Impressum

Waldtraut Lewin

Poros und Mahamaya

Eine Geschichte aus dem alten Indien

erzählt nach der Oper »Alexander in Indien« von Georg Friedrich Händel

 

ISBN 978-3-95655-815-3 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1987 in Der Kinderbuchverlag, Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Foto: Andrea Grosz
 

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Erster Teil

Das Wasser war grün und undurchsichtig, und der Knabe bemühte sich, sein Ruder so behutsam wie möglich einzutauchen, um die glatte Fläche nicht zu zerstören. Zu beiden Seiten stand der Wald hoch, dicht und dunkel. Schlinggewächse hingen überm Fluss gleich verknoteten Schlangen.

Im Bug des Schiffchens kniete die kleine Fürstin und sah geradeaus. Gold und Farben ihrer Kleidung leuchteten auf bei jedem Sonnenblitz, der durch das Blätterdach drang. Dazu schrien die bunten, nicht jagdbaren Vögel. Krokodile lagen wie Baumstämme im Uferschlamm.

Hinter der Flussbiegung nahm die Strömung zu, ein Sog unter der öligen Wasserhaut. Der Knabe hielt die Bootsnase geschickt gegen die Wirbel im Gleichgewicht, ohne die Augen von dem Mädchen abzuwenden; er war mit dem Gewässer vertraut.

Endlich wichen die Bäume zurück. Eine Treppe schwang sich in gelassenem Bogen zum Wasser, und zwischen dem Schilf leuchteten die üppigen Hüften der tanzenden Göttinnen aus Stein, die die grauweißen Mauern schmückten, erstarrt in der Bewegung, den Fuß erhoben, die Hände in bedeutungsvoller Geste zum Himmel gebogen.

»Wir sind da«, sagte der Knabe halblaut und lenkte das Schiffchen ins tote Wasser, ließ es zur Treppe treiben. Erst als er ausgestiegen war und ihr die Hand hinstreckte, erhob sie sich von den Knien und sprang leicht an Land.

Der Tempel stand wie verlassen. Ein paar Affen hüpften mit Gekreisch über die Simse. Irgendwo drinnen schlug ein Gong. Zögernd, ohne sich anzusehen, schritten sie vorwärts, über die von Gras und Kraut bedeckten Quader auf den Ton zu, durch die klaffenden, aus den Angeln gewuchteten Tore von grünspanblindem Kupfer, deren getriebene Arbeit nur noch undeutlich zu erkennen war. Eine große Schlange ringelte träge von einer Säule herab.

Sie gingen auf das Licht los, das aus dem Dämmer schien. Unversehrt stand die innere Halle. Das Feuer auf dem Altar loderte, und um das Heiligtum strahlten hoch oben brennende Lampen ein goldnes Licht aus. Am Boden hockten auf untergeschlagenen Beinen zwei Greise und beugten sich über ein Schachbrett. Nie hatte man Verschiedenere gesehen: Der eine trug ein seidenes Obergewand, der andere einen härenen Fetzen von Kutte, gegürtet mit einer Waldrebe. Der eine hatte goldgestickte Stiefel an den Füßen, der andere war barfuß. Der eine trug einen goldnen Reif um das weiße, zum Knoten gebundene Haar, dem anderen wallten Bart und Locken struppig bis zum Gürtel herab, und wildes Blattwerk, von Bienen umsummt, hing darin.

Die Kinder schlossen die Augen, legten die Handflächen vor der Stirn zusammen und sanken in die Knie vor den Vätern.

 

Die beiden Männer, die hier das Königsspiel spielten, galten vor der Welt als tot.

