Über das Buch:
Daisy von Arnim möchte Frauen ermutigen, ihren Träumen zu folgen und selbst unternehmerisch tätig zu werden. In ihrem neuen Buch porträtiert sie 15 christliche Unternehmerinnen, die spontan aus einer Idee heraus ein Unternehmen gegründet haben oder die Entscheidung treffen mussten, ein Unternehmen zu übernehmen. Alle diese Frauen haben Daisy von Arnim Einblicke in ihre Anfänge gewährt sowie den Erfahrungsschatz, den sie inzwischen angesammelt haben. Sie haben sie an ihren Ängsten und Herausforderungen teilhaben lassen und ihr erzählt, wie sie ihren Arbeitsalltag mit Gottes Hilfe meistern. Entstanden sind sehr persönliche, ermutigende und inspirierende Porträts von ganz unterschiedlichen Frauen, die in den verschiedensten Branchen zu Hause sind.

Über die Autorin:
Daisy Gräfin von Arnim ist gelernte Buchhändlerin. Nach der Wende zog sie mit ihrem Mann ins Boitzenburger Land, wo die Familie von Arnim jahrhundertelang beheimatet war. Dort betreibt die Unternehmerin das Apfel-Delikatessengeschäft „Haus Lichtenhain“.

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Renate Frisch

Gottes Wege waren immer gut

Renate Frisch, geb. Fichtner, erblickte 1934 das Licht der Welt und heiratete Wilhelm Frisch (1927–2002) aus Weinsberg / Württemberg. Sie hat eine Tochter und drei Söhne.

„Unsere Firmengeschichte ist sehr bewegend und es waren nicht immer nur gute Geschäfte. Aber Gott war immer dabei“, schreibt sie in einem Brief an mich. Die Firma ist mittlerweile 120 Jahre alt.

Der Gründer der Firma, Hermann Fichtner, war der Großvater von Renate. Er war ein Sohn armer Hausweberleute aus Mittweida in Sachsen. Eigentlich wollte er Lehrer oder Pfarrer werden, was seine Eltern ihm jedoch untersagten. Auch als seine Lehrer ihm kostenlos Lehrbücher und höhere Bildung zu vermitteln suchten, blieben die Eltern hart und er war gezwungen, in einer Fabrik zu arbeiten, um mit zum Lebensunterhalt beizutragen.

In den Abendstunden hat er sich dann in kaufmännischen Fächern weitergebildet. Renate glaubt fest, dass dadurch, dass sich ihr Großvater seinen Eltern untergeordnet hat, Segen entstanden ist. Denn: Hätte er dies nicht getan und wäre Pfarrer oder Lehrer geworden, wäre nie ein Eisenwarengeschäft durch ihn entstanden.

Später zog er nach Hof, wo er nicht nur seine Frau kennenlernte und eine Familie gründete, sondern auch das erste Geschäft „Fichtner“ ins Leben rief. Allerkleinste Anfänge waren dies, genau genommen war der erste Ladentisch die Kommode im Wohnzimmer. Die Großeltern waren aber glücklich und zufrieden und freuten sich über jeden neuen Kunden. Die Großmutter schrieb in jedes Kassenbuch in ihrer sauberen Sütterlinschrift „Mit Gott“.

Ihr jüngster Sohn, Renates Vater, übernahm später das elterliche Geschäft. Auch ihm war aus wirtschaftlichen Gründen ein Studium versagt geblieben.

Als Renates Vater mit 49 Jahren starb, ihr Bruder mit nur 17 Jahren im Krieg geblieben war und ihre Schwester zu den Marienschwestern nach Darmstadt ging, blieb nur noch die 16-jährige Renate übrig. Sie musste sofort als Lehrling in die Firma der Eltern einsteigen. Dies war nie ihr Herzenswunsch gewesen und sie war todunglücklich. „Aber in allem“, sagt sie, „war rückblickend eine Linie drin“ (oder die Führung Gottes). So hat sie ihren Mann Wilhelm im Geschäft kennengelernt. Er hatte eigentlich Tierarzt werden wollen, aber nach dem Krieg gab es erst einmal nur Studienplätze für Kriegsversehrte und Verheiratete. Und so kam es, dass sich Wilhelm Frisch nach seiner Flucht aus dem schlimmen Gefangenenlager in Bad Kreuznach und nach einer Erholungspause (er hatte 70 Pfund abgenommen) nach Arbeit umsah. Diese fand er in einem Eisenwarengeschäft in Neckarsulm, nahe seiner Heimatstadt Weinsberg.

