auch auf. Offenbar mochte er Typen, die angesichts eines zahlungskräftigen Klienten nicht vor Ehrfurcht auf alle Viere fielen und rumschleimten. 

„Also?“ Ich trank einen Schluck Bier. 

„Es sieht so aus als sei Mister Montgomerys Tochter entführt worden“, sagte Mariano. „Und zwar gestern, im Laufe des Nachmittags.“ 

Ich runzelte die Stirn. „Es sieht so aus?“ 

Mariano lächelte verlegen. „Sie ist jedenfalls weg. Außerdem gibt es einen Erpresserbrief.“ 

„In dem was steht?“ 

„Dass der Entführer zehntausend Dollar Lösegeld haben will. In kleinen Scheinen. Dass er Jessie tötet, wenn wir nicht zahlen.“ 

„Wie alt ist das Kind?“ 

„Fünfundwanzig.“ 

„Ach. Und was macht sie?“ 

„Sie ist Studentin.“ 

„Lassen Sie mich raten... Kunstgeschichte und Sprachen?“ 

Mariano machte große Augen. „Woher wissen Sie das?“ 

„Erfahrungswerte.“ Ich räusperte mich. Smith grinste, allerdings hinter vorgehaltener Hand. „Wie sieht Jessie aus?“ 

„Wie sie aussieht?“ Mariano setzte eine nachdenkliche Miene auf. „Sie sieht gut aus. Sie ist schlank, hat makellose Haut, ebenmäßige Zähne, schwarzes Haar, blaue Augen, einen kleinen Busen und gerade Beine.“ Er schaute mich an. „Sie ist etwa einen Meter siebzig groß.“ 

„Und wie würden Sie ihre Charaktereigenschaften beschreiben?“ 

Mariano lehnte sich zurück. Smith und ich sahen, dass es hinter seiner Stirn arbeitete. Dann sagte er: „Sie ist die verzogene Göre aus dem Bilderbuch. Wichtigtuerisch, großmäulig, überheblich. Eine typische Millionärstochter.“ 

Smith pfiff durch die Zähne. „Du nimmst ja kein Blatt vor den Mund, Frank.“ 

Mariano wirkte ein bisschen blasser um die Nase als zuvor, aber er machte auf mich den Eindruck eines Menschen, der sich was von der Seele geredet hat. „Dieses Mädchen ist der schlimmste Kotzbrocken, der je meinen Weg gekreuzt hat“, erwiderte er. „Es ist mir, offen gesagt, scheißegal, ob man sie wieder findet.“ Seine treuen braunen Augen schauten mich an. „Tun Sie mir den Gefallen und hauen Sie mich bei Mister Montgomery nicht in die Pfanne. Wie alle Väter ist er, was seine Tochter angeht, mit absoluter Blindheit geschlagen. Vermutlich würde er einen Infarkt kriegen, wenn man auch nur andeutet, dass sie hinter seinem Rücken Zigaretten raucht.“ 

Smith und ich tauschten einen Blick.

„Wie ist die finanzielle Lage der jungen Dame?“, fragte ich. 

„Sie hat alles, was sie braucht. So weit ich weiß, bekommt sie von ihrer Mutter wöchentlich fünfzig Dollar Taschengeld.“ 

Das war ein hübsches Sümmchen für eine Studentin, die für Kleidung, Ernährung und Miete nicht selbst aufzukommen brauchte. Es war außerdem mehr als viele Arbeiter in Chicago verdienten, die Frau und Kinder hatten. 

„Trauen Sie Miss Montgomery zu, dass sie mit ihrem Taschengeld nicht auskommt?“ 

Mariano grinste nun zum ersten Mal. „Sie käme auch mit hundert Mäusen wöchentlich nicht über die Runde.“ 

„Was macht sie mit dem Geld? Verzockt sie es?“ 

Mariano zuckte die Achseln. „Schön möglich. Ist aber auch möglich, dass sie es für anderen Tand aus dem Fenster wirft. Wer weiß, was in den Kreisen üblich ist, in denen sie verkehrt.“ 

„In was für Kreisen verkehrt sie?“ 

„In reichen Kreisen.“ 

„Wer sind Jessies Freunde?“ 

„Menschen wie Jessie haben keine Freunde.“ Mariano zuckte die Achseln. „Menschen wie sie sind nur von Leuten ihrer Art und von Parasiten umgeben, die ihnen nach dem Munde reden.“

Ich erkundigte mich nach dem Erpresserbrief.