Beide hatten sie in ihrer Jugend mächtige Reiche beherrscht, sie hatten Kriege geführt und Paläste gebaut, geliebt, gehasst und gemordet, gelitten und gehofft. Ihre Taten waren zahlreich gewesen, wechselnd gute und böse, wie es zugeht in der Welt. Als sie aber älter wurden, erkannten sie, wie eitel ihr Streben war, und die ganze Welt wurde ihnen zum Schein, zum Schleier der Maya, und in ihren Herzen wuchsen die Sehnsucht nach Frieden und Weisheit und der Wunsch, dem ewigen Wechsel der Gestalten zu entfliehen. Jeder von ihnen wählte einen anderen Weg zur Erfüllung.

Asbita, der Vater des Mädchens, war seit jeher Wissenschaft und Künsten zugeneigt gewesen. Als er noch herrschte, war mehr als die Gewalt die List sein Teil gewesen, und er war schlangenklug und wohlberedt. Lange Tage und Nächte sprach er in seinen glänzenden Hallen mit den Weisen und Wissenden und lernte von ihnen, bis er sie alle übermochte an Geistesstärke und kühnem Flug des Denkens und an Weisheit von keinem Sterblichen erreicht wurde.

Man begann von weit her um seinen Rat zu fragen, und die heilige Ehrfurcht und fromme Scheu, die man seinem Haupt entgegenbrachte, übertrug sich gleichsam auf sein Reich und dessen Frieden. Kaum ein Fürst wagte mehr, die Grenzen des Landes zu verletzen. Er war ein Schakravartin, ein Weltherrscher, wie jene, von denen die alten Mythen erzählen, dass sie ohne Kampf und Streit ihre Länder regierten, so weit ihr Wagen sie trug und ihr heiliges Ross lief.

Bei all dem war aber Asbita nicht glücklich, sondern mehr und mehr erfasste seine Seele das Verlangen zu erfahren, was hinter dem Vorhang war. Nach Anleitung der Büßer und Brahmanen, die seine Freunde waren, begann er mit jenen Übungen, die bewirken, dass man seinen Körper so in der Gewalt hat wie ein Reiter sein Pferd, ja, dass man ihn zeitweise sogar verlassen kann. Als er diese Kunst in Vollkommenheit ausüben konnte, setzte er einen Rat aus den Besten seines Volkes ein, sodass jeder Stand sein Recht erhalte, vom Priester bis zum Bettler, und begab sich in ein stilles Gemach unter dem Dach seines Palastes, in dem sich nichts befand außer einem Bett aus Zitronenholz. Dort streckte er sich aus in seinen glänzenden Gewändern und sprach zu den Getreuen: »Ich werde meinen Körper für einen Mondumlauf verlassen, dann aber wiederkehren. Regieret wohl indessen, bis ich zurück bin.« Dann kreuzte er die Arme über der Brust, schloss die Augen, und siehe, sein Herz hörte auf zu schlagen, und kein Atem hob und senkte mehr seine Brust, sein Leib aber blieb warm, und keinerlei Verwesung fasste ihn an.

Sie, die um ihn waren, besahen das Wunder und wussten nicht, sollten sie ihn betrauern oder auf ihn warten. Nach den vorhergesagten dreißig Tagen schlug Asbita die Augen auf, der Hauch kehrte auf seine Lippen zurück, und sein Herz schlug wieder kräftig, und er erhob sich, sein Volk zu regieren zur Lust und Freude der Seinen.

Von Zeit zu Zeit wiederholte er diese Versenkung, ehrfürchtig bewundert in seiner Abwesenheit und bejubelt als ein Wiederkehrender. Da er aber sah, dass sein Regentschaftsrat das Reich wohl verwaltete, freilich im Wissen und in der Ehrfurcht: der König lebt!, da erschien es ihm wohl auch möglich, länger in jenen Welten zu bleiben, von denen er keine Kunde gab, und er dehnte seine Aufenthalte immer mehr aus, ja, das Nirwana erschien ihm so süß, dass alles andere davor verblasste.