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Renate mit ihrem Mann Wilhelm

Dort arbeitete er sich von der Pike auf als Einkäufer hoch. Danach volontierte er in verschiedenen Firmen, um sich später selbständig machen zu können. So auch in Hof. Eigentlich wollte er das kalte Hof nach einem Jahr schnell wieder verlassen, doch das änderte sich, als er sich in Renate verliebte und sie sich in ihn. Er heiratet sie und machte die Firma groß.

Noch zwei Rückblicke in die Nachkriegszeit: Viele Geschäftsleute horteten Waren in ihren Kellern, bis die Deutsche Mark kam. Über Nacht waren die leeren Schaufenster gefüllt mit Waren, aber die Schaufenster der Firma Fichtner waren auch da leer. Die Menschen konnten sehen, dass Fichtners ehrlich waren und wirklich keine Ware hatten. Sie hatten kein Interesse daran, die Produkte zurückzubehalten und die Kunden zu täuschen.

In den 1950er-Jahren wurde, um den Konsum anzukurbeln, in Hof ein Gesetz verabschiedet, das bestimmte, auch sonntagnachmittags die Läden zu öffnen. Renates Mutter, die nach dem Tod des Vaters die Geschäfte führte, war aber dagegen und ließ den Laden mit dem Hinweis auf das 3. Gebot („Du sollst den Feiertag heiligen“) geschlossen. Nun hieß es in der Stadt „Der Fichtner hat’s nicht nötig“. Doch auf dieser Entscheidung lag der Segen Gottes. Man wollte zwar erfolgreich sein, aber nicht um jeden Preis.

In den 1960er-Jahren zog die Firma in ihr erstes eigenes Geschäftshaus um, es ging aufwärts. Neben der Eisenwaren- und Werkzeugabteilung entstanden Abteilungen für Haushaltswaren, Geschenkartikel, Glas, Porzellan, Gartenmöbel, Garderobenwände u. v. m.

Nachdem Renate vier Kinder großgezogen hatte, begann ein neuer Lebensabschnitt für sie. Begonnen hatte es mit der Kündigung einer Abteilungsleiterin. Plötzlich wusste sie tief drinnen: „Jetzt bin ich dran. Jetzt möchte ich meinem Mann auch im Geschäft eine Gehilfin sein.“

Anders als in ihrer Jugend ging sie nun mit großer Freude und Schwung in die Firma. Sie übernahm in Eigenverantwortung mehrere Abteilungen und ihr Mann ließ ihr dabei im Einkauf vollkommen freie Hand. Die neuen Abteilungen kamen bei den Kunden gut an und die Umsatzsteigerungen waren nicht zu übersehen.

Zum großen Renner entwickelten sich die Hochzeitstische, die damals in Mode kamen. Das war nicht nur ein wirtschaftlicher Erfolg, es ergaben sich auch fröhliche, erfrischende Begegnungen mit den jungen Leuten. Überhaupt waren Renate gute Gespräche über den Ladentisch hinweg sehr wichtig. Oft öffneten ihr wildfremde Menschen das Herz und waren dankbar für ein gutes Wort.

Allerdings hatte die Sache mit den Hochzeitstischen auch eine Kehrseite. In der Regel waren die Brautpaare selbst berufstätig und konnten erst nach 18 Uhr kommen. Da war der Laden offiziell schon zu. Die Auswahl ihrer Wünsche nahm viele Stunden in Anspruch und dauerte oft bis weit in den Abend hinein. Keiner Mitarbeiterin hätte man diese Überstunden zumuten können. Doch Renate ging dabei das Herz auf.

Ihr Mann hatte ihr für den Einkauf zwar alle Freiheit gelassen, aber wenn die Messe in Frankfurt anstand, sah es wieder anders aus. Ein Mitarbeiter, der im Einzelhandelsgeschäft der Geschäftsführer und ihr sozusagen übergeordnet war (obwohl der Betrieb ihrer Familie gehörte), beschnitt sie in ihrer Freiheit. Wenn sie zur Messe fuhr, habe sie von diesem Geschäftsführer immer eine Summe vorgeschrieben bekommen, die im Einkauf nicht überschritten werden durfte. Abends im Hotel musste dann alles aufgerechnet werden. Sie hat die vorgegebene Summe allerdings immer überzogen, weil sie Vertrauen in sich und ihr Geschäftsempfinden hatte.