„Mister Montgomery hat ihn. Er wollte nicht, dass ich ihn mitnehme. Mir hätte ja unterwegs etwas zustoßen können. Ein Autounfall oder so was. Dann hätte die Polizei den Brief bei mir gefunden... Nicht auszudenken...“ Mariano befeuchtete seine Lippen. „Er wollte nicht mal, dass ich das Haus verlasse, solange er noch darüber nachdenkt, was er machen soll. Zum Glück waren seine Frau und sein Schwager der Meinung, dass wir professionelle Hilfe brauchen...“

Ich war der gleichen Meinung. „Ich übernehme den Auftrag – wenn Sie wollen.“ Ich leerte mein Glas und bestellte ein neues.

Eine Viertelstunde später fuhr ich durch ein dichtes Schneetreiben hinter Mariano her. Ich war in eine Gegend unterwegs, in dem Menschen meiner Einkommensklasse in der Regel nur als Dienstboten auftraten...

2.

 

Die Villa der Montgomerys war schätzungsweise fünfzig Jahre alt, aber noch sehr gut in Schuss. Das Grundstück, auf dem das schlossähnliche Anwesen stand, war größer als das Yankee-Stadion. 

Ich folgte Mariano durch ein schmiedeeisernes Tor in einen verschneiten Tannenwald. Ich kam mir vor wie in einem Märchen. Hinter der Mauer und dem Tor lag der Schnee einen halben Meter hoch. Ein dick vermummter Hausangestellter mit Schiebermütze bemühte sich, den Weg zum Haus schneefrei zu halten. Es sah so aus, als müsste er jedes Mal, wenn er fertig war, wieder von vorn anfangen. Der Mann tat mir leid, zumal seine Nase so aussah, als hätte er den Nachmittag an einem Glühweinstand im deutschen Viertel verbracht. 

Die Villa war drei Etagen noch und an allen Ecken mit runden Türmchen umsäumt. Ich sah zahlreiche Fenster, hinter denen heimelige Lichter brannten. Das rechte Achtel des Hauses wurde von einer Garage eingenommen. Das Tor war offen. 

Drinnen standen ein Cadillac und zwei Auburns und warteten darauf, dass man sie in Bewegung versetzte. Ein blonder junger Mann in der Uniform eines Chauffeurs, der schwarz glänzende Gamaschen trug, putzte den Rückspiegel des Cadillac. Als wir rein kamen, richtete er sich auf und winkte Mariano zu. 

Wir stiegen aus. Mariano begrüßte den Chauffeur als „Mister Morgan“ und führte mich durch eine schmale Tür in den Wohnbereich des Hauses. 

Dort begegneten wir in einem Korridor einer hübschen und schick gekleideten Dame mit schulterlangem platinblondem Haar. Sie war zur Garage unterwegs. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig. Mariano stellte sie mir als Donna MacIntyre vor. Sie war die Nichte seines Chefs. 

Donna wirkte ein wenig überheblich auf mich, weil sie sie Mariano einfach „Mariano“ nannte, während er „Miss MacIntyre“ zu ihr sagte. Aber natürlich wusste ich nicht, ob dies ihre Art war, Blasiertheit zu verbreiten oder die beiden geheime Scherze miteinander trieben. 

Mich musterte Donna wie eine Spinne eine Fliege, die sich in ihrem Netz verfangen hat. Natürlich erkannte sie sofort, dass mein Anzug von der Stange war und ich nicht in ihrer Liga spielte. 

„Arbeiten Sie für Onkel J.P.?“, fragte sie mehr oder weniger im Vorbeigehen. „Wenn ja, rate ich Ihnen, bloß nicht Mitglied einer Gewerkschaft zu sein.“ 

Dann war sie weg. Mariano schluckte und sagte, während wir weitergingen: „Sie ist schlimmer als Jessie, aber auch intelligenter.“ 

Na toll, dachte ich. Endlich mal ein Haus, in dem man alle Klischees auf einmal antrifft. Der Korridor mündete in einen großen Salon mit Kamin, Sitzgruppen, kostspieligen Orientteppichen, holländischen Meistern an der Wand und einem beeindruckend großen Kronleuchter. 

Neben dem Kamin fläzte sich ein junger Mann mit öligem, glatt nach hinten gekämmtem in der Mitte gescheiteltem Haar und las die Saturday Evening Post. Als er uns sah, feixte er. Mariano nannte ihn „Mister Montgomery“ und erkundigte sich nach dem Aufenthaltsort seiner Eltern. 

„Mama ist in ihrem Schlafzimmer“, sagte der junge Mann. „Der wackere Dr. George kümmert sich um sie, weil sie es seit dem Verschwinden des kleinen Luders mit den Nerven hat.“ Er kicherte irgendwie schadenfroh. „Mein Alter ist da, wo er immer ist, wenn er so tut, als wäre er beruflich in Anspruch genommen. Wen haben Sie da mitgebracht, Frankieboy?“ 

„Das ist Mister Flynn.“ Mariano hüstelte. „Er wird sich um die Sache kümmern.“