Es befand sich aber unter den Schönen seines Frauenhauses eine dunkle Barbarin, der er von jeher mit besonderer Liebe zugetan war. Diese vor allem erlebte jedes Mal seine Versenkungen, als sei es ein Tod, und sie trauerte, bis er zurück war. Eines Tages trat sie vor ihn und sagte: »Größter und weisester König deiner Zeit, ich sehe den Tag voraus, da du das Wiederkommen vergisst und unsere Herzen verwaist zurücklässt wie deinen Thron. Soll so viel Kraft und Klarheit vergehn ohne Spuren? Höre auf die, die dich liebt. Tu dich mit mir zusammen, wie du ehemals tatest, und zeuge mit mir ein Kind, einen Knaben, auf dass dein Name nicht verlösche und du deine Krone weitergibst.«

König Asbita lächelte, denn dass sein Name verlösche, war ihm gleichgültig, und dass sein Thron leer stehe, schien ihm nicht wichtiger, als wehe der Wind von Süd oder Nord. Aber ihn rührte die zärtliche Liebesbitte der Frau, und er hielt es für eine böse Tat, ihr Verlangen zurückzuweisen. So setzte er sich in mondhellen Nächten hin, die Gestirne zu berechnen, und fand eine Stunde, die für das Kind, das sich die Frau wünschte, glückhafte Konstellationen gewährte, und tat ihr den Willen.

Als die Zeit erfüllt war, kam sie nieder und gebar, und es war ein Mädchen. Da weinte sie und sprach die Verse: »Eine Tochter ist Elend, ein Sohn Glück im höchsten Himmel.«

Der weise Asbita aber tröstete sie und sprach: »Dies Kind ist schön wie der volle Mond und anmutig wie eine Gazelle, und mir soll es so lieb sein wie ein Dutzend Knaben.« Und er gab ihm den Namen Mahamaya.

Die braune Frau aber, die ihn liebte, starb ein paar Stunden nach der Geburt des Kindes.

Nun war es so, dass nach uralten Bräuchen das Kind den Stand seiner Mutter hatte und die Tochter der Barbarin eigentlich nichts war als eine Schudra, eine Rechtlose. König Asbita aber nahm sie an sein Herz, als sei er selbst die Mutter, und erklärte dem Regentschaftsrat und allem Volk, dass dieses Kind seine anerkannte Tochter und legitime Nachfolgerin auf dem Thron sei. Und ob der großen Ehrfurcht und Liebe, die man ihm entgegenbrachte, waren alle einmütig bereit, seinen Willen als Gesetz anzuerkennen, auch wenn es gegen das Herkommen war.

Mit dem König ging nun eine Verwandlung vor sich. An sein Herz, das schon so ganz und gar dem Irdischen entrückt gewesen war, rührten wieder Schmerz und Freude. Er vergaß seine Exerzitien und wandte sich dem bunten Treiben der Welt zu, um das Kind einzuführen in die Wunder des Seins. Als Mahamaya heranwuchs, holte er die weisesten und gelehrtesten Männer und Frauen der Umgebung herbei, die mussten sie erziehen und lehren, und sein Entzücken an dem Kinde wuchs von Jahr zu Jahr, denn die Prinzessin war nicht nur schön und lieblich, sondern auch erleuchteten Geistes und erwarb die Schätze der Weisheit so leicht und spielend wie andere Burgen aus Sand auftürmen und die Sterne der Kuyablume in den Wind blasen.

Eines Tages lag die kleine Mahamaya im Schatten eines Baumes im königlichen Park und schlief, und Haritri, die wehrhafte Hüterin des Kindes, das krumme Schwert auf dem Rücken, wehrte ihr mit dem Cauri, dem Yakschweif, die Fliegen ab. Da trat zu ihr ein Rossknecht aus den Ställen des Asbita, der auf dem Wege war, Kardamom und Lotosstängel für das Lieblingspferd des Königs zu holen, und sagte: »Nun, Haritri, hütest du das Schudra-Balg, die Tochter der Barbarensklavin?«