Zu den Adventssamstagen wurden zusätzlich immer die Umsatzzahlen des Vorjahres vorgelegt, und diese Zahlen sollten jedes Jahr höher sein. Diese Vorgabe hat sie damals schwer ertragen. Heute lacht sie darüber. Nach all den Jahren ist sie unbeschwerter geworden.

Wenn Renate nach Frankfurt zum Einkaufen neuer Ware fuhr, nahm sie gerne eine junge, fähige Mitarbeiterin mit und hörte auf ihren Rat, denn sie selbst war mit dem aktuellen jugendlichen Geschmack nicht mehr so vertraut. Das machte sich bezahlt. Alle Ware, zu der ihr jene Mitarbeiterin riet, war später im Geschäft tatsächlich nach kurzer Zeit ausverkauft – selbst teure Sachen. Renate erinnert sich gerne an die wunderbare Zusammenarbeit mit dieser jungen Frau.

Einer ihrer Träume war es, die große Glasgeschenkartikel-Marke „Leonardo“ als Extra-Shop bei sich im Geschäft führen zu dürfen. Vor der Messe in Frankfurt hatte sie alles dafür geplant: Sie überlegte sich genau, wie viel Platz und Kapital sie bräuchte, und las die Verträge durch. Voller Erwartung ging sie zum Messestand der Firma, um den Vertrag zu unterschreiben, aber der Chef von Leonardo meinte nur: „Sie sind eine Stunde zu spät, eine andere Firma aus Hof hat den Vertrag gerade unterzeichnet.“ Das war eine unglaubliche Enttäuschung, aber im Nachhinein weiß Renate, dass auch das von Gott geführt war. Er hatte ja schon im Voraus gewusst, dass der Einzelhandel in der Innenstadt zum Erliegen kommen würde. Sie hätte sich vertraglich aber viel länger gebunden, als das Geschäft noch gelaufen wäre und sich so in große Unkosten gestürzt. Allerdings war sie in diesem Moment auf der Messe sehr niedergeschlagen.

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Das Einzelhandelsgeschäft der Firma Fichtner

Ende der 1980er-Jahre zeichnete sich ab, dass eine Auflösung des Einzelhandelsgeschäftes erfolgen musste und nur noch der Großhandel mit Baubeschlägen und Werkzeugen weitergeführt werden sollte. Immer mehr große Märkte hatten angefangen, auch gute Markenartikel anzubieten, die bis dahin dem Fachhandel vorbehalten gewesen waren. Die Kunden seien nur noch zur Beratung in den Laden gekommen, was sehr personalintensiv war, aber letztlich nichts brachte. Denn meist seien die Kunden mit der Bemerkung gegangen, sie wollten es sich noch einmal überlegen und hätten dann die Ware im nächsten Großmarkt oder Kaufhaus eingekauft. Das sei sehr enttäuschend gewesen.

Nun begann Renate, sich innerlich von ihrem geliebten Geschäft zu lösen. Sie erkannte langsam die Richtigkeit dieser großen Entscheidung ihres Mannes, das Ladengeschäft aufzugeben.

1990 war es dann so weit. Die Wende hatte gerade erst stattgefunden und kam dem Laden in der Innenstadt, der aufgelöst werden sollte, doch noch entgegen. Einwohner aus Sachsen kamen nicht nur in großer Zahl in die Stadt, sondern auch zur Firma Fichtner. Sie konnten vieles noch irgendwie verwerten. So wurde auch die gesamte Ladeneinrichtung wie Regale und Lochplatten auf Trabis verladen und abtransportiert. Innerhalb von zwei Monaten war das Haus leer. Auch das war ein Segen von Gott.

Die Zeit des Ausverkaufs erinnert Renate an die Geschichte der Brotvermehrung in der Bibel. Ein 14-Stunden-Tag im Geschäft war für sie normal und jeder Gedanke an persönliche Freizeit musste erst einmal gestrichen werden.

Doch wie Jesus Brot und Fisch vermehrte, so vermehrte Gott auch Renates Kraft und schenkte ihr Freude am Arbeiten und Gesundheit, sodass sie trotz weniger Stunden Schlaf jeden Morgen wieder mit neuem Schwung starten konnte. Ein wahres Wunder bei allen Strapazen!

Im Blick auf den Großhandel dachte man, der große Durchbruch sei da, und hatte viele Hoffnungen. In Wirklichkeit sah es ganz anders aus. Die Handwerksbetriebe im Osten brauchten zwar eine ganze Menge, aber viele waren nicht recht zahlungsfähig und manch ein Betrieb konnte zum Nachteil der Firma Fichtner die Rechnungen nicht begleichen. Der Großhandel mit seinen 80 Mitarbeitern existiert jedoch heute nach wie vor und wird in einem eigenen Geschäftshaus nach dem Tod von Renates Mann von ihren Söhnen fortgeführt. Auch hat das Unternehmen immer noch einen Schlüsseldienst mit mehreren beschäftigten Schlossern. Im Wandel der Zeit hat man sich mehr und mehr auf Sicherheitstechnik und Mechatronik spezialisiert. „Interessant ist, dass Mitbewerber, die viel größer waren, schon lange vom Markt sind, aber die Firma Fichtner gibt es immer noch“, berichtet Renate voller Dankbarkeit.

Als ihr Bereich, der Einzelhandel, geschlossen worden war, sei sie wie befreit gewesen und bereit für Neues, erzählt Renate.

Das „Neue“ kam zunächst in Gestalt einer verstärkten Mitarbeit im Marburger Kreis (eine überkonfessionelle missionarische Arbeitsgemeinschaft von Christen). Renate und ihr Mann hatten bereits 1965 auf einem Seminar des Marburger Kreises zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gefunden.

Danach entwickelte sich bei Renate eine unerklärliche Liebe zu Land und Leuten in Israel. Eine Freundin hatte einen Israel-Laden in Hof gegründet, der viele Gebrauchsartikel wie Bücher, Schmuck, Kosmetik und Lebensmittel aus Israel anbietet. „Da gehöre ich hin!“, dachte sie damals begeistert und hat dort noch zehn Jahre ehrenamtlich mitgearbeitet. Es wurden auch Überlebende des Holocausts eingeladen, die tagsüber in Schulen referierten, und abends wurden Vorträge organisiert. Ebenso Fahrten zu KZ-Gedenkstätten. „Das war eine sehr reiche Zeit mit interessanten Begegnungen“, sagt sie.

Mit 73 Jahren hörte sie auch damit auf. Nun galt es, sich verstärkt der Familie zu widmen, denn die Enkelschar war inzwischen auf neun Kinder angewachsen. Da war und ist eine Oma sehr wichtig – besonders eine mit Führerschein, die ihre Enkel von A nach B fahren kann.

Renate blickt voller Dankbarkeit auf alles zurück. Sie sagt: „Ich sehe deutlich die Führung Gottes in meinem Leben, in guten wie in schlechten Geschäftsjahren. Seine Wege waren immer gut.“ Mit diesen Worten verabschiedet sie sich von mir.

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Antje Köppen

Kompetenzen erwerben im
Familienunternehmen

Antje Köppen, 1982 als Antje Kroß geboren, wuchs in Boitzenburg in der Uckermark auf und ist verheiratet mit Gustav Köppen. Gustav ist Diplom-Sozialpädagoge und arbeitet im Jugendamt in Prenzlau. Beide haben drei Kinder, Fritz, Johanna und Luise.

Antjes Eltern sind Förster und so wuchs sie mit ihrer älteren Schwester nahe am Wald auf. Sie studierte Landschaftsplanung an der TU Berlin und konnte dort 2007 ihren Abschluss machen. Danach arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin und begann auf Anraten ihrer Professoren mit einer Promotion. Im Jahr 2004, noch während ihres Studiums, heiratete sie Gustav. Im Jahr 2008 ging das Ehepaar nach Prenzlau zurück, damit der erste Sohn nicht in Berlin aufwachsen musste. Es hatte Antje und Gustav ohnehin immer zurück in die Heimat, die Uckermark, gezogen – auch, weil sich dort ihre Kirchengemeinde befindet. 2011 erwarben sie ein Haus aus den 30er-Jahren in Hardenbeck, auf dem Land. In diesem Ort hatte Antje einen Großteil ihrer Kindheit verbracht und dort leben auch die Schwiegereltern. Ihre Eltern, die in Boitzenburg wohnen, sind ebenfalls ganz in der Nähe.