»Hüte du deine Zunge«, erwiderte die kriegerische Kinderfrau und fasste an den Griff ihres Schwertes, »denn wer Mahamaya beleidigt, tritt dem König zu nahe.«

Der Rossknecht lachte. »Ich will niemandem zu nahe treten, auch dir nicht, Haritri«, sagte er. »Und Ehre unserem König, er ist voller Weisheit. Soll sie herrschen dereinst, die kleine Mahamaya, falls es dem König beliebt, die Schranken zu überspringen, die die Götter zwischen den Ständen setzten, soll sie nur herrschen! Und wenn sie klug herrscht wie ihr Vater, nun, so mag es wohl auch dem Volk gefallen. Aber eine Schudra ist sie und bleibt sie, mögt ihr auch noch so viele Abzeichen hoher Herkunft mit schönen Farben auf ihre Stirn malen und sie mit dem Königsschirm beschützen, noch ehe ihr die Brüste gewachsen sind. Eine Schudra! Nun gut, auch eine Schudra mag eine Herrscherin sein. Was kümmert es mich. Wenn nur auch die Götter ein Einsehen haben und keinen Fluch auf ein Land fallen lassen, das sich erdreistet, von jemandem anderem regiert zu werden als einem Kschatrija.« Damit entfernte er sich.

Als sich Haritri aber umdrehte nach dem Kind, waren Mahamayas Augen weit offen. Voll Schreck wollte sie das Mädchen fragen, was es von diesem frevelhaften Gespräch vernommen habe, als sie sah, dass sich die Lider wieder über die dunklen Sterne senkten und die kleine Prinzessin tief und ruhig weiteratmete. So vermeinte sie, das Kind habe nur, wie es wohl manchmal im Schlaf geschieht, kurz die Augen geöffnet, ohne eigentlich etwas zu sehen und zu hören, und fand, alles sei gut. Mahamaya fragte nach nichts, was darauf hindeuten hätte können, sie habe jene Reden in sich aufgenommen.

Sehr bald übertrug ihr der Vater kleine Aufgaben, die sie mit der Staatskunst vertraut machten, und sie entledigte sich ihrer so klug und geschickt, dass es eine Freude war. Asbita, weil er sah, dass die Prinzessin ihre Gaben weiterhin nutzte und ihren Pflichten gewachsen war, begann nun wieder mit den Versenkungsübungen und entfernte sich allmählich von den Seinen.

 

Es regierte aber in einem benachbarten Königreich ein Herrscher mit Namen Trischanku, der war ein mächtiger Kriegsheld und starker Turm in der Schlacht, und so wild und jäh wie sein Kampfesmut war, so rasend schossen seine Leidenschaften dahin in Freude und Schmerz.

Einst war er mit großer Streitmacht ausgezogen gegen das Königreich des Asbita, nicht, weil er Feindschaft empfand gegen ihn und sein Volk, sondern weil er meinte, es bringe viel Ehre, gegen einen so berühmten Fürsten zu Felde zu ziehen. Als er mit seinem Heer dicht vor den Grenzen des benachbarten Reiches Rast hielt, ging Trischanku, dessen Kräfte nach einem Tag im Sattel seines Pferdes nicht nachließen, noch zur Jagd, das letzte Tageslicht nutzend, die flüchtige Gazelle zu verfolgen. In seiner Jagdlust hatte er sich weit von seinem Gefolge entfernt, den Pfeil auf der Sehne, um eine günstige Gelegenheit zum Schuss abzuwarten. Die schien ihm gekommen, als er auf seinem keuchenden Tier am Rande einer Lichtung ankam. Im Strahl der tief stehenden Sonne leuchtete das Fell der Gazelle wie Gold. Trischanku zog die Bogensehne bis ans Ohr, da warf sich das gejagte Tier mit einem verzweifelten Sprung zur Seite und ward nicht mehr gesehen.

Zornig und verwundert spornte der Jäger sein müdes Ross und hielt vor dem Eingang einer Höhle, die ganz überschattet war von einem süß duftenden Schandana, einem Sandelbaum, und aus der ein Licht drang. Er saß ab und trat näher, und was ihn erstaunte, war nicht so sehr, dass sich dort ein Mensch mit einem Buch befand, sondern eher, dass die Höhle von goldfarbenem Licht erfüllt war, dessen Herkunft Trischanku nicht ausmachen konnte. Und da war die Gazelle! Die Hindin hatte sich an die Seite des lesenden Menschen geschmiegt, und der hatte ihre bebenden Flanken mit seinem Bastmantel bedeckt.

Trischanku trat näher, ohne den Bogen zu senken. Es wird einer dieser seltsamen Einsiedler sein, dachte er, die in Höhlen oder Baumhütten wohnen, und vielleicht ist er mir dankbar, wenn ich ihm von der Jagdbeute ein Schulterstück abgebe. Mit rauer Stimme, die von der Hast der Verfolgung so mühsam ging wie der Atem der Hindin, forderte er die Beute von dem lesenden Menschen.

Der hob die ernsten Augen von seinen Blättern und verneinte mit einem sanften missbilligenden Kopfschütteln.

Trischanku sah den Mann ungläubig an und lachte auf. »Willst du sagen, dass du mir mein Stück Wild nicht geben willst, Narr? Geh beiseite, damit ich dich nicht mit meinem Pfeil verletze.«

»Weißt du nicht, königlicher Jäger«, sagte da der andere, »dass es die Pflicht der Könige ist, Schutzflehenden zu helfen, gleichgültig, ob Mensch oder Tier?«

Da erst bemerkte der Eindringling, dass der Mann in der Höhle unter dem geöffneten Bastmantel ein Gewand von schimmernder Seide trug, dass seine Ohrläppchen lang waren vom Goldschmuck, der einstmals daran gehangen hatte, dass sein weißes Haar mit einem Perlengeflecht gebändigt war und dass seine langen, spitzen Fingernägel wie Elfenbein schimmerten. Er erinnerte sich. »Du bist König Asbita, mein Feind«, sagte er, noch immer atemlos.

»König Asbita bin ich wohl, doch nicht dein Feind«, erwiderte jener und lächelte. »Freilich werde ich dir weder diese Gazelle überlassen noch mein Reich.«

Trischanku stand und starrte, und das Bild des alten Mannes mit dem Buch und der Gazelle, umgeben vom rätselhaften Schein des Lichts, drang tief in sein Herz. Er war wild und ungestüm, aber genauso heftig wie er handelte, vermochte er auch zu fühlen, und jetzt spürte er fremde, wundersame Kräfte. Noch wehrte er sich, und er raffte sich auf und sagte: »Gut denn, heiliger Mann. Beides können wir mit einem Mal abmachen. Ich meine, mir gehören die Gazelle und dein Reich, und das letztere, ohne dass der Fuß meiner Krieger es betritt, wenn du mir beweist, dass du kein närrischer Einsiedler bist, sondern, wenn es darauf ankommt, ein Kschatrija, der zu kämpfen und zu handeln versteht. Miss dich mit mir in einer kriegerischen Übung, in irgendeiner, die du selbst wählen kannst. Ich will nicht, dass du mich überwindest. Es reicht, wenn du, Denker auf dem Königsthron, mannhaft bestehst, und ich will abziehen und dir, halber Brahmane und halber Herrscher, die Deinen in Frieden lassen. Sage ja, sonst erschieße ich die Gazelle in deinen Armen und tue deinem Volk, was mir beliebt.«

Ruhig und ohne Zögern erwiderte Asbita zu Trischankus Staunen: »Ich bin einverstanden mit dem, was du vorschlägst. Welche Waffe wollen wir aber wählen? Ich sehe nichts außer dem Bogen, den du da bei dir trägst, und das Licht ist schon im Scheiden.«

»Ich lasse dir den ersten Schuss, noch ist es Tag!«, sagte Trischanku.