Als Fritz 2009 geboren wurde, gestaltete sich alles zunächst sehr unkompliziert und Antje dachte, sie könne als moderne Frau weiterhin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU in Berlin arbeiten, promovieren und gleichzeitig für ihre kleine Familie da sein. In der Realität war dann aber doch alles ganz anders. Die eineinhalb Jahre, die sie nach der Geburt von Fritz arbeitete, waren für sie ein absoluter Stress und sie war hin- und hergerissen zwischen Beruf und Familie. Diese Zerrissenheit wirkte sich zunehmend auf den Familienalltag aus. Antje und Gustav wurde klar, dass sie einen hohen Preis dafür bezahlen würden, wenn beide weiterhin ihren beruflichen Ambitionen und dem Wunsch nach einer größeren Familie folgen würden. Einer der beiden Bereiche würde immer zu kurz kommen und es wäre sehr schade, wenn es sich dabei um die Kinder bzw. die Familie handelte. Sie wussten, dass sie sich entscheiden mussten, und wollten auch eine Entscheidung treffen. Mit der Geburt von Johanna entschloss sich Antje Anfang 2011 dazu, ein ausschließliches „Familienunternehmen“ zu beginnen. Leicht war es nicht. Sie musste erst lernen, die Arbeit als Hausfrau und Mutter selbst wertzuschätzen. Sie war ja als DDR-Kind großgeworden und nach dem Fall der Mauer in einer Gegend aufgewachsen, in der die Frauen immer gearbeitet hatten und die Erziehung der Kinder den Krippen und Kindergärten vorbehalten gewesen war. Das hatte sie als Krippen-, Kindergarten- und schließlich Hortkind natürlich auch geprägt. Noch heute ist es in Antjes Heimat so, dass es ein absolutes „No-go“ ist, wenn die Mutter bei den Kindern bleibt, um diese selbst zu erziehen. Es wird ihrer Meinung nach oft der Eindruck vermittelt, als ob dies der Inbegriff von wertloser Arbeit und verlorener Liebesmüh sei. So bekommt sie oft die Frage gestellt: „Und du machst zur Zeit nichts?“ Man könne es doch so viel einfacher haben, meint der Fragesteller dann, und mit der Auszahlung eines monatlichen Gehalts habe man doch als Mensch erst einen richtigen Wert und man könne dem Kind so viel mehr bieten. Gegen diese vorherrschende Meinung hat Antje ständig anzukämpfen – nach innen und nach außen.

Die Kinder sind nun aus dem Gröbsten heraus und Antje muss nicht mehr nur wickeln, stillen, tragen und Brei kochen. Doch mit dem zunehmenden Alter der Kinder kommen nun auch andere Herausforderungen dazu. Antje und Gustav haben beschlossen, die Kinder erst mit drei Jahren für zweieinhalb Stunden zwischen Frühstück und Mittagessen in den Dorfkindergarten zu geben. Hier können sie mit anderen Kindern spielen und die Vorschule besuchen. Um aber einen echten Draht zu den eigenen Kindern aufzubauen, um sie wirklich zu verstehen und ihnen einen stressfreien Ruheort zu geben, in dem sie tiefe, sichere Wurzeln schlagen können, müsse man Zeit investieren, findet Antje. In der Regel bedeutet das, einen längeren Arbeitstag zu haben, als sie ihn zuvor im Beruf hatte.

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Antje ist es wichtig, viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen

Antje und Gustav sind in ständigem Austausch, unterstützen sich und wissen voneinander. Das ist beiden in ihrem „Unternehmen“ wichtig. Das Paar versteht sich als Team und beide haben in ihrem Familienunternehmen ihre Aufgaben. Gustav geht außer Haus arbeiten und verdient das Geld, mit dem sie wirtschaften können. Antje sorgt dafür, „dass der ganze Rest rundläuft“, wie sie es nennt. Das bedeutet vor allem, dass sie für die Kinder von morgens bis zum späten Nachmittag da ist. Sie versorgt sie allein und erzieht sie auch hauptsächlich. Sie führt den Haushalt, kocht und kümmert sich um den Hof und die Haustiere (Hühner, Enten, Puten, Hängebauchschweine und die Katze). „Es ist toll, dass die Kinder so nahe mit der Natur aufwachsen und jedes Detail miterleben können“, sagt sie. So hat vor Kurzem eine Henne „gegluckt“ und aus den Eiern schlüpften nach einiger Zeit tatsächlich Küken, mit denen die Kinder gespielt haben. Das alles zu beobachten und zu lernen, aber auch zu erleben, wie ein Tier geschlachtet wird, lehrt die Kinder vieles.

Im Alltag ist der Tagesablauf ziemlich straff geregelt. Gustav steht um 5 Uhr vor dem Rest der Familie auf und verlässt das Haus. Etwas später steht Antje mit den Kindern auf. Dann folgt eine morgendliche Routine, die das Anziehen, Frühstücken, Brotzeiten-Machen und die Morgenhygiene für alle drei Kinder beinhaltet, sodass Fritz pünktlich um 7:45 Uhr mit dem Schulbus in die Grundschule fahren kann und die beiden Mädchen um 8:30 Uhr im Kindergarten sind. In den folgenden zweieinhalb Stunden hat Antje Zeit für verschiedenste Arbeiten, die im Haus, Garten und Hof erledigt werden müssen. Die Tiere werden versorgt und das Mittagessen gekocht. Um 11 Uhr werden Johanna und Luise vom Kindergarten wieder abgeholt und Antje isst mit ihnen zusammen zu Mittag. Anschließend ist für beide Mädchen Mittagspause. Am frühen Nachmittag kommt Fritz nach Hause und isst sein Mittagessen. Antje fragt nach, wie es in der Schule war. Die Antworten darauf fallen mal mehr und mal weniger ausführlich aus. Der Nachmittag ist dann durch Familienprogramm geprägt. Sie arbeiten zusammen im Garten, gehen spazieren, machen Fahrradtouren, spielen, basteln oder bauen Lego im Haus. Um 17 Uhr kommt Gustav nach Hause und nutzt die Zeit, um auf dem Hof und dem 4500 m2 großen Grundstück Arbeiten zu erledigen. Dann beginnt auch schon die Abendroutine, die daraus besteht, dass sie gemeinsam Abendbrot essen, Schulsachen vorbereiten, die Kinder duschen und zu Bett bringen. Antje liest den Kindern vor und betet mit ihnen vor dem Einschlafen. Dann wird aufgeräumt und einige Dinge für den nächsten Tag werden vorbereitet. Gustav und Antje ist es sehr wichtig, dass sie abends ohne die Kinder noch gemeinsam Zeit haben, bevor es auch für sie ins Bett geht. Die Organisation bzw. Logistik des ganzen „Betriebes“ sei nicht immer ganz einfach, meint Antje.

Kindern den christlichen Glauben vermitteln kann man nur, meint Antje, indem man authentisch lebt. Wenn sie selbst ein Leben führt, in dem der christliche Glaube alltagsrelevant und nicht nur religiöses Programm ist, spricht das lauter als alle Kindergottesdienste und geistlichen Lektionen, die man den Kindern beibringen will. Dazu gehört es auch, mal Schwäche zu zeigen und nicht so zu tun, als ob man als Erwachsener immer alles im Griff hätte. Die Kinder wollen von sich aus Geschichten aus der Bibel vorgelesen bekommen und wissen schon mehr als so mancher Erwachsene. Als Familie gehen sie jeden Sonntag in den Gottesdienst und die Kinder kommen gerne mit. Das ist Antje und Gustav besonders wichtig. Es gebe sehr viele Momente, erzählt Antje, in denen die Kinder tiefgründige Fragen zum Thema Glauben stellen würden. Dann nimmt sie sich Zeit, um diese Fragen gründlich zu beantworten.