Aber der Weise schüttelte freundlich den Kopf. »Dein ist der Bogen, dein der erste Schuss.« Er deutete nach draußen. »Siehst du jenes leuchtende Ding da hinten an dem Baum? Es ist meine Yagnopavita, die ich abgenommen habe, damit die Heilige Schnur mich nicht beim Meditieren störe. Triff sie, König Trischanku, und wir werden weitersehn.«

Auf Trischankus Stirn trat der Schweiß. »Auf eine Opferschnur soll ich schießen, ein heiliges Ding? Du willst mich versuchen, listiger Scheinheiliger, wie? Nein, zwei Fuß über der Schnur will ich den Baumstamm treffen, und es wird mir gelingen.« Er spannte den Bogen und zielte lange, denn eine seltsame Schwäche überkam ihn, seine Knie zitterten, und es war, als sei sein Auge von einem Schleier überzogen. Lange und mit Sorgfalt bereitete er seinen Schuss vor, ließ endlich den Pfeil von der Sehne sausen und eilte zum Baum. Ein wilder Jubelruf entrang sich ihm. Er hatte getroffen, genau zwei Fuß über der Schnur. »Nun, Asbita, tu mir nach!«, frohlockte er zurückkehrend und übergab Bogen und Köcher dem anderen.

Asbita hatte ohne Ungeduld oder Unruhe den umständlichen Zurüstungen seines Gegners zugeschaut, ja, von Zeit zu Zeit hatte er sogar die Augen über die Buchseite in seiner Hand schweifen lassen, als wäre ihm die alte Schrift wichtiger als Krieg und Frieden und die Zukunft seines Reiches. Jetzt nickte er freundlich und sagte: »Eins haben wir noch nicht bedacht bei unserer Abmachung. Wir wissen, was dein Siegespreis sein wird. Was aber erhalte ich, wenn ich gewinne?«

Trischanku lachte laut und übermütig auf. »Was immer du willst!«, rief er im Vollgefühl seines Triumphes. »Was immer du willst, asketischer Herr, was immer du willst. Von mir aus nimm mich selbst als deinen Sklaven an.«

»Das soll gelten«, erwiderte der andere, und ohne auf das Gelächter seines Herausforderers zu achten, fuhr er fort, »und dünkt mich nur billig, halte ich doch dein Leben in meiner Hand, Tor von einem Eroberer, der du in deinem Kriegerstolz dich unverletzlich wähnst. Du hast dich selbst entwaffnet in deinem dünkelhaften Übermut. Da ich nun Pfeil und Bogen halte, ergib dich!«

Trischanku, fahl bis in die Lippen, starrte ihn an. »Ich wusste«, murmelte er, »dass man dich schlangenklug nennt. Aber so verräterisch - nein! Wir waren im Wort, es war ein Spiel ...«

»Ein Spiel um Wohl und Wehe meines Volkes? Nein. Das spiele du allein«, entgegnete Asbita verächtlich. Er sah dem anderen in die Augen. »Aber du bist kein Feind. Hinter deiner Stirn wohnt zwar viel Torheit, aber auch die Kraft zu hohen Dingen. Lerne sie zu brauchen, aber vorher sieh!«

Er trat an den Ausgang der Höhle. Es herrschte draußen inzwischen Dämmerung. Ohne zu zielen, ja ohne hinzusehen, hob der Einsiedler den gespannten Bogen und ließ den Pfeil sausen. »Geh und sieh!«, bedeutete er Trischanku, der, mehr tot als lebendig, zu dem Baum taumelte. Aufschreiend vor heiligem Entsetzen, fand er den Pfeil des Asketen fest in dem seinen steckend. Als er Asbita zu Füßen fiel, sah er Köcher und Bogen neben sich im Gras liegen, die Pfeile geknickt und verstreut.

So begann ihre Freundschaft.