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Antje beim Vorlesen

In der Zeit mit den Kindern habe sie gelernt, sich Freiräume auch während zu erledigender Arbeiten zu verschaffen. Die besten Zeiten für ein Gespräch mit Gott habe sie oft sogar beim Arbeiten im Garten oder z. B. beim Fensterputzen. Mittags oder auch mal abends nimmt sie sich Zeit, um sich hinzusetzen und in der Bibel zu lesen. Jesus erlebt sie als ihren Erlöser, antwortet sie knapp und klar auf meine Frage, wer Christus denn für sie sei. „Es geht um eine Beziehung mit Gott, die mit Leben gefüllt werden muss und die auch erlaubt, dass ich mich verändern lasse!“, meint sie. Aus ihrem Austausch mit Gott und mit ihrer Familie schöpfe sie die Kraft für all die Herausforderungen des Lebens. Sowohl ihre Eltern als auch ihre Schwiegereltern wohnen in unmittelbarer Nähe und seien da, wenn mal Hilfe oder Rat nötig sei.

Eine große Herausforderung sei es bisher für sie gewesen, dass sie über viele Monate hinweg nachts nicht durchschlafen konnte, sich den Tag über für alles allein zuständig fühlte und der einzige Ansprechpartner für alle Fragen der Kinder und für alle Hilfestellungen war. In vielen Situationen habe sie sich gewünscht, dass sie sich einfach aufteilen könnte, weil sie an mehreren Orten gleichzeitig gebraucht wurde. Inzwischen genieße sie es, dass die Kinder schon etwas älter seien.

Es gab auch Zeiten, in denen sie das Gefühl hatte, dass sie nichts bewege und dass ihre Arbeit nichts bedeute, obwohl sie von früh morgens bis teilweise in den späten Abend hinein beschäftigt sei. Kein Kind kann einschätzen, wie viel Arbeit z. B. die Wäsche oder das Zubereiten der Mahlzeiten macht, und bedankt sich anschließend dafür, saubere Wäsche im Schrank oder gesundes Essen auf dem Tisch zu haben. Dennoch verbringt sie viel Zeit damit. Sie musste lernen, unbeirrbar ihren Weg zu gehen und sich davon nicht frustrieren zu lassen, dass der Wert ihrer Arbeit oft nicht wahrgenommen wird.

Auf meine Frage, wie sie über den Umgang mit Geld denkt, hat sie einiges zu sagen. Fakt sei für sie, dass sie als Familie Geld zum Leben brauchen, das stünde außer Frage. Dennoch sei das Verlangen nach mehr Geld auch eine Versuchung, falsche Entscheidungen zu treffen und in ein Hamsterrad zu geraten. Das habe sie selbst bei ihrer ursprünglichen Entscheidung gesehen, nach dem Studium eine Familie zu gründen und gleichzeitig berufstätig zu bleiben. Rückblickend aber habe sie mit Gustav sehr viele Entscheidungen getroffen, die an wirtschaftlichen Gesichtspunkten gemessen nicht sehr klug erschienen, aber trotzdem richtig waren. Eine dieser Entscheidungen sei z. B. gewesen, in einer strukturschwachen Region mit wenig Karrierechancen und bundesdurchschnittlich niedrigen Löhnen zu leben. Antje erzählt, sie habe sich dabei aber immer gut versorgt gefühlt, und sie glaubt, mit allen diesen Entscheidungen gut gefahren zu sein. Die Idee, dass die Menge an Geld, die sie beide monatlich verdienen, wirklich ein Ausdruck für ihren Wert oder den Wert der von ihnen verrichteten Arbeit sei, haben sie schon lange aufgegeben. Und das sei auch gut so.

Wenn sie nicht weiterwüssten oder unsicher seien, würden sie Eltern oder auch Bekannte um Rat fragen. Bei Erziehungsfragen sind Gustavs Eltern für Antje gute Ratgeber geworden, da auch ihre Schwiegermutter ihre vier Kinder zu Hause erzogen hat und somit die Sorgen und Herausforderungen in dieser Lebenssituation kennt. Antje meint, es sei dumm, die Lebenserfahrungen der älteren Generation hier nicht mit einzubeziehen, und sie sei froh, dass die Kinder in einem so engen Verhältnis zu allen ihren Großeltern und teilweise auch Urgroßeltern aufwachsen könnten.

Auch wenn Antjes Arbeitsplatz im Augenblick zu Hause ist, sieht sie sich nicht auf Kinder, Haus und Hof beschränkt. Sie glaubt, dass viele ein abschreckendes Bild von einer „Hausfrau“ im Kopf haben, die eine frustrierte Persönlichkeit sei, die schon lange den Draht zur Außenwelt verloren habe und permanent über ihren Kindern glucken möchte. Alles habe seine Zeit, meint sie und ist sich sicher, dass in ihrem Leben noch viele andere Phasen mit neuen Herausforderungen kommen werden.

In Zeiten, wo schon nach drei Jahren Abwesenheit vom erlernten Beruf von „Berufsentfremdung“ gesprochen werde und die größte politische Errungenschaft für Familien die 24-Stunden-Kitas seien, werde völlig außer Acht gelassen, dass man in diesem Lebensabschnitt viele Kompetenzen erwerbe und sich vor allem auch als Persönlichkeit entwickle, meint Antje. Doch gerade das scheint heutzutage nicht mehr gefragt und viele sind der Ansicht, dass die eigene Arbeitskraft und Qualifikation nicht in die Familie gesteckt werden solle. Aber nicht umsonst redet man in der Phase, in der Familien noch kleinere Kinder haben, von der „Rushhour des Lebens“, in der so viel anliegt, dass das Leben gefühlt an einem vorbeisaust. Antje und Gustav jedoch wollten nicht, dass ihre Kinder einfach so „nebenbei“ großgezogen werden. Als Vollzeitmutter investiere sie nicht in ihre Karriere, ihre Rente, ihre Weltreise, ihren guten Ruf, sondern sie sei in erster Linie für andere da. Das sei zwangsläufig so und ergebe sich aus dem Elterndasein. Sie betrachte das als etwas sehr Gesundes. Jungen Erwachsenen rät sie daher, nicht zu lange mit dem Kinderwunsch zu warten und in den 20ern oder frühen 30ern mit der Familienplanung zu beginnen.

Als allgemeingültiges Rezept möchte sie ihr Lebensmodell nicht verkaufen. Mit einer unglücklichen Mutter zu Hause sei auch niemandem geholfen. Vielmehr möchte sie zum Nachdenken anregen. Eltern sollten sich mit dem Thema Betreuungsformen und frühkindliche Entwicklung zumindest auseinandersetzen und nicht ihre Kinder mit Ablauf des ersten Lebensjahres so mir nichts, dir nichts in eine Vollzeit-Kita geben. Es gebe durchaus Alternativen und Zwischenlösungen. Um dahin zu kommen, müsse man sich jedoch erlauben, sich selbst und auch das vorgegebene System kritisch zu hinterfragen. Dazu gehört auch, dass man bereit ist, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Hin und wieder komme es vor, erzählt Antje, dass Menschen in ihrer Umgebung sagen, dass ihre Kinder gut erzogen seien oder dass sie eine tolle Familie seien. Viel Ermutigung bekomme sie von der Familie und von Freunden. Noch gewichtiger seien diese Feststellungen aber von jemand Unabhängigem, wie z. B. ihrem Kinderarzt. Da man als Hausfrau und Mutter in der Regel kein Feedback zur Qualität der eigenen Arbeit bekomme, seien das Momente, die ihr zeigen, dass sie doch nicht so danebenliege, wie sie es an schlechten Tagen denke. Dennoch werden die eigentlichen Früchte ihrer Arbeit in aller Konsequenz wohl erst zu sehen sein, wenn die Kinder erwachsen und für ihr eigenes Leben verantwortlich sind. Bis dahin müsse man sich als Eltern gedulden und weitermachen. Bereut habe sie die Entscheidung noch nie, dieses „Familienunternehmen“ gegründet zu haben. Es ist ein toller Lebensabschnitt und Antje empfindet es als ein Privileg, ihre Kinder selbst erziehen zu können.

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Hanne Keim

Gott hat noch mehr
vorbereitet

Hanne Keim wurde 1963 als jüngstes Mädchen der Familie geboren und wuchs auf einem Bauernhof auf. Ihr Vater stammte aus Ostpreußen, die Mutter aus Marxgrün in Oberfranken. Der Vater war Landwirt und die Mutter nähte. 1990 heiratete sie Thomas Keim und bekam mit ihm insgesamt drei Kinder.